Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Herausforderung Bundeswehr - Ursula von der Leyen fast 100 Tage im Amt

Ein Beitrag von Andreas Dawidzinski in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
In der kommenden Woche ist Ursula von der Leyen 100 Tage im Amt. Ihre Ernennung zur Verteidigungsministerin war eine große Überraschung und für Deutschland eine Premiere. Eine Zwischenbilanz zieht Andreas Dawidzinski:


Manuskript Andreas Dawidzinski

Thomas de Maizière war sichtlich enttäuscht. Er war davon ausgegangen, dass er als Verteidigungsminister im Amt bleiben würde. Er hatte für die CDU die entsprechende Arbeitsgruppe geleitet, wollte die komplexe und schwierige Bundeswehrreform zu Ende führen. Doch die Bundeskanzlerin machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Sie machte Ursula von der Leyen zur Verteidigungsministerin - obwohl die ehemalige Familien- und Arbeitsministerin in ihrer bisherigen politischen Laufbahn mit der Bundeswehr nichts zu tun hatte. Die 55-Jährige betrat Neuland, was sie auch offen bekannte, wodurch sie gleichzeitig Pluspunkte machte. Die siebenfache Mutter stürzte sich dann auch sofort in die Arbeit, büffelte nicht nur Dienstgrade:

O-Ton von der Leyen
„Meine Grunderfahrung ist, man muss am Anfang sehr viel Grundsätzliches lesen, aber man sollte nicht glauben, dass nach den ersten Wochen Lesen die Lernphase abgeschlossen ist. Im Gegenteil. Das Lernen hört eigentlich nie auf. Und da ist eine Mischung [notwendig]: Einerseits immer wieder fleißig lesen, aber auch ganz viel draußen vor Ort sein, und die Leute hören. Da lernt man am meisten.“

Und Ursula von der Leyen war dann auch von Beginn an viel vor Ort. Erstmals steht eine Frau an der Spitze der Bundeswehr, als Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt, im Militärjargon kurz IBUK genannt. Damit ist von der Leyen eine große öffentliche Aufmerksamkeit gewiss. Und die medienerfahrene Politikerin wusste dies bestens zu Nutzen. Noch vor Weihnachten ein Abstecher zu den Soldaten in Afghanistan – mit mehr als 40 Journalisten im Tross. Erinnerungen an die Selbstinszenierungen ihres Vorvorgängers Karl Theodor zu Guttenberg wurden wach.

O-Ton von der Leyen
„Ich bin jetzt die IBUK. Das ist noch etwas gewöhnungsbedürftig - für mich und für Sie glaube ich auch. Aber ich kann Ihnen sagen, ich bin sehr, sehr gerne und ganz bewusst, sofort zu Ihnen hier her nach Afghanistan gekommen... Ich möchte Ihnen von ganzem Herzen sagen, dass ich einen hohen Respekt vor Ihrer Aufgabe, vor Ihrer Leistung habe, dass ich tief beeindruckt bin, von dem, was ich heute gehört habe in vielen verschiedenen Gesprächen, in sehr fundierten Briefings, was Sie geleistet haben, wie viel Sie mit auf den Weg gebracht haben. Ich bin von ganzem Herzen stolz und dankbar, Ihre Verteidigungsministerin sein zu dürfen.“

Aufbauende und schmeichelnde Worte für eine Truppe, die schon lange frustriert und demotiviert ist. Unter Thomas de Maizière hatte die Stimmung bei den Soldaten einen Tiefpunkt erreicht. In erster Linie aufgrund der Bundeswehr-Reform. Umfragen haben gezeigt, dass mehr als 70 % der Führungskräfte den eigenen Kindern nicht empfehlen würde, zur Bundeswehr zu gehen. Katastrophale Werte, die in krassem Widerspruch stehen zu den offiziellen schöngefärbten Aussagen von Bundeswehr-Offiziellen. Die Soldaten fühlen sich beim Umbau der Streitkräfte nicht mitgenommen. Für sie ist die CDU-Politikerin jetzt die neue Hoffnungsträgerin.

Mit ihrer öffentlichkeitswirksamen Forderung, die Bundeswehr müsse attraktiver werden, konnte Ursula von der Leyen in der Truppe schnell punkten. Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit hat sie die Vereinbarkeit von Familien und Dienst zum Thema gemacht. Mehr Kitas, Teilzeit für Soldaten, Tele-Arbeitsplätze - die Boulevard-Presse sprach von einer Revolution. Dabei sind diese Forderungen alte Hüte - es gibt seit rund sieben Jahren entsprechende Erlasse und Handbücher. Das Problem: Die Forderungen wurden überhaupt nicht oder nur teilweise umgesetzt. Die Kommunikations-Expertin von der Leyen vermittelte allerdings den Eindruck, jetzt gebe es einen Neuanfang. Insbesondere den Soldaten-Familien, die sich vom Arbeitgeber Bundeswehr oft im Stich gelassen fühlen, machte sie große Hoffnungen z.B. in Hannover bei der Verabschiedung von Soldaten in Auslandseinsätze:

O-Ton von der Leyen
„Ich weiß, dass es manchmal richtig eng werden kann, insbesondere wenn man mit kleinen Kindern über Wochen alleine zu Hause ist und es alleine schaffen muss. Deshalb ist meine klare Botschaft: Bitte zögern Sie nicht, sich an die Bundeswehr zu wenden, und damit auch an mich, wenn Sie Hilfe brauchen. Lösungen zu finden, dafür sind wir da."

Ursula von der Leyen versuchte von Beginn an, Pflöcke einzuschlagen, die Bundeswehr aus dem gesellschaftlichen Abseits herauszuholen, in das sie sich auch durch eigenes Zutun manövriert hatte. Nach der Aussetzung der Wehrpflicht ist die Bundeswehr mehr denn je auf qualifizierten Nachwuchs angewiesen. Jährlich werden rund 20.000 Rekruten benötigt. Und damit man nicht jeden nehmen muss, hält man rund 60.000 Bewerberinnen und Bewerber für wünschenswert. Angesichts der demografischen Entwicklung und künftigen Jahrgangsstärken von etwas mehr als 600.000 jungen Männern und Frauen eine echte Herausforderung. Denn die Streitkräfte konkurrieren beim Nachwuchs mit der Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Institutionen. Doch die Verteidigungsministerin gibt sich zuversichtlich. Für sie ist die Bundeswehr ein moderner global agierender Konzern, der Bewerbern vieles bieten kann. Im Bundestag rührte von der Leyen kürzlich kräftig die Werbetrommel für die Bundeswehr und trug ziemlich dick auf:

O-Ton von der Leyen
„Sie hat im Zielbetrieb round about 250.000 Beschäftigte an 400 Standorten im In- und Ausland. Sie hat ein Luftfahrtunternehmen. Sie hat eine Reederei. Sie hat einen Krankenhausverbund par excellence; das kann ich als Ärztin beurteilen, das ist vom Feinsten. Sie hat ein Logistikunternehmen, das seinesgleichen sucht. Sie hat eine Qualifizierungssparte mit Schulen, mit Ausbildungsbetrieben, mit Akademien und Hochschulen. All das erfordert eine hervorragende Verwaltung.“

Die Bundeswehr, eine Firma wie alle anderen Wirtschaftsunternehmen? Wo man genauso gut oder sogar noch besser Karriere machen kann? Wohl kaum. Der Soldatenberuf unterscheidet sich von einem normalen Bürojob ganz erheblich. Wer sich für die Bundeswehr entscheidet, der muss auch bereit sein, ggf. sein Leben zu opfern. Ein wichtiger Unterschied, der bei der Attraktivitätsoffensive der Verteidigungsministerin viel zu kurz kommt.

Obwohl sich von der Leyen weiterhin in das komplexe Thema Bundeswehr einarbeitet, hat sie von Anbeginn versucht, ihren Amtsantritt medienwirksam zu begleiten. Zunächst mit selbstgesetzten Themen, die ihr nicht ganz fremd waren, wie beispielsweise eine familiengerechte Bundeswehr. Harte Themen, sparte sie anfangs ganz bewusst aus. Versuche, sie schon frühzeitig auf eine bestimmte Position festzulegen, liefen daher ins Leere. So hatten sich Anfang Januar der Wehrbeauftragte und auch der Bundeswehrverband dafür stark gemacht, die Bundeswehr mit bewaffneten Drohnen auszurüsten. Der Chef der Interessenvertretung der Soldaten, André Wüstner in der Tagesschau:

O-Ton Wüstner
„Wer nicht bereit ist, derartige Befähigung für den Schutz von Soldatinnen und Soldaten zu beschaffen oder sicherzustellen, der muss sich die Frage gefallen lassen, ob es überhaupt richtig ist, Streitkräfte in derartige Missionen wie beispielsweise Afghanistan zu entsenden."

Nach dieser Logik dürfte es ohne Kampfdrohnen keine Bundeswehr-Einsätze in bewaffneten Konflikten mehr geben. Der Politprofi von der Leyen lässt sich von solchen Forderungen allerdings nicht beeindrucken, schließlich ist im Koalitionsvertrag eine gründliche Prüfung dieser Frage vereinbart worden. Außerdem gibt es angesichts des Afghanistan-Abzuges aktuell keinen Handlungsbedarf.

Die CDU-Politikerin näherte sich schrittweise dem ihr unbekannten Wesen Bundeswehr. Auf der renommierten Münchner Sicherheitskonferenz Anfang des Jahres präsentierte sie dem internationalen Publikum schließlich ihre Vorstellungen über die künftige Rolle der Bundeswehr - im Gleichklang mit Bundespräsident Gauck und Außenminister Steinmeier - und auf Englisch:

O-Ton von der Leyen
„To sit and wait is not an option. If we have means, if we have capabilities - we have the obligation and we have the responsibility to engage.”

Nichtstun sei keine Option. Beim internationalen Krisenmanagement wird Deutschland künftig nicht mehr abseits stehen, so die Botschaft. Insbesondere in Afrika will man sich stärker engagieren, notfalls auch mit Soldaten. In der Praxis wird sich hier vorerst allerdings nur wenig ändern, zu begrenzt sind die militärischen Kapazitäten der Bundeswehr. Besonders geforderte Fähigkeiten, wie die der Spezialpioniere, werden im Zuge der Bundeswehrreform sogar reduziert, wie unlängst der Wehrbeauftragte kritisierte.

Aber die neue Verteidigungsministerin hat den Bündnispartnern erst einmal einen Kurswechsel signalisiert. Ob den Worten allerdings auch Taten folgen werden, muss sich erst noch herausstellen. Die Entwicklung in der Ukraine hat zudem gezeigt, wie schnell sich die Staatengemeinschaft urplötzlich mit ganz neuen Krisenherden konfrontiert sieht.

Ein weiteres großes Problem ist für die Verteidigungsministerin die Rüstungsplanung der Bundeswehr. Thomas de Maizière hatte das Debakel um die Aufklärungsdrohne Euro Hawk beinahe das Amt gekostet. Von der Bundeswehr bestellte Waffensysteme werden regelmäßig zu spät ausgeliefert, sie werden fast gesetzmäßig immer erheblich teurer als vereinbart und dann funktionieren sie oft nicht richtig. Nach der Euro Hawk-Affäre sollte eigentlich alles besser werden. Doch das Rüstungschaos dauert an. Im vergangenen Monat trat erstmals das neugeschaffene Rüstungsboard zusammen. Die Verteidigungsministerin war entsetzt. Es gibt weiterhin zahlreiche offene Fragen und finanzielle Risiken. Die CDU-Politikerin lehnte die Statusberichte zu den 15 großen laufenden Beschaffungsvorhaben ab. Rüstung-Staatssekretär Bemelmans, ein de Maizière-Spezi, wurde gefeuert. Ein anderer hoher Beamter von seinen Aufgaben entbunden.

Dabei wollte der Amtsvorgänger der Verteidigungsministerin die Rüstungsplanung durchsichtiger und nachvollziehbar machen.

O-Ton von der Leyen
„Ich stelle allerdings fest, dass dieser Prozess der Klarheit und Transparenz bei Rüstungsvorhaben im Haus noch nicht gelebt wird und deshalb muss ich sowohl strukturelle als auch personelle Veränderungen vornehmen... Ich möchte aber auch, dass wir verantwortlich und effizient mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler umgehen.“

Damit hat die CDU-Politikerin die Rüstungsplanung praktisch zur Chefsache gemacht. Das Risiko: Läuft etwas schief, dann kann sie die Verantwortung nicht mehr, wie damals Thomas de Maizière, auf andere abschieben.

Ob aber der noch mehrere Jahre laufende Umbau der Streitkräfte erfolgreich sein wird, ist offen. Eine Reform der Bundeswehrreform kommt für von der Leyen nicht in Frage. Auch an dem Stationierungskonzept soll nicht gerüttelt werden. Gleichzeitig sollen aber immer weniger Soldaten noch mehr Aufgaben übernehmen. Mehr Geld wird es für die Streitkräfte auch nicht geben. Kann die Bundeswehr dadurch attraktiver und zukunftsfähig werden?

Ursula von der Leyen hat in wenigen Jahren eine steile politische Karriere gemacht. Nicht ausgeschlossen, dass dieser Aufstieg im Verteidigungsministerium gestoppt wird. Denn dort haben schon viele Minister einen guten Start hingelegt, sind letztlich dann aber doch gescheitert.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN,22. März 2014; www.ndr.de/info


Zurück zur Bundeswehr-Seite

Zur Bundeswehr-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage