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Die verhängnisvolle Fixierung auf das Militär

Bundesregierung lässt jeglichen neuen Ansatz in der Sicherheitspolitik vermissen - Eine vernichtende Kritik

Der folgende Kommentar stammt nicht aus der Feder eines Aktivisten der Friedensbewegung, sondern aus dem PC eines Redakteurs einer angesehenen überregionalen Tageszeitung. Die Kritik, die hier an der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik geübt wird, stimmt in vielen Punkten überein mit der Kritik, wie sie aus den Reihen der Friedensbewegung schon seit langem vorgebracht wird. Insbesondere wird endlich einmal in einer seriösen Zeitung auf die Defizite der (halb-)öffentlichen Diskussion über die Reform der Bundeswehr aufmerksam gemacht. Bislang herrschte in den bundesdeutschen Meinungsblättern der Tenor vor: Die Krisenbeschreibung des Verteidigungsministeriums stimmt, die Schlussfolgerungen (keine Landesverteidigung mehr sondern Krisenbewältigung) sind auch richtig, zu diskutieren ist also allenfalls darüber, wie groß der Umfang der Bundeswehr sein solle und ob es ohne Wehrpflicht nicht auch ginge.

Einer so beschränkten Diskussions(un)kultur setzt der folgende Artikel ein anderes Verständnis von Diskussion entgegen: Ihm geht es um die Klärung fundamentaler Fragen, die mit der Zielbestimmung und Aufgabenbeschreibung der Bundeswehr zusammenhängen. Fragen, die sich jede(r) stellen sollte.

Der nachfolgende Kommentar, den wir in voller Länger wiedergeben, stammt aus der Frankfurter Rundschau (18.11.2000).

Dem Alten zugewandt

Rot-grün schaut bei der Bundeswehr-Reform zu eng aufs Militärische und schreibt die althergebrachte Sicherheitspolitik fort
Von Wolfgang Storz


Wie kann der Konzern effizienter organisiert werden? Wie viele Filialen werden geschlossen? Gibt es genügend Geld, um den Maschinen- und Fuhrpark zu modernisieren? Verteidigungsminister Rudolf Scharping ist mit Leib und Seele dabei, die Bundeswehr zu einem effizienten Militär-Unternehmen umzukrempeln. Und dabei siegt die Betriebswirtschaft über die Politik. Der Verteidigungsminister hat es geschafft, die Reform der deutschen Streitkräfte, ein politisches Thema ersten Ranges, zu einem Hauptseminar über Management und Organisationskunde zu degradieren.

Aus der traditionellen Verteidigungsarmee will Rudolf Scharping eine schlagkräftigere Streitkraft formen, die weltweit eingesetzt werden kann. Diese Bundeswehr wird dann mit der bisherigen nichts mehr zu tun haben. Sie wird kleiner denn je sein und einen Aktionsradius haben, der weiter denn je gespannt sein wird. Es ist dabei von Interesse, was in diesem Zusammenhang debattiert wird, und was nicht einmal erwähnt oder gar als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung steht beispielsweise die Frage, wo die Bundeswehr am günstigsten ihre Kampfhubschrauber und Großraumflugzeuge einkauft. Wie die Entscheidungsabläufe innerhalb der Bundeswehr effizienter strukturiert werden. Welche Logistik für längere Auslandseinsätze benötigt wird. Jedoch: Deutschland ist nicht bedroht. Die Nato ist nicht bedroht. Warum soll die Bundeswehr sich denn für weltweite Einsätze rüsten? Werden es Einsätze mit oder auch ohne Mandat der UN sein? Im Rahmen der Nato und der EU? So viel Auswahl war noch nie. Gibt es überhaupt noch Grenzen, die vorab gezogen werden? Oder wird einfach von Fall zu Fall entschieden? Serbien ja, Tschetschenien nein. Und: Ist eine hochgerüstete Hightecharmee überhaupt in der Lage, Konflikte von heute zu lösen oder auch nur zu beherrschen? Diese Fragen werden nicht diskutiert, so dass sich die deutsche Politik fast ausschließlich darauf konzentriert, das Instrument Militär zu modernisieren. Sie versäumt dabei, ausreichend Energie und Ressourcen in eine ausgefeilte Politik der Prävention zu stecken. Im strategischen Konzept der Nato aus dem Jahr 1999 ist die Rede von den "komplexen neuen Risiken", davon, dass ethnische Konflikte, wirtschaftliche Not und Unterdrückung oft Ursache von gewaltsamen Konflikten seien. Was also nützen Hightechwaffen, wenn die Strategie veraltet ist?

Die wahren Politiker sind in diesen Zeiten Bischöfe und Wissenschaftler. So haben die katholischen Bischöfe sich jüngst in einem Hirtenbrief Gedanken über "einen gerechten Frieden" und eine neue Sicherheitspolitik gemacht. Es ist kein Zufall und Folge der Diskussionslage der Nation, dass diese Gedanken von der Politik nicht aufgegriffen worden sind. Die Bischöfe knüpfen an Konzepten an, die vor Jahren unter dem Stichwort erweiterter Sicherheitsbegriff ein wichtiges Thema waren. Das traditionelle Militär spielt dabei, ethisch legitimiert und völkerrechtlich legal, als letztes Mittel natürlich eine Rolle. Vorrangig ging und geht es darum, neue und alte Instrumente erstmals "zusammenzudenken": Dazu gehören - beispielsweise für ethnische Konflikte - neu ausgebildete Einheiten (mehr als nur Polizei, aber anders als das klassische Militär), die (staatliche und zivile) Entwicklungspolitik, die Außen- und die Außenhandelspolitik. Dazu gehört auch das Ernstnehmen von Friedensforschung, die unter Rot-Grün übrigens nur wenig besser gestellt wird als unter der konservativen Vorgänger-Regierung. Die Zeiten sollten vorbei sein, in denen solche Ansätze belächelt zur Seite gelegt werden, um die Produktion von Sicherheit harten Realpolitikern zu überlassen.

Somalia, Irak, Serbien: Es ist auch an der Zeit, eine Bilanz der Strategie des humanitären Interventionismus zu ziehen. Was hat mehr zum Sturz von Milosevic beigetragen: die Dauer-Bombardements der Nato oder die Unzufriedenheit der Arbeiter? Bringen internationale Ächtung, harte Sanktionen und die systematische Unterstützung der Opposition Diktatoren nicht sehr viel schneller ins Wanken?

Es gibt vielversprechende Ansätze einer anderen Sicherheitspolitik: Der Stabilitätspakt für den Balkan ist in diesem Sinn ein bedeutendes Projekt. Und zugleich fehlt es an Elementarem: Der ehemalige CDU-Entwicklungspolitiker Köhler machte am Beispiel Afrika jüngst darauf aufmerksam, wie gering der Stellenwert von vorbeugender Krisenpolitik in der operativen Außen- und Entwicklungspolitik immer noch ist, wie wenig Energie investiert wird, um Krisen und Spannungen früh zu erkennen und darauf schnell zu reagieren.

Eigentlich sollte der Bericht der Weizsäcker-Kommission Auftakt und nicht Ende einer Debatte sein. Auftakt zu einer öffentlichen Debatte über Rolle und Stellenwert des traditionell Militärischen in einer modernen Außen- und Sicherheitspolitik des vereinten Deutschland. Die rot-grüne Regierung ist im Moment dabei, zu eng auf das Militärische zu schauen, eine althergebrachte Sicherheitspolitik fortzuschreiben und die Beschaffung von modernen Waffen als Fortschritt misszuverstehen.

Aus: Frankfurter Rundschau, 18. November 2000

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