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Uran-Munition – Neue Erkenntnisse über Gefahren?

Ein Beitrag von Simon Kremer aus der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Welche Langzeitfolgen hat der Einsatz von Uranmunition – insbesondere für die Zivilbevölkerung? Darüber wird seit Jahren gestritten. Die USA und die Streitkräfte anderer Länder halten die sogenannte DU-Munition wegen ihrer panzerbrechenden Wirkung für unverzichtbar. DU ist die Abkürzung für Depleted Uranium – also abgereichertes Uran. Kritiker haben jetzt eine neue Studie über die Gefahren dieser Munition vorgelegt. Aber enthält das Papier auch neue Erkenntnisse? Simon Kremer weiß mehr:


Manuskript Simon Kremer


[Collage Press-TV / Web-Videos]

Die Moderatorin hatte die Zuschauer gewarnt: Die Bilder seien ziemlich grausam. Jetzt werden Fotos von entstellten Babyleichen eingeblendet. Die Ärmchen und Beinchen sind hager, doch Hände, Füße und Kopf hängen wie aufgedunsene Keulen daran. Es sind Bilder, die angeblich aus dem Irak und Afghanistan stammen sollen, die der iranische Fernsehsender „Press TV“ da präsentiert. Die Moderatorin hatte den Bericht angekündigt mit den Worten: Amerikas stiller Genozid.

Uranmunition wird schon seit der Zeit Saddam Husseins im Irak gerne als leiser Killer für die Propaganda und zur Diskreditierung des Gegners herangezogen. Nun hat die Organisation IPPNW – die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung – vor einigen Monaten eine neue Studie vorgestellt, die die Gefährlichkeit von Uranmunition noch einmal unterstreichen soll. Xanthe Hall ist Abrüstungsreferentin bei den Ärzten gegen den Atomkrieg:

O-Ton Hall
„Man sieht die ersten Auswirkungen unmittelbar nach dem Krieg, ab neun Monaten bis hin zu 20, 25 Jahren später, und dann auch in der Folgegeneration.“

Sie spricht von erhöhten Krebsraten in den Gebieten, in denen Uranmunition eingesetzt worden ist. Leukämie, Brustkrebs, Fehlbildungen bei Kindern:

O-Ton Hall
„Am meisten wurde DU-Munition [Uranmunition] eingesetzt in der Golfregion. Also vor allem im Irak und in beiden Irakkriegen. Im Golfkrieg 91 und auch 2003. Aber DU-Munition wurde auch in Bosnien eingesetzt und auch im Kosovo, und wahrscheinlich in Afghanistan “

Doch eindeutige Belege dafür gibt es nicht. Die britischen Streitkräfte teilten nach dem Libyen-Krieg gegen Muammar al Gaddafi mit, dass man keinerlei Uranmunition in diesem Einsatz verschossen habe. Kritiker sehen in dieser Stellungnahme ein Anzeichen, dass sich nun auch die britische Armee von der sogenannten DU-Munition abwendet.

Als Uranmunition werden Geschosse bezeichnet, deren Kern aus „abgereichertem“, also schwach radioaktivem Uran besteht. Auf Englisch: „Depleted Uranium“ – DU-Munition. Das Uran wird erst beim Aufprall eines Geschosses auf sein Ziel freigesetzt. In kleinsten Partikeln im Nano-Bereich, die sich als Aerosol in der Landschaft verteilen Die Bundeswehr gibt ihren Soldaten bei Auslandseinsätzen mit auf den Weg:

Zitat
„Bei der Uranmunition handelt es sich um panzerbrechende Geschosse mit einem Kern aus abgereichertem Uran. Dieser Kern verleiht dem Geschoss wegen seiner besonderen Schwere eine sehr hohe Wucht mit der es die Panzerung von Kampfpanzern durchschlagen kann.“

Aufgrund der hohen Hitze beim Aufprall entzündet sich das Geschoss zudem und sorgt so für noch mehr Zerstörung. Doch gerade dies sehen die Kritiker von Uranmunition skeptisch, weil sich dadurch die schwach radioaktiven Partikel überall in der Nähe des Einschlagortes verteilen. Xanthe Hall von der Initiative Ärzte gegen den Atomkrieg:

O-Ton Hall
„Das Problem ist ja, wenn Kinder zum Beispiel spielen bei einem Panzer und der Wind wirbelt diesen Staub auf, in dem Uran enthalten ist (…) dann atmen die Kindern diesen Staub ein und sobald Uran in dem Körper ist (…) dann setzt sich das fest, entweder in den Lungen oder in den Knochen oder auch in den Nieren.“

Zu den Staaten, die Uranmunition einsetzen gehören die USA, Großbritannien, Frankreich und Israel. Verschossen wird sie u.a. von Hubschraubern und Kampfflugzeugen. Die Bundeswehr hat keine Uranmunition in ihren Beständen. Das Bundesverteidigungsministerium versucht zudem zu beschwichtigen: Eine Gesundheitsgefährdung sei nicht durch die Strahlung, sondern – Zitat – „nur aufgrund der chemischen Giftigkeit von Uran zu befürchten“. Die Ärzte gegen den Atomkrieg hingegen sprechen in ihrer Studie von einem Cocktail aus chemotoxischer und radiotoxischer Belastung. Unter den Folgen würden die Menschen noch lange nach Ende des Krieges leiden:

O-Ton Hall
„Das ist jetzt so, z.B. bei Landminen oder Streubomben haben wir das auch belegen können, das verstößt gegen das humanitäre Völkerrecht, weil es in der Erde bleibt oder nicht explodiert und dann kommen später nach dem Krieg Zivilisten und sind dann davon betroffen. Und das gleiche passiert mit Uranwaffen. Sie lassen Substanzen in der Umwelt, die dann ja die Zivilbevölkerung nach dem Krieg betreffen und deswegen unterscheiden diese Waffen nicht zwischen Kombattanten und Zivilisten.“

Dabei enthält die nun vorgelegte Studie keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse, wie Xanthe Hall einräumt. Es seien darin lediglich zahlreiche bisherige Studien der vergangenen Jahre zusammengefasst worden. Mit dem Ergebnis, dass die chemotoxische und radioaktive Wirkung unmittelbar für erhöhte Krebsraten und Missbildungen in den entsprechenden Gebieten verantwortlich sei.

Doch ein Wissenschaftler, der vor einigen Jahren im Auftrag der Ärzte gegen den Atomkrieg die Gefährlichkeit von DU-Munition belegen sollte, zweifelt an diesen Darstellungen: Professor Michael Hoffmann. Epidemiologe an der Universität Greifswald:

O-Ton Hoffmann
„Ob das wirklich erhöht ist im Vergleich zur Erwartung einer vergleichbaren Region ohne die Belastung durch die Kriegswirren, das ist im Moment noch gar nicht so ganz klar. Wahrscheinlich ist es geringfügig erhöht, es ist aber nicht zutreffend (…) dass da eben eine drastische Zunahme der Fallzahlen stattgefunden hat. Das kann man inzwischen schon ausschließen.“

Michael Hoffmann hat zusammen mit Kollegen in der irakischen Stadt Basra Untersuchungen vorgenommen und das erste, flächendeckende Krebsregister der Golf-Region mit aufgebaut. Zweimal ist in Basra Uranmunition eingesetzt worden: Während des Golfkrieges 1991, außerhalb der Stadt. Und 2003, diesmal auch im Stadtgebiet, als britische Truppen von Westen her zum Flughafen der Stadt vorrückten. West-Basra ist auch der Stadtbezirk mit der höchsten Leukämierate unter Kleinkindern. Professor Hoffmann:

O-Ton Hoffmann
„Wir haben ja hier konkurrierende Risikofaktoren, z.B. die brennenden Öl-Quellen im Irak oder bombardierte chemische Fabriken, die es auch in anderen Ländern gegeben hat. Da gibt es also hier Mehrfachbelastungen der betroffenen Bevölkerung, die natürlich auch nicht gesundheitszuträglich sind.“

Es muss also nicht unbedingt die Uranmunition sein, die für erhöhte Krebsraten und Fehlbildungen verantwortlich ist, sagt Professor Michael Hoffmann:

O-Ton Hoffmann
„Das was man weiß ist, dass die Uranmunition natürlich ein karzinogenes Risiko darstellt. Das ist ja unstrittig. (…) Die Frage ist aber immer, ob die Dosis, die die einzelnen Menschen dann bekommen durch Kriegshandlungen, ob die eben ausreicht, um wirklich (…) einen messbaren Anstieg von Krebserkrankungen zu verursachen.“

Seine Kollegen vor Ort haben in aufwändigen Befragungen der Bevölkerung herausgefunden, dass etwa jeder Fünfte in Basra mit kontaminierten Orten in Kontakt gekommen sei. Professor Hoffmann hat eine eigene Erklärung für die scheinbar gehäuften Kindstode und Fehlbildungen im Irak - und auch für die grauenhaften Fotos, die kürzlich – zehn Jahre nach Einmarsch der USA im Irak – wieder in alle Medien zu sehen waren:

O-Ton Hoffmann
„Wenn ich jetzt systematisch diese Kinder suche, dann kann ich auch welche finden. D.h. noch lange nicht, dass dort eine Fehlbildungsrate erhöht ist. Denn alle diese Fehlbildungen, die es dort gibt, gibt es natürlich auch in Deutschland.“

Doch in Deutschland sind diese Berichte und die Studie der Ärzte gegen den Atomkrieg, erneut Anlass, politische Schritte zu fordern. Die Linkspartei stellte im Januar im Bundestag den Antrag, Uranmunition zu ächten. Der Antrag beschäftigt derzeit den Verteidigungsausschuss. Er wird voraussichtlich abgelehnt. Bereits bei Einbringung wurde der Antrag vor allem von den Unionsparteien kritisiert. Es gebe keine valide wissenschaftliche Untersuchung, die den Zusammenhang zwischen Krankheiten und eingesetzter Uranmunition bestätigen würde. Die Linkspolitikerin Inge Höger sieht das anders:

O-Ton Höger
„Das ist im Grunde das gleiche, was uns immer wieder überall begegnet, dass Regierungen sagen, der Nachweis sei nicht dargebracht, während alle Studien immer wieder sagen, es gibt gar keine anderen Erklärungen für diese erhöhten Krebsraten.“

Inge Höger, die Abrüstungspolitikerin der Linkspartei, reiste vor wenigen Wochen nach Serbien und in das Kosovo, vor allem um sich über die Langzeitfolgen des Uranmunition-Einsatzes zu informieren. Vor Ort stieß die Mission von Inge Höger aber auf keine große Resonanz:

O-Ton Höger
„Was mich eher ein bisschen irritiert hat war, dass die Regierungen, sowohl in Serbien als auch im Kosovo, aufgrund scheinbar der Beitrittsperspektive zur EU also die Lebenssituation der Menschen in ihrem Land negieren und den Zusammenhang zwischen Uranmunition und Krebserkrankung nicht (…) darstellen wollen und sich im Grunde deshalb auch nicht für die Folgen und die Betroffenen einsetzen, obwohl die Krankenzahlen weiter zunehmen werden.“

Die Diskussion ist nicht neu. 2001 hatte die Bundesregierung unter dem damaligen Verteidigungsminister Scharping eine Studie zur Gefahr von Uranmunition in Auftrag gegeben. Hintergrund war ihr Einsatz im Kosovo-Krieg. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass es keine Gefährdung von Soldaten und Zivilbevölkerung gegeben habe.

Zu einem ähnlichen Ergebnis war damals auch eine Untersuchung des UN-Umweltorganisation UNEP gekommen. Der Direktor der UN-Behörde war Klaus Töpfer.

Balkan, Golfregion, Afghanistan: Nach den Kriegshandlungen kommen regelmäßig vermehrt Fälle von Krebs und hoher Kindersterblichkeit an die Öffentlichkeit. Immer wieder wird darüber gestritten, ob es einen Zusammenhang mit der Verwendung von Uranmunition gibt. Schließlich geht es auch um die Frage nach Schuld und Verantwortung – und letztlich auch um die Frage der Entschädigung.

Flocken:
Mehr zum Thema Uranmunition auf der Internetseite von Streitkräfte und Strategien unter ndr.de/info.


* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 4. Mai 2013; www.ndr.de


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