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Scharpings Konzept für die Bundeswehrreform

Die Pläne des Verteidigungsministeriums

Ursprünglich wollte Verteidigungsminister Scharping die Vorlage der Wehrstrukturreform-Kommisssion abwarten und sich dann dazu äußern. Nachdem jedoch schon (fast) die ganze Welt von deren Papier - das erst am 23. Mai offiziell veröffentlicht wird - spricht, hielt es Scharping wohl für geraten, mit seinem eigenen Konzept nun schon früher an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 17. Mai, Scharping, wolle bereits am Dienstag, den 23. Mai, also zeitgleich mit der Veröffentlichung des Kommisions-Berichts, sein Konzept vorlegen. Das allein ist schon ein interessanter Vorgang: Vor eineinhalb Jahren hat Scharping seine Kommission eingesetzt (Vorsitz: der ehemalige Bundespräident von Weizsäcker), damit sie ihm und der Öffentlichkeit einen Vorschlag unterbreite, wie eine neue Bundeswehr aussehen könne. Und nun prescht die Hardthöhe mit ihrem eigenen Konzept vor und entwertet damit die Arbeit der Kommission.

Scharpings Eckdaten sehen nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung (17.05.2000) so aus:

"in Bundeswehrumfang von 280 000 Mann bei einem Anteil von Berufs- und Zeitsoldaten von etwa 210.000. Dazu kommen 12.000 Soldaten, die sich in einer Übergangsausbildung von Truppenverwendung und zivilem Berufsleben befinden. Diese sind derzeit in den Gesamtumfang eingerechnet. Der Wehrdienst soll aus sieben Monaten am Stück plus zwei Monaten Wehrübungen bestehen.

Über das Vorgehen des Verteidigungsministers ist am Dienstag auch in der Arbeitsgruppe Verteidigung der SPD-Fraktion gesprochen worden. Sie billigte grundsätzlich einen entsprechenden Entwurf des SPD-Verteidigungsexperten Peter Zumkley. Über weiteres soll zwischen Minister und Fraktionsspitzen am Donnerstag gesprochen werden. Dennoch gibt es in beiden Fraktionen erheblichen Widerstand. Namhafte Fraktionsmitglieder der SPD betonen, man werde Scharping von seinen Plänen abraten, weil es sonst so aussehe, als wolle er eine Diskussion über die Zukunft der Bundeswehr unterbinden. Diskret wird darauf hingewiesen, dass Scharping am Ende eine Mehrheit im Bundestag brauche. Das Kabinett will am 14. Juni die Bundeswehrreform beschließen.

Erheblichen Widerstand gibt es auch bei Grünen. Fraktionschef Rezzo Schlauch sagte am Dienstag, die Wehrpflicht müsse fallen. Die Truppenstärke solle von derzeit 330.000 Soldaten auf 200.000 gesenkt werden. (Vgl. das Papier der Grünen-Bundestagsfraktion vom 16. Mai 2000. Schlauch betonte, die Auseinandersetzung mit der SPD beginne nach dem 23. Mai. An diesem Tag will die Weizsäcker-Kommission ihre Empfehlungen für die künftige Struktur der Streitkräfte vorlegen. "Dann wird die Diskussion losgehen." Es sei das Recht seiner Fraktion, zunächst ihre eigenen Vorstellungen zu formulieren. Offenbar hat Scharping seine organisatorischen und inhaltlichen Absprachen mit den Fraktions-Experten ohne Rückkoppelung mit seinem Planungsstab vorgenommen. Dort ging man nach wie vor von Größenordnungen zwischen 260.000 und 270.000 Mann aus.

Das Vorgehen Scharpings steht auch im Zusammenhang mit der Diskussion über die drohende Schließung von Standorten. Besonders SPD-Fraktionschef Struck hatte wegen der Standort-Problematik wiederholt vor einer zu drastischen Reduzierung der Bundeswehr vor der Bundestagswahl gewarnt. Der jetzige Parlamentarische Staatssekretär Walter Kolbow hatte vor der Bundestagswahl 1998 eine Standortgarantie für die Dauer der gesamten Legislaturperiode gegeben.

Auch der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, ließ erkennen, dass er schon sehr bald mit Zahlen des Ministers rechnet. Die Vorgaben der Weizsäcker-Kommission würden "nicht allein im Raum stehen". Scharping selbst werde für eine Diskussionsgrundlage sorgen. Die Weizsäcker-Kommission behandele die Wehrpflicht "stiefmütterlich", sagte Gertz. Ihre Empfehlungen würden ohne Erfolg bleiben."

In einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung (17.05.2000) wird Scharpings "Reförmchen" genüsslich zerpflückt. Scharpings Konzept hätte auch aus der "Restauratoren-Werkstatt der Militär-Politiker von CDU und CSU" stammen können, es sei zu teuer und könne sich außerdem in der NATO nicht recht sehen lassen. Wir dokumentieren den Kommentar im Wortlaut:

Scharpings Reförmchen

Am Anfang waren große Worte. Für Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte die anstehende Reform der Bundeswehr die gleiche historische Dimension wie die Wiederbewaffnung Deutschlands in den fünfziger Jahren. Verteidigungsminister Rudolf Scharping nahm sich vor, zeitgemäße Streikräfte für die kommenden zwanzig Jahre zu schaffen. Doch nun will es der Chef der Truppe offenbar bei einer Rumpf-Reform belassen: 280 000 Mann statt bisher 320 000, ein bißchen weniger Wehrpflicht - das ist die großen Worte nicht wert, die bisher gesagt wurden. Eine Reform wie aus der Restauratoren-Werkstatt der Militär-Politiker von CDU und CSU.

Ob es so kommt? Der Widerstand gegen eine derart halbherzige Reform ist bei den Grünen erheblich. Auch in der SPD-Fraktion werden sich nicht alle vom angedrohten Aufstand in den Bundeswehr-Standorten beeindrucken lassen. Die Front der Wehrpflichtbefürworter bei der SPD bröckelt ohnehin. Außerdem werden die Scharping'schen Wünsche schnell durch die Taschenrechner der Finanzexperten laufen. Das Ergebnis ist jetzt schon klar: Die Halbreform ist viel zu teuer, wenn die Streitkräfte zugleich mit modernem Gerät ausgestattet werden sollen.

Scharping wird sich mit seinen Plänen bei den Nato-Verteidigungsministern blicken lassen müssen. Deren Emphase für die deutsche Wehrpflichtarmee ist begrenzt. Die Amerikaner werden die Rechnung für das Modernisierungsprogramm der Nato präsentieren, die Europäer für die Europäische Verteidigungsinitiative. Um die Kosten begleichen zu können, wird man sich schnell der Vorschläge der Kommission von Altbundespräsident Weizsäcker erinnern.

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