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Bundeswehr-Flugzeugabstürze - Zu wenig Transparenz über Unglücksursachen?

Ein Beitrag von Sven Ahnert in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Im März vergangenen Jahres ist in Bayern ein Tiger-Kampfhubschrauber der Bundeswehr abgestürzt. Und im vergangenen Monat verunglückte in Rheinland-Pfalz ein Tornado-Kampfflugzeug. Die Abstürze werden vom sogenannten General Flugsicherheit der Bundeswehr untersucht. Die Ermittlungen können lange dauern. Und wenn sie abgeschlossen sind, dann erfährt die Öffentlichkeit von der Bundeswehr so gut wie nichts über die Absturzursache. Warum tut sich die Luftwaffe so schwer mit Transparenz? Sven Ahnert hat hierüber mit Betroffenen gesprochen:


Manuskript Sven Ahnert

O-Ton Scholz
„Ich bin dreimal pro Tag geflogen - von Montag bis Freitag. Heute fliegen die Besatzungen alle vierzehn Tage oder drei Wochen. Wir sind zweimal im Jagdgeschwader geflogen, wo die Vorbereitungen nicht so extensiv sind wie in einem Jagdbombergeschwader, wo viel Kartenplanung dabei ist. Wir sind dreimal am Tag geflogen.“

Ulrich Scholz, Oberstleutnant a.D. und selbst erfahrener Tornado- und Phantom-Pilot überlebte 1977 einen Absturz mit einem Phantom-Kampfjet während eines Übungsfluges in den Niederlanden. Er kennt die Belastungen durch Nacht- und Tiefflüge und weiß, dass das Nichtfliegen mitunter der größte Feind des Piloten sein kann und oft ein möglicher Grund ist für Fehleinschätzungen unter Extrembedingungen.

Seit Beginn der Starfighter-Krise in den 1960er Jahren beschäftigten Flugzeugunfälle und Abstürze nicht nur die Bundeswehr und die betroffenen Piloten, sondern im besonderen Maße auch die Öffentlichkeit. Im vergangenen Monat stürzte in Rheinland-Pfalz ein Tornado-Kampfflugzeug ab. Das Unglück ereignete sich abends, beim Anflug auf den Militärflugplatz Büchel. Dort werden auch US-Atomwaffen gelagert. Pilot und Waffensystemoffizier konnten sich mit dem Schleudersitz retten. Die Unglücksursache wird jetzt vom sogenannten General Flugsicherheit untersucht. Befassen musste er sich auch mit dem Absturz des neuen Tiger-Kampfhubschraubers. Ein für den Afghanistan-Einsatz umgerüsteter Helikopter war am 4. März vergangenen Jahres in der Nähe des Schlosses Linderhof im bayrischen Ettal abgestürzt und in Flammen aufgegangen. Die beiden Piloten haben den Unfall überlebt. Der Absturz hat viele Fragen aufgeworfen. Fragen nach der Ausbildung der Besatzung sowie der Einsatzfähigkeit dieses Nachtflugtauglichen und mit Computertechnik vollgestopften Kampfhubschraubers, der bei den französischen Streitkräften bereits seit Längerem ohne größere Zwischenfälle im Einsatz ist.

Der Abschlussbericht des General Flugsicherheit liegt seit dem vergangenen Monat vor. Doch die genaue Absturzursache will die Bundeswehr der Öffentlichkeit nicht bekanntgeben. Auf Anfrage von NDR Info teilt die Luftwaffe lediglich mit. Zitat :

Zitat PIZ Luftwaffe
„Die Besatzung verfügte nicht über ein hinreichendes Situationsbewusstsein und geriet im Landeanflug in eine räumliche Desorientierung.“

Konkreter will die Bundeswehr nicht werden. Zuvor hatte sie NDR Info bereits mitgeteilt, es seien Konsequenzen aus dem Unglück gezogen worden. Zitat:.

Zitat PIZ Luftwaffe
„Das Heer [hat] die Notwendigkeit der Gebirgsflugausbildung im Zusammenhang mit der Einsatzvorbereitung für Afghanistan erneut überprüft und in diesem Zuge diesen Anteil aus dem Programm gestrichen, da er unter den derzeit gegebenen Bedingungen nicht benötigt wird. Ebenfalls wurden die Verfahren im Zusammenhang mit der Nutzung der Vorrichtungen zur Verbesserung der Nachtsichtfähigkeiten überprüft und angepasst.“

Ist der Absturz des Tiger-Kampfhubschraubers also auf eine fehlerhafte Handhabung der Nachtsichtausstattung des Helikopters zurückzuführen? Über den genauen Hintergrund des Absturzes kann angesichts der spärlichen Informationen der Bundeswehr nur spekuliert werden. Thomas Wassmann ist Chef des Verbandes der Besatzungen strahlgetriebener Kampfflugzeuge. Er hält es für wahrscheinlich, dass der Tiger-Unfall auf einen Bedienungsfehler der Zwei-Mann-Crew zurückzuführen ist. Offenbar hat es ein Problem mit den Nachtsichtgeräten gegeben.

O-Ton Thomas Wassmann
„Wenn man diesen Unfall per se betrachtet, dann ist es auch kein Fehler der Maschine gewesen. Vielmehr hat die Besatzung eine Zusatzgerätschaft eingesetzt oder versucht, diese in einer Form einzusetzen, wie es nicht vorgesehen ist, indem sie nämlich ein Gerät gleichzeitig eingeschaltet hat, obwohl es eine gewisse Anlaufphase braucht; aus diesem Grund macht man das normalerweise nacheinander. Wenn der eine fertig ist, fängt der andere an. Da gab es ein Crew Ressource Management-Problem. Die Kommunikation zwischen den beiden Insassen hat anscheinend nicht funktioniert und dadurch ist es dazu gekommen, dass man etwas gleichzeitig gemacht hat, was man eigentlich hintereinander machen sollte.“

Die Absturzursache - also ein Ausbildungsfehler? Aufgrund unzureichender Einweisung oder Erfahrung mit den Nachtsichtgeräten? Wurden deshalb die Gebirgsflugausbildung gestrichen und die Verfahren bei der Nutzung der Nachtsichtfähigkeiten überprüft? Die Bundeswehr schweigt hierzu. Stattdessen verweist man auf eine andere Behörde. Zitat:

Zitat PIZ Luftwaffe
„Das Interesse der Öffentlichkeit wird durch die Beteiligung der zuständigen Staatsanwaltschaft wahrgenommen. Die Abteilung Flugsicherheit in der Bundeswehr erstellt innerdienstliche Gutachten für die Bundeswehr und diese sind grundsätzlich nicht zur Veröffentlichung vorgesehen.“

Nach dem Absturz des Kampfhubschraubers hat die Staatsanwaltschaft München II im Mai vergangenen Jahres ein Ermittlungsverfahren eingeleitet - wegen fahrlässiger Gewässerverunreinigung durch ausgelaufenen Kraftstoff. Sie bat damals die Bundeswehr um eine Kopie des Untersuchungsberichtes. Und obwohl dieser bereits seit mehr als einem Monat vorliegt, hat die Anklagebehörde den Report bis heute nicht erhalten. Über die Absturzursache kann die Staatsanwaltschaft daher keine Angaben machen. Das kann nur die Bundeswehr. Die aber hält sich weiterhin bedeckt. Möglicherweise, weil eine Nachtsichtausstattung nur unzureichend getestet und zu schnell eingeführt worden ist. Und dann könnten auch noch die Interessen des Herstellers eine Rolle spielen. Muss die Bundeswehr hierauf Rücksicht nehmen? Will oder darf sie sich deshalb nicht öffentlich zur Unglücksursache äußern? Wie komplex diese Verquickung von Politik, Bundeswehr und Industrie sein könnte, deutet der ehemalige Pilot Ulrich Scholz an:

O-Ton Scholz
„Jetzt sind wir in einer Grauzone. Die Öffentlichkeit sagt ,Ist das klug‘? So ein System hat Kinderkrankheiten. Wäre es nicht sinnvoll, den Staffeln, den Besatzungen die Möglichkeit zum Übungsflug zu geben und die Kinderkrankheiten kennenzulernen und dann trauen wir uns zu, in den Einsatz zu gehen?“

Nach einem Absturz versucht die Bundeswehr, die an dem Unfall beteiligten Personen vor der Öffentlichkeit zu schützen. Für Thomas Wassmann eine Selbstverständlichkeit. Der Chef des Verbandes der Jet-Piloten über die komplexen Untersuchungen nach einem Flugzeugunglück:

O-Ton Wassmann
„Ganz oben steht natürlich die Ursachenerforschung, sowohl materiell als auch personell, sprich den handelnden Personen, die teilweise auch gar nicht im Fluggerät gesessen haben müssen; es kann ja auch schon vorher eine Fehlentscheidung gegeben haben, oder vom Flugsicherungspersonal am Boden hat es falsche Anweisungen und dergleichen gegeben. Primär geht es um Ursachenforschung. Woran hat es gelegen? Warum konnte es soweit kommen? Zweitens: Natürlich erwartet das betroffene Personal, dass am nächsten Morgen ihr Konterfei nicht in der BILD-Zeitung mit Wohnadresse und vollem Namen auf der Titelseite steht.“

Thomas Wassmanns Unmut gegenüber der Boulevardpresse bezieht sich auf die Berichterstattung über den Tornado-Absturz im vergangenen Monat. Die BILD-Zeitung hatte einen von hinten fotografierten Soldaten der Tornado-Besatzung gezeigt, wie er sich nach dem Ausstieg mit dem Schleudersitz mit seinem Fallschirm in einem Baum verfangen hatte. Doch trotz des berechtigten Schutzbedürfnisses der an einem Absturz beteiligten Personen hat auch die Öffentlichkeit ein Interesse an der Absturzursache. Insbesondere, wenn diese möglicherweise auf Ausbildungsmängel oder andere Defizite zurückzuführen sind. Denn klar ist beispielsweise, dass die Jet-Piloten der Bundeswehr schon lange nicht mehr die von der NATO geforderten 180 Flugstunden pro Jahr erreichen. Die meisten fliegen jährlich weniger als 100 Stunden. Zu wenig, für komplexe und anspruchsvolle Einsätze, sagen Kritiker. Vieles findet im Simulator statt. Kein Wunder: Denn eine Eurofighter-Flugstunde kostet inzwischen knapp 80.000 Euro. Sicherheit muss aber absoluten Vorrang haben. Schon aus diesem Grund wäre Transparenz bei den Absturzursachen von Flugzeugen und Hubschraubern angebracht. Die Bundeswehr lässt die Öffentlichkeit darüber aber im Unklaren. Damit tun sich die Streitkräfte jedoch keinen Gefallen.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 22. Februar 2014; www.ndr.de/info


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