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Wehrmachts-Karabiner bleiben heute im Schrank

Das Wachbataillon stellt die Rekruten für das zentrale Gelöbnis

Von Ulrike Gramann *

Seit 1957 ist das Wachbataillon im protokollarischen Dauereinsatz fürs Vaterland. Was nur wenige wissen: Die Protokoll-Karabiner des Bataillons stammen teilweise noch aus Wehrmachtsbeständen. Einige dieser Gewehre trugen noch 1995 das aufgeprägte Hakenkreuz.

Auch dieses Jahr werden die Fotos vom Gelöbnis am Reichstag Hunderte strammstehender Soldaten zeigen. Keiner trägt Brille oder Bart, keiner überragt die anderen deutlich, ist deutlich kleiner oder etwa übergewichtig. Dieses einheitliche Bild ist kein Zufall. Seit 2000 sind es stets Rekruten des Wachbataillons, die am 20. Juli geloben. Nicht einfach nur tauglich, erfüllen sie besondere Kriterien körperlicher Schönheit und Fitness, und alle sind zwischen 1,78 und 1,95 Meter groß. Da liegt die Erinnerung an die »Langen Kerls« des preußischen Soldatenkönigs nahe. In der Tat sieht die Bundeswehr das Wachbataillon in der Tradition des »1. Garderegiments zu Fuß« des Kurprinzen Friedrich, aus dem das Lieblingsregiment des Soldatenkönigs hervorging. Die Geschichte dieser Wachtruppe setzte sich bis in den NS-Staat fort, wo ein erhöhter Bedarf an »Parade- und Ehrendienst« bestand.

Wird ein Staatsgast empfangen, schreiten die Politiker das Spalier der Protokollsoldaten ab. Diese stehen dann »im Stillgestanden stehen«, wie es im Militärjargon heißt. Dann vollführen sie unter lauten Kommandos den »Infanteriegriff« am Gewehr. Stabsfeldwebel Hans-Jacob Hein vom Wachbataillon erklärt: »Dieses Ritual wird ohne Magazin durchgeführt, die offene Visierseite dem Staatsgast zugedreht.« Damit solle demonstriert werden, dass die Waffe nicht scharf, der Staatsgast also willkommen sei. Könnte man ein Willkommen nicht ganz ohne Waffen ausdrücken? Ralf Siemens von der Berliner Arbeitsstelle Frieden und Abrüstung erinnert der bewaffnete Aufmarsch denn auch eher »an den Schwanzvergleich pubertierender Jungen auf dem Schulhof. Dass man im 21. Jahrhundert Macht so demonstrieren muss, lässt keine anderen Rückschlüsse zu.«

Vor Gründung der Bundeswehr war man sich im Bundestag einig, dass zur künftigen Armee eine Einheit zur militärischen Repräsentation des Staates gehören müsse. Markus Euskirchen, Kenner militärischer Rituale, berichtet, der Empfang Adenauers 1955 in Moskau mit »bombastischem militärischem Pomp« habe die deutschen Politiker beeindruckt. So etwas wollte man auch. 1957 wurde das Wachbataillon gegründet. Zusätzlich hatte es die Bundesregierung im Verteidigungsfall zu schützen. Der dann allerdings doch nicht eintrat. Heute bewacht das Wachbataillon laut Stabsfeldwebel Hein »eigentlich niemanden mehr«, doch zumindest offiziell wurde diese Aufgabe beibehalten. Mit insgesamt 1800 Soldaten - zu 80 Prozent Wehrpflichtige - ist es das größte Bataillon der Bundeswehr. Sieben Kompanien sind seit dem Regierungsumzug in Berlin-Tegel stationiert, zwei weitere in Siegburg bei Bonn.

Dass die Geschichte des Wachbataillons 1957 beginnt, ist Siemens zufolge nur die halbe Wahrheit: Die Soldaten tragen ein weißes gotisches W am Barett, das auch die Angehörigen der Wachtruppe in der Wehrmacht trugen, und zwar auf den Schulterstücken. Und das »präsentierte« Gewehr ist der Karabiner K98, das Standardgewehr der Wehrmacht. Stabsfeldwebel Hein erklärt seine Verwendung damit, dass 1957 »noch viele solcher Gewehre vorhanden waren«. Dass man sie auch 2010 verwendet, liege am »besseren Klang«, den der hölzerne Schaft beim Aufstoßen auf den Boden ergebe. Siemens hingegen meint: »Militärs sind reaktionäre Traditionalisten. Der K98 sieht aus wie ein richtiges Gewehr, vor allem ist er länger als das G36, das den Soldaten nur bis zur Schulter reichen würde.« Auch Hein bestätigt, der K98 sei »etwas fürs Auge«.

Erst 1995 wurde bekannt, dass ein Teil der Karabiner noch Hakenkreuze trug, sie wurden entfernt. Gelobt wird ohne Gewehr. Darauf kommt es auch nicht an, sondern auf den militärischen Geist, der über der Veranstaltung weht.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Juli 2010


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