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Obamas Drohnen dürfen US-Bürger töten

Menschenrechtler kritisieren juristische Legitimierung der Angriffe mit Killer-Robotern

Von Olaf Standke *

Die Allzweckwaffe Drohne soll das Töten von Zielpersonen zunehmend »maschinell« erledigen. Im Fall von Osama bin Laden war noch »Handarbeit« angesagt. Die Tötung des Terrorfürsten durch Elitesoldaten wurde im US-Film »Zero Dark Thirty« (Foto), der seit Ende Januar in deutschen Kinos zu sehen ist, in Szene gesetzt.

»Diese Angriffe sind legal, sie sind ethisch korrekt und sie sind klug«, sagte Jay Carney am Dienstag (Ortszeit) in Washington. Mit diesem Satz reagierte der Sprecher des Weißen Hauses auf die Kritik, die ein Bericht des Fernsehsenders NBC provoziert hatte. Nach einer aktuellen Expertise des Justizministeriums dürfe die Regierung bewaffnete Drohnen einsetzen, um Verdächtige im Ausland zu töten, wenn ein »informierter ranghoher Beamter« zu der Überzeugung gelangt, dass es sich um ein Führungsmitglied von Al Qaida oder mit dem Netzwerk verbundener Gruppen handelt, von dem die unmittelbare Gefahr eines Terroranschlags gegen die USA ausgeht - selbst wenn es ein Bürger der Vereinigten Staaten ist.

Das von NBC präsentierte »White Paper«, ein undatiertes Regierungsdokument ohne Unterschrift, könnte nach Meinung von Experten eine Kurzfassung jenes Geheimmemorandums sein, mit dem das Ministerium schon Ende 2011 die Liquidierung des im US-Bundesstaat New Mexico geborenen Anwar al-Aulaqi am 30. September 2011 in Südjemen legitimiert hatte. Der »Hassprediger« und Chef von Al Qaida auf der Arabischen Halbinsel starb, als er von der Rakete einer Drohne des Auslandsgeheimdienstes CIA getroffen wurde. Wenig später tötete man seinen Sohn Abdulrahman auf gleiche Weise; er war erst 16 Jahre alt. Das vierte Amendment, das US-Bürger vor staatlichen Übergriffen schützen soll, immunisiere nach Meinung der ministeriellen Juristen Terroristen nicht gegen eine vom Präsidenten autorisierte Tötungsoperation.

Wobei es an anderer Stelle auch heißt, dass man keine klaren Beweise dafür benötige, dass ein bestimmter Angriff auf US-amerikanische Personen oder Interessen in allernächster Zukunft stattfindet. Vielmehr müsse man jedes Zeitfenster nutzen. Mithin: Jeder Angriff auf Führungspersonal von Al Qaida sei, wo auch immer, reine Selbstverteidigung.

Präsident Barack Obama hat die Drohnen-Einsätze gegenüber der Amtszeit seines Vorgängers George W. Bush massiv ausgeweitet. Sie würden von der Regierung genutzt, um Gefahren abzuschwächen, Anschläge zu stoppen, künftige Terrortaten zu verhindern und amerikanische Leben zu retten, rechtfertigte jetzt auch Carney diesen »Schattenkrieg«, in dem laut »Washington Post« während Obamas erster Amtszeit bei über 300 Angriffen fast 3000 Menschen getötet wurden - die meisten von ihnen unschuldige Zivilisten, die als »Kollateralschäden« in Kauf genommen würden, wie Menschenrechtler kritisieren.

Die Bürgerrechtsorganisation ACLU zeigte sich über das jetzt öffentlich gewordene Dokument »zutiefst beunruhigt«. Es sei schwer zu glauben, dass es in einer Demokratie verfasst wurde, die auf dem Prinzip der Gewaltenteilung beruht. Hier werde »in kalten Rechtsformeln die atemberaubende Machtanmaßung der Regierungsgewalt zusammengefasst«. Von der kündet auch ein anderes Papier zum »Anti-Terrorkrieg«, und das grenzüberschreitend. Mindestens 54 Länder haben nach einem Report der Menschenrechtsorganisation »The Open Society Justice Initiative« geheime Gefängnisse der CIA unterstützt. Dazu zähle auch Deutschland. Diese Staaten hätten solche Gefängnisse auf ihrem Territorium geduldet oder den Transport von Gefangenen unterstützt.

Viel Stoff also für das parlamentarische Bestätigungsverfahren des designierten CIA-Chefs John Brennan, der sich heute im Washingtoner Capitol den Fragen der Senatoren stellen muss. Er war bisher Obamas Anti-Terrorberater und einer der Initiatoren des Drohnenkriegs.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 07. Februar 2013


Hinrichtung ohne Prozeß

US-Regierung hält außergerichtliche Tötung von Bürgern für legal. Politiker und Medien fordern Offenlegung der rechtlichen Grundlagen

Von Knut Mellenthin **


Der von Barack Obama als neuer CIA-Chef nominierte John Owen Brennan wird am heutigen Donnerstag vom Geheimdienstausschuß des Senats »ins Kreuzverhör genommen«. Dieser Posten gehört zu den Schlüsselämtern, die der Präsident nur mit Zustimmung des Senats besetzen kann. Voraussichtlich werden bei der Befragung des Kandidaten durch die Ausschußmitglieder auch die von Obama angeordneten außergerichtlichen Hinrichtungen von US-Bürgern zur Sprache kommen. Zumindest hat dieses Thema in Zusammenhang mit Brennans Nominierung die amerikanischen Mainstreammedien in den vergangenen Tagen stark beschäftigt. Der 57jährige hat in den letzten vier Jahren als oberster Terrorismusberater des Präsidenten eine zentrale Rolle bei der Vervielfachung der Drohnenmorde gespielt.

Obama hatte Brennan schon vor vier Jahren zum CIA-Chef machen wollen. Das war damals daran gescheitert, daß der Kandidat allzu sehr in die Folterpraktiken des Geheimdienstes unter Präsident George W. Bush verwickelt schien. Im Gegensatz zu damals ist jetzt kein bedeutender Widerstand gegen Brennans Ernennung zu erwarten. Zumindest ist unter den Senatoren kein grundsätzlicher Kritiker der Drohneneinsätze. Zunehmend in Frage gestellt werden allerdings die Umstände ihrer Anwendung gegen Bürger der USA.

Die Debatte darüber hat starken Auftrieb bekommen, seit NBC am Montag ein Memorandum des Justizministeriums zu dieser Frage veröffentlichte, das im Juni 2012 zwei Senatsausschüssen als »vertraulich« übergeben worden war. Das 16seitige Papier, das keiner formalen Geheimhaltungsstufe unterliegt, faßt ein vermutlich erheblich längeres Rechtsgutachten unbekannten Datums zusammen, dessen Herausgabe die US-Regierung immer noch verweigert. Elf Senatoren, acht Demokraten und drei Republikaner, haben am Montag in einem Schreiben an Obama Zugang zu allen geheimen Memoranden gefordert, die zu diesem Thema existieren. Als deutliche Warnung heißt es in dem Brief, daß die Erfüllung dieses Begehrens »eine unnötige Konfrontation mit dem Senat bei der Prüfung der Nominierten für Posten im Bereich der nationalen Sicherheit vermeiden« könne.

In dem jetzt veröffentlichten 16-Seiten-Memorandum heißt es, daß die »gezielte Tötung« US-amerikanischer Bürger im Ausland unter drei Bedingungen rechtlich zulässig sei: »1) Wenn ein informierter hochrangiger Regierungsbeamter entschieden hat, daß die Zielperson eine unmittelbare Gefahr eines gewaltsamen Angriffs gegen die USA darstellt; 2) Wenn eine Operation zur Gefangennahme nicht durchführbar ist; 3) Wenn eine solche Operation – gemeint ist die Tötung – gemäß den anzuwendenden Prinzipien der Kriegsrechts durchgeführt wird.«

Im weiteren wird der erste Punkt dahingehend relativiert, daß das Bestehen einer »unmittelbaren Gefahr« bei angeblichen Mitgliedern der Al-Qaida-Führung grundsätzlich, also auch ohne Erkenntnisse über geplante Anschläge, anzunehmen sei. Begründung: »Die Al-Qaida-Führer sind ständig dabei, Angriffe gegen die USA zu planen«. Zum zweiten Punkt heißt es, daß eine Gefangennahme auch dann als »nicht durchführbar« zu gelten hat, wenn sie »unangemessene Risiken« für das erforderliche Personal mit sich bringen könnte. Das Memorandum gilt ausdrücklich nur für Zielpersonen, die sich im Ausland befinden. Vertreter der US-Administration sind aber in der Vergangenheit wiederholt Fragen ausgewichen, ob unter Umständen auch die außergerichtliche Tötung von Bürgern auf dem Territorium der USA als legal anzusehen wäre.

Nach der Sprachregelung der US-Regierung wurde bisher erst ein US-Bürger Opfer einer gezielten Tötung durch einen Drohneneinsatz: Anwar Al-Awlaki am 30. September 2011 im Jemen. Drei weitere Amerikaner, darunter Awlakis 16jähriger Sohn Abdulrahman am 14. Oktober 2011, wurden ebenfalls im Jemen bei Angriffen getötet, die angeblich anderen hochrangigen Al-Qaida-Mitgliedern gegolten hatten.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 7. Februar 2013


Schattenkrieger

Von Olaf Standke ***

Dagegen war George W. Bush ja ein Waisenknabe. Unter seiner Ägide begannen zwar die Angriffe unbemannter, bewaffneter Flugkörper gegen vermeintliche Terroristen, doch ihr massenhafter Einsatz in einem regelrechten Drohnen-Krieg wird immer mit dem Namen seines Nachfolgers Barack Obama verbunden sein. Über 300 Operationen vor allem im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet, in Jemen und in Somalia haben unabhängige Beobachter gezählt. Fast 3000 Todesopfer gab es dabei, darunter vor allem unschuldige Zivilisten, von Militärs zynisch als Kollateralschäden abgetan. Gerade wurde enthüllt, dass die Angriffe gegen Ziele in Jemen von einem CIA-Stützpunkt in Saudi-Arabien aus erfolgen. Seit Anfang 2011 sollen es 57 gewesen sein.

Allen voran John Brennan, seines Zeichens Anti-Terrorberater Obamas, habe auf den Bau dieser Basis gedrängt. Er gilt als Chefarchitekt des Drohnen-Programms und soll nun den ganzen Auslandsgeheimdienst CIA leiten. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was das für die neue Kriegführung der Supermacht bedeutet. Unvorstellbar war hingegen für Bürgerrechtler in den USA, wie die Obama-Regierung verfassungsrechtliche Grundsätze verbiegt und das Prinzip der Gewaltenteilung außer Kraft setzt, um den Einsatz solcher Hinrichtungsmaschinen juristisch zu legitimieren. Und dabei selbst US-Bürger unter Umgehung der Rechtsprechung auch fernab anerkannter Kriegsschauplätze nach Gutdünken umzubringen.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 07. Februar 2013 (Kommentar)


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