Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Gauck drängt erneut zu globalen Militäreinsätzen

Bundespräsident: Deutschland steht "an der Seite der Unterdrückten" *

Der Bundespräsident hat auf eine aktivere militärische Rolle Deutschlands gedrängt. Während seiner Norwegen-Reise erklärte Joachim Gauck im »Deutschlandfunk«, er habe Verständnis für die früher begründete »Zurückhaltung der Deutschen, international sich entsprechend der Größe oder der wirtschaftlichen Bedeutung Deutschlands einzulassen«. Heute sei das Land eine solide und verlässliche Demokratie und ein Rechtsstaat. Deutschland stehe »an der Seite der Unterdrückten. Es kämpft für Menschenrechte. Und in diesem Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen ist es manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen.«

So wie wir eine Polizei hätten und nicht nur Richter und Lehrer, so bräuchte man international Kräfte, die Verbrecher oder Despoten, die gegen ihr eigenes Volk oder gegen ein anderes mörderisch vorgehen, zu stoppen. Da sei »als letztes Mittel« gemeinsam mit anderen eine Abwehr von Aggression erforderlich. Der Einsatz militärischer Mittel wäre daher »nicht von vorn herein zu verwerfen«.

Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Bundestags-Linksfraktion, warnte vor einem »Weltpolizisten Deutschland«. Vor dem Hintergrund der Geschichte lehne eine klaren Mehrheit der Bevölkerung das ab. Gauck hatte bereits im Frühjahr auf der Münchner Sicherheitskonferenz für Militäreinsätze im NATO und EU-Rahmen geworben.

Mit der Bundeswehrreform werden derzeit weitere Voraussetzungen geschaffen, um der Forderungen nach verstärkten Auslandseinsätzen gerecht zu werden. So wurde vergangene Woche eine luftverlegbare Division Schnelle Kräfte in Dienst gestellt. hei

* Aus: neues deutschland, Montag, 16. Juni 2014

IPPNW verlangt politischen Paradigmenwechsel: Konfliktbearbeitung und Kooperation statt Konfrontation

Bundespräsident Gauck fordert deutsches militärisches Engagement

Die Forderung des Bundespräsidenten nach einer größeren Bereitschaft Deutschlands zu Militäreinsätzen weist in die falsche Richtung, kritisiert die ärztliche Friedensorganisation IPPNW. Stattdessen sei ein politischer Paradigmenwechsel notwendig hin zu ziviler Konfliktbearbeitung. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk vom Wochenende hatte Gauck militärische Interventionen damit gerechtfertigt, dass Deutschland an der Seite der Unterdrückten stehen und für Menschenrechte kämpfen müsse.

Susanne Grabenhorst, Vorsitzende der IPPNW, erklärt: „Wir wissen, dass das Ziel die Mittel bestimmen muss: Wer Frieden erreichen will, der muss dementsprechend auch friedliche Mittel einsetzen. Sogenannte humanitäre Interventionen sind angesichts der vielen aktuellen Krisenlagen völlig unglaubwürdig. Auch in der deutschen Politik werden die vielen aktuellen Krisenlagen durch die Brille von Ressourcen, Transportwegen und global-strategischen Interessen betrachtet. In Wahrheit hat sich doch immer wieder gezeigt, dass Kriege für die nachhaltige Durchsetzung von Demokratie und Frieden absolut ungeeignet sind. Auch der `War on Terror´ hat nichts erreicht, als das Ausmaß des Terrors in der Welt zu vergrößern."

Grabenhorst verweist zudem darauf, dass der Rekorde brechende Waffenexport Deutschlands begleitet wird von der immer öfter beworbenen Strategie einer ausgeweiteten militärischen Rolle Deutschlands in der Welt. Sie kritisiert Gaucks Argumentation: „Wenn ich im Zusammenhang mit Militär von Menschenrechten höre und von Deutschland an der Seite der Unterdrückten, kommt mir der seit Jahren heftig umstrittene und immer noch nicht abgelehnte Panzerexport nach Saudi-Arabien in den Sinn. Dabei geht es um 270 Spezial-Kampfpanzer Leopard-2 A7+ zur Aufstandsbekämpfung.“

Grabenhorst verweist auf die prekäre Lage in Saudi Arabien: „Saudi Arabien ist ein autoritär regiertes Land, in dem die Menschenrechtslage hochproblematisch ist. Ein Land, dass sich im Frühjahr 2011 mit Panzern und Soldaten an der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten in Bahrain beteiligt hat. Moral predigen und zugleich Geschäfte machen, die gegen diese Moral verstoßen – dieser Widerspruch ist eklatant.“

Die IPPNW engagiert sich im Rahmen der bundesweiten „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ gegen alle Waffenexporte, besonders von Kleinwaffen, deren weiterer Verbleib besonders schwer zu kontrollieren ist. Am 24. Juni 2014 beteiligt sich die IPPNW an Aktionen gegen die 2. Strategie-Konferenz des Bundesverbandes der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) in Berlin-Mitte.




Die Treue und die deutschen Fallschirmjäger

Immer wieder Ärger mit den Traditionen – auch in der Division Schnelle Kräfte **

Noch immer und immer wieder tut sich die Bundeswehr schwer, sich von Traditionen zu trennen, die aus der Wehrmacht und dem Nazi-Reich rühren. Heeresinspekteur Bruno Kasdorf sah sich nun veranlasst, folgende Weisung bekannt zu geben: »Im Verantwortungsbereich der Division Schnelle Kräfte wird der Wahlspruch ›Treue um Treue‹ zur Ehrung für die gefallenen Bundeswehrsoldaten vom ›Karfreitagsgefecht‹ des 02. April 2010 (in Afghanistan, d.R.) innerhalb von Liegenschaften der Bundeswehr genutzt. Darüber hinaus findet der Wahlspruch u.a. in Dienstgebäuden oder auch auf diversen Trinkbechern in Form einer Gravur Verwendung.

In Anlehnung an die Weisung FüSK II 4 und als Ergebnis der durch den InspH beauftragten Untersuchung des Wahlspruches durch bundeswehreigene und externe Institutionen wird festgestellt, dass der Ausdruck nicht geeignet ist, Traditionen der Bundeswehr zu pflegen und in diesem Zusammenhang Treuepflicht zu symbolisieren.

In heutiger Wahrnehmung und in der Geschichte deutscher Streitkräfte ist der Wahlspruch im Wesentlichen durch die Verwendung als Motto der Fallschirmjägertruppe der Wehrmacht geprägt worden und mit dieser verbunden. Es ist davon auszugehen, dass seine Verwendung in der Bundeswehr und insbesondere bei den Fallschirmjägern in der öffentlichen Wahrnehmung auch als Bekenntnis zu einer Traditionslinie Wehrmacht – Bundeswehr aufgefasst wird. Mit Entscheidung InspH vom 06. Mai 2014 wird die Nutzung des Wahlspruches ›Treue um Treue‹ für das Deutsche Heer im dienstlichen Umfeld in jeglicher Form verboten.« hei

** Aus: neues deutschland, Montag, 16. Juni 2014


Zwei "ohne" bei den harten Kerlen

Wie "Hausfrauen für Verteidigung" den Westen fit machen für neue weltweite Militäreinsätze

Von René Heilig ***


»Guten Tag, heiß heute ...« Welch blöde Art, sich anzuschleichen! Doch es ist nicht einfach, mit jemanden ins Gespräch zu kommen, von dem man gerade einmal die Nasenspitze und wenige Quadratzentimeter Stirn sieht. Das Gegenüber strafft sich: »Wir halten's aus«. Schweigen. Tolles Interview! Der Reporter versucht durch virtuelles Abtasten zu recherchieren: Sonnenbrille über der Kampfbrille, Helm mit Kamera, G36-Sturmgewehr, diverse Magazine, Pistole, Kampfweste, Funkgerät. Deutschland-Fähnchen am Ärmel, ohne Dienstgradabzeichen, an der Brust kein Namensschild. »Sie sind sicher vom Kommando Spezialkräfte?« Wieder strafft sich das Fleckentarn-Gegenüber: »So ähnlich.« Schweigen. Die Worte klingen nicht unfreundlich. Also, letzter Anlauf mit Blick auf die Montur: »Was wiegt das alles in allem? »Zwanzig Kilo, wenn wir die Akkus mitschleppen müssen, noch mehr.«

Na gut, mag er alleine weiterschwitzen, hier im Herrenwaldstadion von Stadtallendorf. Die Bundeswehr, genauer die Division Schnelle Kräfte, deren Stab vor den Toren der Stadt Quartier nimmt, hat eingeladen zum großen Tamtam. Die aus anderen Eliteverbänden im Rahmen der Bundeswehr neu aufgestellte Truppe stellt verschiedene Hubschrauber und Wieselpanzerchen aus, zeigt Nahkampfübungen und lässt mehrmals am Tag Fallschirmjäger vom Himmel fallen.

Beifall. Die Gäste sind handverlesen: der Bürgermeister, Stadtverordnete, der Landrat wird ebenso begrüßt wie Abgeordnete aus dem Bundestag. Reservisten stolzieren herum: »Herr Doktor, wie schön ...« »Hallo, Herr Kamerad, noch bei den Panzern? Hö, hö, die werden ja abgeschafft ...«

Herr, gib' nicht auch noch Pickelhauben aus! Manche in gutem Zwirn sehen wahrlich aus, als wären sie Urenkel von Diederich Heßling und aus Heinrichs Manns »Untertan« entsprungen. Manche führten eine frisch frisierte Gattin am Arm und/oder – wie putzig – etwas kleines Wolliges an der Leine. Das dann mit Gekläff die Sprengstoffhunde der reichlich aufgebotenen Polizei provoziert.

Fleißige Damen der Garnisonstadt haben Kuchen gebacken: »Möchten sie lieber Apfel oder Aprikose?« Daneben werden Bratwürste auf dem Grill gebräunt. Die Sportplatzkantine übt schon mal den dezentralen Bierverkauf. Schließlich treffen sich die Fußballfans der Region demnächst zum Public Viewing bei jedem Deutschlandspiel.

Es gibt mehrere Gründe für das Spektakel auf und rings um den Fußballrasen. Erstens wollte man kundtun, dass die Umgliederung der Division Spezielle Operationen (DSO) zur Division Schnelle Kräfte (DSK) abgeschlossen ist. DSK, das Kürzel trägt die Truppe schon seit dem 1. Januar, doch erst jetzt ist die volle Einsatzbereitschaft erreicht.

Der Großverband ist die Elite der Bundeswehr. Mehr und moderner geht es nicht. »Es kam zusammen, was organisch zusammengehört«, betont der bisherige Kommandeur, Generalmajor Jörg Vollmer. Alle aus der Luft kämpfenden Verbände des Heeres sind zusammengeführt. Die Truppe, die nun von Brigadegeneral Eberhard Zorn geführt wird, ist in der Lage, gleichzeitig zwei räumlich voneinander unabhängige Operationen durchzuführen. Egal, an welchem Ort der Welt. Der Großverband von insgesamt 9500 deutschen Soldaten besteht aus diversen Luftlandetruppen, Kampf- und Transporthubschraubereinheiten, ihm untersteht das Kommando Spezialkräfte in Calw ebenso wie andere Spezialeinheiten. Die Soldaten sind kriegserfahren – besonders durch Einsätze in Afghanistan.

Das allein schon ist beachtlich. Doch seit dem Appell in Stadtallendorf hat die Divisionsführung zusätzlich 2100 Soldaten unterstellt bekommen. Deren Abordnung zog nicht – wie die deutschen Soldaten hinterm Schellenbaum und zum Preußischen Präsentiermarsch – ins Stadionoval ein, sondern sie folgte Dudelsackklängen.

Gemäß einem zuvor zwischen der Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und ihrer niederländischen Amtskollegin Jeanine Hennis-Plasschaert geschlossen Vertrag, ist die 11. Luchtmobielen Brigade der Niederlande nunmehr voll integriert in die deutsche Division Schnelle Kräfte. Das sei, so sagt von der Leyen in Stadtallendorf, »ein sehr starkes Zeichen für die Tiefe der Kooperation beider Länder«.

Nur die USA und Großbritannien haben militärische Verbände vergleichbarer Struktur. Und die Bundeswehr hat viel gelernt in Afghanistan, wo sie ohne US-Hubschrauberassistenz bei manchem Talibanangriff den Schwanz hätte einziehen müssen.

Die deutsche Ministerin absolviert ihr Programm konzentriert wie immer. Sie tritt auf wie die Chefin eines bedeutenden Konzerns, kümmert sich um die Arbeits- und Lebensbedingungen ihrer Mitarbeiter und vermeidet es, sich in die Nähe der »Produktionsinstrumente« ihrer Firma zu begeben. Durchaus möglich, dass sie Waffen eigentlich nicht ausstehen kann. Gerade deshalb – nur kein Fehltritt! Die Wegesränder sind voller Minen. Die Kanzlerin hat die mögliche Rivalin sehr genau im Blick. Und natürlich spürt von der Leyen die Arroganz, mit der ihr alte und neue Barras-Machos begegnen. Jüngst versuchte Ex-Generalinspekteur Harald Kujat, die blonde Ministerin, die besser ausgestattete Soldatenstuben verlangt, Kasernen-Kitas eröffnet und der zu geldgierigen Rüstungsindustrie die Stirn bieten will, zu einer »guten Hausfrau« zu degradieren, die nur »ihre Kinder versorgt«, aber von Militär keine Ahnung habe.

Hennis-Plasschaert von den niederländischen Rechtsliberalen tritt deutlich unbekümmerter auf als ihre deutsche Kollegin. General links, Oberst rechts, sie lacht, schäkert – um dann vor der angetretenen binationalen Truppe zu betonen, ihre nun den Deutschen unterstellten Soldaten seien »für ihre Aufgaben sehr gut ausgebildet, ausgerüstet und hoch motiviert.« Aber das wüssten die DSK-Kollegen ja, schließlich seien Einheiten beider Staaten schon gemeinsam in manch fremden Land unterwegs gewesen. Sie sprach von Bosnien, nannte Kosovo und Mazedonien, betonte den Schulterschluss in Afghanistan und in der Türkei, verwies auf aktuelle Operationen auf dem afrikanischen Kontinent.

Auch Hennis-Plasschaert versuchte man zu Beginn ihrer politischen Karriere im EU-Parlament als »Blondchen« zu behandeln. Doch spätestens, seit sie dafür sorgte, dass das sogenannte SWIFT-Abkommen – bei dem die USA angeblich zur Terrorabwehr zusätzliche Daten über den Zahlungsverkehr in Europa abgreifen wollen – vom Europaparlament gestoppt wurde, weiß man, dass die 41-Jährige auch erfolgreich angreifen kann. Ihre Anschauungen sind jenen von der Leyens recht ähnlich. Hennis-Plasschaert sagt, es mache keinen Unterschied, »ob man ein Pimmelchen hat oder nicht«. Als Minister muss man nicht Experte sein. Sonst könnten den Job ja die Generale selbst erledigen.

Schnelle, schlagkräftige Operationen in der gegnerischen Tiefe, Kampf gegen – wie es heißt – irreguläre Kräfte, Erkundungskommandos zur Vorbereitung neuer Auslandseinsätze, Geiselbefreiungen, Evakuierungsoperationen, Such- und Rettungsdienst – das ist die in Stadtallendorf vorgestellte militärische Antwort der beiden NATO-Staaten auf internationale Krisen aller Art. Na dann: Glück ab! – wie es bei den Fallschirmjägern heißt.

Doch mit dem binationalen Appell in der hessischen Provinz sollte womöglich mehr erreicht werden. Derzeit wird viel und hinter verschlossenen Türen auch kontrovers über die zukünftige Ausrichtung der NATO debattiert. Die sogenannte Ukraine-Krise, also Russland, zwinge dazu. Nach anfänglichem Zögern hat sich der US-Friedensnobelpreisträger-Präsident Barack Obama vehement eingemischt. Er ordnete eine neue Art von Vorwärtsverteidigung an, gab damit NATO-Mitgliedern wie Polen Gelegenheit, die ständige Stationierung von Kampftruppen entlang der östlichen Bündnisgrenzen zu fordern. Zugleich soll vor allem Deutschland mehr Geld ausgeben für Rüstung und Soldaten, damit die neue drohende Eiszeit zwischen Ost- und Westeuropa auch wirklich nachhaltig wird.

Demgegenüber hat von der Leyen mehrfach betont, dass Deutschland die Verlegung von Kampftruppen nicht mittragen will und dass es nicht darauf ankommt, mehr Geld fürs Militär auszugeben. Man müsse das Vorhandene effektiver nutzen und das Bündnis besser organisieren. Die Division Schnelle Kräfte kann dabei eine Art Vorbild sein. Und dennoch ist sie auf dem falschen Weg.

Von alledem ist an diesem heißen Tag in Stadtallendorf freilich nicht die Rede. In einem Fußballstadion spricht es sich auch besser über, die gerade begonnene Weltmeisterschaft. Sogar auf Ministerebene. Wäre doch schön, wenn sich die Niederlande und Deutschland im Endspiel begegnen, meint von der Leyen unverhofft. Denn das könnte doch »zur Teambildung beitragen ...«

Das folgende Lächeln männlicher Uniformierter beider Länder kann nur als sehr gequält beschrieben werden.

*** Aus: neues deutschland, Montag, 16. Juni 2014


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