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"Vom Einsatz her denken" - Strukturkommission der Bundeswehr legt Bericht vor

Zusammenfassung im Wortlaut: "Es muss möglich sein, die Zahl der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz durchhaltefähig wenigstens zu verdoppeln"


Am 26. Oktober hat Dr. Frank-Jürgen Weise den Bericht der Strukturkommission mit dem Titel „Vom Einsatz her denken – Konzentration, Flexibilität, Effizienz“ an Verteidigungsminister Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg übergeben. Die Ergebnisse der Strukturkommission sind Empfehlungen für eine neue Organisationsstruktur der Bundeswehr. Ziel ist es, "die Bundeswehr an die heutigen und künftigen sicherheitspolitischen Herausforderungen anzupassen", wie es auf der Website des Verteidigungsministeriums heißt.
Im Folgenden dokumentieren wir das Vorwort sowie das zusammenfassende erste Kapitel ("Auf einen Blick") des Berichts.



BERICHT DER STRUKTURKOMMISSION DER BUNDESWEHR

OKTOBER 2010

VOM EINSATZ HER DENKEN

KONZENTRATION, FLEXIBILITÄT, EFFIZIENZ

Vorwort

(Seite 3-5)

Der Bundesminister der Verteidigung, Dr. KarlTheodor Freiherr zu Guttenberg, hat die Strukturkommission am 12. April 2010 als einen Baustein zur grundlegenden Erneuerung der Bundeswehr eingesetzt.

Bereits im Jahre 2000 hatte die Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ festgestellt: „Die Bundeswehr ist ... nicht im Gleichgewicht. Sie ist zu groß, falsch zusammengesetzt und zunehmend unmodern. In ihrer heutigen Struktur hat die Bundeswehr keine Zukunft.“[1] Seitdem gab es bereits erste Schritte zur Reform der Bundeswehr und ihrer Anpassung an neue sicherheitspolitische Herausforderungen. Aber der Weg ist längst noch nicht zu Ende.

Es geht um nicht weniger als die tief greifende und notwendige Veränderung einer der großen Institutionen unseres Gemeinwesens. Diese Kommission will hierzu einen substanziellen Beitrag leisten.

Hauptaufgabe dieser Reform ist es, die Konzentration auf Kernaufgaben, mehr Flexibilität und höhere Effizienz in der Bundeswehr zu erzielen und dadurch die Bundeswehr als wirksames Instrument unserer Sicherheitsund Verteidigungspolitik zu stärken.

Die Kommission hatte das Privileg, sich ohne Vorgaben ein eigenes Urteil zu bilden und ihre Empfehlungen niederschreiben zu können. Als unabhängiges Gremium formuliert sie realistische, zugleich fordernde Veränderungsvorschläge und Reformziele. Die Realisierung dieser Vorschläge wird kurzfristig Geld kosten, mittelund langfristig jedoch Geld sparen.

Dieser Bericht zielt auf eine im guten Sinne radikale Erneuerung hin zu kompakten, effizienten und zugleich hochqualifizierten Streitkräften. Der Anspruch der neuen Bundeswehr muss es sein, maßgeblich zur Erfüllung der sicherheitspolitischen und militärischen Zielvorgaben der NATO und der Europäischen Union beizutragen.

Getragen von großem Respekt vor der Leistung der Bundeswehr – vor allem der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz – dankt die Kommission all denen, die ihre Arbeit unterstützt haben und ohne deren Engagement dieser Bericht nicht möglich gewesen wäre.

[1] Bericht der Weizsäcker-Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ vom 23. Mai 2000, S. 13
  • Dr. h.c. FrankJürgen Weise (Vorsitzender)
    Vorsitzender des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit
  • Prof. Dr. Hans Heinrich Driftmann (Stellvertretender Vorsitzender)
    Persönlich haftender und geschäftsführender Gesellschafter der Peter Kölln KGaA, Präsident des Deutschen Industrie und Handelskammertages (DIHK)
  • Hans-Ulrich Klose
    Mitglied des Deutschen Bundestages, Koordinator der Bundesregierung für die transatlantische Zusammenarbeit, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg von 1974 bis 1981
  • Prof. Dr. Jürgen Kluge
    Vorsitzender des Vorstandes der Franz Haniel & Cie. GmbH, Vorsitzender des Aufsichtsrates der METRO AG und der Celesio AG, Leiter des deutschen Büros McKinsey & Company von 1999 bis 2006
  • General a.D. KarlHeinz Lather
    Chef des Stabes Supreme Headquarters Allied Powers Europe bis 30. September 2010
  • Dr. Hedda von Wedel
    Präsidentin des Bundesrechnungshofes von 1993 bis 2001, Mitglied des Europäischen Rechnungshofes von 2002 bis 2007

Auf einen Blick

(Seite 9-11)

Die Truppe steht im Einsatz, und der Hubschrauber hebt nicht ab. NH90 steht für NATO-Hubschrauber der 1990er Jahre (des vergangenen Jahrhunderts). Wir aber schreiben das Jahr 2010 – und der Hubschrauber hat immer noch nicht abgehoben. Zurzeit bedarf es 250.000 Soldatinnen und Soldaten, um gerade einmal 7.000 in den Einsatz zu bringen. Mit anderen Worten: Hinter jedem Soldaten im Einsatz stehen 35 Kameraden und 15 zivile Mitarbeiter im Grundbetrieb und zur Unterstützung. Damit sind nur einige der Defizite der Bundeswehr beschrieben.

Die Bundeswehr hat wie kaum eine andere gesellschaftliche Institution den historischen Wandel in Deutschland erfahren und zugleich mit gestaltet. Heute geht es unter dem Leitgedanken „Vom Einsatz her denken“ darum, die Situation aller Angehörigen der Bundeswehr spürbar zu verbessern. Es gibt viel nachzuholen. Die Zeit drängt.

Die Deutschen leben heute in Frieden und Freiheit, fest eingebettet in ein transatlantisches und europäisches System von Sicherheit und Zusammenarbeit, von dem unsere Nachbarn in gleichem Maße profitieren. Und dennoch sind neue Bedrohungen und Sicherheitsrisiken unübersehbar. Der Allgemeine Wehrdienst junger Männer ist gleichwohl sicherheitspolitisch auf absehbare Zeit nicht mehr erforderlich. Musterung und Einberufung sind daher auszusetzen. Gefordert sind schnelle Entscheidungen und, wenn nötig, die umgehende Verfügbarkeit hochqualifizierter Streitkräfte.

Die Bundeswehr hat begonnen, sich auf die neuen Realitäten einzustellen. Doch bleibt die Herausforderung, einen signifikant höheren Beitrag zu internationalen Einsätzen, den unsere Verbündeten und Partner mit Recht von uns erwarten, zu leisten. Es muss möglich sein, die Zahl der 7.000 Soldatinnen und Soldaten, die sich derzeit im Einsatz befinden, durchhaltefähig wenigstens zu verdoppeln. Zugleich ist der Streitkräfteumfang auf ca. 180.000 Soldatinnen und Soldaten zu reduzieren. Entsprechend wird das zivile Personal in der neuen Zielstruktur der Bundeswehr auf künftig ca. 50.000 Dienstposten angepasst.

Im Mittelpunkt der Reform stehen die Konzentration aller Teile des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Verteidigung – Ministerium, Streitkräfte, Territoriale Wehrverwaltung und Rüstung – auf ihre jeweiligen Kernaufgaben, mehr Flexibilität und höchste Effizienz der Prozesse und der Organisation. Hohe Steuerungsintelligenz, einfache und klare Entscheidungsstrukturen sowie eine ausgeprägte Lernund Anpassungsfähigkeit prägen die Bundeswehr der Zukunft. Die Kommission ist davon überzeugt, dass die Neuordnung des Ministeriums, die Modernisierung der Unternehmensplanung, die Anpassung des Rüstungsprozesses und, nicht zuletzt, die Etablierung eines zeitgemäßen Personalmanagements katalytische Wirkung entfalten – und den Umbau unumkehrbar machen.

Die Steuerung dieses auf fünf bis sieben Jahre angelegten Wandels erfordert ein zentrales, auf höchster Ebene angesiedeltes und durchsetzungsfähiges Transformationsmanagement, das die Veränderungen kraftvoll umsetzt. Das Ministerium wird in Berlin zusammengeführt und auf seine ministeriellen Aufgaben konzentriert. Die Anzahl der Dienstposten wird mehr als halbiert, von heute über 3.000 auf unter 1.500.

Das Führen von Einsätzen der Bundeswehr ist die zentrale Aufgabe des Bundesministers der Verteidigung als Inhaber der Befehlsund Kommandogewalt. Die Kommandogewalt wird über vier Ebenen ausgeübt – vom Bundesminister, über den Generalinspekteur, den Befehlshaber Einsatzführungskommando bis zu den Einsatzkräften vor Ort.

Der Generalinspekteur ist künftig der Oberkommandierende der Streitkräfte (Chief of Defence). Er verantwortet umfassend, persönlich und unmittelbar gegenüber dem Minister die Einsätze sowie die Einsatzbereitschaft und Einsatzfähigkeit der Streitkräfte.

Die Anzahl der Führungsebenen der zivilen und militärischen Organisationsbereiche wird drastisch reduziert. Zusammen mit schlankeren Prozessen werden hierdurch Dienstposten frei, die konsequent den Einsatzverbänden zugute kommen. Der verfassungsrechtliche Rahmen einer weiteren Verzahnung von Streitkräften und Wehrverwaltung ist vollständig auszuschöpfen.

Die Bundeswehr als heterogene und komplexe Organisation braucht ein professionelles Controlling unmittelbar bei der Leitung. Eine integrierte Planung von Bundeswehr, Haushalt und Beschaffung schafft Transparenz der verfügbaren Ressourcen. Verantwortung und Kompetenz werden dezentral zusammengeführt.

Defizite bei Entwicklung, Beschaffung und Nutzung sind umgehend zu beseitigen. Eine weitgehende organisatorische Zusammenführung von Bedarfsträger und Bedarfsdecker im gesamten Prozess stellt dies sicher. Ein kooperativer Beschaffungsprozess mit der Industrie beschleunigt (unter Berücksichtigung internationaler Anti-Korruptions-Normen) die Beschaffung erheblich. Wo immer möglich und verantwortbar wird auf Off-the-shelf-Technologien zurückgegriffen (keine „Goldrand-Lösung“).

Organisatorisch wird die neue Beschaffungsagentur Kompetenzen bündeln und über Zielsteuerung statt ministerielle Vollzugsanordnung effizienter umsetzen.

Die Einsatzbereitschaft erfordert einen einzigen Personalkörper Bundeswehr. Der Anteil der Berufssoldatinnen und Berufssoldaten sinkt und der von Soldatinnen und Soldaten auf Zeit erhöht sich.

Im Wettbewerb um die klügsten Köpfe und geschicktesten Hände muss die Bundeswehr auch unter den Bedingungen des demographischen Wandels bestehen können. Hierzu wird die Attraktivität des Dienstes u.a. durch Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Dienst, neue Laufbahnen, Professionalisierung der Ausund Weiterbildung und einen erleichterten Übergang in Zivilberufe gesteigert.

Die Reform führt zu einer tatsächlichen Neuordnung. Die Veränderungen sind so angelegt, dass überkommene Denkund Verhaltensmuster, die sich in der Bundeswehr verfestigt haben, ins Leere laufen. Das neue Führungsund Arbeitsverständnis wird hohem Veränderungstempo und den Risiken von heute und morgen gewachsen sein.

In diesem grundlegenden Reformprozess haben die Angehörigen der Bundeswehr einen Anspruch auf Transparenz und Verlässlichkeit. Sie sind es, die die neuen Strukturen mit Leben erfüllen. Die Angehörigen der Bundeswehr müssen wissen, was entschieden ist, was sie an Veränderungen zu erwarten haben und welcher Beitrag von ihnen gefordert wird.

Gerade in Zeiten des Umbruchs braucht die Bundeswehr als Organisation mit gesellschaftlicher Verantwortung Zeichen der Identität. Hierzu gehören die Militärmusiker, die Sportsoldaten ebenso wie das Segelschulschiff Gorch Fock. Wissenschaft und Forschung, wie die Universitäten der Bundeswehr, wirken über die Streitkräfte hinaus.

Gewichtige politische Richtungsentscheidungen wie die Bundeswehrreform müssen öffentlich diskutiert und von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werden. Hierzu gehört, dass die gesellschaftspolitische Erfolgsgeschichte der Wehrpflicht unter den heutigen Bedingungen fortgeschrieben und auf eine neue, breitere Grundlage gestellt wird. Mit einem freiwilligen Dienst wird jungen Menschen ein Angebot gemacht, das persönliche, berufliche, gesellschaftliche und sicherheitspolitische Interessen in Einklang bringt. Die Möglichkeiten können von der Pflege, Betreuung und Wohlfahrt über den Bereich Bildung und Erziehung, den Umweltund Katastrophenschutz über die Entwicklungshilfe bis eben hin zum Dienst in der Bundeswehr reichen. Unsere Gesellschaft braucht eine Kultur der Freiwilligkeit.

Hier geht es zum ganzen BERICHT DER STRUKTURKOMMISSION DER BUNDESWEHR [pdf-Datei; externer Link].


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