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Lernort mit Lücken

Hintergrund. Die Bundeswehr leistet sich ein Museum, das die Greuel deutscher Kriegsgeschichte zeigt – aber nur bis 1945

Von Frank Brendle *

Runter vom Feldherrnhügel« ist ein oft zitiertes Motto des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr, das Mitte Oktober in Dresden eröffnet wurde. Hier wird Militärgeschichte einmal anders erzählt: Nicht als Abfolge mehr oder weniger heroischer Schlachten und mehr oder weniger genialer Feldherrn, wie man es aus anderen Museen dieses Genres im In- und Ausland kennt. Es steht auch nicht eine möglichst imposante Sammlung von Waffen und Kriegstechnik im Vordergrund (gleichwohl gibt es eine Menge davon zu sehen). Hier geht es darum, Militärgeschichte in den gesellschaftlichen Kontext zu stellen und zu zeigen, wie eng sie verknüpft ist mit Gesellschafts- und Technikgeschichte. Bei alledem solle der »Mensch im Mittelpunkt« stehen, heißt es – der Mensch als Wesen, das den Krieg führt, aber auch in ihm und an ihm zugrunde geht.

Das Gebäude selbst ist ein historischer Ort: Ein Zeughaus sächsischer Churfürsten und Könige, Sächsisches Museum in Kaiserreich, Weimarer Republik und »Drittem Reich«, ab 1972 Sitz des Armeemuseums der DDR.

Das auffälligste Merkmal des neueröffneten Museums ist zweifellos der Beitrag des Star­architekten Daniel Libeskind: Er hat die neoklassische Fassade des alten Arsenalgebäudes in der Dresdner Albertstadt durch einen stählernen Keil regelrecht gesprengt. Ungefähr so, wie durch die Gewalt des Krieges ganze Städte, nicht zuletzt Dresden selbst, gesprengt wurden, und so, wie die Shoah metaphorisch die Geschichte unterbrochen und die militärischen Traditionslinien aus der Vergangenheit zerstört hat, oder sagen wir: hätte zerstören sollen. Das bürgerliche Feuilleton applaudiert zu dieser Idee so heftig, daß man argwöhnen möchte, ohne Libeskind würde dieses Museum eigentlich überhaupt niemanden interessieren.

Eine Heroengeschichte wird man also gar nicht erst erwarten. Das würde auch nicht zum Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) passen, das sich schon des öfteren als Forschungsstätte erwiesen hat, die nicht auf Befehl erwünschte Erkenntnisse produziert, sondern gerade mit ihren Forschungen zu Wehrmachtsverbrechen den Konflikt mit militärischen Vorgesetzten riskiert hat. Für das Dresdner Museum haben sich die MGFA-Beschäftigten von etlichen Historikerkollegen aus dem Zivilbereich mit Rat und Tat unterstützen lassen. Das bedeutet freilich nicht, daß auf Militärpropaganda komplett verzichtet würde.

Fließende Grenzen

Im Grunde sind es zwei Museen in einem: Das Ausstellungskonzept schickt den Besucher zum einen auf einen Rundgang durch 700 Jahre Militärgeschichte, zum anderen sind elf sogenannte Themeninseln installiert worden. Auf diesem Parcours wird am ehesten dargestellt, wie sehr sich zivile Gesellschaft und Militär gegenseitig beeinflussen bzw. wie weit das Militär sich auch in vermeintlich zivilen Lebensbereichen widerspiegelt. Etwa im Abschnitt »Mode«, der darstellt, daß die massenindustrielle Kleiderproduktion ihre Ursache im militärischen Bedarf an Uniformierung hat. Man begegnet dem Overall der Pazifistin Petra Kelly, übersät mit Friedensbuttons, einer ordensgespickten Uniform nicht unähnlich. Man lernt, daß in Deutschland das Militär die Männerunterhose ab 1860 als Standard durchgesetzt hat. Im Bereich »Spiel« warten, wenig überraschend, ganze Spielzeugarmeen auf, aber auch ein Geschirrservice für Kinder mit militärischen Motiven, das im Ersten Weltkrieg entstanden ist, und jede Menge Videospiele. »Sprache« unterrichtet über den militärischen Ursprung gängiger Alltagsfloskeln wie »über den Daumen peilen«, vom alten »Gassenhauer« bis hin zum modernen Computer-Trojaner, der seinen Namen von der Kriegslist der Griechen im Trojanischen Krieg bezieht. Ein kleiner Tier-Parcours zeigt den militärischen Nutzen von Haus- und Nutztieren für Kriegführung und Militärforschung. Für ein Militärmuseum ungewöhnlich ist die Darstellung des menschlichen Leidens, wenn auch die zugehörige »Themeninsel« dieses Leid fast nur auf Soldaten bezieht: Es finden sich Granatsplitter, die aus dem Körper eines deutschen Soldaten in Afghanistan herausoperiert wurden, Gesichtsplastiken, die schwerste Verstümmelungen von Soldaten des Ersten Weltkrieges zeigen, und gar ein Stück Wirbelsäule, in dem ein Geschoß steckt. Manche Exponate sind so schockierend, daß der Abschnitt mit einer Art Kindersicherung versehen ist. Im Themenbereich »Krieg und Gedächtnis« finden sich sowohl die ritualisierten Kranzniederlegungen an der Neuen Wache in Berlin als auch populäre Spielfilme, Schallplattencover und nicht zuletzt Reiseführer aus Verdun und Umgebung, Stichwort: Schlachtfeldtourismus.

Die insgesamt zwölf Themenbereiche sind so gewählt, daß die meisten Besucher sie mit ihrem Alltag in Verbindung bringen können. Sie stehen allerdings jeweils für sich, eine themenübergreifende Verbindung gibt es nicht. Dafür ist die räumliche Abgrenzung zwischen ihnen fließend, die Anordnung der Exponate und Schaukästen bisweilen verwirrend und uneindeutig. Das ist partiell dem Libeskindschen Keil geschuldet, der im Gebäudeinneren einige Winkel, Sackgassen und Verirrungen hervorruft, und Teil des Konzepts: Das Fehlen klarer Abgrenzungen, das Verschwimmen von militärischen und zivilen Bereichen kennzeichnet ja schon lange die Entwicklung von Kriegstechnik und Militärwissenschaft. Der wissenschaftliche Leiter Gorch Pieken nannte das im Deutschlandradio, »Gewalt als ein kulturelles und anthropologisches Phänomen zu thematisieren«, auf der Bundeswehrhomepage spricht er gar davon, das Museum wolle »den Besucher mit seinem eigenen Aggressionspotential konfrontieren, ihm also quasi eine Art Spiegel vorhalten«.

Zweideutigkeiten

Das bietet eine Lesart an, von der das Feuilleton sogleich Gebrauch gemacht hat: Die Zuweisung von Verantwortung für Kriege an »uns alle«, ohne nach unterschiedlichen Graden dieser Verantwortung zu fragen, sondern pauschal darüber zu klagen, daß der »Bestie Mensch« die Lust am Krieg partout nicht abzugewöhnen sei, wie es in der FAZ hieß.

Keine Frage: Didaktisch wird in diesem Teil des Museums etwas Neues versucht, die Freude am Experimentieren ist unübersehbar. Es fragt sich, ob das Spielerische nicht bisweilen übertrieben wird: So haben Kinder am simulierten Atombombenblitz, der ihre Schatten für einige Minuten an die Wand wirft, ihre helle Freude.

Ziel des Museums soll es sein, nicht zu belehren, sondern zum Nachdenken anzuregen: »Wir sind kein Sinnstiftungsmuseum, wir sind ein Denkstiftungsmuseum«, erläuterte Gorch Pieken in der ­Jüdischen Allgemeinen. Mit diesem Anspruch ließe sich unter Umständen die eine oder andere Lücke erklären: der Verzicht auf den pädagogischen Zeigefinger als Ausdruck der Fortschrittlichkeit und Aufgeklärtheit. So wagemutig ist das freilich nicht: Die deutsche Militärgeschichte lädt nun einmal nicht dazu ein, ihr durchgängig einen tieferen Sinn zu verleihen.

Diese Herangehensweise – die, wie noch zu zeigen ist, keineswegs durchgängig eingehalten wird – hat allerdings ihren Preis: Die Start- bzw. Schlußstation des Themenparcours läßt sowohl eine antifaschistische als auch eine geschichtsrevisionistische Deutung zu. »Dresden« ist sie betitelt, sie befindet sich im Keil selbst, der als Aussichtsplattform begangen werden kann. Die Keilspitze zeigt aufs Ostra-Gelände, das den britischen Bomberverbänden im Februar 1945 als Orientierungsmarke diente. Der Winkel des Keils entspricht dem des damaligen Zerstörungsradius. Kritisch ist die Auswahl der Ausstellungsstücke: Gehwegplatten aus dem polnischen Wielun, das am 1. September 1939 von der Wehrmacht zerstört worden war, und daneben Gehwegplatten aus der Dresdner Bombennacht. Alle zeigen die gleichen Spuren von Geschoßeinwirkung. Das kann man, mit kritischem Geist, als Ursache und Wirkung lesen. Man kann es aber auch anders interpretieren: Als Darstellung einer »Gleichheit der Opfer«. An den Gehwegplatten werden all jene eine Freude haben, die nicht mehr über Schuld und Verantwortung reden, sondern Deutsche als gleichberechtigte Opfer beklagen wollen. Wielun = Dresden, das paßt haargenau in den geschichtsrelativistischen Diskurs.

Beschwiegene Kriegsgründe

Sehr viel konventioneller dagegen der chronologische Teil: Im Eilschritt geht es von den Kreuzzügen über den Dreißigjährigen Krieg, die Türkenkriege, Schlesische, Napoleonische, Reichseinigungs-, Weltkriege bis in die Gegenwart. Auch hier wird versucht, den »Menschen im Mittelpunkt« zu zeigen, wenn auch weniger durchgehend. Die Deutungsmuster sind ebenfalls vertraut: Der Erste Weltkrieg »brach aus«, weil Intellektuelle und Jugendbewegung »sich nach einem reinigenden Gewitter sehnten.« Der Zweite Weltkrieg, weil Hitler dazu »drängte«. Man lernt einiges über militärstrategische und kriegswirtschaftliche Fragen, aber fast nichts über jene Kreise, die mit Wilhelm II. oder Hitler zum Stahlgewitter »drängten«, um daran zu verdienen. An einer einzigen Stelle ist davon die Rede, es sei auch um »Rohstoffe« gegangen – »entsprechend der nationalsozialistischen Ideologie«, als hätten sich Krupp, I.G. Farben und alle anderen Fraktionen des deutschen Kapitals tatsächlich um ideologische Fragen geschert. Das muß hier wohl so dargestellt werden, weil die Bundeswehr zwar vom Faschismus, den sie »Nationalsozialismus« nennt, reden, aber über den Kapitalismus schweigen will.

Der Raub- und Vernichtungskrieg der Wehrmacht wird dargestellt, ohne Verharmlosung, aber auch ohne Sonderstellung: Er ist einfach ein Abschnitt des Geschichtsbereiches 1914 bis 1945. Es gibt Gründe dafür, den systematischen Völkermord durch Wehrmacht und SS in die deutsche Militärgeschichte einzubetten. Gewagt ist diese bruchlose Darstellung dennoch – war nicht eigentlich der Holocaust der wichtigste Grund für Libeskinds Keil? Wo ist der auf einmal geblieben?

Die Offiziere des 20. Juli 1944 werden als tapfere Männer präsentiert, und auf einmal zählt nicht mehr der aktuelle Forschungsstand: Es wird ausgeblendet, daß die Geschichtswissenschaft vor rund 15 Jahren herauszuarbeiten begann, wie viele Kriegsverbrechen diese Männer begangen hatten, weit mehr, als zu einer taktischen »Camouflage« nötig gewesen wäre. So weit geht die Unabhängigkeit des MGFA offenbar nicht, die Vorzeigehelden der Bundeswehr in Frage zu stellen.

Gewalt im Passiv

Größere Überraschungen bleiben auch bei der Nachkriegsgeschichte aus. Es wird eingeräumt, daß es in der BRD schon frühzeitig Wiederbewaffnungspläne gab, aber Darstellung und Wortwahl implizieren, daß eigentlich die DDR bzw. die Sowjetunion damit begonnen haben. Stalin setzte auf Gewalt, um seinen Machtbereich zu erhalten, während der Westen den Marshallplan anbot; der Westen wollte mit seinem Militär die eigene Sicherheit verteidigen, der Osten Volksaufstände niederschießen. Zur Personalfrage in der frühen Bundeswehr wird kurz angemerkt, Offiziersbewerber seien auf ihre Vergangenheit geprüft worden – es fehlt jegliche kritische Historikersicht, die nach der Qualität dieser »Prüfung« fragen oder einfach mal zusammenzählen könnte, wie viele Nazi­offiziere übernommen wurden. Daß diese Quote bei der NVA nur im Promillebereich lag, wird dann »genauso« unterschlagen, aber man ahnt es, weil: Für die DDR »blieb der Antifaschismus einer ihrer Gründungsmythen«.

Je näher an der Gegenwart, desto unkritischer geht es zu. Nach 1990, heißt es, »wuchs auch die internationale Verantwortung der Bundesrepublik«. Und bald schon machten Forderungen von NATO und UNO »eine Überprüfung der deutschen Zurückhaltung bei militärischen Einsätzen erforderlich«. Merke: Von 1300 bis 1990 waren es Kriege, seither »militärische Einsätze«, und letztere werden uns von außen aufgenötigt. Eine interessante Idee ist es, das Foto auszustellen, das den früheren Außenminister Joseph Fischer auf dem Kriegsparteitag der Grünen 1999 zeigt: Die Partei beschloß damals das deutsche Mitwirken am NATO-Angriff auf Jugoslawien, und Fischer wurde durch eine Antimilitaristin mit einem roten Farbbeutel am Ohr markiert. Leider fehlt ein Hinweis auf die Motive der Farbbeutelwerferin. Jedenfalls wird der Besucher belehrt, daß brutale Aktionen der Serben und das Elend kosovo-albanischer Flüchtlinge »Anlaß« waren, trotz fehlenden UNO-Mandats Luftangriffe durchzuführen. So wie es da steht, könnte es aber auch die Ursache gewesen sein; weitere Erklärungen fehlen. Nur in einem Nebensatz geht es kritisch zu: »Angriffe, bei denen auch Zivilisten getötet wurden, lösten erhebliche innenpolitische Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik aus«.

Der Afghanistan-Einsatz (nicht »Krieg«) hat sein eigenes Kämmerchen, voller Wehklagen über verletzte, getötete, traumatisierte Bundeswehrsoldaten, die, wenn sie die Taliban überlebt haben, hinterher mit der Bundeswehrbürokratie um Reha-Maßnahmen kämpfen müssen. Auf einer Tafel heißt es, es komme »immer wieder zu Gefechten mit einem schwer faßbaren Gegner. Das hat auch Opfer in der Zivilbevölkerung zur Folge.« Wieso erscheinen die Täter hier auf einmal als Neutrum (»das«), anstatt beim Namen zu nennen, daß auch die Bundeswehr Zivilisten umbringt? Die Süddeutsche Zeitung kritisiert hier zu Recht »das verschleierte Passiv der Gewalt«.

»Radikaler Neuanfang«?

Verteidigungsminister Thomas de Maizière sagte in seiner Eröffnungsansprache am 17. Oktober, das Museum provoziere und sei »im besten Sinne des Wortes anstößig«. Damit bezog er sich vor allem darauf, die Grausamkeit des Krieges (bis 1945) ungeschminkt darzustellen, inklusive der Verbrechen der Wehrmacht.

Das hat die Bundeswehr in der Tat nicht von Anfang an so gehalten, und noch heute gibt es in der Truppe starke Traditionsbezüge zur Wehrmacht (die, das sagte de Maizière nicht, durchaus von der Spitze her unterstützt werden). Andererseits könne die Bundeswehr das Thema heute »gelassener und souveräner betrachten«, so der Minister. Wahr ist, daß sie jedenfalls den Anschluß an eine halbwegs aufgeklärte Gesellschaft verlöre, wenn sie weiterhin eine Weißwaschung der Wehrmacht betriebe.

Mit deren Mythos als »sauberer« Truppe hatte Ende der 1990er Jahre die Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht« des Hamburger Instituts für Sozialforschung ein Ende gemacht. Die Bundeswehr begann, nach anfänglichem Wutschäumen, eine Art offensiven Umgang mit den Wehrmachtsverbrechen. Nahezu demonstrativ wurden Bundeswehrrekruten zum Besuch in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz abkommandiert. In Abgrenzung zur faschistischen Terrortruppe stellt sich die moderne Bundeswehr als Vereinigung dar, der es heute gerade um die Durchsetzung von Menschenrechten, die Verhinderung von Genoziden usw. gehe. Die Bombardierung Jugoslawiens 1999 wurde dementsprechend damit begründet, man müsse ein zweites Auschwitz verhindern. Jüdinnen und Juden, die 55 Jahre zuvor von deutschen Uniformträgern ermordet worden waren, wurden damit in Kronzeugen für den erneuten deutschen Sprung auf die Kriegsschauplätze der Welt umgewandelt. Es dürfte auch kaum ein Zufall sein, daß mit Daniel Libeskind ausgerechnet ein Sohn polnisch-jüdischer Holocaustüberlebender die Ausschreibung gewonnen hat. Libeskind selbst gibt seinem Winkel gegenüber der US-Nachrichtenagentur Associated Press die zusätzliche Deutung, dieser stehe für einen radikalen Neuanfang: Er weise den Weg vom autoritären Deutschland der Vergangenheit hin zur liberalen Demokratie der Gegenwart (»something symbolic of Germany’s rigid authoritarian past giving way to the liberal democracy of today«). Deutschland ist wieder gut, besser kann sich die Bundeswehr das nicht wünschen.

Ziemlich unverhohlen drückte de Maizière in seiner Eröffnungsansprache aus, daß das Museum auch dazu dienen solle, die Einsatzfähigkeit der Truppe zu erhöhen: Er bezeichnete es als »Lernort«, an dem die Soldaten der Bundeswehr folgendes begreifen sollten: »Früher haben europäische Armeen gegeneinander Krieg geführt. Heute kämpfen sie Seite an Seite – auch mit unseren amerikanischen Partnern. Das schafft neue, gemeinsame Traditionslinien. Deutschland kann seine Sicherheitsinteressen nicht verfolgen, wenn wir ganz auf uns gestellt bleiben. Gleiches gilt für den Einsatz seiner Streitkräfte.« Nur wenn die Soldaten der Bundeswehr dies beherzigten, »wird es ihnen gelingen, ein Einsatzland langfristig zu stabilisieren und zu befrieden und selber mit sich im inneren Frieden zu leben«.

Ein »Lernort« soll das Museum auch für die Zivilbevölkerung sein: Deren »freundliches Desinteresse« an der Bundeswehr gilt es zu bekämpfen, indem sie mit grundsätzlichen Fragen konfrontiert wird. De Maizière hat sie aufgelistet: »Was rechtfertigt den Einsatz militärischer Gewalt als ein Mittel der Politik neben anderen? Wann kann nur Gewalt noch schlimmere Gewalt verhindern? Und kann auch der schuldig werden, der den Einsatz militärischer Gewalt grundsätzlich ablehnt?« Das Museum, so der Maizière weiter, zeige »die aggressive, zerstörerische und unterdrückende wie auch die friedenssichernde, schützende und befreiende Funktion von Streitkräften« und verdeutliche Soldaten wie Bevölkerung: »Wir sind aufgefordert, dem Frieden der Welt zu dienen«, und manchmal könne eben nur Gewalt den Weg dorthin erzwingen.

Wem es nützt

Am Ende des chronologischen Rundgangs lenkt die Ausstellung den Besucher direkt in die von de Maizière geforderte Richtung und macht unverschleiert Reklame für die »neuen Kriege«. Das geschieht in einer Abruptheit, als wäre bei den Ausstellungsmachern ein Schalter umgelegt worden. Nachdem den Besuchern vorgeführt wurde, daß 600 Jahre Kriegsgeschichte 600 Jahre Raubzüge voller Schmerz und Tod waren, soll sich seit 1945 bzw. 1990 auf einmal alles geändert haben. Die »asymmetrischen Bedrohungen« der Gegenwart werden beklagt, die Verantwortlichkeiten dafür klar zugewiesen: hier die »terroristischen Gruppierungen, die mit allen Mitteln ihre politisch und religiös motivierten Ziele durchsetzen wollen«, dort moderne Streitkräfte wie die Bundeswehr, deren Auslandseinsätze »zur internationalen Sicherheit und zur Friedensbewahrung beitragen« sollen, heißt es auf einer Texttafel. Spätestens hier kippt das, was als seriöses wissenschaftliches Unterfangen startete, zur platten NATO-Propaganda. Denn in der westlichen Welt scheinen keine Kriegsursachen zu liegen. Das Weißbuch der Bundeswehr, das die Jagd nach Rohstoffen als Kriegsrechtfertigung verankert, wird nicht zitiert. Dafür wird gleich mehrfach in Form rhetorischer Fragen das Schlagwort vom »Clash of Civilisations« angeboten, mit dem der Politikwissenschaftler Samuel Huntington Kriegsursachen auf die »Gegensätzlichkeit verschiedener Kulturkreise« zurückführte. So bleibe es eine Aufgabe der sich wandelnden NATO, Sicherheit zu schaffen und Kriege zu verhindern. Kein Wunder, daß die Museumsleitung im Anschluß an die Eröffnung mit dem »Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold« ausgezeichnet wurde. Auch wenn man nach einem fünfstündigen Rundgang möglicherweise zu erschöpft ist, um sich über diese Manipulationsversuche groß zu ärgern: Man sollte sich bei jedem Schritt daran erinnern, wem das Museum gehört und wessen Interessen es zuvörderst dienen soll.

Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (www.mhmbundeswehr.de), Olbrichtplatz 2, 01099 Dresden, Donnerstag bis Dienstag 10 bis 18 Uhr, Montag 10 bis 21 Uhr, mittwochs geschlossen. Bis Anfang 2012 ist der Eintritt frei

* Frank Brendle ist Landesgeschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft–Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Berlin-Brandenburg

Aus: junge Welt, 15. November 2011



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