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Kampf gegen den lautlosen Tod

Vor zehn Jahren trat die Konvention zum Verbot von Chemiewaffen in Kraft / Entsorgung der Massenvernichtungsmittel kann nicht termingemäß abgeschlossen werden

Wolfgang Kötter *

Vor 10 Jahren, am 29. April 1997, trat die Konvention zum Verbot von Chemiewaffen in Kraft. An diesem Tag wird zukünftig weltweit aller Opfer dieser barbarischen Massenvernichtungswaffe gedacht. Schon im Altertum nutzten die Kontrahenten im Kampf gegeneinander Brandstoffe wie Pech, Öle oder "Griechisches Feuer" als Vorläufer des späteren Napalm. Sie verdarben feindliches Ackerland mit Salzen und Herbiziden oder setzten Gifte wie z.B. Arsen ein. Aber im Frühjahr 1915 erreichte der Chemiekrieg verheerende Ausmaße. Die deutsche Armee verbreitete an der Westfront nahe der belgischen Stadt Ypern erstmals großflächig Chlorgas. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, und auch die alliierten Truppen schlugen mit Chlor-, Phosphor- und Senfgas zurück. Insgesamt wurden im Ersten Weltkrieg 100 000 Tonnen Chemiewaffen angewendet. Die Einsätze deutscher und alliierter Truppen töteten mehr als 90 000 Soldaten, über eine Million Menschen erlitten zum Teil schwere Vergiftungen. Die traumatischen Erlebnisse während des 1. Weltkrieges brachten internationale Bemühungen zur Ächtung von C-Waffen auf den Weg, und so entstand im Jahre 1925 das "Genfer Protokoll". Es verbietet die Anwendung von "erstickenden, giftigen oder gleichartigen Gasen sowie allen ähnlichen Flüssigkeiten, Stoffen oder Verfahrensarten im Kriege", allerdings nicht deren Herstellung, Besitz und Weitergabe. Es mussten weitere Jahrzehnte vergehen, bis schließlich im Januar 1993 das umfassende Verbot von Chemiewaffen zur Unterschrift vorlag. Zwar erfasst die Konvention inzwischen 98 Prozent der Erde, doch zur vollen Universalität fehlen dreizehn Staaten. Noch in diesem Jahr wird mit dem Beitritt der Bahamas, Iraks, Kongos und des Libanon gerechnet. Ägypten, Angola, die KDVR, Somalia und Syrien verweigern sich jedoch immer noch. Die Dominikanische Republik, Guinea-Bissau, Israel und Myanmar haben den Vertrag zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Rund 25 Prozent der Gesamtbestände, das sind über 17 000 Tonnen Giftstoffe, wurden bisher beseitigt, ebenso etwa ein Drittel der eingelagerten 8,6 Millionen Stück Munition und Gaskanister.

Für die Vertragserfüllung wurde in Den Haag die “Organization for the Prohibition of Chemical Weapons“ (OPCW) gebildet. Generaldirektor Rogelio Pfirter aus Argentinien leitet die Arbeit von rund 500 Mitarbeitern aus 66 Ländern und verfügt über ein Jahresbudget von etwa 75 Mio. Euro. Das Technische Sekretariat wird von einem 41-köpfigen Exekutivrat angeleitet, während alle Mitgliedstaaten auf jährlichen Konferenzen politische und strategische Grundsatzentscheidungen treffen. OPCW-Kontrolleure reisten bisher zu 2 800 Inspektionen in siebenundsiebzig Länder, um zu überwachen, wie die Vertragsbestimmungen umgesetzt werden. Vierzig militärische Produktionsanlagen wurden zerstört und achtzehn zur friedlichen Nutzung umfunktioniert. Trotz der Fortschritte reicht das Tempo aber nicht aber aus und die Entsorgung der riesigen Bestände kann nicht termingemäß abgeschlossen werden, denn eigentlich sollte dies innerhalb einer Dekade geschehen sein. Allein Albanien wird dem Stichtag mit der Beseitigung seines Arsenals in diesem Jahr nahe kommen. Alle übrigen C-Waffen-Staaten nehmen die Ausnahmeregelung in Anspruch und bekamen Fristenverlängerungen von bis zu 5 Jahren zugesprochen.

Außer den sich selbst bekennenden Chemiewaffenbesitzern werden noch bei weiteren Ländern geheime Giftgasvorräte bzw. Waffenprogramme vermutet. Forschungsinstitute nennen beispielsweise Ägypten, Äthiopien, China, Iran, Israel, KDVR, Myanmar, Pakistan, Serbien, Sudan, Syrien, Taiwan und Vietnam. Akute Umweltkatastrophen drohen von den riesigen Mengen Chemiewaffen, die aus vergangenen Kriegen in aller Welt zurückgeblieben sind. Deren Behälter werden mit jedem Tag schadhafter und drohen, Boden und Gewässern weiträumig zu verseuchen. So wurden z.B. nach dem 2. Weltkrieg Giftgasmunition der deutschen Wehrmacht in der Nord- und Ostsee versenkt. Auch die sowjetische Armee und die US-Navy entsorgten ausgemusterte Chemiewaffen im Meer. Die japanischen Truppen hinterließen in China unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen ein und zwei Mio. Stück chemischer Munition, die Japan bis 2012 zu Kosten von 2,8 Mrd. Dollar räumen muss. Bisher entsorgten japanisch-chinesische Expertenteams rund 38 000 Tonnen Chemiewaffen und beseitigten 2 000 Tonnen vergifteter Materialien. Großbritannien verbreitete Anfang März die Vollzugsmeldung, alle Altbestände von rund 7 000 Stück C-Waffen-Munition seien vernichtet worden.

Internationale Besorgnis ruft das wachsende Interesse von Polizei, Sicherheitsdiensten und Terroristen an sogenannten "nicht-tödlichen" chemischen Kampfstoffen hervor. Die Direktorin des UN-Abrüstungsinstituts Patricia Lewis hält den Begriff für irreführend und meint wie viele Experten, dass solche Mittel unter das Verbot der C-Waffen-Konvention fallen. Ebenfalls vertragswidrig entwickeln die USA Betäubungsmittel und psychoaktive Drogen, die als militärische Waffe eingesetzt werden sollen, um die Gegner handlungsunfähig zu machen. Nach Einschätzung der deutsch-amerikanischen Abrüstungsinitiative „Sunshine Project“ verstößt Washington mit derartigen Projekten eklatant gegen die Chemiewaffenkonvention, denn diese verbietet ausdrücklich jede chemische Waffe, die "den Tod, eine vorübergehende Handlungsunfähigkeit oder einen Dauerschaden" verursacht.

Stand der Beseitigung von Chemiewaffen (April 2007)

C-Waffen-Besitzer ursprüngliche Menge (t) vernichtet (t/%) geplanter Abschluss
Russland 40 000 8 553 / 21 2012
USA 31 300 15 560 / 45 2023
Indien 1 055 844 / 80 2009
Rep. Korea 605 484 / 80 2008
Albanien 16 15 / 93 2007
Libyen 23,6 0 / 0 2010

Quellen: OPCW und Arms Control Association


Hintergrund

Zu den Chemiewaffen zählen neben toxischen Chemikalien wie z.B. Yperit, Chlor- und Phosgengase, sowie LOST, auch die Nervengase Sarin, Tabun und VX sowie Vorprodukte und die aus zwei Komponenten bestehenden Binärwaffen, dazu die entsprechende Munition, Geräte und Ausrüstungen.

Da viele chemische Stoffe dual, d.h. sowohl für friedliche als auch für kriegerische Absichten genutzt werden können, entscheidet die Zweckbestimmung. Je nachdem, ob die Substanzen zivile oder militärische Verwendung finden, werden sie in drei Listen nach unterschiedlichen Gefahrengraden (Kampfstoffe; zivile Produkte mit militärischer Nutzbarkeit; obsolete Kampfstoffe) unterteilt.

Nicht unter das Verbot fallen chemische Stoffe zur industriellen, landwirtschaftlichen, forschungsbezogenen, medizinischen und pharmazeutischen Nutzung. Erlaubt bleiben gleichfalls Schutzmaßnahmen gegen chemische Waffen, Einsatzmittel wie etwa Tränengas und Reizkampfstoffe zur Bekämpfung innerstaatlicher Unruhen in Friedenszeiten und giftige Chemikalien, die, wie z.B. Raketentreibstoff, anderen militärischen Zwecken dienen.

Das Verifikationssystem besteht aus einer Kombination periodischer Berichterstattung, systematischer Routinekontrollen und kurzfristig anberaumter Verdachtsinspektionen durch Kontrolleure der “Organization for the Prohibition of Chemical Weapons“ (OPCW; Internetadresse: www.opcw.nl).

Begutachtet werden gegenwärtige bzw. ehemalige militärische Produktionsbetriebe, Waffendepots und auch zivile Anlagen, in denen militärisch relevante Chemikalien hergestellt, verarbeitet oder gelagert sind. Bei einem vermuteten Vertragsbruch ist innerhalb von fünf Tagen Zugang zu allen verdächtigen Gebieten und Einrichtungen zu gewähren.

Die Kontrollen berücksichtigen jedoch kommerzielle und sicherheitspolitische Interessen, sie erfolgen deshalb nach der Methode des „kontrollierten Zugangs“, d.h. bestimmte Teile der Anlagen dürfen geschlossen, Maschinen abgedeckt und Computer ausgeschaltet bleiben.

Differenzen sind so weit wie möglich durch Gespräche auszuräumen. Bei schweren Vertragsbrüchen, wie etwa der illegalen Herstellung oder Anwendung von chemischen Waffen, kann der UNO Sicherheitsrat jedoch auch gewaltsame Sanktionen verhängen.

Die friedliche Zusammenarbeit der Vertragsstaaten auf chemischem Gebiet wird von einer speziellen Kooperationsabteilung der OPCW unterstützt. Zu ihren Aufgaben gehört die Förderung von Forschung und Handel ebenso wie die Erleichterung des Technologie- und Informationstransfers.

Außerdem entwickelt das Team der Organisation Zusammenarbeitsprogramme für einzelne Länder und begleitet internationale Fachseminare und Symposien.

Großen Zuspruch finden mehrwöchige Aus- und Weiterbildungskurse vorrangig für Entwicklungsländer und Transformationsstaaten Osteuropas wie auch Hilfen bei der technischen Ausstattung und fachlichen Kompetenz von chemischen Analyselabors.



* Eine gekürzte Version dieses Beitrags erschien unter demselben Titel in: Neues Deutschland, 27. April 2007


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