Deutsche Destruktion
Warum sollte wohl Obama auf die "guten Atomwaffen" verzichten?
Von Erhard Crome *
Die Bundeswehr hat ein Organ, das heißt: „Y – Das Magazin der
Bundeswehr“. Die „Zentralredaktion“ ist beim Hauptquartier der
Bundeswehr in Bonn, der „Anbieter“ das Bundesministerium der
Verteidigung, „Leiter des Presse- und Informationsstabes“ mit Anschrift
in Berlin. Zum Selbstverständnis heißt es, Ziel sei, „zu Hintergründen
und größeren Zusammenhängen themenaktuell zu sein“. Man verstehe sich
„als ergänzendes Medium zu den tages- und wochenaktuellen Periodika des
Medienmixes der Truppeninformation“. Zielgruppe seien „aktive Soldaten,
Soldaten der Reserve, zivile Mitarbeiter/-innen der Bundeswehr,
Angehörige und Partner der Soldaten sowie die interessierte
Öffentlichkeit“. So ist davon auszugehen, hier wird vor allem für die
Militärangehörigen ausgebreitet, was man von kommandierender Stelle aus
meint, daß sie denken sollen.
In der aktuellen Ausgabe wird über die Rede Obamas in Prag berichtet, in
der er über die Perspektiven einer atomwaffenfreien Welt sprach. Bereits
die Überschrift gibt die Linie vor: „Der böse Traum“. Der Text beginnt
ironisch: „Barack Obama, globaler Hoffnungsträger, enttäuschte die
Wartenden nicht. 30.000 Menschen hatten sich vor der Prager Burg für ihn
versammelt.“ Der Autor war wahrscheinlich auf Bush fixiert und findet es
anrüchig, daß auch in Prag Massen zusammenkamen, um Obama zu hören. Dann
heißt es weiter: „Im Namen der USA gab der amerikanische Präsident seine
bislang kühnste ‚Yes we can‘-Botschaft ab.“ In wessen Namen sollen denn
US-Präsidenten sonst sprechen? Hier liegt unterschwellig aber noch ein
perfiderer Ton drin. Unter der Überschrift: „Nicht in unserem Namen“
hatten zahlreiche Intellektuelle der USA gegen die Kriegspolitik von
Bush protestiert. Hier wird das umgedreht und von den zuständigen
Propaganda-Offizieren unterstellt, Obama sei eigentlich nicht
berechtigt, im Namen der USA zu sprechen. Der nächste Satz im Text
lautet dann: „Nicht weniger als eine atomwaffenfreie Welt versprach er
ihnen an diesem Frühlingstag Anfang April.“ Das meint: alles eitle
Frühlingsgefühle, alles Wunschträume. Unfreiwillig aber erinnert dieser,
ebenfalls ironisierend gemeinte Satz an den „Prager Frühling“, den Traum
von einer hoffnungsvollen Welt, die anders ist als die derzeitige.
Anschließend wird der Leser instruiert, alles sei anders, als es dieser
Obama dargestellt hat. „Der Traum von einer atomwaffenfreien Welt ist
fast so alt wie die Atomwaffe selbst. Doch viel spricht dafür, daß er
von seiner Verwirklichung heute weiter entfernt ist als je zuvor.“ Die
internationalen Kontrollmechanismen seien „löchriger denn je“, der
Atomwaffensperrvertrag „scheint morsch geworden zu sein. Nicht nur
Staaten wie Iran und Nordkorea wollen Atomwaffen bauen, auch Terroristen
streben nach diesen Waffen“. Hier werden die üblichen Szenarien von Al
Qaida, Afghanistan und Pakistan ausgebreitet. Als Kronzeuge, daß
„innerhalb des terroristischen Netzwerkes ein Anschlag mit nuklearem
Material vorbereitet werden könnte“, wird natürlich Herr Schäuble
herangezogen. Lange, pejorativ gefaßte Passagen des Textes wärmen das
eingewöhnte russische Feindbild auf.
An dieser Stelle könnte man einhalten und feststellen: Bei aller
diplomatischen Freundlichkeit der Kanzlerin gegenüber Obama gibt es
offenbar unter deutschen Konservativen eine beträchtliche Strömung, die
dessen Kurs in Frage stellt und den Bush-Zeiten nachtrauert.
Das ist aber nur die Hälfte der Wahrheit. Es ist offensichtlich
schlimmer. Der Text von Y ist eine populäre Kurzfassung einer Position,
die zuvor schon wortreich und polemisch ausgeführt wurde. Der Autor ist
Michael Rühle. Er ist derzeit in der Verwendung als stellvertretender
Leiter der Politischen Planung beim NATO-Generalsekretär. In der Edition
der Körber-Stiftung publizierte er kürzlich einen „Standpunkt“ mit dem
Titel: „Gute und schlechte Atombomben. Berlin muß die nukleare Realität
mitgestalten“. Die guten Atombomben sind natürlich immer die eigenen –
da die BRD auf solche verzichtet hat, die des Westens, der USA,
Großbritanniens und Frankreichs bzw. der NATO mit der „Errungenschaft“
einer deutschen Teilhabe – und die schlechten die der anderen, während
des Kalten Krieges die der Sowjetunion, heute die der anderen,
nicht-westlichen Mächte. Auch hier Passagen zur russischen Gefahr, zu
China und zur Erosion der Nichtweiterverbreitung. Das früher sei das
„erste nukleare Zeitalter“ gewesen, heute befänden wir uns im „zweiten“.
Auch hier lange Darstellungen zu Indien und Pakistan, der iranischen
Bombe, Al Qaida und dem Drang des islamischen Terrorismus.
Die Pointe bei Rühle ist der „transatlantische Schulterschluß“
Deutschlands mit den USA. Das von ihm unterstellte Szenarium, an dem
sich dieses Deutschland beteiligen soll, ist allerdings das der
strategischen Planungen der Bush-Regierung. Er moniert, die „in der
Abschreckungslogik des Kalten Krieges gewachsene Auffassung, daß der
Einsatz militärischer Macht stets ein Versagen der Politik bedeute“,
habe „im deutschen sicherheitspolitischen Diskurs tiefe Spuren
hinterlassen“. Demgegenüber brauche Deutschland eine
sicherheitspolitische Debatte, „die sich an der Konfliktlandschaft des
21. Jahrhunderts orientiert“. An die Stelle der Abschreckung träten
„militärische Einsätze von teilweise umstrittener völkerrechtlicher
Legitimität, von ungewisser Dauer und mit ebenso ungewisser
Erfolgsaussicht“. Demzufolge gelte: „Der vorbeugende Einsatz von Gewalt
ist dann nicht mehr Ausdruck imperialer Machtfantasien, sondern wird zum
sicherheitspolitischen Gebot.“ Und dazu gehöre nun mal die
„Mitgestaltung der nuklearen Realität“.
Da hat man sich das so schön gedacht, nun endlich auch auf
nuklear-strategischem Gebiet mitzutun. Wie das praktisch aussehen soll,
bleibt bei Rühle absichtsvoll im Dunkel. Aber Mittun sollte sein. Und
dann kommt dieser Obama und redet davon, diese Waffen abzuschaffen. Das
klingt ja fast, wie die Friedensdemonstranten im Bonner Hofgarten 1981,
die Rühle als junger Student erlebt hat und die er heute noch gruselig
findet. Die hatten den drohenden Weltkrieg einen Weltkrieg genannt und
waren für die „Grundsatzdiskussion um Freiheit und Unfreiheit nicht
empfänglich“. Denn unsere Waffen sind ja die der Freiheit – auch wenn
„wir“ völkerrechtswidrige Präventivkriege führen, die sich am besten mit
Atomwaffen führen lassen.
* Erschienen in: Das Blättchen, No. 16 vom 3. August 2009.
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