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Veteranentag für die Bundeswehr – Überfällig oder überflüssig?

Ein Beitrag von Ute Hempelmann in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderation):
Bekommen Bundeswehr-Soldaten zu wenig gesellschaftliche Anerkennung für ihre Auslandseinsätze? Verteidigungsminister de Maizière wünscht sich mehr Aufmerksamkeit. Er hat ein Diskussionspapier vorgelegt, will eine öffentliche Debatte. Der CDU-Politiker spricht inzwischen von Veteranen. Und Ende des Jahres will er ein Veteranenkonzept vorlegen. Ute Hempelmann berichtet:


Manuskript Ute Hempelmann

Einige Oppositionsabgeordnete wittern eine Scheindebatte. Die Ergebnisse der Diskussion stünden bereits fest, mutmaßen sie. Alternativen wurden öffentlich bislang aber nicht diskutiert. So fragt der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Reiner Arnold, ob ein Gedenktag die deutsche Öffentlichkeit - Zitat - „durchdringen könne“. Und der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, formuliert seine Kritik am Vorstoß des Ministers so:

O-Ton Nouripour
„Die Frage, ob wir einen Veteranentag brauchen oder eine andere Form des Gedenkens und der Diskussion und des Dankes ist eine, die von unten kommen muss. (...) Es gibt beispielsweise zwei Verbände, die sich mit Rückkehrern und mit Veteranen der Einsätze der Bundeswehr beschäftigen. Es gibt natürlich die Kirchen, die sich mit dem Thema beschäftigen. - Also die Debatte ist spannend. Und das Ergebnis dieser Debatte soll entscheiden, ob es einen Veteranentag geben soll oder nicht.“

Ein inhaltliches Einsteigen seitens der Volksvertreter wäre sinnvoll. Denn das Diskussionspapier wirft Fragen auf, die über die Einführung eines Gedenktages hinaus alle angehen: Wer soll nach deutschem Verständnis ein Veteran sein? Welches Ziel sollte eine so genannte „Veteranenpolitik“ verfolgen? Wie bildet sich eine „Erinnerungs- und Gedenkkultur“?

Omid Nouripour bringt in diesem Zusammenhang einen Tag für alle im Ausland tätigen Deutschen ins Gespräch. Das mag als Kopfgeburt funktionieren. Aber in der Praxis? Soldaten, Polizisten, Entwicklungshelfer? Okay. Aber Diplomaten oder Lehrer an deutschen Schulen? Das wäre eine willkürlich zusammengestoppelte Personengruppe. Darüber hinaus gibt Ulrich Post von der Welthungerhilfe zu bedenken, dass der 15. Dezember, der Tag des Ehrenamts, bereits der Gedenktag der Entwicklungshelfer sei. Déjà-vu? Langsam entpuppt sich die Veteranen-Debatte als Neuauflage der Ehrenmal-Diskussion. Mit der Kernfrage: Brauchen Soldaten etwas Eigenes? Darüber gibt es auch unter Soldaten ein Für und Wider, wie Aussagen studierender Offiziere der Universität der Bundeswehr in Hamburg belegen:

O-Ton Offiziere
„Ein Veteranentag wäre insofern angebracht, wenn man nicht nur Soldaten, sondern wenn man auch Polizisten und Feuerwehrleute mit einbeziehen würde. Also Menschen, die sich allgemein in den Dienst der Gesellschaft stellen.“ / „Ich glaube es macht Sinn, weil in einer Welt, die sehr stark liberalisiert wird, der Gemeinschaftswille einfach zu kurz kommt.“ / „Das kann man nicht in einen Topf schmeißen. Natürlich haben diese Berufsgruppen auch Anerkennung verdient, aber an einem anderen Tag.“ / „Was anerkannt werden soll, das sehen die wenigsten: nämlich für ihr Land im Einsatz gekämpft zu haben und für ihr Land im Einsatz auch Leid davon getragen zu haben. Und es ist einfach diese Anerkennung, die man als Land vielleicht bringen sollte zu sagen: Das, was ihr getan habt, und das was ihr geopfert habt - das respektieren wir. Und das erkennen wir an.“

Nun kann Anerkennung für Soldaten nicht verordnet werden. Ebenso wenig wie eine militärische Tradition. Der Verteidigungsminister weiß das - es steht ausdrücklich in seinem Diskussionspapier. Andererseits bekommt er ein Problem, wenn sich ein Großteil der Bevölkerung konsequent einer sicherheitspolitischen Debatte verweigert oder zumindest freundlich desinteressiert bleibt. So passt alles immer weniger zusammen: die tief wurzelnde Skepsis der Deutschen vor allem Militärischen, ein arg dünnes Eis der politischen Legitimation von Auslandseinsätzen sowie die kriegsähnliche Realität in Afghanistan.

Von anderen Nationen lässt sich da wenig abgucken. Speziell im anglo-amerikanischen Raum wird der Veteranentag mit so viel ungebrochenem Pathos gefeiert, dass dieses Modell für Deutschland mit seiner Geschichte unbrauchbar ist. Der „Veterans Day“ wird am 11.11., dem Tag des Waffenstillstands des Ersten Weltkriegs begangen - zu Ehren aller amerikanischen Kriegsteilnehmer. Das United States Department of Veteran Affairs mit fast 280.000 Mitarbeitern ist das zweitgrößte Ministerium. Veteranen dürfen umsonst oder mit Preisnachlass Einrichtungen und Veranstaltungen besuchen. Aber im Vergleich mit Bundeswehrsoldaten sind sie sozial kaum abgesichert. Jüngst machten hohe Selbstmordraten amerikanischer Veteranen Schlagzeilen.

In Deutschland ist die Veteranendebatte aus anderen Gründen schmerzhaft: Es geht um die deutsche Vergangenheit, die von der Gegenwart nicht abgetrennt werden kann. Die Entfesselung ziviler und militärischer Gewalt im Zweiten Weltkrieg mahnt zu Verantwortung. Andere meinen gar: ewiger Demut.

Seit 1992 sind deutsche Soldaten im Auslandseinsatz. Sie zahlen den Preis. Zu viel liege auf ihren Schultern finden viele Militärseelsorger. So forderte der evangelische Militärbischof Martin Dutzmann dieser Tage einerseits mehr Verständnis für Kriegsheimkehrer, lehnte aber andererseits einen Veteranentag als - Zitat - „Sonderkultur“ ab. Militärseelsorger, die mit Soldaten arbeiten wie beispielsweise Michael Rohde von der Helmut-Schmidt-Universität, befürworten dagegen eine Einführung:

O-Ton Rohde
„Man kann diesen Einsatz für sinnvoll halten oder nicht. Aber: Er ist ein Dienst, der im Auftrag unseres Parlaments getan wird. Und deshalb ist das Interesse der Bevölkerung daran, denke ich, schon ziemlich wichtig. Und was ich als Seelsorger noch sehr wichtig finde: Wenn Soldatinnen und Soldaten im Einsatz in Krisensituationen kommen, sei es durch Gefechte oder sei es durch andere persönliche Nöte, dann ist es ganz wichtig, sich eines Rückhalts in der Bevölkerung gewiss zu sein.“

Michael Rohde hat bei seinem Einsatz in Afghanistan einen schweren Anschlag mit drei Toten aus nächster Nähe erlebt. Wie er wünschen sich allen voran Soldaten mit verstörenden Kriegserfahrungen, den Veteranentag gewissermaßen als „gesellschaftliche Integrationsmaßnahme“. Die persönliche Aufarbeitung in PTBS-Therapien, Reha-Maßnahmen oder Einsatznachbereitungs-Seminaren ersetze keine kollektive Verarbeitung, heißt es. Wenn das richtig ist, dann gilt dies für Soldaten wie für die Gesellschaft. Verschließt die Bevölkerung dauerhaft die Augen vor dem, was in den Einsätzen passiert, dann bleibt das Militär „draußen vor der Tür“. Und vielleicht auch für sich. Diese Entwicklung kann niemand wollen. Umso wichtiger sei eine Aufarbeitung - möglicherweise sogar mit allen Kriegsveteranen, argumentiert ein Soldat:

O-Ton Soldat
„Bei den wirklich alten Veteranen geht es um eine Art Erinnerungskultur, die dadurch natürlich aufrecht erhalten wird und wichtig ist - vor allem als Deutsche sollten wir da keine Abstriche machen.“

Nach Erkenntnissen des Militärhistorikers Jörg Echternkamp gab es bis in die 70er Jahre an die 2.000 Zusammenschlüsse ehemaliger Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben. Diese Veteranenkreise haben sich aus Altersgründen aufgelöst oder sind abgetaucht in Folge friedenspolitischer Debatten. Überlebt haben nur einige wenige beispielsweise im konservativen Milieu des Allgäu. Dort treffen sie sich bis heute - meist am Volkstrauertag. Unter ihnen gibt es mit Sicherheit auch „Ewig Gestrige“. Aber dass ein paar unbelehrbare Greise „via Veteranentag“ die Gesellschaft infiltrieren könnten, darf getrost ins Reich der Fantasie verbannt werden. Darüber hinaus: Eine Paraden- und Kranzniederlegungskultur ist in Deutschland nicht mehrheitsfähig. So ein Umfeld würde die soldatische Identität auch wieder nur auf das Heldentum als auf seine Kehrseite, die Opferrolle reduzieren. Bitte keinen Gedenktag dieser Art, meint auch dieser Soldat:

O-Ton Soldat
„Es geht nicht darum jemanden zum Heroen zu machen oder zum Helden zu stilisieren. Und in diesem Zusammenhang ist es mehr recht als schlecht zu sagen: Wir benutzen das, um diese Leute zu würdigen, aber auch um Kritik zu äußern und um eine wirklich sehr, sehr breite Diskussion anzustoßen.“

„Einen Veteranentag wünsche ich mir bunt. Und laut“, pflichtet Andreas Timmermann-Levanas vom Bund Deutscher Veteranen bei. Kinos, Theater, Bildungseinrichtungen - ein Veteranentag soll auch Kritiker wie die Linke und die Friedensbewegung ansprechen. Nach dem Motto: „Winning hearts and minds“ in Deutschland. Das wird allein dem gelingen, der möglichst viele anspricht - über das eigene Lager hinaus.

* Aus: NDR Info Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 21. März 2012; www.ndr.de


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