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Wehrbeauftragter Penner (SPD): "Die Bundeswehr ist kein Gehäuse für Rechtsextremismus"

Die Parlamentsdebatte zum Bericht des Wehrbeauftragten des Bundestags (Auszüge aus allen Reden)

Am 13. November fand im Bundestag die Aussprache über den Jahresbericht 2002 (44. Bericht) des Wehrbeauftragten statt. Aus dieser Debatte dokumentieren wir im Folgenden wesentliche Passagen aus den Reden aller Fraktionen. Die Debatte selbst dauerte 45 Minuten. Es gab mit Ausnahme der fraktionslosen (PDS-)Abgeordneten Petra Pau kaum Widerspruch zu dem Bericht. Bezüglich des jüngsten Vorfalls um den gefeuerten General Günzel überwog die beruhigende Einschätzung, die rechtsradikale "Verwirrung" Günzels sei ein Einzelfall. Die Bundeswehr insgesamt sei fest in der Demokratie verankert und rechtsextremes Gedankengut habe dort keinen Platz. Wie so oft in solchen Debatten nutzten die Redner/innen von CDU/CSU die Gelegenheit, um eine bessere Finanzierung und Ausstattung der Bundeswehr einzufordern.
Die im Protokoll vermerkten Beifallskundgebungen, Zwischenrufe und Zwischenfragen sind in der folgenden Wiedergabe der Reden nicht vermerkt. Auslassungen sind mit (...) gekennzeichnet.



Dr. Willfried Penner, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundeswehr ist eine intakte Institution und in dieser Armee leisten Soldaten erstklassigen Dienst. Aus aktuellem Anlass füge ich hinzu: Die Bundeswehr ist eine demokratische Institution im demokratisch verfassten Staat und nicht etwa Gehäuse für Rechtsextremismus oder Rechtsextremisten.

Die Bundeswehr steht für Freiheit, steht für Toleranz und für Achtung der menschlichen Würde und nicht für das Gegenteil. Das ist Tatsache und nicht etwa beschwörende Leerformel. In der Bundeswehr wird innere Führung praktiziert und Soldaten sind Staatsbürger in Uniform. Mächtige Wirkkräfte sichern die demokratische Beschaffenheit der Bundeswehr ab: Ich nenne die ständige, fast uneingeschränkte Kontrolle durch die Öffentlichkeit, ich nenne die ständige parlamentarische Kontrolle und ich erwähne die besondere politische Verantwortlichkeit von Bundesverteidigungsminister und Bundeskanzler als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt. Da ist kein Platz für die Widerwärtigkeiten des Rechtsextremismus; das wird auch so bleiben.

Gewiss bedeutet dies keinen uneingeschränkten Schutz. Die Begehrlichkeiten des Rechtsextremismus in Richtung Bundeswehr im Hinblick auf deren hierarchische Ordnung, im Hinblick auf Waffen und den Umgang mit denselben, aber auch im Hinblick auf militärische Symbole und die Dienstkleidung werden bleiben. Dies ist aber eine andere Geschichte. Dagegen kann man sich wehren und das geschieht auch.

Das Schüren eines diesbezüglichen Generalverdachts gegen die Bundeswehr ist allerdings infam, zumal deutsche Soldaten in ihrer Mission im Ausland unter zum Teil außerordentlich schwierigen Bedingungen und bei Einsatz von Leib und Leben einen allseits anerkannten Dienst zum Schutz von Menschenrechten und der internationalen Wertegemeinschaft leisten.

Das ändert aber nichts daran, dass es auch Probleme gibt - und die nicht zu knapp. Das Parlament als Auftraggeber des Wehrbeauftragten hat Anspruch darauf, zu erfahren, wie es um seine Bundeswehr und seine Soldaten nach den Wahrnehmungen des Wehrbeauftragten im Berichtsjahr bestellt ist.

Hierzu die wichtigsten Hinweise:
Erstens. Der Bundeswehr zu Hause machen die Auswirkungen der Einsätze sehr zu schaffen. Soldaten weisen vermehrt auf Doppel-, ja Mehrfachbelastungen hin, die die Folge einsatzbedingter Abwesenheit anderer Soldaten sei. Immer wieder wird vorgetragen, dass der Übungs- und Ausbildungsbetrieb Schaden nehme. Die Schwächen werden mit fehlenden Ausbildern, Mangel an geeignetem Material und erforderlichen Mitteln erklärt. Es verstärkt sich der Eindruck, dass die Bundeswehr in einigen Bereichen die Grenzen der Möglichkeiten erreicht hat. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien die Nöte der Fernmelder sowie von Spezialisten generell und die Schwierigkeiten beim Sanitätswesen erwähnt. Das Fehlen von Chirurgen, Anästhesisten und Orthopäden belastet die Funktionsfähigkeit von Bundeswehrkrankenhäusern zulasten der Soldaten. Perspektivisch ist zu berichten, dass das Inte-resse am Dienst des Sanitätsoffiziers nachlässt. Die Zahl der Bewerber dafür wird kleiner. Mögliche negative Folgen zulasten des Sanitätswesens sind absehbar. Es besteht Handlungsbedarf.

Zweitens. Die rasche Folge tief greifender Veränderungen in der Bundeswehr verunsichert Soldaten, weil damit auch Planungsverlässlichkeit für den persönlichen Bereich, für Frau und Kinder, betroffen sein kann. Hinzu kommt, dass Unsicherheiten über den Fortbestand von Einheiten und Standorten Soldaten zusätzlich belasten. Immer wieder wird von erfahrenen, wohlmeinenden Soldaten vorgebracht, dass das Riesenunternehmen Bundeswehr bei einander überlappenden Veränderungsprozessen grundlegender Art nicht zurechtkommen könne.

Drittens. Gerade bei wiederholten Einsätzen stellt sich für Soldaten immer drängender die Frage nach Sinn und Zweck ihres Dienstes, wenn sie nach ihren Wahrnehmungen keine politischen Fortschritte ausmachen können. Die Soldaten wollen nicht Besatzungsmacht oder Lückenbüßer für nicht stattfindende politische Veränderungen sein. Mit anderen Worten: Sie erwarten Konsequenzen aus dem Primat der Politik.

Viertens. Bei Bundeswehr im Einsatz ist es unumgänglich, an die immer noch ausstehende Novellierung des soldatischen Versorgungsrechts zu erinnern, die doch schon seit knapp einem Jahr zugesagt und begonnen worden ist. Die Soldaten begreifen es nicht, dass dies so lange dauert, hingegen über jeden zusätzlichen Einsatz sehr zügig Entscheidungen getroffen werden.

Sie können es übrigens auch nicht begreifen, dass ihr zunehmend gefährlicher werdender Dienst zeitgleich von Einschnitten in Besoldung und Versorgung begleitet wird. Es sei nur an die angekündigte Kürzung des Weihnachts- und Urlaubsgeldes erinnert. Das würde die Bundeswehr gerade bei den unteren Besoldungsgruppen breit erreichen. Unterhalb der Besoldungsgruppe A 7 leisten über 130 000 Soldaten Dienst. Das sind allesamt Einkommensbezieher mit Bruttogrundgehältern zwischen 1 445 und maximal 2 131 Euro; dabei sind die Abschläge der Ostbesoldung noch nicht eingerechnet.

Gerade die Bundeswehr im Einsatz belastet es nach wie vor, dass die Lücke zwischen der Ost- und der Westbesoldung immer noch nicht geschlossen ist. Unmissverständlich gesagt: Befürchtete Konsequenzen für die Haushalte von Ländern und Gemeinden im Osten und für das Weiterbestehen der Tarifgemeinschaft von Bund, Ländern und Gemeinden taugen als Argument für weiteres Zögern und Zagen nicht.

Der Bund ist allein für militärische Angelegenheiten und damit auch allein für Bundeswehr im Einsatz zuständig. Dann ist der Bund auch allein für die Beschaffenheit der Armee verantwortlich. Deren Verfassung nimmt Schaden, wenn nicht endlich diese zulasten der ostdeutschen Soldaten diskriminierend wirkenden, die Armee der Einheit spaltenden Einkommensunterschiede aufgehoben werden.

Was andere Mängel in der Bundeswehr und die Sorgen der Soldaten angeht, muss es mit einem Hinweis auf den Bericht sein Bewenden haben. Ich will nur noch ein paar Stichworte nennen, was die Soldaten belastet und was in der Bundeswehr rumort:
Mit seiner neuen Laufbahn wird das Unteroffizierskorps weiterhin nicht richtig fertig. Die "alten" Unteroffiziere sehen sich auf dem Wege zum Abstellgleis und ihre Interessen auf Beförderung nicht zureichend berücksichtigt.
Die Infrastruktur in vielen Kasernen des westlichen Deutschlands lässt zu wünschen übrig.
Dagegen hat das Programm "Kaserne 2000" für den Osten erfreulicherweise voll gegriffen.

Damit auch dies gesagt sei: Klagen über Unzulänglichkeiten gerade bei der Bearbeitung von Personalangelegenheiten mit negativen Konsequenzen für die Betroffenen werden mehr und mehr. Ich erwähne als Quellen für Schwächen, ohne dass das eine Schuldzuweisung bedeutet, die Zentren für Nachwuchsgewinnung, die Stammdienststellen, aber auch Knotenpunkte in der Truppe selbst.

Der Verteidigungsausschuss wird in seinem Bemühen nicht locker lassen, Verbesserungen durchzusetzen; darin bin ich mir sicher. Er wird zu Beginn des nächsten Jahres beim Bundesministerium der Verteidigung wegen notwendiger Veränderungen wieder förmlich vorstellig werden.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Das hat der Bundestag immer wieder erklärt. Das wissen auch die Soldaten. Sie wissen auch, dass das Parlament damit für die Bundeswehr eine besondere Verantwortung übernommen hat. Schönen Dank für Ihre Geduld.

***

Petra Heß (SPD):

(...) Die Anzahl der Eingaben stieg im Jahr 2002 um rund 32 Prozent gegenüber dem Vorjahr an. Dieser Anstieg ist darin begründet, dass sich die Bundeswehr im umfangreichsten Reformprozess seit ihrem Bestehen befindet und gleichzeitig mehr Soldaten in Auslandseinsätzen ihren Dienst verrichten als jemals zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Bundeswehr hat bewiesen, dass sie den erhöhten Anforderungen gewachsen ist. Dennoch ist es nicht zu vermeiden, dass es in bestimmten Bereichen Defizite gibt. Diese Defizite werden erkannt und wo immer möglich gelöst.

Das Beispiel des Feldlazarettes Rajlovac in der Nähe von Sarajevo zeigt, dass der Verteidigungsausschuss und das Verteidigungsministerium mit Kritik vonseiten des Wehrbeauftragten und der Soldaten sehr verantwortungsvoll umgegangen sind und weiterhin umgehen. Der aktuelle Bericht des Wehrbeauftragten weist deutlich auf die unzulängliche Infrastruktur im Feldlazarett Rajlovac hin. Die Kritik war bekannt. Es gab aber finanzpolitische Bedenken, ein neues Feldlazarett zu bauen. Dank der geschlossenen Haltung des Verteidigungsministers und des gesamten Ausschusses konnten diese Bedenken zu guter Letzt ausgeräumt werden. Inzwischen ist der erste Spatenstich erfolgt. Im nächsten Jahr wird das Feldlazarett mit einer modernen Infrastruktur unseren Soldaten, aber auch den Soldaten anderer Nationen, den Hilfsorganisationen und der Zivilbevölkerung zur Verfügung stehen.

Ein wesentlicher Anlass zur Beschwerde im Sanitätsdienst war die individuelle Einsatzbelastung der Sanitäter. Auch hier wurde reagiert. Man hat das Splittingverfahren für das sanitätsdienstliche Fachpersonal konsequent beibehalten. Sicher kommt es noch immer zu einer hohen Einsatzbelastung der Spezialisten. Das Sanitätsführungskommando ist aber angehalten, die Soldatinnen und Soldaten nach Möglichkeit so einzuplanen, dass sie in einem Zeitraum von 30 Monaten nur bis zu sechs Monate ihren Dienst in einem Einsatzland versehen müssen. Mit diesen Vorgaben wird die Einsatzbelastung gleichmäßig und auf möglichst vielen Schultern verteilt.

Es darf aber nicht verschwiegen werden, dass der Sanitätsdienst unter einem Mangel an medizinischem Fachpersonal leidet; der Fachpersonalmangel trifft übrigens auch den zivilen Sektor. Umso höher möchte ich das bisherige Engagement der Sanitätsdienstler der Bundeswehr, aber auch unserer Reservisten bewerten sowie die überwiegend sehr gute zivil-militärische Zusammenarbeit hervorheben.

Zu Recht wird im Bericht des Wehrbeauftragten auf die über 200 Eingaben im Zusammenhang mit den neuen Laufbahnen hingewiesen. (...) Durch die neuen Laufbahnen ergeben sich für die jungen Zeitsoldaten sehr rasche Aufstiegsmöglichkeiten, was teilweise dazu führt, dass ältere Soldaten vom Dienstgrad her überholt werden. Dies führt bei manchen altgedienten und lebensälteren Soldaten zu Vorbehalten gegen die neuen Laufbahnen. Das Verteidigungsministerium hat gehandelt und durch zusätzliche Planstellen eine Entspannung erreicht. (...)

Die unterschiedliche Besoldung in Ost und West sorgt seit Jahren für Unmut in der Truppe. Die Mitglieder des Verteidigungsausschusses und Minister Struck sind sich darin einig, dass es zu einer schnellen Angleichung kommen muss. Wir alle wissen aber, dass es kein spezielles Besoldungsrecht für die Bundeswehr geben wird und die Länder und Kommunen dieser Angleichung zustimmen müssten. Diese haben bereits signalisiert, dass es vor 2007 nicht dazu kommen wird. Deshalb appelliere ich von dieser Stelle aus an die Länder, zu prüfen, ob nicht bereits früher eine schrittweise Angleichung realisiert werden kann. Schließlich ist die Bundeswehr eine Armee der Einheit und außerdem vielfach eine Armee im Einsatz.

Die Einsätze im Ausland sind oft mit großen Gefahren verbunden. Wir haben noch die schrecklichen Geschehnisse in Kabul vor Augen. Der Bericht des Wehrbeauftragten zeigt, dass vor Ort notwendige Maßnahmen ergriffen werden, um den Schutz der Soldaten zu optimieren. Die Auslandseinsätze machen aber auch deutlich, dass unsere Soldatinnen und Soldaten Anspruch auf die beste Ausrüstung haben. Nur dann sind sie den unterschiedlichen Gefahrenpotenzialen gewachsen. Dieser Anspruch hat bei Neubeschaffungen absolute Priorität. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Entwicklung und Beschaffung der neuen Einsatzfahrzeuge Spezialisierte Kräfte. Hier wird deutlich, dass kontinuierlich an Verbesserungen zum Schutz der Soldaten gearbeitet wird. Bereits im nächsten Jahr werden die ersten ESK-Fahrzeuge in die Einsatzgebiete gelangen. Ich denke, das ist ein gutes Signal an die Truppe, aber auch an ihre Angehörigen.

Im Sommer dieses Jahres habe ich alle 23 thüringischen Bundeswehrstandorte besucht. Nicht nur im Bericht des Wehrbeauftragten, sondern in jedem dieser Standorte wurde von den Soldaten das Versorgungsrecht im Auslandseinsatz angesprochen. Die bisherige Unterteilung in qualifizierten und nicht qualifizierten Dienstunfall wird als höchst unbefriedigend empfunden. Dem kann ich mich nur nachdrücklich anschließen. Dankenswerterweise gibt es einen einstimmigen Beschluss des Verteidigungsausschusses und eine gute Vorlage des Ministeriums, die weit reichende Verbesserungen für die Soldaten beinhaltet. Diese Vorlage befindet sich zurzeit zur Ressortabstimmung und ich erwarte - das sage ich an dieser Stelle mit allem Nachdruck -, dass die Änderungen noch in diesem Jahr verabschiedet und mit einer angemessenen Rückwirkung in Kraft treten werden.
(...)
Abschließend möchte ich dem Wehrbeauftragten Dr. Penner und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für den kritischen, umfangreichen und fairen Bericht danken. Mein Dank gilt aber auch den Soldatinnen und Soldaten für einen Dienst, den sie in einer sehr schwierigen Phase in hervorragender Weise tun. (...)

***

Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU):

(...) In diesem Jahresbericht 2002 haben Sie, sehr geehrter Herr Dr. Penner, auf zahlreiche Defizite in der Bundeswehr hingewiesen. Das ist eben die Natur eines Mängelberichts. Die neue, von der Bundesregierung beschlossene Reduzierung der Truppenstärke und die damit verbundene dritte Reform der zweiten Reform der ersten Reform werden die Anzahl der Eingaben wohl auch in den nächsten Jahren auf einem hohen Niveau halten.

Bedauerlicherweise wird von einer Reform in die nächste gestolpert. Es fehlt Planungssicherheit; das spüren die Soldaten. Die Truppe braucht mehr innere Kontinuität, um ihre vielen und gefährlichen Aufträge zu erfüllen. (...)

Der Gesamteindruck des Berichtes ist aber der einer verunsicherten Truppe, die in einem sehr schwierigen Umbruch steckt.
(...)
Viele Probleme der Soldaten entstehen an der Schnittstelle zwischen Militär- und Zivilleben, zum Beispiel in Besoldungs- und Versorgungsfragen oder - das ist ganz wichtig - im Familienleben der Soldaten, die sich in Auslandseinsätzen befinden. Die Folgen der Trennung von der Familie oder dem Lebenspartner sind schwerwiegend. Viele Beziehungen geraten in die Krise, Ehen scheitern. Besonders junge Partnerschaften stehen vor großen Problemen. Die dienstlichen Belastungen haben für viele Zeit- und Berufssoldaten ein solches Ausmaß erreicht, dass sie vor der Frage "Dienst oder Familie?" stehen.

Dazu darf es niemals kommen. Das dienstliche Umfeld muss so gestaltet sein, dass Familie nicht nur möglich ist, sondern bei unseren Soldatinnen und Soldaten auch gefördert wird. Ich fordere daher den Bundesminister der Verteidigung auf, mit allen Mitteln zu verhindern, dass eine hohe Trennungs- und Scheidungsquote zum Kennzeichen für das Berufsbild des Soldaten wird.

Es muss klar sein, dass nicht nur Angebote der Bundeswehr bestehen. Familienbetreuung heißt, aktiv auf die Angehörigen zuzugehen und sich um sie zu kümmern. Dafür trägt die politische Leitung eine hohe Verantwortung.

Viele Eingaben an den Wehrbeauftragten zeigen, dass die Grenzen der materiellen wie auch der ideellen Belastbarkeit der Streitkräfte erreicht sind. Die Kunde von dieser starken Belastung im Dienst dringt nach außen. Sie wird von der Gesellschaft wahrgenommen. Diese hohe Belastung schreckt wohl viele junge Menschen vom Dienst in der Bundeswehr ab. Wenn aus Kostengründen zu wenig gepanzerte Fahrzeuge im Einsatzland sind, dann werden die eingesetzten Soldaten unnötigen Gefahren ausgesetzt.

Der Anschlag in Kabul hat die Eingaben zu diesem Problem aus dem Jahr 2002 in schrecklicher Weise bestätigt. Das Verteidigungsministerium darf nicht zulassen, dass die Sicherheit der Soldaten gefährdet wird, weil Ausbildung und Materialerhaltung zu kurz kommen. Einsätze müssen sich an den vorhandenen Ressourcen ausrichten. Sie müssen sich aber auch an politischer Machbarkeit orientieren.

Zahlreiche Soldatinnen und Soldaten, die auf dem Balkan im Einsatz waren, haben erhebliche Zweifel am langfristigen politischen Ziel bekommen. Ähnliches zeichnet sich jetzt mit der Mission in Kunduz ab. Die politische Glaubwürdigkeit des Mandates steht und fällt mit der Lösung der inneren Probleme Afghanistans. Ich nenne beispielhaft die Drogenproblematik. Wie lange sollen unsere Soldaten dem Anbau von Drogen noch zusehen? Was passiert, wenn nicht mittelfristig afghanische Polizei den Drogenanbau bekämpft? (...)

Nach vielen Gesprächen mit Soldatinnen und Soldaten aus multinationalen Verwendungen kann ich sagen: Innere Führung als Markenzeichen deutscher Streitkräfte muss erhalten bleiben.
Mehr noch, es muss im Zuge einer Europäisierung unserer Streitkräfte auch eine Europäisierung der Grundsätze der inneren Führung stattfinden. Bei der deutsch-französischen Brigade konnte ich feststellen, dass innere Führung nach mehr als zehn Jahren in der Brigade keine unbekannte Größe mehr ist. Innere Führung, das Bekenntnis zum Staatsbürger in Uniform ist nicht Zeichen einer schwachen Führung, ist keine Sache nur für Innendienst und Manöver. Der Soldat im Einsatz muss als Staatsbürger seinem Land dienen, er darf nicht zum Söldner werden.

Zu einem ernsten Kapitel im Bericht des Wehrbeauftragten ist etwas positiv zu bemerken: Die Anzahl der Vorfälle mit einem Verdacht auf rechtsextremistischen Hintergrund ist deutlich zurückgegangen. Ich zitiere: "In allen berichteten Vorfällen haben die Vorgesetzten schnell, umfassend und richtig reagiert." So weit die Stellungnahme des Verteidigungsministeriums zum Bericht des Wehrbeauftragten. Es gibt wohl keinen Bereich in der Gesellschaft, in dem Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus so konsequent verfolgt werden wie in der Bundeswehr.

Verglichen mit dem Anteil junger Männer in der Gesamtbevölkerung ist die Anzahl extremistischer Vorfälle in der Bundeswehr kein Grund zur Sorge, wenn auch jeder einzelne Vorfall einer zu viel ist. Der in der Presse erhobene Vorwurf, dass rechtsradikales und antisemitisches Denken bis in die Spitzen der Streitkräfte verbreitet sei, kann nicht stehen gelassen werden und sollte nicht erhoben werden. Wer diesen Vorwurf unberechtigt und pauschal erhebt, beschädigt das Ansehen der Bundeswehr. Dann kennt er die Bundeswehr nicht.

Wenn jedoch einem Soldaten eine solche Verfehlung vorgeworfen wird, dann müssen Vorgesetzte selbstverständlich schnell und konsequent reagieren, aber auch korrekt und rechtlich einwandfrei.

Ich komme zum Schluss. Der 44. Bericht des Wehrbeauftragten hat deutlich gezeigt, dass die Kluft zwischen politischem Anspruch, den vielen Aufträgen und der Lage in der Truppe immer größer wird. Das gilt vor allem für die nicht ausreichende Ausstattung mit Haushaltsmitteln, sowohl für die gefährlichen Einsätze im Ausland als auch für den Dienst in der Heimat. Es bleibt zu hoffen, dass die bevorstehenden Reformen endlich eine klare und langfristige Perspektive für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr schaffen. Herzlichen Dank.

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Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

(...) Der vorliegende Jahresbericht 2002 verdeutlicht die ganz besondere Bedeutung, die der Berichterstattung des Wehrbeauftragten als Stimmungsbarometer und Problemindikator für die Bundeswehr zukommt. In dem Bericht für das Jahr 2002 heißt es, dass 111 besondere Vorkommnisse mit Verdacht auf rechtsextremistischen oder fremdenfeindlichen Hintergrund gemeldet wurden. Damit ist das niedrigste Meldeaufkommen seit 1997 erreicht.
Das ist ein Erfolg der vielfältigen präventiven, aber auch repressiven Maßnahmen innerhalb der Bundeswehr. Der Fall Günzel ist in diesem Zusammenhang auch ein erneutes klares Signal an alle innerhalb und außerhalb der Bundeswehr: Rechtsextremismus hat in unserer Gesellschaft keinen Platz. Wer dieses Signal nicht beachtet, verliert seinen Platz in den Streitkräften.

Die Unverträglichkeit von Rechtsextremismus und Bundeswehr begründet sich auch aus einem anderen Zusammenhang. In Zeiten der Modernisierung und Umstrukturierung der Streitkräfte bei gleichzeitiger Internationalisierung von Aufträgen und Einsätzen verändert sich das Anforderungsprofil von Soldatinnen und Soldaten. Kommunikative und interkulturelle Kompetenz gehören neben dem Beherrschen von Fremdsprachen immer mehr zur grundlegenden Qualifikation der Soldatinnen und Soldaten von heute und morgen. Fremdenfeindliche Einstellungen unter Angehörigen der Bundeswehr würden somit die erfolgreiche Durchführung von multinationalen Einsätzen unmöglich machen. Mit dem Bericht können wir all denjenigen überzeugende Fakten entgegenhalten, die jetzt vor dem Hintergrund des Falles Günzel versuchen, die Bundeswehr insgesamt als einen Hort des Rechtsextremismus zu diffamieren. Ein für mich sehr wichtiges Ergebnis des Jahresberichtes ist, dass sich das Prinzip der inneren Führung auch bei Auslandseinsätzen bewährt hat. Das Leitbild der Staatsbürgerin und des Staatsbürgers in Uniform ist Markenzeichen und Erfolgsgarant der Bundeswehr. Es muss bei allen Veränderungen der Strukturen und Anforderungen an die Bundeswehr beibehalten werden.

Der Jahresbericht dokumentiert außerdem die erheblichen Fortschritte bei der Integration von Soldatinnen in die Bundeswehr. Der Frauenanteil ist zwar im Berichtszeitraum leicht gestiegen, liegt jedoch mit 3,97 Prozent aller Zeit- und Berufssoldaten zu niedrig. Es bedarf weiterer Anstrengungen, den Bundeswehrdienst für Frauen attraktiver zu gestalten, auch und gerade was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeht. Darüber hinaus ist es notwendig, die existierenden Probleme zu bekämpfen, zum Beispiel die in einzelnen Fällen auftretenden frauenfeindlichen Äußerungen und Übergriffe weiter zu minimieren.
Die steigende Zahl der Auslandseinsätze führt zu einem Sinken der Familien- und Beziehungsverträglichkeit des Soldatenberufs insgesamt. Die Länge der Auslandseinsätze ist ein erhebliches Hindernis bei der Nachwuchsgewinnung von Soldatinnen und Soldaten. Die bereits vorgenommene Flexibilisierung ist ein erster Schritt zur notwendigen Überwindung des Dogmas der sechsmonatigen Stehzeit. Höchst begrüßenswert ist in diesem Zusammenhang die Verbesserung und Aufstockung der bestehenden 19 Familienbetreuungszentren für Angehörige von Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz sowie die Einrichtung weiterer neun solcher Zentren.

Sehr interessant ist der Vermerk des Wehrbeauftragten über Klagen wegen mangelnder Wehrgerechtigkeit und geäußerten Zweifeln am Sinn der allgemeinen Wehrpflicht. Wie Sie wissen, setzen sich die Grünen für die Abschaffung der Wehrpflicht ein und werden, wie in unserer Koalitionsvereinbarung festgelegt, im Lauf dieser Legislaturperiode eine Überprüfung der Wehrverfassung durchführen. (...)

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Helga Daub (FDP):

(...) Wir entscheiden morgen in diesem Haus über die Verlängerung des Mandats für die Operation Enduring Freedom. Damit sind wir bei einem Schwerpunktthema der Eingaben an den Wehrbeauftragten. Bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr wird der Handlungsbedarf besonders deutlich. Die Einsatzdauer ist mit sechs Monaten zu lang. Der dreiwöchige Urlaub ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein und löst letztlich nicht das Problem.

Die Abstände zwischen den Einsätzen sind viel zu kurz. Der zugesagte Mindestabstand von zwei Jahren kann nicht eingehalten werden, auf gar keinen Fall bei den Spezialisten. Die Soldaten klagen des Weiteren über die mangelnde Planungssicherheit, die ein hohes Konfliktpotenzial auch für das familiäre Umfeld mit sich bringt. Natürlich weiß der Zeit- und der Berufssoldat, dass er mobil und flexibel sein muss. Dass das jedoch nicht überstrapaziert werden sollte, zeigt zum Beispiel Folgendes: Wegen der Dauer und der zunehmenden Häufigkeit der Auslands-einsätze wird nach Ablauf der Verpflichtungszeit von einer Weiterverpflichtung Abstand genommen, die Dienstzeit verkürzt oder auf eine Übernahme als Berufssoldat verzichtet. Das ist ein alarmierendes Signal für die Attraktivität der Bundeswehr. Das können wir uns überhaupt nicht leisten, egal ob man für eine Berufsarmee plädiert - ich danke Ihnen, Frau Tritz; hätten Sie doch unserem Antrag zugestimmt - oder ob man eine Wehrpflichtarmee will.

Damit komme ich zu den Petenten, die zu Recht die Wehrungerechtigkeit beklagen. Wenn behauptet wird, dass 96 Prozent der jungen Männer eines Jahrgangs erfasst würden - diese Zahl steht im Bericht des Wehrbeauftragten; in der Fernsehversion war sogar von 98 Prozent die Rede -, dass also die Wehrgerechtigkeit im Vergleich zur Vergangenheit zugenommen habe, dann muss man die Fakten klarstellen.

Lassen Sie mich das an folgendem Beispiel erläutern: Wenn sich eine Polizeibehörde entschließt, säumige Zahler von Bußgeldern bis zu 15 Euro nicht mehr zu mahnen, so wird sie anschließend mit Fug und Recht behaupten können, dass die Zahlungsmoral enorm gestiegen sei - und das mit einem bürokratischen Federstrich und ohne einen Euro mehr in der Kasse!
Wenn man die Tauglichkeitskriterien für die Wehrpflichtigen immer weiter heraufsetzt, dann bekommt man zwar nicht mehr Wehrpflichtige, aber die beeindruckende Zahl von 96 Prozent.

Als im April dieses Jahres das erste Mal über den Bericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 2002 debattiert wurde, habe ich - wie meine Kollegen aus der FDP-Fraktion schon oft zuvor - über den Missstand bei der Versorgung gesprochen. Zum Beispiel haben alle Fraktionen im Januar dieses Jahres in einer Sitzung des Verteidigungsausschusses angemahnt, die zynische Unterscheidung zwischen qualifizierten und nicht qualifizierten Unfällen abzuschaffen. Das Jahr ist nun fast um und dankenswerterweise gibt es inzwischen zumindest eine großzügige Handhabung zugunsten der Betroffenen. Aber eine gesetzliche Regelung, die letztlich das Einzige ist, was den Soldaten eine wirkliche Sicherheit bietet, steht noch aus. Es kann doch nicht sein, dass zwar immer mehr Einsatz im wahrsten Sinne des Wortes gefordert wird, aber in einer so wichtigen Frage keine Einigung in der Regierung erzielt werden kann. Ich fordere Sie auf, dieses Thema weiter hartnäckig zu verfolgen und zu einem guten Abschluss zu bringen. (...)

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Walter Kolbow, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung:

(...) Mein besonderer Dank gilt denjenigen, die im vergangenen Jahr durch ihr Wirken und durch ihre Leistungen zum positiven Erscheinungsbild der Bundeswehr nach innen wie nach außen beigetragen haben. Besonders bitte ich Sie, mit mir derer zu gedenken, die im Auftrag des Bundestages und damit im Dienst für unser Land ihr Leben verloren haben. Ihnen, ihren Angehörigen und all denen, die im Einsatz zu Schaden gekommen sind, gilt unser aufrichtiges Mitgefühl und unsere besondere Anteilnahme. Was Sie, Frau Kollegin Schäfer, in diesem Zusammenhang ausgeführt haben, möchte ich ausdrücklich unterstreichen. Das Bundesministerium der Verteidigung ist wie in den Vorjahren bemüht, die wertvollen Anregungen und Hinweise des Wehrbeauftragten aufzugreifen und im Rahmen der Möglichkeiten unverzüglich umzusetzen. Wir arbeiten mit aller Kraft an der Beseitigung der aufgezeigten Mängel. Dies gilt besonders für die im Bericht genannten Bereiche Attraktivitätsprogramm, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Dauer der Auslandseinsätze und Ausbau der Familienbetreuung. Dies gilt ebenso für die Bereiche Material- und Ersatzteillage, Gestaltung des Auslandsverwendungszuschlags und für die zweifellos notwendigen Verbesserungen im Versorgungsrecht, gerade mit Blick auf die notwendige soziale Absicherung bei Einsatzunfällen.

An der auch vom Wehrbeauftragten so eindringlich angemahnten Novellierung des Versorgungsrechts arbeiten wir mit Nachdruck. Wir wollen sie unverzüglich zum Abschluss bringen. Wir danken für die Willensbekundungen aus den Reihen der Fraktionen. Wir werden die Willensbekundungen in die interministeriellen Abstimmungen mitnehmen. Wir sind ein gutes Stück vorangekommen: Es wird das Institut des Einsatzunfalles geben. Es wird auch beim Status - Zeitsoldaten, Berufssoldaten oder freiwillig Wehrdienstleistende - keinen Unterschied mehr geben; wir werden gleich entschädigen.
(...)
Bei der Bundeswehrreform stand von Beginn an der Mensch im Mittelpunkt. Wir haben sozialverträglich umgestaltet. Wir haben versucht, Mängel, die dabei aufgetreten sind - das kommt immer wieder vor -, rechtzeitig und nachhaltig zu beseitigen. Das spiegelt sich auch in der jüngsten Weiterentwicklung des Attraktivitätsprogramms wider. Das Attraktivitätsprogramm konnte im letzten Jahr erfolgreich umgesetzt und auch weiterentwikkelt werden:
Trotz des plafondierten Haushalts in den Jahren 2002 bis 2004 werden wir mehr als 46.500 Planstellenverbesserungen erreichen, aus denen mehr als 64.000 Beförderungen und Besoldungsverbesserungen folgen. Der Beförderungsstau konnte damit abgebaut werden. Zu den umgesetzten Maßnahmen gehören unter anderem die Anhebung der Eingangsbesoldung für Mannschaften sowie die Besoldung der Kompaniechefs und Offiziere in vergleichbarer Dienststellung nach der Besoldungsgruppe A 12. Die seit April 2002 neu gestaltete Laufbahn der Unteroffiziere führte zu einer Reduzierung der Mindestzeiten für eine Beförderung sowie zu einer Bündelung von Dienstposten. Über diejenigen, die nun nicht befördert werden konnten, die also weiter anstehen müssen, haben wir am Mittwoch im Verteidigungsausschuss gesprochen. Frau Kollegin Heß hat schon erwähnt, dass wir weitere Planstellen zur Verfügung stellen und so in schwieriger Zeit zu Erleichterungen kommen werden.
(...)
Lassen Sie mich zum Schluss in Kürze zusammenfassend noch etwas zu den aktuellen Dingen sagen. Wie der Wehrbeauftragte formuliert hat - wer könnte es besser sagen als er? -, ist die Bundeswehr - das kann ich auch aus meiner Erfahrung nachdrücklich unterstreichen - eine Armee in der Demokratie und für die Demokratie. Sie ist eine Armee der Toleranz. Sie schützt die Rechte Andersdenkender. Mit diesem Beispiel ist sie in unserem Geist im Ausland und im Innern tätig. Dafür danken wir. So wollen wir weiterarbeiten.

***

Petra Pau (fraktionslos):

(...) Wir debattieren heute nicht über die Militärstrategie der Bundesrepublik und nicht über die Versuche der Bundesregierung, in diesem Zusammenhang geltendes Recht zu unterlaufen. Ich stelle das trotzdem voran; denn nach geltendem Recht ist der Einsatz von deutschen Krisenunterstützungskräften im Irak rechtswidrig.

Es ist sittenwidrig, wenn ein General der Bundeswehr bei antisemitischen Ausfällen von Amts wegen salutiert.
Damit bin ich bei einem zentralen Punkt. Bundesverteidigungsminister Struck hat den KSK-Chef Günzel suspendiert, nachdem dessen rechtsextremistisches Gedankengut Schlagzeilen gemacht hatte.
Herr Verteidigungsminister, Sie haben prompt gehandelt, allemal schneller als die CDU/CSU im Fall Hohmann. Das respektiere ich.

Mich irritiert in diesem Zusammenhang etwas anderes. Sie haben Ex-General Günzel beschrieben als einen untypischen Einzelgänger, der den Irrsinn eines Irren wirr kommentiert habe. Mit dieser Begründung haben Sie sich zwischen Günzel und das eigentliche Problem gestellt. Ich habe Sie für weitsichtiger gehalten.
Wenn Ihre These zutrifft, wonach die Bundeswehr ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, dann haben wir es auch mit der Tatsache zu tun, dass in eben dieser Gesellschaft 20 Prozent der Menschen für rechtsextremistisches und antisemitisches Gedankengut anfällig sind. Das ist der gesellschaftliche Befund. Deshalb meine ich: Wenn Günzel hier zum Einzeltäter erklärt wird, dann verdrängen wir. Genau das sollte weder Rot-Grün noch der Bundestag insgesamt tun.

Hinzu kommt ein weiteres Problem: Noch immer tragen Kasernen die Namen von Wehrmachtsgenerälen. Der Wehrbeauftragte hat von der Anziehungskraft gesprochen, die teilweise Waffen, Rituale und andere Dinge auf junge, rechtsextremem Gedankengut nahe stehende Soldaten ausüben. Noch immer pflegen Einheiten der Bundeswehr enge Kontakte zu Traditionsvereinen der Wehrmacht. Genau dieses Erbe holt Rot-Grün nun auch mit der CDU-Affäre Hohmann ein.

Ich weiß, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wollten dieses Erbe nie annehmen, aber Sie haben es auch nach 1998, also seitdem Sie Verantwortung tragen, nicht ausgeschlagen; so haben Sie zum Beispiel keine Namen von Kasernen geändert.
Deshalb finde ich: Das schlichte Gebot im Bericht des Bundeswehrbeauftragten - Rechtsextremismus darf nirgendwo eine Heimstatt finden - muss allgemeiner Auftrag bleiben.
Da sollten wir auch bei diesen symbolischen Dingen beginnen.

Schließlich will ich aus dem Bericht des Wehrbeauftragten kurz ein drittes Problem aufgreifen, welches hier heute schon eine Rolle spielte, nämlich die Tatsache, dass Ostdeutsche im Jahr 13 der Einheit noch immer benachteiligt werden, auch in der Bundeswehr, selbst im Kriegseinsatz. Das beginnt beim abgesenkten Sold und endet längst nicht bei niedrigeren Renten. Sie wissen, dass die PDS kein Freund von Militäreinsätzen ist und in dem Fall auch nicht die Existenz der Bundeswehr verteidigt. Hierbei geht es aber um soziales Unrecht; dagegen sind wir. Bei der Beseitigung dieses Unrechts findet der Wehrbeauftragte auch bei uns Verbündete.

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Dr. Gerd Müller (CDU/CSU):

(...) Bei der Diskussion Ihres Berichtes stellt sich ja auch die Frage nach dem Stellenwert der Bundeswehr in unserer Gesellschaft. Wir schauen da nicht nur in Richtung der Generäle - ich sehe gar keinen -, sondern insbesondere in Richtung der Mannschaftsdienstgrade und der Unteroffiziere, also derjenigen, die vor Ort ganz massiv gefordert und gefragt sind.
Meine Damen und Herren, wenn ich sage, dass es auch um den Stellenwert der Bundeswehr in unserer Gesellschaft geht, dann lassen Sie mich auch festhalten: Sicherheit ist die wichtigste Leistung, die die Bürgerinnen und Bürger von ihrem Staat verlangen. Wir alle wissen, dass sich die Bedrohungslage seit dem 11. September 2001 dramatisch verändert hat. Deshalb müsste natürlich auch dieser Bericht Anlass dazu sein, eine Debatte in unserer Gesellschaft über den Stellenwert unserer Soldatinnen und Soldaten, über den Stellenwert der Bundeswehr und über die Leistungen, die sie für diese Gesellschaft erbringen, anzustoßen.

Sie müssten auch einmal dringend eine Antwort darauf geben, welche Rolle unser Land in einer neuen Weltarchitektur überhaupt noch spielt. Hier vermissen wir jede nachvollziehbare Definition der Rolle unseres Landes in einem sich wandelnden Bündnis und in einer nach Finalität suchenden EU. Die Zukunft liegt nicht in der neuen Achse zwischen Paris, Berlin und Moskau, die Sie begründen wollen. Die Zukunft liegt auch nicht in neuen Kommandostrukturen, die außerhalb der NATO installiert oder gar gegen die NATO gerichtet werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, nein, die Zukunft kann nur in einer neuen Dimension der Zusammenarbeit innerhalb der NATO liegen, in der wir selbstbewusster Freund und Partner der USA sind.

Der Auftrag und die Zielsetzung des Dienstes in der Bundeswehr müssen klar sein. Ich rufe Sie angesichts dieser Ausgangslage dazu auf: Lassen Sie uns dafür sorgen, dass die Soldatinnen und Soldaten auch den entsprechenden Stellenwert und die Anerkennung in unserer Gesellschaft bekommen. Wir alle müssen definieren, wie viel uns unsere Sicherheit wert ist. Ich meine, die Bundesregierung tut zu wenig für den Erhalt einer funktions- und einsatzfähigen Bundeswehr. Die derzeitige Politik gegenüber der Bundeswehr wird der Sicherheitslage nicht gerecht.

Auf der einen Seite gibt es eine Rückführung des Verteidigungshaushalts, eine personelle und materielle Auszehrung der Truppe, und auf der anderen Seite befiehlt Rot-Grün eine noch nie dagewesene Zahl von Auslandseinsätzen. Das passt nicht zusammen.
(...)
Es gibt einen Eingabenzuwachs von 31 Prozent, insbesondere bei Soldaten im Auslandseinsatz. Der Auslandseinsatz wird zwischenzeitlich zum Normalfall. Der Mindestabstand von zwei Jahren zwischen zwei Auslandseinsätzen wird häufig nicht mehr eingehalten. Können Sie sich das überhaupt vorstellen? Steh- und Abwesenheitszeiten von 180 Tagen haben sich zwischenzeitlich auf 250 Tage verlängert. Die Soldatinnen und Soldaten riskieren für 92 Euro pro Tag ihr Leben für unsere Sicherheit. Auslandsverwendungszuschläge dürfen deshalb nicht weiter abgesenkt werden. Das Versorgungsrecht und die Versorgungsleistungen für Soldaten und deren Familien in Auslandseinsätzen müssen - Frau Schäfer hat dies dargestellt - dringend verbessert werden.

Es stimmt nachdenklich und es ist beschämend, dass, wenn es zu Unfällen kommt, quälende Diskussionen über die Versorgungsleistung für die Familien, die Angehörigen, stattfinden müssen. Das ist ein Indiz dafür, dass wir nicht eindeutig hinter unseren Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz stehen. Wenn wir sie in gefährliche Auslandseinsätze befehlen, was Sie immer mehr wollen, müssen auch die notwendigen Voraussetzungen dafür geschaffen werden.

Wir sehen deshalb mit großer Sorge - Herr Dr. Penner, Sie haben das aufgelistet -, dass nach Ablauf der Verpflichtungszeiten kaum noch Weiterverpflichtungen erfolgen. Das Bewerberaufkommen für die Offizierslaufbahn ist erneut rückläufig. Es geht so weit, dass wegen Facharztmangels - ich nehme einmal den Sanitätsdienst als Beispiel - Operationssäle geschlossen werden. Noch ganze 127 Verpflichtungen von Sanitätsärzten gab es im vergangenen Jahr. Die innere Lage der Bundeswehr ist besorgniserregend.
(...)
Wenn Sie ein besonders hartes und exorbitantes Beispiel dafür genannt bekommen haben wollen, wie Sie mit der Bundeswehr umgehen, dann muss ich auf das Thema der Strahlenopfer zu sprechen kommen. Es hat mich sehr nachdenklich gestimmt, dass nach 30 Jahren Kampf der Betroffenen - die meisten sind zwischenzeitlich gestorben; eines der Strahlenopfer war bei mir im Büro - nun das Bundesverteidigungsministerium entschieden hat, dass von 1.000 Geschädigten tatsächlich 150 mit einem Rentenversorgungsanspruch in Höhe von etwa 150 Euro anerkannt werden.

Frau Kollegin von den Grünen, ein Wort zur Wehrpflicht: Sie waren und sind für die Abschaffung der Wehrpflicht. Vor zehn Jahren waren Sie für die Abschaffung der Bundeswehr, für den Austritt aus der NATO und Sie sind es natürlich nach wie vor. Sie treiben dies innerhalb der Koalition voran. Durch die Hintertür, auf sanfte Weise, erfolgt der Ausstieg aus der Wehrpflicht, wenn Sie ankündigen, dass zukünftig nur noch 50.000 Wehrpflichtige eingezogen werden sollen. Wie wollen Sie angesichts einer solchen Zahl noch Wehrgerechtigkeit verwirklichen? Dies sind der Weg und das Gebot in Richtung Auswahlwehrdienst.

(...) Sie praktizieren den sanften Ausstieg aus der Wehrpflicht. Sie verletzten damit ganz eklatant das Gebot der Wehrgerechtigkeit. Wenn ich die Situation von heute fünf oder zehn Jahre in die Zukunft projiziere, dann muss ich sagen, dass Sie den Weg in Richtung Berufsarmee konsequent beschreiten. Diesen von Ihnen eingeschlagenen Weg wollen wir nicht gehen, weil wir ihn für falsch halten. Er würde den Charakter der Bundeswehr und ihrer breiten Verankerung in der Gesellschaft nachhaltig und grundlegend verändern. Den von Ihnen beschrittenen Weg halten wir für falsch.

Im vergangenen Jahr stellten 189.000 Wehrpflichtige einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung. Dies ist ein Höchststand. Dafür gibt es Gründe; einige habe ich schon genannt.
Mit dem Ausstieg aus der Wehrpflicht und damit aus dem Ersatzdienst gehen Sie einen falschen, einen verhängnisvollen Weg. Die Bundeswehr hat große Aufgaben zu bewältigen. Der Druck auf die Soldatinnen und Soldaten - sowohl physisch als auch psychisch - wird immer größer. Die Politik muss darauf reagieren, nicht nur durch eine bessere Ausstattung und ausreichende Finanzen. Sie muss mit mehr Anerkennung und Achtung für unsere Soldatinnen und Soldaten reagieren.
Vielen Dank.

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Hedi Wegener (SPD):

(...) Es ist - dies haben schon meine Vorredner gesagt - ein Mängelbericht und kein Gästebuch, in dem positive Erlebnisse eingetragen werden. Ich teile die Ansicht der Opposition, die sie im Ausschuss und auch hier geäußert hat, überhaupt nicht, dass die Zahl der Mängel zugenommen hat. Für mich ist die gestiegene Anzahl der Einsprüche ein Zeichen dafür, dass es sich herumgesprochen hat, wie intensiv sich der Wehrbeauftragte um die Anliegen der Soldaten kümmert, und dass es sich lohnt, sich an diese Institution zu wenden. Diese Anfragen sind ein Vertrauensbeweis.

Den größten Zuwachs gab es bei den Eingaben im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen, eine Steigerung von gut 100 Prozent. Die Zahl der Eingaben ist von 564 im Jahre 2001 auf 1.149 im Jahre 2002 gestiegen. Das ist mehr als verständlich, weil doch immerhin fast 14.000 Soldaten im Einsatz waren.

Unsere Soldatinnen und Soldaten haben in diesen Jahren Herausragendes geleistet und tun es auch heute noch. Ihnen und ihren Familien an dieser Stelle herzlichen Dank! Unsere Trauer gilt denen, die nicht nach Hause gekommen sind. Ihnen und ihren Hinterbliebenen an dieser Stelle noch einmal unser Mitgefühl!

Im Zusammenhang mit den Auslandseinsätzen gehe ich auf einige Aspekte ein, weil sich zahlreiche Eingaben eben auf diese Einsätze bezogen. Eine Einsatzdauer von sechs Monaten ist einfach eine zu lange psychische Belastung für die Soldatinnen und Soldaten. Die Soldaten leben zum Teil in sehr beengten Verhältnissen. Nach sechs Monaten auf einer Fregatte - wir haben uns kürzlich davon überzeugen können - kennt man fast jede Schraube. Die Soldaten sagen uns, nach einem halben Jahr in Kabul bei Staub und Hitze seien sie auf Du und Du mit dem Fitnessgerät. Auch davon konnten wir uns in Kabul überzeugen. Noch am Tag des Abflugs nach Kabul hatten wir hier im Reichstag ein langes Gespräch mit vielen Frauen, Freundinnen und Eltern, die uns hautnah von ihren Problemen als Daheimgebliebene berichtet haben.

Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr hat eine Untersuchung zu Auslandseinsätzen durchgeführt. Dabei wurde deutlich, dass für die Soldaten und ihre Familien das Hauptproblem bei der Trennung nicht die Einsatzdauer ist. Viele plädieren zwar für eine Verkürzung der Einsätze, aber ein Großteil der Soldaten und der Familien leidet schon unter der Trennung als solcher, ungeachtet der Dauer. Dazu sage ich Ihnen: Dass die Soldaten unter der Trennung leiden, meine Herren, spricht eigentlich eher für sie. Denn wer Familie und Beziehung nicht schätzt, bringt auch weniger Verständnis für die Leiden der Bevölkerung der Länder auf, in denen er Dienst tut. Daher würde ich mir viel mehr Sorgen machen, wenn unsere Soldaten in der Bundeswehr unter der Trennung von ihren Familienangehörigen nicht litten.

In der schon erwähnten Studie wurde ermittelt, dass 15 Prozent der Beziehungen, überwiegend ohne Trauschein, nach dem Einsatz auseinander gehen und 3 Prozent der Ehen einen dauerhaften Knacks haben. Der Minister der Verteidigung hat bereits Maßnahmen zur Flexibilisierung der individuellen Stehzeiten angeordnet, Herr Müller. Das Verfahren ist schon seit Juni in der Erprobung. Die Soldaten können angeben, ob sie einen Einsatz splitten wollen, und dann wird geprüft, ob ein Splittingpartner zur Verfügung steht. Auch wenn das Verfahren erst in der Erprobungsphase ist, ermutige ich Sie ausdrücklich, Herr Minister, da weiterzumachen. Herr Müller, wenn Sie immer von A bis Z im Ausschuss wären, wüssten Sie das auch.
(...)
Die Betreuung der und die Fürsorge für die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz sind die eine Seite; die Familien zu Hause sind die andere. Neben den Sorgen der Familien um ihre Angehörigen besteht das Problem der praktischen Alltagsbewältigung. Aus diesem Grunde begrüße ich es, dass im letzten Jahr zehn Betreuungszentren hinzugekommen sind. Allerdings besteht das Problem, dass in diesen Betreuungszentren nur vier hauptamtliche Frauen arbeiten. Wenn ich mir die Redebeiträge heute vor Augen führe, ist es offensichtlich so, dass sich die Frauen im Verteidigungsausschuss dieser Themen besonders annehmen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn es in den Betreuungszentren mehr Frauen gäbe. Denn sie haben einen anderen Zugang zu den Problemen, die die Familien vor Ort haben.

Eine ganz besondere Verantwortung tragen im Auslandseinsatz die Vorgesetzten. Ihr Führungsverhalten, ihre soziale Kompetenz und ihr Verhältnis zu den Untergebenen sind besonders wichtig. Für umso dringlicher halte ich es, dass sie bei diesen Fragen nicht allein gelassen werden und dass sie konstruktive Kritik und Beratung erfahren. (...)

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Hier geht es zu einem Beitrag über einen früheren Bericht des Wehrbeauftragten:
Deutlicher Anstieg rechtsextremer "Vorfälle" in der Bundeswehr registriert
"Kein Ausreißer" - Zum Jahresbericht 2000 des Wehrbeauftragten



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