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Die Kernaussagen der Wehrmachtsausstellung sind richtig:
Die Wehrmacht war eine verbrecherische Organisation - Bericht der Unabhängigen Kommission
Nicht die Kritik rechtsgerichteter Politiker (insbesondere aus CDU/CSU-Kreisen) und organisierter Wehrmachts- und Nazi-Bewunderer haben Philipp Reemtsma 1999 dazu veranlasst, die aufsehenerregende "Wehrmachtsausstellung" vorübergehend zurückzuziehen und von einer unabhängigen wissenschaftlichen Kommission begutachten zu lassen. Anlass dazu war vielmehr die wissenschaftliche Kritik an einzelnen Aussagen und am präsentierten Bildmaterial. So war etwa festegestellt worden, dass einige Bilder (von vielen Hunderten von Fotos) nicht richtig zugeordnet oder falsch interpretiert wurden.
Am 15. November legte die Kommission zur Überprüfung der
Ausstellung "Vernichtungskrieg.Verbrechen der Wehrmacht
,1941 bis 1944 '" ihren Bericht vor. Mitglieder der Kommission waren die Wissenschaftler Omer Bartov, Cornelia Brink, Gerhard Hirschfeld, Friedrich P. Kahlenberg, Manfred Messerschmidt, Reinhard Rürup, Christian Streit und Hans-Ulrich Thamer.
Wir dokumentieren im Folgenden aus der Zusammenfassung des 100-seitigen Berichts die wichtigsten Teile, die sich inhaltlich mit den Kernaussagen der Wehrmachtsausstellung befassen.
Zusammenfassung
Bewertung der Kernaussagen der Ausstellung-
Die im "Prolog" der Ausstellung formulierte pauschale Kritik an der "deutschen
Militärgeschichtsschreibung", die zwar viel zur Aufklärung über den
"Vernichtungskrieg gegen Juden, Kriegsgefangene und Zivilbevölkerung"
beigetragen habe, sich aber weigere, "einzugestehen, dass die Wehrmacht an
allen diesen Verbrechen aktiv und als Gesamtorganisation beteiligt war", ist
offensichtlich überzogen. Das gilt auch für den Anspruch, mit der Ausstellung
erstmalig in der Öffentlichkeit die "Legende von der ‚sauberen Wehrmacht' " als
eine Geschichtsklitterung zu entlarven.
- Der ebenfalls im "Prolog" ausgesprochenen Absicht, "kein verspätetes und
pauschales Urteil über eine ganze Generation ehemaliger Soldaten zu fällen", wird
die Ausstellung auf Grund fehlender Differenzierungen nicht gerecht. Sie erweckt
vielmehr durch die Art der Präsentation der Bild- und Textdokumente den Eindruck,
dass die dargestellten Verbrechen den Angehörigen der Wehrmacht mehr oder
weniger unterschiedslos zuzurechnen seien.
- Die Tatsache, dass die Verbrechen in der Sowjetunion von SS, Polizei,
Wehrmacht und einheimischen Hilfskräften arbeitsteilig verübt wurden, wird von der
Ausstellung nicht hinreichend herausgearbeitet. Dadurch werden die vielfältigen
Abstufungen zwischen den von Wehrmachtangehörigen unmittelbar begangenen
Verbrechen und solchen Verbrechen, die mit dem Wissen oder der Hilfestellung
militärischer Einheiten, also in jedem Falle unter der Verantwortung von Teilen der
Wehrmacht verübt wurden, verwischt. Die in der Ausstellung präsentierten
Verbrechen der Wehrmacht werden dadurch unzulässig isoliert.
- Dennoch bleiben die Grundaussagen der Ausstellung über die in der Sowjetunion
verübten Verbrechen und über die teils aktive, teils passive Beteiligung der
Wehrmacht an ihnen in der Sache richtig. Die Ausstellung bewegt sich in dieser
Hinsicht auf dem internationalen Forschungsstand, der seit den sechziger Jahren
allmählich erreicht und in den neueren und neuesten wissenschaftlichen
Veröffentlichungen immer wieder bestätigt worden ist.
- Zutreffend sind insbesondere die Aussagen über die in der Wehrmachtführung,
aber auch in der Truppe weit verbreiteten Vorstellungen vom "jüdischen
Bolschewismus", dem "Weltfeind Nr. 1" und dem "Kampf auf Leben und Tod".
Große Teile der an der "Ostfront" eingesetzten Truppen waren so hochgradig
ideologisiert, dass die an anderen Fronten selbstverständlichen Standards der
Kriegführung hier nicht respektiert wurden.
- Nicht zu bestreiten sind die verbrecherischen Grundsatzentscheidungen und
Befehle der Wehrmachtführung, die von der Einräumung von Sonderrechten für
Himmlers Mordkommandos über den "Kommissarbefehl" und den
"Kriegsgerichtsbarkeitserlass" bis zu den Armeebefehlen reichten, die um
Verständnis für den als "gerechte Sühne" bezeichneten Mord an den Juden
warben. Die Behauptung, die Wehrmacht habe stets "Distanz zu Hitler und dem
NS-Regime" gehalten und "mit Anstand und Würde" lediglich "ihre soldatische
Pflicht erfüllt", wird deshalb von der Ausstellung mit guten Gründen
zurückgewiesen.
- Richtig bleibt auch die Feststellung, dass von Anfang an die Spuren verwischt
und die Erinnerung an die Verbrechen unterdrückt wurden. In diesem Punkt trafen
sich die Interessen der Generäle, die in den fünfziger Jahren ihre Memoiren
veröffentlichten, mit denen der einfachen Soldaten, die sich von der SS und dem
NS-Vernichtungsapparat distanzierten, um ihr eigenes Verhalten in einem umso
freundlicheren Licht erscheinen zu lassen.
- Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Kernaussagen der Ausstellung,
an denen sich die emotionale und politische Kritik und Polemik entzündet hat, in
ihrer Substanz dem internationalen Forschungsstand entsprechen. Durch fehlende
Differenzierungen und ungerechtfertigte Pauschalisierungen hat die Ausstellung
jedoch nicht nur Missverständnisse ausgelöst, sondern auch dazu beigetragen,
dass es den Gegnern der Ausstellung möglich war, zumindest teilweise
erfolgreiche Ablenkungsmanöver zu starten. Es erscheint deshalb notwendig, die
Ausstellung auch unter diesem Gesichtspunkt gründlich zu überarbeiten oder neu
zu konzipieren.
Bewertung der gegen die Sachaussagen erhobenen Vorwürfe-
Die Ausstellung hat versucht, den im Osten und Südosten geführten Krieg
ausschnitthaft in den Blick zu rücken (Weißrussland, 6. Armee, Serbien 1941). Sie
hat mit diesem Verfahren wichtige Zusammenhänge "verdichtet", andere aber
vernachlässigt, wie zum Beispiel die unterschiedlichen deutschen Zielsetzungen im
Osten und Südosten Europas. Die Kritik an den Sachthemen der Ausstellung galt
insbesondere zwei Komplexen: den in der Ausstellung "unterschlagenen" Morden
des NKWD sowie dem "Partisanenkrieg" in der Sowjetunion.
- Die Kritiker haben bemängelt, dass die vom sowjetischen NKWD (in Tarnopol
und Zloczow) begangenen Verbrechen in der Ausstellung nicht erwähnt (bzw.
dokumentiert) worden sind. Diese Kritik ist berechtigt. Die Ausstellung hätte die
Massenmorde des NKWD als einen Teil der Vorgeschichte der Pogrome im Juli
1941 in die Darstellung einbeziehen müssen.
- Im Grundsätzlichen aber überziehen die Kritiker ihre Kritik. Sie ignorieren vor
allem die sehr wesentliche Rolle, die die Wehrmacht in der Entwicklung des
Genozids an den Juden im Osten spielte. Sie isolieren ihre Sichtweise auf die
konkreten Täter, ohne danach zu fragen, unter welchen Voraussetzungen diese
morden konnten und wie diese Voraussetzungen geschaffen wurden. Sie tun dies
nicht zuletzt deswegen, weil sie Ausmaß und Entwicklung der Kooperation
zwischen Wehrmachtstellen und SS-Stellen nicht richtig einzuschätzen vermögen.
- Aber auch die Autoren der Ausstellung haben die Zusammenarbeit auf den
verschiedenen Ebenen der Wehrmacht mit den Dienststellen von SS und Polizei
sowie, in den Reichskommissariaten, den Organen der Zivilverwaltung nicht immer
hinreichend dargestellt. Allerdings ist hierbei anzumerken, dass wichtige
Forschungsergebnisse zu diesem Netzwerk des Vernichtungskrieges erst in den
letzten Jahren (also nach Ausstellungsbeginn 1995) veröffentlicht wurden.
- In Bezug auf den Partisanenkrieg blenden die Kritiker die Entscheidung der
deutschen Führung, den Krieg gegen die Sowjetunion von Anbeginn an außerhalb
der kriegsvölkerrechtlichen Normen und Verpflichtungen zu führen, nahezu völlig
aus. Sie sehen in den deutschen Methoden der Partisanenbekämpfung entweder
eine Reaktion auf einen verbrecherisch geführten Partisanenkrieg der sowjetischen
Seite oder verweisen auf das "arbeitsteilige" Vorgehen von Wehrmacht und
Einsatzgruppen. Dabei nehmen sie den Begriff "Partisanen" in den deutschen
Dokumenten in der Regel wörtlich, ohne beispielsweise zu berücksichtigen, in
welchem Maße die deutsche Seite auch zum Teil völlig unbeteiligte Personen als
"Partisanen" oder "Partisanenhelfer" definierte und in ihren Erfolgsmeldungen
kategorisierte. Dies führt dazu, dass die Kritiker die bestehenden engen
Zusammenhänge zwischen der "Partisanenbekämpfung" und dem Mord an den
Juden nicht wahrnehmen und auch nicht erkennen, in welchem Maße die
Partisanenangst der Truppe zur Radikalisierung des Krieges beitrug und für die
Ausrottungspolitik instrumentalisiert wurde.
...
...
Schlussfolgerungen-
Die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" ist
im Rahmen der anhaltenden öffentlichen Auseinandersetzungen und auf Grund des
der Kommission erteilten Überprüfungsauftrags sowohl hinsichtlich ihrer
inhaltlichen Aussagen als auch hinsichtlich des verwendeten Materials so intensiv
durchleuchtet worden, wie das bisher mit keiner anderen zeitgeschichtlichen
Ausstellung geschehen ist.
- Die Überprüfung der Ausstellung hat zu der Erkenntnis geführt, dass die öffentlich
geäußerte Kritik zumindest in Teilen berechtigt ist. Die Ausstellung enthält 1.
sachliche Fehler, 2. Ungenauigkeiten und Flüchtigkeiten bei der Verwendung des
Materials und 3. vor allem durch die Art der Präsentation allzu pauschale und
suggestive Aussagen.
- Die Ausstellung enthält jedoch keine Fälschungen im Sinne der leitenden
Fragestellungen und Thesen. Die Überprüfung der verwendeten Bild- und
Textdokumente in den benutzten Archiven hat zwar manche Ungenauigkeiten und
in einigen Fällen auch falsche Zuschreibungen zu Tage gefördert, insgesamt aber
die Intensität und Seriosität der von den Ausstellungsautoren geleisteten
Quellenarbeit bestätigt.
- Die Ausstellung argumentiert teilweise zu pauschal und unzulässig
verallgemeinernd. Auf diese Weise und durch die Art der Präsentation hat sie dazu
beigetragen, dass sie nicht als eine Ausstellung über die Besonderheiten des in
der Sowjetunion geführten Vernichtungskrieges, sondern als eine Ausstellung über
"die" Wehrmacht - eben als "Wehrmachtsausstellung" - rezipiert worden ist.
- Dessen ungeachtet bleiben die Grundaussagen der Ausstellung über die
Wehrmacht und den im "Osten" geführten Vernichtungskrieg der Sache nach
richtig. Es ist unbestreitbar, dass sich die Wehrmacht in der Sowjetunion in den an
den Juden verübten Völkermord, in die Verbrechen an den sowjetischen
Kriegsgefangenen und in den Kampf gegen die Zivilbevölkerung nicht nur
"verstrickte", sondern dass sie an diesen Verbrechen teils führend, teils
unterstützend beteiligt war. Dabei handelte es sich nicht um vereinzelte "Übergriffe"
oder "Exzesse", sondern um Handlungen, die auf Entscheidungen der obersten
militärischen Führung und der Truppenführer an der Front und hinter der Front
beruhten.
- Das Glaubwürdigkeitsproblem der Ausstellung resultiert weniger aus einzelnen
nachweisbaren Fehlern und Flüchtigkeiten als vielmehr aus dem überheblichen und
unprofessionellen Umgang der Ausstellungsmacher mit der an der Ausstellung
geübten Kritik. Dabei ist einzuräumen, dass zwischen bloßer Polemik und seriöser
Fachkritik nicht immer leicht zu unterscheiden war. Doch ist nicht zu erkennen,
dass man sich um diese Unterscheidung rechtzeitig und ernsthaft genug bemüht
hätte. Erst dadurch entstand eine Situation, in der die berechtigte Kritik an einigen
Fotos eine so tiefgreifende Krise auslöste, dass ein "Moratorium" unvermeidlich
wurde.
- Aus den hier genannten Gründen empfiehlt die Kommission, die Ausstellung in
einer gründlich überarbeiteten, ggf. auch neu zu gestaltenden Form weiter zu
präsentieren. Dabei müssen die Hauptaussagen über die Wehrmacht und den
Vernichtungskrieg im "Osten" nicht verändert, wohl aber gegen Missverständnisse
geschützt werden. Erforderlich ist darüber hinaus ein sorgfältiger Umgang mit den
überlieferten Dokumenten, und hier insbesondere mit den Fotos. Auch sollte die
Argumentation der Ausstellung weniger durch den Gestus der Staatsanwaltschaft
als durch die Theorie und Methodologie der Geschichtswissenschaft geprägt sein.
Die Ausstellung sollte ihr Material präsentieren, aber die Schlussfolgerungen so
weit wie möglich den Besuchern überlassen.
- Wünschenswert ist, dass bei einer Neufassung der Ausstellung die
vorherrschende Täterperspektive zumindest beispielhaft durch die Perspektive der
Opfer ergänzt wird, so dass die Verbrechen auch aus der Sicht und Erfahrungswelt
derjenigen, gegen die sie verübt wurden, sichtbar werden.
- Die Ausstellung war, wie die öffentlichen Auseinandersetzungen gezeigt haben,
sinnvoll und nötig. Sie kann auch in den kommenden Jahren - in einer Fassung, die
der Kritik, neueren Forschungsergebnissen und den die Ausstellung begleitenden
Diskussionen Rechnung trägt - einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der
historisch-politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland leisten.
Als Kontrast zur Wehrmacht sei empfohlen:
Wie aus Offizieren Pazifisten wurden
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