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Vernichtung der Chemiewaffen: Fortschritte und Verzug

Am 5. Dezember beginnt die Jahrestagung der "Organisation für das Verbot von Chemiewaffen" (OPCW)

Von Wolfgang Kötter *

Heute (5.12.2006) beginnt im World Forum Convention Centre von Den Haag die Jahrestagung der “Organisation für das Verbot von Chemiewaffen" (OPCW). Die 181 Mitgliedstaaten der Konvention beraten darüber, wie die Vertragsbestimmungen schneller verwirklicht werden können, denn die Zeit wird knapp: Im kommenden April läuft die ursprüngliche Zehn-Jahres-Frist für die vollständige Beseitigung aller chemischen Waffen aus. Die zu erwartenden Gesamtkosten der chemischen Abrüstung schätzen Experten auf mindestens 50 Mrd. Dollar. Zwar erfasst die Konvention inzwischen 98% der Weltbevölkerung, doch zur Universalität fehlen noch acht Staaten, sechs weitere haben zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert (siehe Infokasten). Über 15 600 Tonnen Giftstoffe wurden bisher beseitigt. OPCW-Kontrolleure inspizierten 2 650 Orte in sechsundsiebzig Länder, um herauszufinden, wie die Vertragsbestimmungen umgesetzt werden. Alle gemeldeten siebenundfünfzig militärischen Produktionsanlagen wurden zerstört bzw. zur friedlichen Nutzung konvertiert. Trotz der Bemühungen reicht das Tempo aber nicht aus, sodass die Entsorgung der riesigen Bestände nicht fristgemäß abgeschlossen werden kann.

Russland führt die Gruppe der C-Waffenbesitzer mit insgesamt 40 000 Tonnen an, gefolgt von den Vereinigten Staaten mit etwa 31 300 Tonnen. Beide haben Fristenverlängerungen um jeweils fünf Jahre beantragt, die aber wahrscheinlich auch nicht ausreichen werden. Die gleiche Ausnahmeregelung fordern ebenfalls Albanien, Indien und Libyen. Die Aussichten für eine Gewährung stehen gut: "Es ist unwahrscheinlich, dass einer der Anträge abgewiesen wird," meint der Chemiewaffenexperte John Gilbert vom Zentrum für Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung in Washington, "denn alle Verzögerungen der Vernichtungsprogramme für Chemiewaffen sind Realität." Allein Albanien wird seine 16 Tonnen Senfgas termingerecht bis zum kommenden Frühjahr entsorgt haben. Indien hat bisher über 80% seiner Gesamtarsenale vernichtet, Südkorea sogar schon 85% und strebt die vollständige Beseitigung bis zum Jahre 2008 an. Libyen hofft, seine 23 Tonnen Senfgas bis 2010 vollständig eliminiert zu haben. Nachdem die USA die Anlagen im Südpazifik und im Bundesstaat Maryland geschlossen haben, nutzen sie Verbrennungsfabriken in den Bundesstaaten Alabama, Arkansas, Indiana, Oregon und Utah. Der Bau einer 2 Mrd. Dollar teuren Entsorgungsanlage für Senfgas und VX-Kampfstoffe in Blue Grass/Kentucky hat gerade begonnen, die Errichtung einer weiteren Anlage in Pueblo/Colorado verzögert sich jedoch vor allem durch verspätete Mittelzuweisung des US-Kongresses. Bisher liegen die USA zwar mit 40 Prozent vernichteter Waffen noch im Zeitplan, aber offiziellen Angaben des Pentagon zufolge wird die Beseitigung erst im Jahre 2023 vollendet sein. Als Gründe für den Verzug werden vor allem technische Schwierigkeiten und Sicherheitsprobleme genannt. Russland hat Schätzungen zufolge erst etwa 6 Prozent seiner Waffenvorräte vernichteter, denn immer wieder verzögern fehlendes Geld und technische Probleme die Entsorgung. Eine Vernichtungsstätte im udmurtischen Kambarka begann ihre Arbeit im vergangenen Frühjahr, und eine ähnliche Anlage in Maradikowsky bei Kirow arbeitet seit September. Mit 6 900 Tonnen Nervengas sollen hier 17% der Gesamtbestände vernichtet werden. Begonnen wurde mit dem Bau von Beseitigungsfabriken in Leonidowka im Penza- Gebiet und in Schuchije, östlich des Urals. Aber Streitigkeiten mit ausländischen Geldgebern bremsen die Bauarbeiten.

Akute Umweltkatastrophen drohen von den enormen Mengen Chemiewaffen, die aus vergangenen Kriegen und Konflikten in aller Welt vergraben sind oder auf dem Boden der Weltmeere verrosten. Deren Behälter werden immer stärker vom Rost zerfressen und damit wächst die Wahrscheinlichkeit großflächiger Verseuchung. Die Sowjetunion und die USA versenkten während des Kalten Krieges regelmäßig ausgemusterte Chemiewaffen im Meer. Ein neues Gesetz verpflichtet nun die US-Army, die Lagerorte der rund 3 000 Tonnen Gifte zunächst wenigstens zu kartographieren, allerdings nur vor den eigenen Küsten. Die 11 weiteren vom US-Giftdumping betroffenen Staaten bleiben unberücksichtigt. Japan ist zur Zeit mit der Räumung von rund zwei Mio. Stück chemischer Munition in China beschäftigt, die die japanischen Truppen dort nach dem 2. Weltkrieg zurückgelassen haben.


Staaten, deren Ratifikation noch aussteht:
  • Bahamas
  • Dominikanische Republik
  • Guinea-Bissau
  • Israel
  • Kongo
  • Myanmar
Nichtmitglieder:
  • Ägypten
  • Angola
  • Barbados
  • Irak
  • KDVR
  • Libanon
  • Somalia
  • Syrien


* Dieser Artikel erschien - leicht gekürzt - unter dem Titel "Verlängerung für die Chemiewaffen" am 5. Dezember 2006 im "Neuen Deutschland"


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