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Ohne Tabus

Ursula von der Leyen lässt ein neues »Weißbuch« für die Bundeswehr erstellen. Zuvor wird sich der eigenen Größe versichert

Von Michael Merz *

Eines wurde überdeutlich beim Auftakt zur Erstellung des neuen Grundlagenpapiers über die Zukunft der Bundeswehr: die schleichende Militarisierung im gesellschaftlichen Diskurs der vergangenen Dekade. Das Mantra, immer mehr Waffen in die Welt zu schicken und deutsche Soldaten hinterher – verpackt in wohlfeile Worte von »Verantwortung« und »humanitärer Hilfe« – hat sich derartig verselbständigt, dass ein Gewöhnungseffekt nicht abzustreiten ist. Bis hin zur Tatsache, dass Deutschland während der Konferenz am Dienstag, die die Arbeiten zum »Weißbuch« einleiten sollte, von einem Referenten als »mittlere Großmacht« bezeichnet wurde. So etwas löste in den Reihen der versammelten Uniformträger zwar ein leichtes Raunen aus, mehr aber auch nicht.

2016 soll das neue »strategische Grundlagendokument«, wie es Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen charakterisierte, erscheinen. 2006 wurde es letztmalig veröffentlicht, ausgetüftelt in der damaligen großen Koalition. Vor knapp zehn Jahren löste der darin erwähnte Zusammenhang zwischen deutscher »Sicherheitspolitik« und wirtschaftlichen Interessen einen Aufschrei aus. Der hallte lange nach, so dass 2010 der damalige Bundespräsident Horst Köhler, der aus dem Papier zitierte, seinen Hut nahm. Heutzutage stoßen Formulierungen wie die zum Instrumentarium deutscher Politik, das aus diplomatischen, wirtschaftlichen, entwicklungspolitischen, polizeilichen, militärischen Mitteln und bewaffneten Einsätzen bestehe, nur noch selten auf Widerspruch.

Ursula von der Leyen will, so sagte sie, eine breite gesellschaftliche Debatte unter Bürgerbeteiligung über das künftige »Weißbuch«. Das dient wohl eher der eigenen Rückversicherung. Es wird eine Scheindiskussion werden, wie schon die Auftaktkonferenz andeutete. Prinzipielle Kritik an deutschen Auslandseinsätzen ward am Dienstag im noblen Berliner Hotel Esplanade nicht angebracht. Auf dem Podium referierten Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Robin Niblett vom Londoner Thinktank Chatham House und der Chef der Münchner »Sicherheitskonferenz«, Wolfgang Ischinger. Von Auseinandersetzung in der anberaumten Gesprächsrunde konnte keine Rede sein, auch wenn die Bühne dafür bereitet wurde. Eine beiläufig geäußerte rhetorische Frage von Perthes machte das deutlich: »Wie sage ich das gleiche noch einmal in anderen Worten?« Unterm Strich ging es lediglich darum, sich der Bedeutung Deutschlands zu versichern. Perthes etwa tat das mit den Worten »Wir sind relevant, haben es nur noch nicht zugegeben«.

Christine Buchholz, verteidigungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, saß auch im Saal und konstatierte im Gespräch mit junge Welt: »Das ist keine Debatte, wir werden uns nicht an diesem Prozess beteiligen.« Von der Leyen habe die »sicherheitspolitische Community« um sich geschart. Es gehe vornehmlich darum, die imperialistische Konkurrenz innerhalb der Bündnisse NATO und EU zu verschärfen. »Menschenrechte oder die sozialen Ursachen für Kriege sind hier nicht das Thema. Eher, wie die eigene Macht in den Bündnissen ausgebaut werden kann«, so Buchholz weiter. Die Linke werde die Diskussion mit den Partnern aus der Friedensbewegung suchen, um all dem ein »Schwarzbuch für Abrüstung« entgegenzusetzen.

2006 galt Russland als Partner, von der Terrormiliz »Islamischer Staat« hatte noch keiner gehört und die Wehrpflicht sorgte für permanenten Nachschub an Bundeswehr-Personal. Das »Weißbuch« 2016 solle künftigen »Haltungs- und Handlungsanspruch« aufzeigen, so Ursula von der Leyen in ihrer Einführungsrede. »Unsere strategische Kultur ändert sich.« Irgendwelche Haltelinien scheinen sie dabei nicht zu interessieren: »Unsere Interessen haben keine unverrückbare Grenze, weder geographisch noch qualitativ«, sagte die CDU-Politikerin. Aus dem »Weißbuch« solle sich kein starrer Handlungskatalog oder eine »Checkliste« für Auslandseinsätze ableiten lassen. Für das internationale Engagement Deutschlands müsse vielmehr gelten: »Kein Zugzwang, aber auch kein Tabu.« Drei Feindbilder zeichnete von der Leyen: den »brutalen IS«, »die »neue Politik des Kremls«, die schon lange vor der Ukraine-Krise begonnen habe, und Angriffe aus dem »Cyberraum«. Sie beendete ihre Ausführungen mit der Forderung nach einem »angemessenen Budget«.

Ohne viele weitere Milliarden Euro im Rüstungsetat werden sich die anmaßenden Zukunftsdeutungen, die die Konferenz überschatteten, wohl kaum in die Realität umsetzen lassen. Der desaströse Zustand in Teilen der Armee steht in keinem Verhältnis dazu. »Wenn wir wollen, dass die Bundeswehr mehr tut, müssen wir auch die Ressourcen bereitstellen«, verlangte auch Volker Perthes. Sein Vorschlag, um die »Fähigkeiten besser zu nutzen«, ist, sie mit anderen zu teilen: »Nationale Interessen sind nicht mehr nationalstaatlich durchsetzbar.«

Das wohl am meisten strapazierte Wort in Nibletts Vortrag ist »power« (Macht). Deutschland sei ein Beispiel für die Macht der Globalisierung, machtvoll und erfolgreich daraus hervorgegangen. Dementsprechend würde von den USA und Großbritannien deutsche Unterstützung erwartet, anders als von »declining (zerfallenden) powers such as Russia«. Da fehlte nicht mehr viel, um den Bogen zur »mittleren Großmacht« (midsized great power) hinzukriegen. Die Anwesenden waren sichtlich entzückt, Widerworte gab es erwartungsgemäß keine.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. Februar 2015


Milliardenshow der Rüstungsindustrie

LINKE und Grüne kritisieren von der Leyens Vorstellung von deutscher Sicherheitspolitik **

Die Verteidigungsministerin wünscht sich in ihrem »Weißbuch Sicherheit«, dass Deutschland »mehr Verantwortung« übernimmt. Die Opposition sieht hinter diesem Wunsch nur das Ziel der Aufrüstung und weitere militärische Einmischung. Zum Start der Arbeiten am neuen »Weißbuch Sicherheit« haben die Grünen im Bundestag die Regierungsparteien gewarnt, in der Sicherheitspolitik zu stark auf militärische Interventionen zu setzen. »Konflikte können nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden«, sagte die sicherheitspolitische Sprecherin Agnieszka Brugger der »Neuen Osnabrücker Zeitung«.

Statt blindem Interventionsoptimismus brauche es endlich mehr Konzepte und Strukturen, um die Konfliktursachen mit politischen und zivilen Mitteln zu bearbeiten, sagte die Politikerin. Brugger forderte außerdem eine schonungslose Bilanz der bisherigen Auslandseinsätze und sprach sich gegen Waffenlieferungen in Krisengebiete aus. Die verteidigungspolitische Sprecherin der Linken, Christine Buchholz, äußerte die Befürchtung, dass der Weißbuchprozess eine neue Runde der Aufrüstung mit sich bringe.

»Von der Leyens Forderung nach Übernahme von 'mehr Verantwortung' bedeutet übersetzt die Forderung nach mehr Rüstungsprojekten«, so Christine Buchholz. »Wohin die Reise geht, zeigt der neue Milliardenvertrag für Airbus-Hubschrauber. Die Industrie bekommt mehr als von der Leyens Vorgänger versprochen haben. Die Zeche zahlt die Bevölkerung.«

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, sagte, das Weißbuch könne ein wichtiger Beitrag sein in der Debatte um Deutschlands Rolle in der Welt. Dazu müsse die Sammlung von Vorschlägen und Vorgehensweisen zum Thema Sicherheitspolitik aber von einer breiten gesellschaftlichen Diskussion begleitet werden.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 18. Februar 2015


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