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Kein Abschuss

Verteidigungsminister sagte vor Euro-Hawk-Untersuchungsausschuss aus – und kam ins Trudeln

Von René Heilig *

Mit dem letzten Tag der Zeugenvernehmung vor dem Euro-Hawk-Untersuchungsausschuss war am Mittwoch zugleich ein Wahlkampf-Spitzentermin aufgerufen. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) versuchte seinem politischen Abschuss zu entgehen. Militärisch gesprochen: Der Opposition gelang zwar manch Treffer, doch der Minister zieht weiter Kreise.

Lügner, sagt die SPD. Ehrenmann, kontert die Union. Muss sich das ausschließen, wenn es um Thomas de Maizière geht? Der Minister sagte am Mittwoch vor dem Euro-Hawk-Untersuchungsausschuss aus. Eine Kernfrage lautete: Wann hat er was von den Problemen mit dem Euro-Hawk-Projekt erfahren?

Öffentlich hatte sich Merkels Alleskönner als der Mann dargestellt, der zum richtigen Zeitpunkt »die Reißleine« zog. Nicht einmal das stimmt. Er hatte lediglich nicht widersprochen, als ihm am 10. Mai die Entscheidung seiner Staatssekretäre Wolf und Beemelmans »zur Kenntnis« gegeben wurde, das Projekt abzubrechen. De Maizière behauptete dann am 5. Juni vor dem Verteidigungsausschuss, dass es »zuvor keine Vorlage an den Minister mit einer Beschreibung der Zulassungsprobleme oder überhaupt zum Gesamtproblem« gegeben habe. Von dem Problem habe er »erstmals im Rahmen einer allgemeinen Besprechung zu vielen Rüstungsvorhaben am 1. März 2012 gehört. Sie wurden mir gegenüber in dieser Besprechung als lösbar dargestellt.«

Im Ausschuss nun ein halbherziges Dementi, denn: »Nach dieser Aussage ist in der öffentlichen Diskussion der unzutreffende Eindruck entstanden, ich sei zwischen der Rüstungsklausur im März 2012 und dem 13. Mai 2013 nie über Probleme beim ›Euro Hawk‹ unterrichtet worden.« Weiter las der Minister vor: »Ich bedaure, dass ich mich am 5. Juni nicht klarer ausgedrückt habe. Den Eindruck, ich hätte nie ›etwas‹ gewusst, wollte ich ganz sicher nicht hervorrufen.«

Wie blauäugig muss man sein, um das zu glauben? Einerlei. Es reicht, als Unionsmitglied im Untersuchungsausschuss zu sitzen. Dann glaubt man dem Parteifreund auch, dass er sofort diesen »Eindruck korrigiert hat«.

Schon vor dem Vertragsabschluss mit der Firma Euro Hawk GmbH im Jahr 2007 häuften sich Probleme. Über die die zuständigen Minister – auch der jetzt als Zeuge vernommene – durchaus zutreffend unterrichtet wurden. Am 5. Dezember 2012 gab es beispielsweise eine Vorlage seines Hauses an de Maizière zum Besuch beim Euro-Hawk-Hersteller EADS-Cassidian in Manching. Die Probleme wurden drastisch geschildert. Die Nachgeordneten warnten vor finanziellen Risiken und davor, dass es »keine Grundlage zur Befürwortung einer Serienbeschaffung des Euro Hawks« gebe. Man sei daher bereits auf der Suche nach Alternativen für die Drohne.

Der Minister, der dieses Papier gezeichnet hat, kam gestern ins Trudeln, als Jan van Aken von der Linksfraktion ihm dieses Papier hartnäckig unter die Nase rieb. Erst sah de Maizière es nicht als richtige Vorlage an – obwohl sie genau so gekennzeichnet ist –, dann hatte er vermutlich nur wenig Zeit zum Lesen.

Hat er über die gravierenden Probleme wenigsten mit den Partnern gesprochen? Es gab Gespräche auf höchster Ebene mit Tom Enders von EADS. »Euro Hawk« ist ein wichtiges transatlantisches Gemeinschaftsprojekt. De Maizière traf sich mit mehreren US-Ministerkollegen. Und? Nichts. Er hat das Thema nicht angesprochen.

Interessant sind die Gründe, weshalb der »Euro Hawk« nun (voraussichtlich) beerdigt wird. Trotz umfangreicher Prüfung gab es keine Chance für eine Musterzulassung. Es sei denn, man hätte noch einmal so viel investiert wie in das Projekt selbst. Dessen Kosten liegen derzeit bei rund 680 Millionen Euro. Außerdem hätte man ein Fluggerät in Dienst gestellt, das von den USA längst durch ein moderneres ersetzt wird. Der Bezug von Ersatzteilen wäre schwer geworden.

Erstaunlich für ein Projekt, das einen eigenständigen deutschen Aufklärungszuwachs ermöglichen sollte, ist: Eine eigenständige nationale Missionsplanung wäre bis mindestens 2017 nicht gegeben gewesen. Klartext: Jeder Einsatz, auch Test- und Erprobungsflüge, hätten von den USA aus durchgeführt werden müssen. Eine Exportversion des US-amerikanischen Missionsplanungssystems, das im Übrigen mit Software des Skandalgeheimdienstes NSA läuft, war erst für die Zeit nach 2017 »in Aussicht gestellt«.

Einen »Trost« hatte de Maizière am Mittwoch dennoch parat. Dadurch, dass die bereits gekaufte Erprobungsdrohne noch mindestes bis Ende September Testflüge über Deutschland absolvieren darf, wird das an Bord befindliche ISIS-Aufklärungssystem von EADS ausführlich geprüft und kann genutzt werden. Nur braucht man dazu eine neue Plattform. Bis zum Jahresende werden drei Optionen geprüft. EADS freut sich schon auf das »Anschlussprojekt«.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 1. August 2013


Peinlicher Ausschuss

Von René Heilig **

Zum Glück sind auch im gerade laufenden Euro-Hawk-Untersuchungsausschuss Kameras und Tonaufzeichnungen jeder Art verboten. Sonst hätten die Abgeordneten der Regierungskoalition auch noch alle Verwandten und Freunde, insbesondere die vom letzten Urlaub, sowie Hund und Katze samt allen Nachbarn daheim gegrüßt – nur um die ihnen zustehende Fragezeit so zu füllen, dass man de Maizière nicht in zusätzliche Schwierigkeiten bringt. Der nutzte diese Phasen zur Erholung, bevor die SPD – die in Sachen »Euro Hawk« selbst genug Dreck am Stecken hat – dann wieder das Wort »Lügner« in den Raum und die Laptops der anfangs zahlreich anwesenden Journalisten buchstabierte.

Auch wenn sich LINKE und Grüne in ihren jeweils sieben Minuten pro Fragerunde durchaus mühten – das ist keine ernsthafte Untersuchung eines wahrlich facettenreichen Skandals. Das ist Kasperle-Wahlkampf. Gäbe es im Bundestag nicht auch den sogenannten NSU-Untersuchungsausschuss, der gezeigt hat, wie eng und intensiv, ja fast kameradschaftlich Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinaus funktionieren kann, könnte man auch den letzten verblieben Glauben an parlamentarische Demokratie bei eBay versteigern. Maximalgebot: 99 Cent ...

Noch eines macht betroffen. Kaum einer fragt noch nach dem Auftrag, den die nun politisch abgestürzte Aufklärungsdrohne erfüllen sollte. Das zeigt, wie selbstverständlich es schon ist, dass der grundgesetzlich verbriefte Verteidigungsauftrag irgendwo in fremden Ländern erfüllt wird.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 1. August 2013 (Kommentar)


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