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Rechtssicher in den Krieg

Von Rüdiger Göbel *

Ermittlungen und Prozesse gegen Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz sollen künftig zentral von Leipzig aus vereitelt, pardon: geführt werden. Normalerweise sind die Staatsanwaltschaften und die Gerichte an dem Ort zuständig, an dem ein Straftäter seinen Wohnsitz hat. Jetzt soll dort, wo der Nachschub für die kriegführende Truppe am Hindukusch umgeschlagen wird, eine eigene zentrale Gerichtsbarkeit aufgebaut werden. Das geht aus einem Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums hervor, der in den vergangenen Tagen mehreren Medien zugepielt wurde. Ursprünglich war Potsdam für das Soldatensondergericht im Gespräch. Wohl weil im Brandenburgischen der Einsatzführungsstab der Bundeswehr bereits die deutsche Kriegführung koordiniert, hat man den sächsischen Alternativstandort für Tarnfleck-Justitia gewählt.

Die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP behaupten, mit der zentralen Gerichtsbarkeit gebe es mehr Rechtssicherheit. »Die danach für entsprechende Strafverfahren zuständige Staatsanwaltschaft kann infolge der auf diese Weise erreichten Zuständigkeitskonzentration die Ermittlungskompetenz aufbauen, die für eine effektive und zügige Durchführung der Strafverfahren erforderlich ist«, heißt es verschwurbelt im Entwurf. Die Sächsische Zeitung schlagzeilte schon vom »Soldatenschreck Leipzig«.

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) und die Linksfraktion im Bundestag lehnen den Vorstoß der Bundesregierung ab. »Wir brauchen kein Sonderrecht für Soldaten«, so Michael Rosen­thal vom DAV-Strafrechtsausschuß. Die Behauptung, für solche Verfahren sei eine Spezialkenntnis der militärischen Abläufe und Strukturen erforderlich, sei übertrieben. Spezielle Kenntnisse in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht würden allen Gerichten in den unterschiedlichsten Verfahren zugemutet. Warum Soldaten eine »Sonderbehandlung« erfahren sollten, sei deshalb nicht ganz nachvollziehbar. »Der Staatsbürger in Uniform ist erst einmal Staatsbürger, die Uniform kommt dann«, so Rosenthal weiter.

Der Linken-Bundestagsabgeordnete und frühere Bundesrichter Wolfgang Neskovic warnt, eine zentrale Militärgerichtsbarkeit schaffe eine »gefährliche Nähe zwischen Justiz und Bundeswehr«. Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Oberst Georg Klein unter Federführung der Bundesanwaltschaft habe dies unter Beweis gestellt. »Die zivile Perspektive der Staatsanwälte und Richter auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr ist kein Manko, sondern ein Gewinn für unseren Rechtsstaat«, betonte der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion am Montag gegenüber der Nachrichtenagentur DAPD. Sie sei wichtig, »um den zivilen Geist der Bundesrepublik trotz zunehmender Militäreinsätze im Ausland am Leben zu erhalten«. Und: »Nach Plänen der Koalition wäre ein kleiner Kreis von Staatsanwälten und Richtern zentral für Taten nach dem Strafgesetzbuch zuständig, die von Soldaten im Ausland begangen werden«, moniert Neskovic. Diese institutionelle Nähe führe mittelbar zu wachsendem wechselseitigem Verständnis. »Das Akzeptieren der militärischen Sichtweise auf Taten während der Auslandseinsätze durch die Gerichtsbarkeit wäre die naheliegende Folge.« Eine derartige Verständigung auf »kleinem Dienstweg« müsse verhindert werden. »Die Pläne der Koalition sind deshalb abzulehnen.«

Für die Nichtverfolgung schwerer Kriegsverbrechen wie im Fall des von Bundeswehroberst Georg Klein angeordneten Kundus-Bombardements mit 142 Toten im vergangenen September bleibt im übrigen weiterhin die Bundesanwaltschaft zuständig.

* Aus: junge Welt, 4. Mai 2010


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