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Entscheidungsdruck bei der Bundeswehr - Die Herausforderungen für die Verteidigungsministerin

Ein Beitrag von Otfried Nassauer in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Mit der Bundeswehr hatte Ursula von der Leyen in ihrer politischen Laufbahn bisher nicht viel zu tun gehabt. Das hat sich im vergangenen Monat geändert. Sie ist jetzt Verteidigungsministerin und muss sich schnell einarbeiten – quasi einen Crash-Kurs in Sachen Bundeswehr absolvieren. Das ist auch dringend notwendig. Denn bei den Streitkräften gibt es viele Probleme und einen großen Handlungsbedarf. Allerdings ist das Ministerium nicht ganz einfach zu führen wie sich immer wieder gezeigt hat. Otfried Nassauer:


Manuskript Otfried Nassauer

Im Verteidigungsministerium ist Ursula von der Leyen die vierte Ministerin binnen fünf Jahren. Kontinuität sieht anders aus. Die häufigen Wechsel signalisieren, dass das Verteidigungsministerium ein großes, schwieriges Ministerium ist – mit vielen, seit langem ungelösten Problemen, in dem schon so mancher Minister gescheitert ist. Wird die CDU-Politikerin, für die die Bundeswehr politisches Neuland ist, dort klar kommen, fragten sogleich besorgte Insider.

Schon diese Frage belegt, wie schwierig das Ressort zu führen ist. Es ist ein Umfeld, in dem solche Fragen schnell aufkommen - ein Ministerium, das sich für jeden Minister schnell zur Fallgrube entwickeln kann. Allein schon, weil es dort keine Kultur des Zugebens von Fehlern gibt.

Ursula von der Leyen weiß, wie man Ministerien führt. Sie bringt zehn Jahre Erfahrung mit. Als Tochter des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht dürfte sie auch genug über politische Ränke- und Machtspiele wissen, um in einem Haifischbecken zu überleben. Sie ist zudem zielstrebig und sicher auch strategisch ambitioniert.

Dass sie entscheidungsfreudig ist und Risiken nicht scheut, haben ihre harten Personalentscheidungen der ersten Tage gezeigt: Aus der alten Leitung des Ministeriums bleiben nur zwei Personen: Der umstrittene beamtete Staatssekretär Stephane Beemelmanns und der eher öffentlichkeitsscheue und nicht besonders agile Generalinspekteur Volker Wieker. Die Parlamentarischen Staatssekretäre wurden ebenso abgelöst wie der beamtete Staatssekretär Rüdiger Wolf, einer der wichtigsten Träger institutionellen Wissens im Ministerium. Er musste einem Vertrauten der neuen Ministerin Platz machen. Ist das nicht zu viel des Risikos und zu wenig an verbleibender fachlicher Kompetenz?

Die Diskussion darüber konnte nicht einmal aufkommen, da folgte bereits ein strategischer Themenwechsel: Von den harten Personalentscheidungen zur fürsorglichen, menschlichen Seite. Die Vorweihnachtszeit und ein schneller Besuch bei den deutschen Soldaten in Afghanistan boten dafür ein perfektes Umfeld. Im Feldlager Masar-i-Scharif traf die Ministerin den richtigen Ton:

O-Ton Ursula von der Leyen
„Mir ist wichtig, mit diesem Besuch zu zeigen: Das hier sind Soldatinnen und Soldaten, die sind für uns da. Mir ist wichtig zu zeigen: Ich bin für die Soldatinnen und Soldaten da. Da können Sie sich auf mich verlassen.“

Das klang wie „Mutter der Kompanie“, aber mehr noch nach Fürsorge der Dienstherrin und jener Anerkennung, die in der Bundeswehr so viele seit Peter Strucks Zeiten vermissen. Noch einmal von der Leyen :

O-Ton von der Leyen
„Ich möchte Ihnen von ganzem Herzen sagen, dass ich einen hohen Respekt vor Ihrer Aufgabe, vor Ihrer Leistung habe, dass ich tief beeindruckt bin, von dem, was ich heute gehört habe, in vielen verschiedenen Gesprächen, in sehr fundierten Briefings, was Sie geleistet haben, wieviel Sie mit auf den Weg gebracht haben. Ich bin von ganzem Herzen dankbar, Ihre Verteidigungsministerin sein zu dürfen.“

Da ist sie - jene Anerkennung, die ihrem Vorgänger, Thomas de Maizière so schwer über die Lippen kam. Von der Leyen will sie offenbar mit anderen Themen kombinieren, die in der Bundeswehr oft als Defizit bemängelt werden: Sie will die Attraktivität des Dienstes und das Ansehen der Bundeswehr insgesamt verbessern. Die Ministerin im ARD-Morgenmagazin:

O-Ton Ursula von der Leyen
„Die Bundeswehr ist eine Freiwilligenarmee, das heißt, sie konkurriert mit vielen anderen zivilen Unternehmen, muss ein attraktiver Arbeitgeber sein und da kommen die ganzen Themen rein: Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wie ist die Ausrüstung? Wie sind die Perspektiven, die die Menschen dort haben? Wie sieht es aus für die Soldatinnen und Soldaten mit ihren Familien? Was kann man als attraktiver Arbeitgeber da auch bieten? Das sind alles Themen, die sind neu für die Bundeswehr.“

Neu sind sie zwar nicht, aber in vielen Teilaspekten ungelöst. Und deshalb sind es Themen, die sowohl den Bundeswehrverband als auch den Wehrbeauftragten des Bundestages hoffen lassen, dass die ehemalige Familien- und Arbeitsministerin hier einen Schwerpunkt setzt.

Die Zeit drängt. Denn in diesen Wochen stehen in rascher Folge heikle Entscheidungen an, bei denen der gute Start der Ministerin schnell von den Tücken des Alltags überlagert werden könnte: Der Haushalt für 2014 muss dem Bundestag vorgelegt werden. Lassen sich darin bereits Signale für die neuen Schwerpunkte der CDU-Politikerin finden? Die Verlängerung problematischer Auslandseinsätze steht an. Über einen Euro Hawk-Nachfolger muss entschieden werden und über die Tragfähigkeit der umstrittenen Beschaffung eines neuen Marinehubschraubers. Auch die Entscheidung über die milliardenschwere Beschaffung weiterer 37 Kampfflugzeuge vom Typ Eurofighter steht bald an. Vor allem muss eine wirksame Reform und Kontrolle des Beschaffungswesens der Bundeswehr eingeleitet werden. Das alles verlangt Sachkenntnis, die Ursula von der Leyen derzeit noch nicht haben kann. Das gibt sie auch freimütig zu und will sich schnell sachkundig machen. Mit Rat und Tat unterstützen wird sie dabei ein alter Bekannter: Der Präsident der Bundesagentur für Arbeit und Oberst der Reserve, Frank Jürgen Weise. Er leitete unter Minister zu Guttenberg die Strukturkommission der Bundeswehr.

Letztlich wird von der Leyen daran gemessen werden, ob sie den Worten auch Taten folgen lassen kann. Dafür wäre erheblich mehr Geld nötig oder aber ein erneuter Eingriff in die Bundeswehrstruktur, der deutlich über ein Nachjustieren einzelner Entscheidungen hinausginge. Denn die Liste kostenträchtiger Defizite bei der Bundeswehr lässt sich ja ohne weiteres noch verlängern: Jahrelang wurde zur Finanzierung der Auslandeinsätze die Modernisierung von Kasernen im Inland verschleppt. Während die Ausrüstung im Einsatz inzwischen relativ modern ist, lässt die Ausstattung für den Alltag im Inland vielfach zu wünschen übrig.

Die entscheidende Frage lautet daher, ob Ursula von der Leyen genug zusätzliches Geld zur Verfügung steht – durch Umschichtungen im Verteidigungshaushalt oder durch zusätzliche Mittel von Finanzminister Schäuble. Und es geht um jene Frage, die Hellmut Königshaus im vergangenen Monat aufgeworfen hat. Im Deutschlandfunk sagte der Wehrbeauftragte:

O-Ton Hellmut Königshaus
„Ich glaube nicht, dass – ich sage das ganz offen – die verteidigungspolitischen Richtlinien und die dort festgelegten Ziele mit der derzeit festgelegten Personalstruktur 1:1 umzusetzen sind. Ich denke, da muss man noch mal drüber nachdenken, ob wir entweder unsere Ambitionen reduzieren oder ob wir eben dann doch noch mal bei der Personalstruktur, bei der Ausstattungsstruktur noch mal etwas verändern.“

Ambitionen reduzieren - Königshaus benennt den Knackpunkt: Um in der Praxis militärisch zu können, was die Bundeswehr bislang auf dem Papier alles können soll, braucht sie mehr Personal und teilweise eine andere Ausstattung. Oder eben mehr Geld. Soll sie dagegen mit dem verfügbaren Personal und mit den vorhandenen Mitteln auskommen, so müssten die militärischen Ansprüche gesenkt werden. Das Mantra „Breite vor Tiefe“ bei den militärischen Fähigkeiten, müsste in Frage gestellt werden. Die Bundeswehr würde dann nicht mehr alles ein „bisschen“ können. Es müsste entschieden werden, auf welche militärischen Fähigkeiten die Bundeswehr verzichten soll. Diese Frage führt also unausweichlich zu einer weiteren: Wird es möglicherweise doch eine Reform der Bundeswehrreform geben?

Ursula von der Leyen ahnt wohl, was ihr bevorsteht:

O-Ton von der Leyen
„Ich habe einen Mordsrespekt vor der Aufgabe (...) Aber ich habe ‚Ja‘ gesagt, ich will das machen. Und das ist immer mit einer gewaltigen Herausforderung, sicher auch mit Risiken, aber auch mit gewaltigen Chancen verbunden.“

Wer so denkt, kann sich nur zwei Szenarien vorstellen: Entweder von der Leyen wird als starke Ministerin in die Geschichte des Verteidigungsministeriums eingehen oder sie scheitert grandios. Eine unauffällige Amtsführung, ein Dasein als graue Maus im Kabinett, kommt für die erste deutsche Verteidigungsministerin jedenfalls nicht infrage.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 11. Januar 2014; www.ndr.de/info

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