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Wie die Lemminge nach Afrika?

Die Bundeswehr soll im Antiterrorkampf ganz nebenbei Frankreichs verfehlte Atompolitik sichern helfen

Von René Heilig *

Die EU beschloss am Montag eine Militärmission in Zentralafrika. Deutschlands Regierung erwägt ein deutlich stärkeres Engagement in den Krisenstaaten Mali und Zentralafrikanische Republik.

Vor einigen Wochen wurde gemeldet, Frankreich ziehe aus Kostengründen das im baden-württembergischen Donaueschingen stationierte 110. Régiment d’Infanterie aus der deutsch-französischen Brigade zurück. Während Befürworter sich um das gesamte Zwei-Armeen-Projekt sorgten, hofften Kritiker auf ein Ende der angeblich antiquierten politischen Showtruppe. Nun hat man offenbar eine richtige Aufgabe für die Brigade entdeckt. Es wird gemunkelt, sie soll nicht nur die laufende Ausbildungsmission in Mali verstärken, sondern dort zudem Schutzaufgaben übernehmen.

Man kann nicht genug warnen: Anfangs sollten deutsche Soldaten auch in Afghanistan nur Schutzaufgaben übernehmen. Noch immer wird die ISAF als Schutztruppe bezeichnet. Obwohl es lange dauerte, bis deutsche Regierungspolitiker sich zu den Tatsachen bekannten: Deutschland steckt am Hindukusch seit nun rund einem Dutzend Jahren in einem opferreichen, teuren und nicht gewinnbaren Krieg.

Doch es geht bei den nun geplanten Missionen nicht nur um Mali. Die EU hat am Montag eine Militärmission für die in Chaos versinkende Zentralafrikanische Republik beschlossen. Noch bedarf es eines UN-Mandats, bevor der Einsatz in einigen Wochen beginnt. Erwartet wird, dass er sich auf die Hauptstadt Bangui und die Sicherung des dortigen Flughafens konzentriert. Auch dabei fühlt man sich an den Afghanistan-Einsatz erinnert, der zunächst nur Kabul im Blick hatte. Berlin Transportflugzeuge schicken und die Luftbetankung für französische NATO-Partner sichern. Das klingt fast harmlos. Und wie gewohnt unterstellen Nachbarn der deutschen Regierungspolitik nicht fälschlich, dass sie sich um eine risikoärmere Beteiligung bemüht.

Die Taktik ist zu durchschaubar, als dass sie sich lange durchhalten ließe. Das Szenario – vorerst in Mali – könnte durchaus so aussehen: Man schickt ein sogenanntes robust ausgestattetes Bataillon. Da man das kaum innerhalb eines Jahres wieder heimholen kann, entwickelt sich Einsatzroutine. Die Führung wechselt die Truppen aus und ganz fix ist eine ganze Brigade nebst zugeteilten Verstärkungsmitteln in dem Kampfeinsatz gefangen. So viel überlegene Gefechtstechnik man auch immer auf den anderen Kontinent schaffen kann, man wird den Gegner nicht stellen und in ein paar Scharmützeln entkräften können. Die Bundeswehr steckt dann – wie in Afghanistan – in einem asymmetrischen Krieg. Die Anzahl und die Gewalt von Anschlägen wird steigen, immer mehr Landesteile infizieren sich mit Angst und Schrecken. Die Gegend ist ein Operationsgebiet von Al Qaida und deren Kämpfer sind wie jeder weiß, durchaus erfahren. Wird man also weiter die Namen toter deutscher Soldaten an den Ehrenhain des Bendlerblocks schreiben müssen?

Vermutlich sind es auch diese Überlegungen, die das Verteidigungsministerium noch so zurückhaltend erscheinen lässt, wenn es um Aussagen zu einem erweiterten Afrika-Einsatz geht, obwohl dafür ein Bundestagsmandat nötig sein wird. Selbst wenn man einmal – was eigentlich nicht geht – davon absieht, dass deutsche Soldaten laut Grundgesetz nur einen Verteidigungsauftrag haben, so sollten vor allem solche Fragen beantwortet werden: Was will Deutschland in Afrika? Welches Ziel soll und kann mit deutschem Militär erreicht werden? Oder geht es nur um die Entsendung von »Lemmingen«? Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die am Montagabend zu ihrem Antrittsbesuch nach Paris flog, hat genügend Themen im Gepäck.

Seit Adenauer und de Gaulle wird die besondere Partnerschaft der ehemaligen »Erbfeinde« beschworen. In Paris amtiert eine sozialistische Regierung. Die Beziehungen der SPD-Spitze zu dem gerade von einem Beziehungsskandal heimgesuchten Präsident François Hollande sind eng. Man wundert sich also nicht, dass Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) meint, wir dürfen Frankreich nicht alleine lassen. Alleine lassen? Wobei? Bei der Bekämpfung von Terroristen? Bei der Errichtung demokratischer Staatswesen?

Nein. Frankreich geht es wesentlich um die Sicherung des Urannachschubs. Daraus wird Kernbrennstoff für die 58 französischen Atommeiler gewonnen, ohne deren Leistung bei unseren Nachbarn alle Lichter ausgehen. Die wirtschaftliche wie militärische nukleare Unabhängigkeit steht in Frankreich ganz oben im Pflichtenheft jeder Regierung. Der staatliche französische Areva-Energie-Konzern ist daher so wie in Niger – dem größten Uranförderland des Kontinents – auch in seiner ehemaligen Kolonie Mali beim Abbau des Energierohstoffs aktiv.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 21. Januar 2014


Marschbefehl nach Süden

EU-Außenminister beschließen Truppenverstärkung für Frankreichs Kriege in Afrika. Auch Bundesrepublik schickt zusätzliche Soldaten

Von Arnold Schölzel **


Die EU-Staaten greifen verstärkt in die Kriege Frankreichs in Afrika ein. Auf Drängen Frankreichs und der Bundesrepublik beschlossen die Außenminister der 28 Mitgliedstaaten am Montag in Brüssel, Soldaten aus EU-Ländern für bis zu sechs Monate nach Zentralafrika zu entsenden. Die Bundesrepublik wird Frankreich sowohl in Mali als auch in der zentralafrikanischen Republik stärker unterstützen, aber keine Kampftruppen entsenden. Das kündigte Regierungssprecher Steffen Seibert an. Zuvor hatte sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier dafür ausgesprochen, die französische Militärintervention in Zentralafrika in eine EU-Mission zu überführen.

Zusätzlich sollen 700 bis 1000 Soldaten aus EU-Staaten entsandt werden. Frankreich griff bisher mit 1600 Soldaten in der früheren Kolonie Zentralafrika ein. Bei den Kämpfen sind bereits mehrere hundert Menschen ums Leben gekommen. Vor einem EU-Einsatz wäre aber noch ein Mandat des UN-Sicherheitsrates nötig. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) führte am Montag abend auch dazu Gespräche in Paris. Steinmeier wird am heutigen Dienstag in die französische Hauptstadt reisen.

Im Gespräch ist nach Angaben aus Regierungskreisen etwa eine Verstärkung der logistischen Hilfe durch mehr Lufttransporte. So könnten Bundeswehrflugzeuge künftig auch in der Hauptstadt der zentralafrikanischen Republik Bangui und nicht mehr nur in Nachbarstaaten landen. Für Mali, das nach dem vor allem von Frankreich und Großbritannien getragenen Luftkrieg gegen Libyen 2011 zu einem Tummelplatz bewaffneter Milizen wurde, ist auch ein Einsatz der deutsch-französischen Brigade im Gespräch. »Über eine stärkere Unterstützung in Mali müssen wir nachdenken«, erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. In Mali leistete die Bundeswehr logistische Hilfe für französische Truppen und bildet Soldaten der Armee des Landes aus.

Bei den Beratungen der EU-Außenminister zeigten sich Differenzen über die Details der Kriegsbeteiligung in Zentralafrika. Der schwedische Außenminister Carl Bildt brachte die Entsendung von EU-Kampfgruppen ins Spiel. Diese Einheiten seien für solche Einsätze aufgestellt worden. »Wenn nicht jetzt, wann sollte man sie sonst einsetzen?« fragte Bildt vor den Beratungen in Brüssel. Er sei aber auch für andere Optionen offen. Schweden ist nach Angaben Bildts derzeit nicht an den EU-Kampfgruppen beteiligt. Bundesaußenminister Steinmeier meinte: »Ich sehe nicht, daß wir vor einem Einsatz der Kampfgruppen stehen.«

Vor dem Beginn der EU-Intervention soll ein Beschluß des UN-Sicherheitsrates abgewartet werden. Das Hauptquartier solle im griechischen Larissa eingerichtet werden. Frankreichs Präsident François Hollande hatte die EU-Beteiligung wegen finanzieller Überforderung seines Landes im Dezember gefordert. Die Bundesrepublik erklärte sich nach einigem Zögern zur finanziellen oder logistischen Unterstützung der EU-Truppe bereit.

Der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Die Linke, Wolfgang Gehrcke, kritisierte die Erwägung, die deutsch-französische Brigade in Mali einzusetzen, scharf: »Auch mit weiteren Militäreinsätzen wird es keinen Frieden in Mali geben.« In Mali gehe es »um den Zugriff auf die Goldförderung«. Offiziell werde über Demokratie und Terrorismusabwehr gesprochen, »tatsächlich geht es um die Absicherung der Ausbeutung von Naturschätzen.«

** Aus: junge Welt, Dienstag, 21. Januar 2014


Wieder aufgestiegen

EU will Kriegsausweitung in Afrika

Von Arnold Schölzel ***


Vor gut zehn Jahren hatte US-Präsident George W. Bush eine seiner Halluzinationen. Der Visionär verkündete, daß der Irak nach dem Überfall der USA und der »Koalition der Willigen« ein »Leuchtturm der Demokratie« sein werde. Der Demokratieexport war 2003 eine der zahlreichen Begründungen für die Aggression gegen das Zweistromland.

Elf Jahre später läßt sich ein imperialistischer Krieg mit weniger Aufwand rechtfertigen: Frankreich wird das ständige militärische Ordnungschaffen in seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien zu teuer. Also fordert Präsident François Hollande von der EU eine Kostenbeteiligung. Insbesondere Berlin zögerte etwas, aber nach gut vier Wochen ist geklärt: Krieg in Afrika ist eine Gemeinschaftsangelegenheit.

So geht Fortschritt im neuen Zeitalter imperialistischer Kriege. Beim Luftkrieg gegen Jugoslawien 1999 mußte der damalige deutsche Außenminister noch »Nie wieder Auschwitz!« bemühen, um die Bundesrepublik vor »bürgerkriegs­ähnlichen Zuständen« (FAZ) zu bewahren. Die »uneingeschränkte Solidarität« mit den USA nach dem 11. September 2001 wurde ergänzt durch eine eingeschränkte Solidarität mit dem bombardierten und besetzten Afghanistan, wo zur »Landesverteidigung am Hindukusch« von der Bundeswehr vor allem Brunnen gebohrt und Mädchenschulen gebaut wurden. Es gab nur »humanitäre Interventionen« und zwar eine nach der anderen. Im deutschen Fernsehen ist bei JauchLanzWillIllner etc. nun zu hören, es habe 60 Jahre Frieden geherrscht.

Der Feldzug Bushs gegen Bagdad 2003 war allerdings weniger gut begründet, an der massiven logistischen Unterstützung durch Berlin einschließlich Bombenleitstelle des BND in Bagdad änderte das nichts.

Der Begründungsfirlefanz dieser Kriege des vergangenen Jahrzehnts hat sich erledigt. Heute erklärt der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende im Bundestag Andreas Schockenhoff im Deutschlandfunk schlicht, es gehe um Stabilität, und »zur Stabilität gehören natürlich ökonomische Interessen, und daß gerade wir Deutschen, die wie kein anderes Land volkswirtschaftlich vom Export leben, ein wirtschaftliches Interesse an Stabilität haben.« Zum Beispiel in Afrika, wo Frankreich die teure Stabilitätsinfrastruktur zum Wohl seiner Uran-, Gold-, Öl- und anderen Konzerne in Gestalt einer Kette von Militärbasen zwischen Dschibuti an der Ost- und Dakar an der Westküste des Kontinents bereits vorhält. Da muß die Bundesrepublik, die so sehr vom Export lebt, einfach aus Dankbarkeit für sichere Handelswege mit einsteigen.

»Neue Macht, neue Verantwortung« hieß ein Strategiepapier zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik vom September 2013. Tenor: Weil die USA schwächeln, müssen »wir« Führung übernehmen. Und zwar weltweit. Ein wieder aufgestiegener Imperialismus hat es nicht nötig, Expansion und Krieg mit Propagandaschleifen zu garnieren.

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 21. Januar 2014 (Kommentar)


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