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Das Lodenmantel-Geschwader marschiert noch mal

Transformation und Traditionalismus: Wie die neue Bundeswehr von ihrer unbewältigten Vergangenheit eingeholt wird

Von Jürgen Rose*

"Transformation der Bundeswehr" - lautet die euphemistische Formel für eine fortgesetzte und durchgreifende Militarisierung der deutschen Außen- und Innenpolitik. Das Tempo jüngst nochmals verschärft hat Verteidigungsminister Jung (CDU) mit seinem Verlangen nach einer radikalen Verfassungsrevision. Diese soll Interventionen im globalen Umfeld einerseits, Militäreinsätze im Inneren zur so genannten Terrorabwehr andererseits erleichtern. Eine sachlich nachvollziehbare Begründung hierfür jenseits ideologischer Fixierungen ist nicht erkennbar.

So fordert der gerade kursierende Entwurf des von Franz-Josef Jung in Auftrag gegebenen neuen Weißbuches zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr mit unverkennbar nationalistischem Duktus eine "werte- und interessenorientierte Sicherheitspolitik". Um deutsche Interessen zu wahren, gelte es eben auch, militärische Mittel einsetzen zu können, lässt der Bendler-Block in Berlin verlauten. Mit nonchalant neokolonialistischer Attitüde heißt es, dass die Bundeswehr sich "insbesondere Regionen, in denen kritische Rohstoffe und Energieträger gefördert werden, zuzuwenden" habe. Nicht hinnehmbar seien "Störungen der Rohstoff- und Warenströme" angesichts eines offenbar als sakrosankt erachteten "ungehinderten Welthandels". Als weitere Herausforderungen deutscher Sicherheit, denen militärisch zu begegnen sei, nennt der Weißbuchentwurf "Seuchen, Flüchtlinge und unkontrollierte Migration von Ausländern" - wer hier einen dezenten rassistischen Hautgout wittert, täuscht sich wohl nicht.

Kein Wunder, dass dieser atemberaubende Rückfall der Berliner Republik in überwunden geglaubte Muster "alte Kameraden" Morgenluft wittern lässt, die immer schon - statt der von Deutschlands großem Militärreformer Wolf Graf von Baudissin vehement eingeklagten "Entmilitarisierung des soldatischen Selbstverständnisses" beizupflichten - von der "optimierten Wehrmacht" träumten. Nimmt sich doch anstelle eines verweichlichten "Staatsbürgers in Uniform" der "archaische Kämpfer und High-Tech-Krieger" viel martialischer aus. Und mit einer neuen Wehrmacht lässt sich ungleich mehr Ruhm und Ehre einstreichen als mit einer "kastrierten" Bundeswehr, deren Auftrag lautet, Menschen- und Bürgerrechte zu achten, sich in den demokratischen Staat und die pluralistische Gesellschaft zu integrieren sowie zuvörderst den Frieden zu wahren, statt Schlachten zu schlagen.

Nun aber eröffnet der von langer Hand betriebene Umbau der Bundeswehr zum interventionsfähigen Angriffsheer all den rückwärtsgewandten Traditionalisten, die sich zuhauf in den Reihen aktiver und pensionierter Bundeswehrgeneräle und -admiräle tummeln, die ersehnte Gelegenheit, jenen Transformationsprozess legitimatorisch zu flankieren. An vorderster Stelle geht es dieser "Lodenmantelfraktion" offenbar darum, in den Streitkräften ein Selbstverständnis durchzusetzen, das auf angeblich ewiggültigen soldatischen Tugenden fußt. Das heißt, der Staatsbürger in Uniform hat ausgedient. Zur fraglos akzeptierten Norm wird der Soldatentypus des kriegsnah ausgebildeten, allzeit gefechtsbereiten, selbstlos dienenden und unbedingt gehorchenden Kämpfers erklärt. Dies ermöglicht den Rückbezug auf vorgeblich altbewährte Wehrmachtstraditionen und dient zugleich der inbrünstig gepflegten Legendenbildung um die angeblich saubere, ehrenhafte Wehrmacht des Zweiten Weltkrieges.

Ein prägnantes Beispiel für diese Form der Geschichtsklitterung lieferte jüngst der längst außer Dienst gestellte Generalleutnant Siegfried F. Storbeck in der Tageszeitung Die Welt, dem Leib- und Magenblatt eines nationalkonservativ gesonnenen Offizierskorps der Bundeswehr. Storbeck war in den Jahren 1986/87 immerhin Chef des Führungsstabes der Streitkräfte und stieg danach zum Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr auf, war also Mitglied der Chefetage der bewaffneten Macht im Lande.

"Vorbildliche Soldaten der Wehrmacht", aus deren Reihen die Aufbaugeneration der Bundeswehr rekrutiert wurde, hätten "sich öffentlich auf einer militärgeschichtlichen Tagung 2005 als ›karriereorientierte Gewalttechnokraten mit opportunistischer Grundhaltung‹ diffamieren lassen" müssen, jammert der Ruheständler. Keine Rede davon, dass Hitlers Wehrmacht für die Nazi-Diktatur mit preußischer Disziplin den "ungeheuerlichsten Eroberungs-, Versklavungs- und Vernichtungskrieg" geführt hatte, "den die moderne Geschichte kennt", wie der Historiker Ernst Nolte 1963 anmerkte. Im Gegenteil, laut Storbeck habe die Wehrmacht niemals "ihr vorbildliches Bewusstsein für die soldatischen Werte der Menschlichkeit, Tapferkeit und Kameradschaft" verloren. Aber diesen "Werten, die als ›preußisch‹ belächelt oder verachtet werden, verweigert eine ›Spaßgesellschaft‹ noch die Annahme", moniert der General a.D. - entlarvend und zugleich idealtypisch für die reaktionäre Gesinnung, mit der Traditionalisten dieses Schlages gemeinhin hausieren gehen, ist schließlich sein Petitum, "die geistige Haltung und das damit verbundene historisch erprobte soldatische Wertebewusstsein des Offizier- und Unteroffizierskorps nicht einem kurzatmigen Zeitgeist zu überlassen".

Fragt sich nur, wo das so pathetisch beschworene soldatische Wertebewusstsein im Jahr 2003 blieb, als die rot-grüne Bundesregierung der deutschen Generalität befohlen hatte, mit der Bundeswehr das angloamerikanische "Völkerrechtsverbrechen" (Reinhard Merkel) im Irak zu unterstützen. Denn wie hatte das Leipziger Bundesverwaltungsgericht in seinem Jahrhunderturteil vom 21. Juni 2005 konstatiert? "Die Beteiligung an einem völkerrechtlichen Delikt ist selbst ein völkerrechtliches Delikt".

Dass die Karriereoffiziere der Bundeswehr wegen intellektueller Defizite nicht erkennen konnten, was da im Irak vor sich ging, darf man mit Fug und Recht ausschließen. Immerhin hatte sich ein in der Etappe befindlicher einfacher Bundeswehrmajor als fähig erwiesen, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, wie die Leipziger Bundesrichter ihm schlagend bestätigten. Da Dummheit ergo auszuschließen ist, bleibt nur noch die zweite Alternative zur Erklärung. Und die lautet: Opportunismus, Feigheit, Skrupellosigkeit. Mit einem Satz: Die militärische Führung der Bundeswehr hat auf Anordnung ihrer Regierung willfährig und vorbehaltlos schweren Völkerrechts- und zugleich Verfassungsbruch begangen, indem sie mit Tausenden von Soldaten dem US-Imperium Beihilfe zu einer Aggression leistete. Ein in der bundesdeutschen Geschichte bislang präzedenzloser Akt politischer Kriminalität.

Der Skandal besteht indes darin, dass die militärischen Handlanger dieses Völkerrechtsbruchs nach wie vor in Amt und Würden sind, und auch kein einziger der politisch Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurde. Hätte die deutsche Generalität auch nur einen Funken Ehrgefühl, würde sie so etwas wie ein Rechts- und Moralbewusstsein besitzen - dann hätte sich der Generalinspekteur im Verein mit den Kommandeuren seiner Teilstreitkräfte weigern müssen, den völkerrechts- und verfassungswidrigen Ordres der rot-grünen Exekutive Folge zu leisten. Ganz so, wie dies - leider als einziger in der gesamten Armee - der Major Florian Pfaff vorbildhaft tat. So wie die Dinge derzeit liegen, lässt sich freilich nur eines fordern, nämlich die Goldbesternten dorthin zu befördern, wo Storbeck sich bereits befindet: Ab ins Lodenmantelgeschwader.

* Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.

Aus: Freitag 23, 9. Juni 2006



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