Weiterentwicklung der Bundeswehr: "Ein neuer Kurs liegt an"
Verteidigungsminister Struck: "Stärkere Einsatzorientierung, geringere Betriebskosten und höhere Investitionen"
Am 2. Oktober 2003 legte Verteidigungsminister Peter Struck eine neue "Weisung für die Weiterentwicklung der Bundeswehr" vor, deren Eckpunkte er in Berlin vor der Presse erläuterte.
Im Folgenden dokumentieren wir hierzu -
die amtliche Pressemitteilung des Ministeriums,
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die mündlichen Erläuterungen, die Struck hierzu abgab (im Jargon: die "Punktuation"), und
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den "Tagesbefehl", den er an alle Soldaten und zivilen Mitarbeiter bereits am 1. Oktober erteilte.
Weiterentwicklung der Bundeswehr: Ein neuer Kurs liegt an
Berlin, 02.10.2003 - Die neuen Aufgaben der Bundeswehr und die finanziellen Rahmenbedingungen prägen die neue "Weisung für die Weiterentwicklung der Bundeswehr", deren Eckpunkte Verteidigungsminister Peter Struck in Berlin erläuterte.
Eine stärkere Einsatzorientierung, geringere Betriebskosten und höhere Investitionen: Diesen neuen Kurs der Bundeswehr stellte Verteidigungsminister Peter Struck am Donnerstag (2.Oktober) der Öffentlichkeit vor. Struck reagiert damit auf die gravierenden Veränderungen der internationalen Lage seit dem letzten Kabinettsbeschluss zu den Aufgaben der Bundeswehr im Jahr 2000. Der weltweite Terrorismus sei eine neue und gefährliche Bedrohung; die Verpflichtungen Deutschlands in NATO, EU und UN sowie die Anforderungen an die Bundeswehr im Einsatz seien weiter gestiegen. "Die Bundeswehrplanung steht nicht mehr im Einklang mit den militärischen Anforderungen. Deshalb muss jetzt gehandelt werden", kündigte Struck an.
So werde die Bundeswehr nach dem Grundsatz "Klasse statt Masse" verkleinert. Bis 2010 soll sie 250.000 statt derzeit rund 280.000 Soldaten sowie rund 75.000 zivile Dienstposten umfassen. An der Wehrpflicht von neun Monaten hält Struck fest, doch sollen künftig weniger Wehrpflichtige eingezogen werden. "Die Bundeswehr holt sich die Männer, die sie braucht", erklärte Struck. "Die Wehrpflicht ist nicht daran geknüpft, dass jeder eingezogen wird. Ich bewege mich hier deutlich auf die Vorstellungen der Weizsäcker-Kommission zu." Konkrete Zahlen sollen Ende des Jahres vorliegen, mit einer dramatische Reduzierung der Anzahl der Wehrpflichtigen rechnet der Verteidigungsminister aber nicht.
Allein durch die personelle Verkleinerung der Bundeswehr erwartet Struck Ersparnisse in Höhe von "mehreren hundert Millionen Euro" - Geld, das im Verteidigungshaushalt bleibt und für Investitionen zur Verfügung steht. Ziel sei eine Investitionsquote von rund 30 Prozent, derzeit liege sie bei knapp 25 Prozent.
Als "nicht mehr aufrecht zu erhalten", bezeichnete Struck das derzeit gültige Stationierungskonzept. Es werde ausschließlich nach militärischen und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten geändert. "Dieses wird zwangsläufig eine Reduzierung der Standorte zur Folge haben", kündigte der Minister an. "Die Bundeswehr hat militärische Aufgaben und keine Wirtschaftsförderungsaufgaben", erklärte Struck. Wie viele und welche Standorte geschlossen werden müssten sei noch offen. Das neue Stationierungskonzept solle Ende 2004 fertig sein.
Der Zeitplan für die Weiterentwicklung der Bundeswehr ist straff: Bis Ende des Jahres soll der Generalinspekteur der Bundeswehr unter anderem eine neue Konzeption der Bundeswehr, eine Struktur- und Organisationsplanung sowie eine Material- und Ausrüstungsplanung vorlegen. Diese Daten sind Grundlage für den Bundeshaushalt 2005 und die mittelfristige Finanzplanung. Bis 2010 soll die Bundeswehr den neuen Kurs erfolgreich gesteuert haben; erste wesentliche Effekte erwartet Struck ab 2007.
Struck kündigte außerdem ein neues ein "Weißbuch 2005" und eine Änderung des Blankeneser Erlasses an, der die Aufgaben des Generalinspekteurs und der Inspekteure der Teilstreitkräfte und Organisationsbereich regelt. (bö)
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"Neue Aufgaben - neuer Kurs "
Berlin, 02.10.2003 - Punktation des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Peter Struck, für die Pressekonferenz am 02. Oktober.
Es gilt das gesprochene Wort
Gestern habe ich das Kabinett über den neuen Kurs der Bundeswehr unterrichtet.
Seit dem letzten Kabinettsbeschluss zu den Aufgaben der Bundeswehr im Jahr 2000 hat sich die internationale Lage entscheidend verändert:
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Der weltweite Terrorismus ist eine neue gefährliche Bedrohung.
- Die Verpflichtungen Deutschlands in NATO, EU und VN sind weiter gewachsen. NATO Response Force und Fortentwicklung der ESVP erfordern andere Strukturen und Fähigkeiten.
- Die Anforderungen an die Bundeswehr im Einsatz sind weiter gestiegen.
Die neuen Aufgaben erfordern einen neuen Kurs. Neue Fähigkeiten sind durch eine Fortschreibung und Umsetzung der bisherigen Ansätze und Planungs- entscheidungen nicht zu erreichen. Die Bundeswehrplanung steht nicht mehr im Einklang mit den militärischen Anforderungen.
Deshalb muss jetzt gehandelt werden.
Mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 21. Mai 2003 habe ich aus den veränderten Bedingungen Konsequenzen gezogen und die konzeptionellen Grundlagen für die langfristige Anpassung der Bundeswehr an die veränderte Sicherheitslage geschaffen. Dies hat bereits in einem ersten Schritt am 21. Mai zu einigen weitreichenden Entscheidungen bei Beschaffungsvorhaben, Waffensystemen und Standorten geführt.
Sie waren nicht bequem, aber erforderlich.
Der erste Schritt reicht jedoch, und dies habe ich immer betont, nicht aus.
Das in den VPR festgelegte Fähigkeitsprofil der Bundeswehr ist - insbesondere mit Blick auf Interoperabilität und technische Fortschritte bei Verbündeten - mit dem derzeitigen Stand der Struktur, des Materials und der Ausrüstung objektiv nicht zu erreichen. Entscheidend ist, dass Ausbildung, Material und Ausrüstung den Anforderungen entsprechen.
Dies muss in dem Bewusstsein erreicht werden, dass eine moderne und qualitativ hochwertige Ausprägung sämtlicher denkbarer Teilfähigkeiten weder sicherheitspolitisch notwendig noch finanziell leistbar ist. Davon unbenommen bleibt es unser klares politisches Ziel, die Investitionsquote deutlich zu erhöhen.
Die finanzielle Gesamtsituation des Verteidigungshaushalts erfordert zwingende Veränderungen. Unter den jetzigen Bedingungen sind wir insbesondere mit einer nicht aufzulösenden Investitionsbugwelle ab 2008 konfrontiert.
Erhebliche Einschränkungen im Betrieb sind schon jetzt die Folge. Die mittelfristigen Auswirkungen für die Einsatzbereitschaft der Truppe sind absehbar.
Eine Anpassung des militärischen und zivilen Personalumfangs ist dazu unumgänglich. Dabei gilt der Grundsatz: Klasse statt Masse!
Dies schafft Handlungsspielräume für die Erfüllung der neuen Aufgaben.
Das gültige Stationierungskonzept ist nicht mehr aufrecht zu erhalten und muss ausschließlich nach militärischen und betriebswirtschaftlichen Kriterien geändert werden. Nur so wird eine den neuen Aufgaben entsprechende Infrastruktur gesichert.
Dies wird eine zwangsläufig eine Reduzierung der Standorte zur Folge haben.
Unser Ziel ist, ausgehend von den bisher erzielten Ergebnissen der Reform, die Bundeswehr konsequent zu einer modernen Armee des 21. Jahrhunderts fortzuentwickeln.
Dieser neue Kurs macht aber weitere harte Schnitte erforderlich.
Die gesamte Struktur von der Leitung bis zur untersten Organisationseinheit wird nach militärischen Erfordernissen und betriebswirtschaftlichen Grundsätzen optimiert werden. Es kommt mir in diesem Zusammenhang darauf an, dass endlich der streitkräftegemeinsame Ansatz verwirklicht wird.
Ich habe sichergestellt, dass alle eingesparten Finanzmittel dauerhaft im Verteidigungshaushalt bleiben. Dazu habe ich mit dem Bundeskanzler, dem Außenminister und dem Finanzminister bereits Einvernehmen hergestellt.
Die Weisung, die ich gestern erlassen habe, enthält folgende Kernelemente:
Der Generalinspekteur wird als Gesamtverantwortlicher für die Bundeswehrplanung bis zum Jahresende unter anderem folgende Aufträge haben:
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Die internationalen Verpflichtungen und die operativen Vorgaben sind kritisch zu bewerten; Optimierungspotential ist zu bestimmen.
- Mit der neuen Konzeption der Bundeswehr ist die VPR mit einem aktualisierten Fähigkeitsprofil weiter umzusetzen und dabei der streitkräftegemeinsame Ansatz zu verwirklichen.
- Daraus ist eine strukturelle Ausgestaltung der zukünftigen Bundeswehr abzuleiten. Zwei Vorgaben für den Generalinspekteur sind dabei:
- Ein militärischer Umfang von 250.000 Soldaten und Soldatinnen, der bis zum Jahr 2010 zu erreichen ist.
- Der Grundwehrdienst von 9 Monaten ist den geänderten Aufgaben anzupassen.
- Und schließlich ist mir neben einer zu überarbeitenden Material- und Ausrüstungsplanung ein Stationierungskonzept vorzulegen, das nur militärischen und wirtschaftlichen Grundsätzen folgt.
Die Staatssekretäre werden den Generalinspekteur bei seinem Auftrag in ihren Zuständigkeitsbereichen zu unterstützen.
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Beschaffungsvorhaben und Rüstungstechnologien werden einer kritischen Untersuchung und Priorisierung unterzogen.
- Außerdem wird die Einführung von SASPF und die Umsetzung von HERKULES beschleunigt.
- Die zivilen Organisationsbereiche werden gestrafft und ein Vorschlag für die Ausgestaltung eines zivilen Personalumfangs der Bundeswehr von 75.000 Dienstposten bis zum Jahr 2010 vorgelegt.
- Zudem wird eine neue Geschäftsordnung des BMVg entwickelt und die Stärkung des wirtschaftlichen Handelns forciert.
Der Planungsstab wird ein den "Blankeneser Erlass" ersetzendes Dokument sowie das Weißbuch 2005 erarbeiten. Die Umsetzung der Entscheidungen wird in sinnvollen Schritten erfolgen. Erste wesentliche Effekte sind ab 2007 zu erwarten.
Zusammenfassend möchte ich noch einmal das Gebot der Stunde formulieren:
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- Wir qualifizieren die Bundeswehr für die neuen Aufgaben durch Überprüfung und Anpassung aller relevanten Parameter: internationale Verpflichtungen, Fähigkeiten, operative Vorgaben, Umfang, Struktur, Standorte, Material und Aus-rüstung und interne Optimierung.
- Wir tun dies unter der Vorgabe einer konsequenten Fortentwicklung des streitkräftegemeinsamen und fähigkeitsorientierten Ansatzes.
Bis Ende des Jahres 2003 werden alle Entscheidungen so getroffen sein, dass auf dieser Grundlage realistische Daten für den Bundeswehrplan 2005, der Bundeshaushalt 2005 und die mittelfristige Finanzplanung zur Verfügung stehen.
Dieser neue Kurs eröffnet die Chance, die Bundeswehr mit Blick auf ein verändertes Aufgabenspektrum zukunftsfähig zu machen - durch stärkere Einsatzorientierung, Senkung der Betriebskosten und höhere Investitionen.
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Tagesbefehl
Berlin, 01.10.2003 - Am 01. Oktober 2003 erteilte der Bundesminister der Verteidigung folgenden Befehl.
Soldatinnen und Soldaten,
zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
Sie haben den im Jahr 2000 begonnenen Reformprozess der Bundeswehr mit großem Engagement und unter Inkaufnahme zusätzlicher persönlicher Belastungen gemeistert. Sie haben viel erreicht und dafür danke ich Ihnen. Auf Ihre Leistung dürfen Sie mit Recht stolz sein. Die inzwischen umgesetzten Reformschritte waren sehr wichtig. Sie haben den richtigen Weg gewiesen.
Die gestiegenen Anforderungen durch unsere Einsätze und durch die übernommenen internationalen Verpflichtungen machen im vorgegebenen finanziellen Rahmen jedoch eine über das bisherige Maß hinausgehende Umgestaltung der Bundeswehr unausweichlich.
Nach einer gründlichen Bestandsaufnahme und Beurteilung aller Handlungsmöglichkeiten habe ich heute eine Weisung für die Weiterentwicklung der Bundeswehr erlassen, die im Kern folgende wesentliche Punkte enthält:
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Die Wehrpflicht von 9 Monaten bleibt bestimmender Faktor der Planung. Der Wehrdienst wird jedoch neu ausgestaltet.
- Die Wirtschaftlichkeit im Handeln wird weiter optimiert.
- Vorgaben für die Einsätze, Struktur, Material, Ausrüstung und Beschaffungsvorhaben werden konsequent an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst.
- Der Personalumfang der Bundeswehr wird bis zum Jahr 2010 auf 250.000 militärisches Personal und 75.000 ziviles Personal verringert.
- Die Stationierung der Bundeswehr wird stärker als bislang nach militärischen und betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ausgerichtet.
Das Ziel ist eine neugestaltete Bundeswehr, die fähig ist, das veränderte Aufgabenspektrum zu meistern.
Wir erreichen dieses Ziel durch Überprüfung und Anpassung aller relevanten Bestimmungsgrößen und durch konsequente Verwirklichung des streitkräftegemeinsamen Ansatzes.
Bis Ende diesen Jahres werde ich auf der Basis der Überprüfungsergebnisse die erforderlichen grundlegenden Entscheidungen treffen, damit erste Maßnahmen im Jahr 2004 beginnend eingeleitet werden können. Der gesamte Prozess soll 2010 abgeschlossen werden.
Es wird kein leichter Weg, aber wir werden dieses Ziel gemeinsam erreichen. Die Bundeswehr muss auf eine solide Basis gestellt werden, von der aus die mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien neu gewichteten Aufgaben verantwortbar umgesetzt werden können.
Nur so erhalten alle Angehörigen der Bundeswehr eine überzeugende Zukunftsperspektive.
Die vor uns liegende Aufgabe stellt an uns alle höchste Anforderungen und verlangt von Ihnen erneut einiges ab - aber es gibt keine tragfähige Alternative. Denn neue Aufgaben erfordern einen neuen Kurs.
Ich setze darauf, dass Sie sich weiterhin mit aller Kraft dieser neuen Aufgabe zuwenden und mit Ihren Kenntnissen und Erfahrungen zum Gelingen der Weiterentwicklung der Bundeswehr beitragen.
gez.
Dr. Peter Struck
Quelle: www.bundeswehr.de
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