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Verteidigung hinter Sprechzetteln

Minister Guttenberg als Zeuge vor dem Kundus-Untersuchungsausschuss des Bundestages

Von René Heilig *

Nachdem die Kanzlerin am Vormittag (des 22. Aprl) eine Regierungserklärung zum Krieg in Afghanistan vorgelesen hatte, erschien ihr Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) am Nachmittag vor dem sogenannten Kundus-Untersuchungsausschuss mit einem dicken Stapel Papier. Jeder Satz in diesen Sprechzetteln war abgewogen formuliert.

Nur ungern wich Karl Theodor zu Guttenberg von seinem Manuskript ab. Festzuhalten ist aus seinen rund 75-minütigen Einlassungen, dass der Luftschlag vom 4. September 2009 bei Kundus, bei dem bis zu 142 Menschen getötet worden sind, nicht nur »militärisch nicht angemessen« war, sondern das er hätte »gar nicht erfolgen müssen«. Mehr noch, zu Guttenberg betonte gestern, dass der Angriff hätte »nicht erfolgen dürfen«, denn es habe keine entsprechende Bedrohungslage durch die im Kundus-Fluss festgefahrenen Tankfahrzeuge gegeben, die »eine so hohe Anzahl von zivilen Opfern – darunter Kinder und Jugendliche – gerechtfertigt hätten«. Der Zeuge hatte eine Gratwanderung zu bewerkstelligen, denn kurz nach Amtsübernahme hatte er das von einem deutschen Oberst befohlene Bombardement als »militärisch angemessen« bezeichnet, das auch, wenn es »fehlerfrei vonstatten gegangen wäre«, hätte stattfinden müssen. Vier Wochen später sagte Guttenberg, dass der Angriff »im Lichte aller, auch mir damals vorenthaltenen Dokumente militärisch nicht angemessen war«. Der Minister hatte also eine Wendung um 180 Grad vollzogen. Guttenberg erklärte gestern, dass ihm von seinem damaligen Staatssekretär Peter Wichert und dem Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan nur der NATO-Untersuchungsbericht zu dem Vorfall vorgelegt worden sei, der – laut Wichert – positiv für die Bundeswehr ausgefallen ist. Auf dieser Basis habe er als Minister die ersten Bewertungen getroffen. Erst am 25. November habe er durch eine Anfrage der »Bild«Zeitung von der Existenz weiterer Berichte, beispielsweise einer Dokumentation der Feldjäger erfahren. Der Einsatzführungsstab seines Ministeriums hatte das Dokument bereits am 16. Oktober bewertet und festgestellt, dass »bei Bekanntwerden des Berichts negative Auswirkungen auch in rechtlicher Hinsicht zu befürchten sind«.

Er habe nicht akzeptieren können, dass ihm als Minister Berichte von »zentraler Bedeutung« vorenthalten werden, daher habe er den Staatssekretär und den Generalinspekteur entlassen. Nicht der Inhalt der Berichte sei dafür maßgebend gewesen. Guttenberg bestritt, dass er die beiden Führungsleute seines Ministeriums zu Bauernopfern oder Sündenböcken gemacht habe, um seine eigene Positionsänderung plausibel verkaufen zu können. Im Übrigen wundere er sich, dass ihm vorgehalten werde, eine falsche Einschätzung – für die er die politische Verantwortung trägt – zu korrigieren. »Erwarten wir von guter Politik nicht auch, dass sie sich korrigiert«, fragt er in Richtung all jener, die den Angriff schon immer als einen Fehler betrachtet haben.

Die Abgeordneten konnten dem ungewöhnlich vorsichtig Agierenden folgen, ihm aber keine wesentlich neuen Informationen entlocken. So blieb unausgesprochen das Gerücht im Raum stehen, der Rausschmiss von Wichert und Schneiderhan sei vom Kanzleramt als »Vorwärtsverteidigung« beschlossen worden.

Am Abend war die Sitzung wegen parteipolitischen Streits um Verfahrensfragen lange unterbrochen.

* Neues Deutschland, 23. April 2010


Fairness für Bombardierer verlangt

Kundus-Untersuchungsausschuß: Kriegsminister übernimmt Verantwortung für Luftschlag-"Fehleinschätzung" **

Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat zu einem »fairen und sachgerechten« Urteil über das von einem Bundeswehroberst angeordnete Bombardement zweier entführter Tank­lastzüge in Kundus aufgerufen. Man solle »nicht die Maßstäbe verlieren, wer Angreifer und wer Verteidiger ist«, sagte Guttenberg am Donnerstag vor dem Kundus-Untersuchungsausschuß des Bundestages in Berlin. Zugleich räumte er ein, daß der Bombenangriff mit bis zu 142 getöteten Zivilsten in Nordafghanistan »nicht hätte erfolgen müssen, ja nicht hätte erfolgen dürfen«. Bei Bewertung aller Umstände sei klargeworden, daß die Bedrohungslage damals nicht »so unmittelbar« gewesen sei, um in einem solchen Umfang Verluste in Kauf zu nehmen. Dies habe Oberst Georg Klein aber zum Zeitpunkt seiner Entscheidung am 4. September 2009 nicht gewußt. Dieser habe zum Zeitpunkt des Angriffsbefehls davon ausgehen müssen, daß der Luftschlag »militärisch angemessen« gewesen sei.

Ein Minister müsse aber bei seinen Bewertungen nicht nur den militärischen Aspekt im Auge haben, sondern er sei auch für die politische Gesamteinschätzung verantwortlich, sagte Guttenberg weiter. Mit seiner Umbewertung der Ereignisse als »militärisch nicht angemessen« habe er deutlich machen wollen, daß die Bundeswehr in Afghanistan nicht bewußt Opfer einkalkuliere. Dies sei jedoch »nicht notwendigerweise mit einem Vorwurf an die Soldaten verbunden«. Am Montag hatte die Bundesanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein wegen möglicher Kriegsverbrechen eingestellt.

Vor dem Ausschuß verteidigte Guttenberg die Entlassung von Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert. »Es war nicht der Inhalt der Dokumente, der den Grund für die Trennung gab, sondern die Erkenntnis, daß zentrale Dokumente weder erwähnt noch vorgelegt wurden«, unterstrich der Minister. Für die »Fehleinschätzung« zum Luftschlag trage er aber die politische Verantwortung. (ddp/jW)

** Aus: junge Welt, 23. April 2010


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