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Ein Plädoyer für die Vorratsdatenspeicherung für den Kunduz-Untersuchungsausschuss!

Von Sabine Schiffer *

Kanzlerin Angela Merkel ist dafür bekannt, dass sie Mikromedien effektiv nutzt. Keine Sitzung, ohne dass sie wichtige sms erhält oder versendet. So zu erwarten auch in Bezug auf die Hiobsbotschaft aus Kunduz, die kurz vor der Bundestagswahl auf Deutschland zurollte. Während ausländische Medien – allen voran der pan-arabische Sender Al-Djazeera – bereits wenige Tage nach dem Tankerbombardement vom 4. September relativ genaue Opferzahlen und den großen Anteil ziviler Opfer belegten, hatte dies für den Ausgang der Bundestagswahl zum entscheidenden Fanal werden können. Untersuchenswürdig also auch, warum unsere Medien weitestgehend die offiziellen Verlautbarungen aus Berlin verbreiteten – ihrer idealtypischen Rolle als Vierter Gewalt wurden sie damit wieder einmal nicht gerecht.

Nun aber zur Vorratsdatenspeicherung, die am 15.12. in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt wurde, um deren Einrichtung auf Verfassungskonformität zu prüfen. Unabhängig von den Fragen der Bürgerrechte und der Beschneidung von Grundrechten, wie dem auf freie Kommunikation, wären natürlich auch nach den Politikerrechten zu fragen oder aber auch einmal nach deren Pflichten. Es könnte ja – gerade im aktuellen Fall, wo es um die Klärung des Wer hat Wann Was gewusst? geht – hilfreich sein, auf die Erkenntnisse aus der Vorratsdatenspeicherung zurück zu greifen. Die Verbindungsdaten und Inhalte der sms an Angela Merkel und ihrer Kabinettskollegen dürfte für die Aufklärung des Sachverhalts sehr effektiv sein.

Zu dumm, dass die Daten nur sechs Monate gespeichert werden sollen, denn wenn Angela Merkel erst im Herbst 2010 dem Untersuchungsausschuss Rede und Antwort stehen muss, wären die relevanten Daten längst wieder gelöscht. Sollten wir also gar für eine Verlängerung der Speicherung plädieren – sozusagen zu unser aller Sicherheit? Aus grundgesetzlicher Sicht sind derlei Gedankenspielchen natürlich zu verwerfen. Aber man sollte sich daran erinnern, dass derlei Maßnahmen oftmals nicht die Drahtzieher politischer Entscheidungen (be-)treffen, sondern deren kritische Beobachter. Ähnlich umgewidmet scheint auch die Arbeit des Verfassungsschutzes zu sein. Denn eigentlich wäre seine Aufgabe ja die Sicherung des Grundgesetzes – oder nun doch der EU-Verfassung im Kleid des Lissabonner Vertrags? Aber auf jeden Fall hat er in der Erfüllung seines Auftrags immer wieder versagt, weil er sich um kleinere oder größere Randgruppen bemüht, während im Kabinett die gravierenden Gesetzesänderungen beschlossen werden.

„Unser Grundgesetz ist grob beschädigt“, sagt Professor Jörg Becker in seiner Bestandsaufnahme nach 60 Jahren GG. Es hat eine sukzessive Stärkung staatlicher Gewalt und die Schwächung der demokratischen Mitsprache des Einzelnen stattgefunden. Wie in Krisenzeiten Kontrollgesetzgebungen entstehen, die nachher nicht mehr zurückgebaut werden, dafür stehen die Notstandsgesetze der 68er exemplarisch.

Und obwohl heute die Implementierung von Kriegsrecht, eines Feindstrafrechts sowie weiterer Elemente in Richtung Überwachungsstaat unser Grundgesetz bedrohen, sollte man es gegenüber dem noch viel undemokratischeren Lissabon- Vertrag verteidigen – denn dieser gibt bereits in Bezug auf die Wirtschaftsweise eine klare neoliberale Ordnung vor, die Entdemokratisierung und Militarisierung nach sich zieht. Und das bedeutet – neben der Eindämmung von Bürgerrechten – die Ausweitung von Krise und Krieg. Hingegen bedeutet die Unterordnung des GG unter das Völkerrecht durch Artikel 25 ganz klar, dass unsere Soldaten in Kunduz gar nichts zu suchen haben. Es sind ausgerechnet die Soldaten des Darmstädter Signals, die diese Problematik aufzeigen – wieder nicht der Verfassungsschutz.

* Dr. Sabine Schiffer ist Leiterin des Erlanger Instituts für Medienverantwortung


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