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Minister weißgewaschen

Untersuchungsausschuß zur Spionagedrohne »Euro Hawk« legt Abschlußbericht vor. De Maizière kommt glimpflich davon

Von Matthias Monroy *

Der zweimonatige Untersuchungsausschuß zum Drohnendebakel hatte sich viel vorgenommen: 1500 digitalisierte Akten mit einem Volumen von 80 Gigabyte durcharbeiten, 18 Zeugen in sechs Ausschußsitzungen vernehmen und danach ein gemeinsames Votum aller beteiligten Fraktionen abstimmen. Daß dabei höchstens ein halbgares Ergebnis zu erzielen wäre, war von Anfang an klar, denn es ist Wahlkampf. Wie zu erwarten werfen SPD und Grüne dem Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) schweres Versagen vor, da Summen in dreistelliger Millionenhöhe verpulvert wurden. Schwarz-Gelb sah den Minister von allen Vorwürfen entkräftet. Einzig die Linksfraktion nutzte die Gelegenheit, um die Beschaffung einer neuen militärischen Spionagedrohne grundsätzlich zu kritisieren. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob das von EADS gebaute Aufklärungssystem ISIS, das mit dem »Euro Hawk« befördert wird, überhaupt gebraucht wird. Das Verteidigungsministerium behauptet, es gäbe eine »Fähigkeitslücke«, was jedoch selbst in Vermerken der Bundeswehr bestritten wird.

Der Ausschuß kam am Montag zu seiner letzten Sitzung zusammen und verabschiedete seinen Bericht. Allerdings war der Untersuchungsgegenstand von Anfang an zu eng gefaßt: Die Abgeordneten sollten herausfinden, ob de Maizière log, als er behauptete, er habe von den Zulassungsproblemen der Spionagedrohne zu spät erfahren. Erst Mitte Mai zog der Minister die »Reißleine« des Gesamtprojekts »Euro Hawk«. Das Verteidigungsministerium entschied, auf die geplante Serienbeschaffung weiterer vier US-Spionagedrohnen zu verzichten und den bereits gelieferten Prototyp nach Abschluß von Testflügen einzumotten.

Ursprünglich sollten die fünf »Euro Hawk« eine Zulassung für den Flug im zivilen Luftraum erhalten. Diese sogenannte Kategorie drei stellt unbemannte mit regulären Flugzeugen gleich. Notwendig ist aber ein Ausweichverfahren, wie es in bemannten Flugzeugen von den Piloten angewendet wird. Weltweit existiert bislang kein zuverlässiges System, das dies für Drohnen automatisieren könnte.

Militärische Drohnen fliegen deshalb in Höhen, in denen keine anderen Flugzeuge verkehren. Möglich ist auch der Betrieb in gesperrten Lufträumen. Jedoch zeichnete sich bereits vor zwei Jahren ab, daß der »Euro Hawk« in Deutschland höchstens mit einer Ausnahmegenehmigung fliegen darf, für eine langfristige Zulassung wären weitere Forschungen und Zertifizierungsverfahren notwendig. Eine deshalb in Auftrag gegebene Studie kam zu dem Ergebnis, daß hierfür bis zu 600 Millionen an zusätzlichen Kosten für den »Euro Hawk« entstünden.

Spitzfindig erklärte de Maizière den Abgeordneten, von den Problemen erst Anfang dieses Jahres gehört zu haben, diese seien ihm aber als lösbar dargestellt worden. Hier jedoch log der Minister, denn nachweislich finden sich in zahlreichen Briefings seit zwei Jahren entsprechende Hinweise. Die Bundeswehr hatte sogar vor einem Jahr eine Studie beim deutschen Rüstungsdienstleister IABG bestellt, um Alternativen zum »Euro Hawk« zu untersuchen. Weshalb de Maizière letztlich doch die Wahrheit sagte, stellte sich im Laufe seiner Befragung heraus: Er hatte die Vermerke seiner Untergebenen schlicht nicht gelesen. Stéphane Beemelmans, der engste Vertraute des Ministers, nahm alle Verantwortung auf sich und erklärte, er habe es versäumt, seinen Chef auf die drängende Entscheidung über das Projekt hinzuweisen.

Die Grünen regen nun ein neues Parlamentsgremium an, das sich speziell mit millionenschweren Rüstungsvorhaben befaßt. Denn de Maizière hätte bei früherer »Reißleine« 112 Millionen Euro einsparen können. Zusammen mit der SPD fordern die Abgeordneten personelle Konsequenzen in der Leitung des Verteidigungsministeriums. Gleichzeitig erneuert Rot-Grün den Vorschlag, das Spionagesystem ISIS möglichst schnell in ein anderes Luftfahrzeug einzubauen.

Erst jetzt wurde aber ein weiterer Skandal publik: Die Bundeswehr hat es versäumt, für das Projekt »Euro Hawk« wie vorgeschrieben ein Datenschutzkonzept zu erstellen. Dies betrifft die mittlerweile abgeschlossenen Testflüge ebenso wie den ursprünglich geplanten Serienbetrieb von fünf Drohnen. Dies hatte der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (Die Linke) nach mehrmaliger Nachfrage aus dem Verteidigungsministerium erfahren. Aus den Akten für den Untersuchungsausschuß geht sogar hervor, daß ihm die fehlende Einbindung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Bundeswehr verheimlicht werden sollte. »Dieses in die Antwort hineinzuschreiben, ist sicher auch nicht zielführend«, zitiert das Handelsblatt einen Bundeswehrangehörigen in einem vertraulichen Vermerk. »Dies wiegt umso schwerer, da die parlamentarische Kontrolle des Verteidigungsministeriums seit April auf Eis gelegt ist. Unsere Anfragen zu Drohnen werden stets mehrere Wochen verschleppt«, kritisiert Hunko.

Zwar hat der Untersuchungsausschuß nun seinen Bericht vorgelegt, offiziell endet die Frist der Beweisaufnahme aber erst mit dem Ablauf der Wahlperiode. Dann müssen die Beteiligten aller Fraktionen eine Erklärung unterschreiben, die über 350 als vertraulich eingestuften Aktenordner zu vernichten und Dateien zu löschen. Jedoch kommt die Anordnung zu spät, denn dem Wochenblatt Die Zeit sind alle gegenwärtig eingescannten Dokumente zugespielt worden. Deren Bewertung durch die Journalisten ist indes höchst fragwürdig. Die Akten erzählten demnach »von Soldaten und Beamten und ihrem Traum, das beste Aufklärungsgerät für die Bundeswehr zu beschaffen, das auf dem Markt zu haben ist«. Um es zu bekommen, hätten sie zwar sämtliche Bedenken ignoriert, dabei aber nach bestem Wissen gearbeitet.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 28. August 2013


Militärisch-industrieller Komplex

Kungelei zwischen EADS, Bundeswehr und Verteidigungsministerium aufgedeckt

Von Matthias Monroy **


Der Rüstungskonzern EADS ist auf vielen Ebenen mit der Herstellung von Drohnen befaßt. Hierzu gehören neben kleineren und mittleren die hochfliegenden Geräte der MALE-Klasse (»Medium Altitude Long Endurance«). Im Projekt »Sagitta« will das Unternehmen den Prototyp einer Kampfdrohne entwickeln. EADS erhielt von der Bundesregierung und der Europäischen Union umfangreiche Zuwendungen für Forschungsvorhaben, Ergebnisse darf die Firma selbst verwerten.

Mit Northrop Grumman, dem Hersteller des Trägerflugzeugs »Euro Hawk«, hat sich EADS in einer GmbH zusammengeschlossen. In Vermerken der Bundeswehr wird das Verhältnis der Firmen jedoch als »zerrüttet« bezeichnet: Ein weiterer Hinweis, daß die »Reißleine« für den Kauf weiterer US-Drohnen eine Mogelpackung war. Denn vielmehr geht es um Protektionismus zugunsten deutscher Drohnen-Hersteller. So war es auch im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP als Ausbau von »nationalen Fähigkeiten« zukünftiger unbemannter Luftfahrtsysteme festgeschrieben.

EADS hatte seit Jahren für das Projekt »Talarion« geworben und hierfür angeblich bereits 600 Millionen für Entwicklungskosten investiert. Die Drohne könnte mit Überwachungstechnik oder Waffen bestückt werden. Als Partner und spätere Abnehmer galten Frankreich, Spanien, Italien und die Türkei. »Talarion« war für den Betrieb im zivilen Luftraum konzipiert und könnte laut EADS auch von Polizeibehörden genutzt werden. Nachdem im Bundeshaushalt 2012 kein Geld für »Talarion« eingestellt worden war und sich Frankreich einem anderen Projekt mit Großbritannien zuwandte, brach EADS das Vorhaben zunächst ab. In den Sitzungen des Untersuchungsausschusses kam allerdings zur Sprache, daß die Firma zur gleichen Zeit im Verteidigungsministerium und bei der Bundeswehr auf dessen Fortführung insistierte. Inzwischen firmiert das Projekt unter dem Namen »Future European MALE« und trägt die Abkürzung »­FEMALE«. Die Drohne baut auf den alten Konstruktionsplänen auf, ist aber um etwa ein Drittel größer.

Seit Beginn seiner Amtszeit setzt sich der Verteidigungsminister für die EADS-Drohne ein. Mit hochrangigen EADS-Mitarbeitern traf er sich in dieser Sache zu Vier Augen-Gesprächen. »­FEMALE« gilt seit einem Jahr sogar als möglicher Ersatz für den »­Euro Hawk«, obwohl eine Serienproduktion frühestens 2020 zu erwarten ist. Um der Drohne Absatzmärkte auch im Ausland zu eröffnen, traf sich de Maizière mit Amtskollegen in Frankreich, Großbritannien und in den USA. Auf seine Initiative hat die Europäische Verteidigungsagentur angeregt, Fragen der luftfahrtrechtlichen Zulassung zivil und militärisch genutzter Drohnen zukünftig gemeinsam zu klären.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 28. August 2013

Hintergrund: Ein Juwel, mit dem man sehr schön schauen kann

Ein Grund für das späte Nein zum Gesamtprojekt »Euro Hawk« war die Forderung der Bundeswehr, Tests mit dem neuen Spionagesystem ISIS zu beenden. Denn die Drohne war lediglich als hoch fliegender Träger für die von EADS gefertigte Überwachungstechnik gedacht. Ein Regierungssprecher bezeichnete dieses sogenannte ISIS-System als »Juwel, mit dem man sehr schön gucken und schauen kann«. Allerdings hat der Sprecher die Funktionsweise des Spionagesystems mißverstanden – denn das ISIS guckt nicht, sondern es hört. Die Abkürzung steht für »Integriertes SIGINT-System«, SIGINT wiederum ist der Begriff für »signalerfassende Aufklärung«. Die Plattform fängt jede elektromagnetische Strahlung in einem bestimmten Gebiet auf, ortet deren Quellen und visualisiert sie auf einer Karte.

Über die technischen Möglichkeiten hatte ein Manager des Rüstungskonzerns EADS in einem Seminar an der Technischen Universität Dresden geplaudert. Demnach handele es sich um eine »sehr komplexe Software«, die sogar über das Potential der radarbasierten AWACS-Flugzeuge hinausgehe. Den Zweck des ISIS bezeichnet er als »Information, Spionage, Überwachung, Identifizierung«. Es handele sich um »immense Datenmengen«, darunter auch Mikrowellen im Haushalt oder startende Fahrzeuge. Allerdings sind selbst breitbandige Satellitenverbindungen kaum in der Lage, alle Daten an die Bodenstation weiterzugeben. Deshalb werden die Signale bereits in der Luft gefiltert und analysiert.

Die Linksfraktion hatte eine eigene Studie in Auftrag gegeben, um die Funktionsweise des ISIS zu verstehen. Demnach ist es möglich, Aussendungen aus 400 bis 500 Kilometern Entfernung zu empfangen. Das ISIS muß dabei nicht im hoheitlichen Luftraum eines militärischen »Interessengebietes« kreisen, es genügt der Überflug an der Grenze eines Landes. Ein eigenes Kapitel der Studie widmet sich einer etwaigen Verwendung des ISIS im Innern. Denn die Bundesregierung sieht in dem Einsatzkonzept auch »ressortübergreifende« Missionen vor. Dies beträfe beispielsweise das Abhören von Mobilfunk, Handfunkgeräten oder Satellitentelefonen. Dadurch könnten etwa bei Gipfelprotesten strategische Informationen erfaßt und verarbeitet werden.

(mmo)




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