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Grundlagenwerk gegen Uranmunition

IPPNW vereint wissenschaftliche Ergebnisse mit juristischen und politischen Analysen

Von Ralf Hutter *

Welche verheerenden Langzeitfolgen der Einsatz von Kriegswaffen haben kann, zeigt eine neue IPPNW-Analyse [externer Link] zur Uranmunition.

»Golfkriegssyndrom«, »Balkansyndrom« - um Uranmunition gab es seit den 1990ern auch öffentlich heiße Debatten. Nun hat die deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs / Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) eine Zusammenfassung von medizinischen, naturwissenschaftlichen, juristischen und politischen Erkenntnissen zu dem immer noch umstrittenen Thema veröffentlicht. »In dieser Gebündeltheit und Aktualität gibt es derzeit nichts besseres«, sagte der Völkerrechtler Manfred Mohr bei der Vorstellung am Montag in Berlin. Mohr ist Vorstandsmitglied von ICBUW, der Internationalen Kampagne für das Verbot von Uranwaffen, die den Bericht mit erarbeitet hat.

Uranmunition gibt es in verschiedenen Kalibergrößen. Sie enthält abgereichertes Uran, einen Abfallstoff aus Kernkraftwerken mit einer so hohen Dichte, dass er panzerbrechend ist. Laut IPPNW befindet sie sich in den Arsenalen von mindestens der USA, Großbritannien, Frankreich, Russland, Griechenland, Türkei, Israel, Pakistan, Saudi-Arabien und Thailand. Uran ist sowohl radioaktiv als auch chemisch giftig. Dass seine großflächige Anwendung giftige Auswirkungen haben muss, liegt nahe und ist durch viele Forschungen erhärtet, wird aber von allen betroffenen Regierungen mit Rückgriff auf entlastende Studien bestritten. Die IPPNW hat nun Erkenntnisse zusammengetragen, »die die Behauptung von Befürwortern und Nutzern dieses Waffentyps, die Gefährlichkeit von Uranmunition sei äußerst gering, widerlegen«, so ihr Fazit.

Der Gesundheitsteil des Berichts beruht auf über 100 wissenschaftlichen Arbeiten, vorwiegend Studien an Zellkulturen, Tierversuche und epidemiologische Untersuchungen aus Kriegsgebieten. Verfasst hat ihn Winfrid Eisenberg, früherer Leiter der Kinderklinik Herford und Experte für Niedrigstrahlung. »Die Zusammenhänge sind so klar wie nur was«, sagte Eisenberg bei der Vorstellung. Dass Urinproben von Kriegsveteranen oft keine Uranrückstände aufwiesen, erklärt er damit, dass sich Uran auch in Lymphknoten und in der Lunge ablagern kann - und Lymphome seien eine häufige von Uranmunition verursachte Krebsart.

Dass UNEP, das Umweltprogramm der UNO, die in den Irakkriegen verschossene Uranmunition als ungefährlich einstuft, kritisierte die Ex-IPPNW-Vorsitzende Angelika Claußen. Sie war selbst mehrmals in Irak und weist darauf hin, dass UNEP davon ausgehe, dass dort bombardierte Fahrzeuge nicht berührt werden, Patronenhülsen nicht eingesammelt werden und der Militärschrott keine Weiterverwendung findet - völlig irreale Grundannahmen.

IPPNW und ICBUW fordern neben dem Verbot von Uranwaffen mehr unabhängige Forschung zu dem Thema und die genaue Benennung der mit Uranmunition beschossenen Gebiete.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 04. Dezember 2012


Hier geht es zum IPPNW-Bericht:
Die gesundheitlichen Folgen von Uranmunition
Die gesellschaftliche Debatte um den Einsatz einer umstrittenen Waffe. ippnw-report, Dezember 2012 [pdf, externer Link]



Uranwaffen ächten

Ärzteorganisation IPPNW verweist auf Langzeitfolgen von DU-Munition. Schwere Fehlbildungen bei Neugeborenen im Irak. USA sollen Einsatzorte bekanntgeben.

Von Rüdiger Göbel **


Die Ärzteorganisation IPPNW fordert eine internationale Ächtung von Uranmunition. Diese kann nicht als konventionelle Waffe bezeichnet werden. Sie tötet nicht nur beim Einsatz, sondern auch noch Jahrzehnte später. Die Schädigungen durch Abgereichertes Uran (Depleted Uranium – DU) für Zivilbevölkerung, Soldaten und Umwelt sind gravierend. Konkret sorgt die Waffe für ein Ansteigen von Krebserkrankungen, Mißbildungen bei Neugeborenen und Fehlgeburten. Dies legt der 60-Seiten-Report »Die gesundheitlichen Folgen von Uranmunition – Die gesellschaftliche Debatte um den Einsatz einer umstrittenen Waffe« dar. Er wurde von friedenspolitischen Gruppe IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs – Ärzte in sozialer Verantwortung) gemeinsam mit der International Coalition to Ban Uranium Weapons (ICBUW) erstellt und am Montag in Berlin präsentiert.

Abgereichertes Uran entsteht bei der Anreicherung von Kernbrennstoff für Kernkraftwerke und von waffenfähigem Uran für Atombomben. Aufgrund seiner extrem hohen Dichte wird es für panzer- und bunkerbrechende Geschosse verwendet. Bei der Explosion der DU-Munition bildet sich ein Aerosol mit Partikelgrößen im Nanobereich, das mit dem Wind weiträumig verteilt wird. Diese kleinsten Teile gelangen durch Einatmen, Nahrungsmittel oder Wunden in den menschlichen Körper.

DU ist als Schwermetall chemotoxisch, als radioaktive Substanz radiotoxisch. Beide Wirkungen potenzieren sich. Im IPPNW-Report sind die Ergebnisse von über 100 wissenschaftlichen Arbeiten berücksichtigt, vorwiegend experimentelle Studien an Zellkulturen, Tierversuche mit Ratten und Mäusen. Erschütternd sind die Untersuchungen aus DU-belasteten Kriegsgebieten. Solche Geschosse wurden zuerst von den USA und Großbritannien gegen den Irak 1991 eingesetzt, dann 1995 in Bosnien-Herzegowina, im NATO-geführten Krieg gegen Jugoslawien 1999, vor allem im Kosovo, sowie bei der Invasion und Besetzung des Irak ab 2003. Ärzte im Zweistromland berichten über den alarmierenden Anstieg schwerer Fehlbildungen bei Neugeborenen. Dokumente der US-Armee weisen auf einen möglichen DU-Einsatz auch in Afghanistan hin. Das wird von Washington und London bisher jedoch dementiert. Noch nicht erwiesen ist laut IPPNW, ob die NATO Uranmunition auch im Libyen-Krieg eingesetzt hat.

Bis heute haben die USA keine Angaben darüber gemacht, wo und wie viele Tonnen DU-Munition von ihnen im Irak eingesetzt wurden. »Damit haben sie die Erforschung der langfristigen Kontaminationen systematisch untergraben und willentlich behindert«, konstatiert die IPPNW. Für die Ärzteorganisation ist es keine Frage: »Die USA und Großbritannien stehen finanziell in der Pflicht.«

Schon 1979 hatte der US-Wissenschaftler und Arzt John W. Gofman, der als Physiker an der Entwicklung der Hiroschima-Bombe mitgearbeitet hat, erklärt: »Ich denke, daß mindestens 100 Wissenschaftler, die sich mit den biomedizinischen Aspekten der Niedrigstrahlung beschäftigt haben – mich, Gofman, eingeschlossen – Kandidaten für ein Nürnberg ähnliches Gericht sind, da sie mit ihrer großen Nachlässigkeit und Verantwortungslosigkeit Verbrechen gegen die Menschheit begangen haben.« Vor Gericht gehörten überdies die politisch Verantwortlichen. Im Fall des mit bis zu 500 Tonnen Uranmunition verseuchten Irak wären dies die Kriegspräsidenten George Bush und George W. Bush jun.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 04. Dezember 2012


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