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Bundeswehr mimt Köpenickiade

Aufmarsch mit echten Soldaten vor dem Rathaus von Protesten begleitet

Von Robert D. Meyer *

Die Bundeswehr nutzte am gestrigen Dienstag die besonders bei Touristen beliebte »Köpenickiade«, um neue Rekruten zu werben. Doch die Marketingaktion blieb nicht ohne Widerstand.

Friedrich Wilhelm Voigt ist in Treptow-Köpenick allgegenwärtig – der arbeitslose Schuster machte den Bezirk weit über die Berliner Stadtgrenzen hinaus bekannt, als er 1906 als Hauptmann verkleidet erst die Köpenicker täuschte und dann mit einer Truppe Soldaten das Rathaus eroberte, den Bürgermeister verhaften ließ und schließlich die Stadtkasse plünderte. Eine Geschichte über das blinde Obrigkeitsdenken, die bis heute jedes Köpenicker Kind in der Schule lernt.

Hanna Wichmann von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) kennt die Geschichte des Hauptmanns von Köpenick. Mit einem Augenzwinkern hat sie schon oft beobachtet, wie der Bezirk das Gedenken an die »Köpenickiade« – wie der Coup genannt wird – seit Jahren durch ein zwei Mal die Woche stattfindendes Straßentheater vor dem Rathaus in Erinnerung hält. Laienschauspieler stellen dabei die Schlüsselszene der Geschichte nach, ein etwas skurril wirkender Auftritt in alten preußischen Uniformen, an den sich die Köpenicker aber längst gewöhnt haben. »Wir lachen darüber. Das Theater ist eher zur Unterhaltung der Touristen gedacht«, sagt Wichmann. Obwohl sie diese Tradition befremdlich findet, hat sie sich mit dem Schauspiel arrangiert.

An diesem Dienstag ist jedoch alles anders in Köpenick. Statt Laiendarsteller marschieren Profis zur »symbolischen Besetzung des Rathauses« auf: das Berliner Wachbataillon der Bundeswehr. Die Aktion ist Teil einer Kampagne, um neue Rekruten zu gewinnen, wie ein Bundeswehrsprecher sagt. Doch die Gardesoldaten werden von nur wenigen Köpenickern freundlich empfangen. Statt dem Wachbataillon beim Exerzieren zuzujubeln, haben sich etwa 60 Gegendemonstranten vor dem Rathaus versammelt. Aufgrund des Menschenauflaufs steht die unmittelbar vor dem Rathaus fahrende Straßenbahn fast eine Stunde lang still.

Soldaten und Zuschauer warten auf Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD), der von Hauptmann Wencke Sarrach aus dem Rathaus geholt wird und ein Geschenk überreicht bekommt. Wie ein Bundeswehrsprecher erklärt, sei der ungewöhnliche Ort für die Aktion die Idee des 30-jährigen weiblichen Hauptmanns gewesen, der eineinhalb Jahr beim Berliner Wachbataillon stationiert war und bei einem Spaziergang durch Köpenick auf die Idee gekommen sei.

Philipp Wohlfeil, Fraktionschef der LINKEN in der Bezirksverordnetenversammlung Treptow-Köpenick, zweifelt daran, ob die Werbemaßnahme tatsächlich allein die Idee der Frau Hauptmann gewesen ist. Gemeinsam mit Mitgliedern der LINKEN, des Jugendverbandes und der VVN-BdA versuchen die Gegendemonstranten die Show der Bundeswehr mit Sprechchören und Pfiffen zu übertönen. »Der wahre Hauptmann von Köpenick würde mit Sicherheit im Grab rotieren«, sagt Wohlfeil. Seine Kritik richtet sich jedoch nicht nur gegen die Bundeswehr, sondern auch gegen Bezirksbürgermeister Igel. Wohlfeil wundert sich, weshalb sich der Bezirk auf »diese Propagandaveranstaltung« eingelassen hat.

Die meisten Zuschauer sehen das ähnlich, so auch Rosemarie Heyer. »Ich habe das Gefühl, die Bundeswehr versucht, die Geschichte des Hauptmanns für ihre Zwecke umzudeuten«, so die Lichtenbergerin. Der historische Friedrich Voigt sei keinesfalls ein Anhänger des Militärs gewesen, sondern habe die Uniform nur übergestreift, um einerseits den Bürgermeister zu überlisten und sich andererseits über die Hörigkeit der Bevölkerung gegenüber Staat und Militär lustig zu machen. Diese Kritik teilt auch der Abgeordnete und Köpenicker Karsten Schatz (LINKE). »Ich finde die Bundeswehr hat im öffentlichen Raum nichts zu suchen«, erklärt Schatz.

Durch die Sprechchöre der Gegendemonstranten sind die militärischen Kommandos kaum zu hören. Der Bundeswehr scheint der bereits im Vorfeld angekündigte Protest gegen ihren öffentlichen Auftritt so unangenehm zu sein, dass man sogar auf einen zunächst geplanten Werbestand gleich ganz verzichtet. Die Polizei sorgt dafür, dass die Soldaten ihre Show ungehindert durchführen können. Neue Freiwillige dürfte die Bundeswehr durch die Aktion allerdings nicht gewonnen haben.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 13. August 2014


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