Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Major Pfaff hat Recht bekommen: Keine Befehlsverweigerung, sondern freie Gewissensentscheidung des Berufssoldaten

Bundesverwaltungsgericht befindet: "Die Streitkräfte sind als Teil der vollziehenden Gewalt ausnahmslos an 'Recht und Gesetz' gebunden"

Wir hatten seiner Zeit über den Fall Florian Pfaff berichtet: "Es ist die Pflicht des Soldaten, sich gesetzwidrigen Befehlen zu widersetzen". Nun ist der Klage des vom Verteidigungsministerium gemaßregelten Majors stattgegeben worden. Ein Aufsehen erregendes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das nach Lage der Justiz nicht unbedingt erwartet werden konnte, obwohl die Rechtslage durchaus eindeutig für den Kläger sprach.
Im Folgenden dokumentieren wir die Pressemitteilung des Gerichts sowie eine erste Reaktion des Arbeitskreises Darmstädter Signal.



Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts (2. Wehrdienstsenat)
Nr. 38/2005: BVerwG 2 WD 12.04
22.06.2005
Unverbindlichkeit eines Befehls wegen Verstoßes gegen die Gewissensfreiheit eines Bundeswehrsoldaten während des IRAK-Krieges

Ein Major weigerte sich im April 2003, den Befehl seines Vorgesetzten auszuführen, an der weiteren Entwicklung eines militärischen Software-Programms mitzuwirken. Zur Begründung führte er an, er könne es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, Befehle zu befolgen, die geeignet seien, Kriegshandlungen im IRAK zu unterstützen. Dabei machte er geltend, sein Vorgesetzter habe vor Befehlserteilung ihm gegenüber ausdrücklich nicht ausschließen können, dass mit der Arbeit an dem Projekt eine Beteiligung der Bundeswehr an dem von ihm als völkerrechtswidrig angesehenen Krieg gegen den IRAK unterstützt werde. In diesem Zusammenhang kritisierte er, dass Bundeswehrangehörige in Kuweit stationiert würden, deutsche Soldaten an AWACS-Flügen beteiligt seien, US-Liegenschaften in Deutschland bewachten und dass Überflug- und Landerechte für die im IRAK operierenden Streitkräfte der USA gewährt würden. Er hielt dies für verfassungs- und völkerrechtswidrige Unterstützungsleistungen.

Das Truppendienstgericht setzte den Soldaten wegen eines Dienstvergehens in den Dienstgrad eines Hauptmanns herab. Hiergegen hat der Soldat Berufung eingelegt und beantragt, ihn freizusprechen. Der Wehrdisziplinaranwalt hat ebenfalls Berufung eingelegt und beantragt, den Soldaten aus dem Dienstverhältnis zu entfernen.

Der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig hat den Soldaten freigesprochen, weil dem Soldaten ein Dienstvergehen nicht nachzuweisen war. Ein Verstoß gegen die Gehorsamspflicht (§ 11 Abs. 1 Soldatengesetz) liege nicht vor. Der Senat hat entschieden, dass in der konkreten Lage das Grundrecht der Freiheit des Gewissens nach Art. 4 Abs. 1 GG durch den Befehl nicht verdrängt werde. Dieser sei deshalb für den Soldaten unverbindlich gewesen. Der Soldat habe die Ernsthaftigkeit seiner Gewissensentscheidung glaubhaft dargetan. Im vorliegenden Fall sei die gebotene gewissensentlastende Konfliktlösung durch eine anderweitige Verwendung des Soldaten erfolgt. Der Soldat könne sich auf das Grundrecht der Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG ungeachtet dessen berufen, dass er keinen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer nach Art. 4 Abs. 3 GG gestellt habe. Denn auch Berufssoldaten stünde das Grundrecht der Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG zu. Die Streitkräfte seien als Teil der vollziehenden Gewalt ausnahmslos an "Recht und Gesetz" (Art. 20 Abs. 3 GG) und insbesondere an die Grundrechte uneingeschränkt gebunden. Davon könnten sie sich nicht unter Berufung auf Gesichtspunkte der militärischen Zweckmäßigkeit oder Funktionsfähigkeit freistellen.

BVerwG 2 WD 12.04 – Urteil vom 21. Juni 2005


Arbeitskreis Darmstädter Signal:
Pressemitteilung, 22. Juni 2005

Freispruch für Major Florian Pfaff!

Die Offiziere und Unteroffiziere des Arbeitskreises DARMSTÄDTER SIGNAL begrüßen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2005. Unser Mitglied Major Florian Pfaff wurde vom Vorwurf der rechtswidrigen Befehlsverweigerung freigesprochen. Seine Weigerung als Software-Spezialist Computerprogramme zu schreiben und damit den Irakkrieg der USA logistisch zu unterstützen stellt nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts keine Straftat dar.

Die logistische Unterstützung der USA erfolgte auf Befehl des Verteidigungsministers, der die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts missachtete. Statt die gesetzlichen Beschränkungen für den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland zu beachten und die Beteiligung von Bundeswehrsoldaten an einem rechtswidrigen Angriffskrieg grundsätzlich auszuschließen, ging das Ministerium, wie in anderen Fällen auch, juristisch gegen die wenigen kritischen Soldaten vor.

Major Pfaff wurde wegen seiner Befehlsverweigerung von seinen militärischen Vorgesetzten degradiert. Während dem Major von der militärischen Führung schwerste Dienstpflichtverletzungen vorgeworfen wurden, hätte er vielmehr für sein mutiges und konsequentes Eintreten für seine Rechte belobigt werden müssen. Unter den gegebenen Umständen war es geradezu seine Pflicht, die ihm erteilten Befehle zu verweigern.

Der Arbeitskreis DARMSTÄDTER SIGNAL sieht in dem jetzt vorliegenden Urteil nicht nur eine Bestätigung seiner eigenen Rechtsauffassung sondern geht auch davon aus, dass der seit Jahren zu beobachtenden Missachtung der für Bundeswehrsoldaten geltenden Rechtslage durch das Ministerium endlich Einhalt geboten ist.

Wir fordern alle Soldaten und Zivilangestellten der Bundeswehr auf, sich rechtswidrigen Befehlen zu widersetzen und sich in vergleichbaren Fällen von Gewissensnot oder anderen Problemen an den Arbeitskreis DARMSTÄDTER SIGNAL zu wenden.

gez. Helmuth Prieß, Oberstleutnant a.D., Dr. Lothar Liebsch, Oberstleutnant a.D.


Zurück zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage