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Terroranschläge mit Drohnen – nur eine Frage der Zeit?

Ein Beitrag von Joachim Hagen aus der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien"


Andreas Flocken (Moderator):
Die Bundeswehr will Drohnen beschaffen, die mit Raketen bewaffnet werden können. Verteidigungsminister de Maizière wirbt seit Wochen für dieses Rüstungs-Projekt. Die Einführung sogenannter Kampfdrohnen bedeutet eine neue Qualität in der Kriegsführung. Bewaffnete Drohnen sind für die USA die idealen Instrumente in asymmetrischen Konflikten, beispielswiese im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Deswegen hat Washington die Drohnen-Einsätze gegen Terrorverdächtige massiv ausgeweitet. Die Drohnentechnologie ist auf dem Vormarsch. Werden vor diesem Hintergrund nun auch Terroranschläge mit Drohnen wahrscheinlicher? Sind Attentate mit diesen Fluggeräten nur noch eine Frage der Zeit? Joachim Hagen ist diesen Fragen nachgegangen:


Manuskript Joachim Hagen

Dirk Marquardt steuert seine Flugdrohne mit schlafwandlerischer Sicherheit durch die Regalreihen seines Geschäfts. Marquardt verkauft Modellflugzeuge und andere ferngesteuerte Spielzeuge. Sein Bestseller ist der Quadrocopter, der gerade durch seinen Laden schwebt. Ein schwarz-gelb lackiertes Gestell mit vier Propellern, insgesamt etwa 80 Zentimeter breit. Marquardt konzentriert sich ganz auf die Funksteuerung:

O-Ton Marquardt
„Die Drohne lässt sich im Grunde fliegen wie ein Hubschrauber. Sie hat die Funktion Gier. Gier ist um die Hochachse drehen, dann hat sie die Funktion Roll, das nennt man beim Hubschrauber das Seitwärts fliegen und dann besitzt sie noch die Funktion des Nickens, das ist das Vorwärts und rückwärts fliegen.“

Diese Drohne kostet etwa 500 Euro. In den vergangenen Jahren habe die Steuerelektronik im Bereich des Modellbaus enorme Fortschritte gemacht, erzählt Marquardt. Trotzdem, eine solche Drohne zu steuern, sei nicht so einfach, wie es aussieht:

O-Ton Marquard
„Um so etwas fliegen zu können, braucht man schon mindestens ein Jahr intensives Training. (...) Wenn man sich im 3D-Bereich bewegt, das heißt auch Rückwärtsflug oder andere Dinge tätigen möchte, da hat man eine Lernzeit von mindestens zwei Jahren, bevor man so etwas bruchfrei umsetzen kann. Das ist doch ein sehr hoher Schwierigkeitsgrad, weil, letztendlich ist es den Menschen nicht gegeben, ein Flugobjekt spiegelverkehrt sofort händeln zu können.“

Trotz dieser Schwierigkeiten - das Bundeskriminalamt warnt vor Terroristen, die Drohnen und Modellflugzeuge für Anschläge nutzen könnten. In einer Gefährdungsbewertung des Bundeskriminalamtes heißt es: Die vorliegenden Erkenntnisse machen deutlich, dass dies im islamistischen Spektrum thematisiert werde.

Anlass für diese Einschätzung ist der Fall eines amerikanischen Islamisten, der vor zwei Jahren Anschläge in Washington plante. Der 27 Jahre alte Physiker wollte nach Erkenntnissen des FBI drei Modellflugzeuge mit Sprengstoff beladen und sie in das Kapitol und das Pentagon stürzen lassen. Vor kurzem wurde er zu 17 Jahren Haft verurteilt.

Auch in Deutschland sind Islamisten auf die Möglichkeiten der Modellbaufliegerei aufmerksam geworden. Das Bundeskriminalamt hat zwei Männer im Visier, die sich unabhängig voneinander über die Möglichkeit informiert haben sollen, Sprengstoffanschläge mit Hilfe von Drohnen zu verüben. Zwei unterschiedliche Szenarien machen den Beamten Sorgen.

Das erste: Ein Sprengstoffanschlag auf ein wichtiges Gebäude mit einem ferngesteuerten Modellflugzeug - ähnlich wie bei den in den Vereinigten Staaten aufgedeckten Plänen. Beim zweiten Szenario geht es um Angriffe auf startende Passagierflugzeuge. Eine Drohne wird in eines der Triebwerke gesteuert und soll dadurch den Absturz der Maschine provozieren.

Der Grund, warum Klein-Drohnen für Terroristen so attraktiv geworden sind, ist der technische Fortschritt im Modellbau.

Die Bundeswehr hat bereits vor acht Jahren eine Aufklärungsdrohne namens Aladin in Betrieb genommen: Ein Fluggerät, das aussieht wie ein Modellflugzeug, mit einer Flügelspannweite von eineinhalb Meter. Der Propeller wird von einem Elektromotor angetrieben. Reichweite: bis zu 15 Kilometer. Die Flugroute wird vor dem Start anhand der entsprechenden GPS-Daten programmiert, die Aladin dann selbstständig abfliegt. Eine eingebaute Videokamera überträgt ihre Bilder während des Fluges an die mobile Bodenstation. Und seit Aladin hat die Technik gewaltige Fortschritte gemacht.

Vor kurzem hat die israelische Luftwaffe eine feindliche Aufklärungs-Drohne abgeschossen. Diese Drohne war im Libanon gestartet, flog die Mittelmeerküste Richtung Süden und war dann in der Höhe des Gazastreifens in den israelischen Luftraum eingedrungen. Das ist eine Flugroute von etwa 250 Kilometer. Es wird vermutet, dass die Drohne im Iran entwickelt wurde und von der libanesischen Hisbollah-Miliz nach Israel geschickt worden war, um dort ein Atomzentrum aus zu spionieren. Viele dieser militärtechnischen Fortschritte sind inzwischen im Modellbau angekommen. Dazu gehört auch die Videotechnik. Der Quadrocopter von Dirk Marquardt kann mit einer kleinen Kamera ausgerüstet werden, die ihre Bilder auf eine Videobrille überträgt. Wenn der Pilot diese Brille trägt, hat er den Eindruck, sich im Cockpit der Drohne zu befinden. Und diese Technik ist nicht teuer. Allerdings sollte man die Möglichkeiten nicht überschätzen, sagt Julian Wingert, Referent des Aero-Clubs Hamburg für elektrisch angetriebene Flugzeug-Modelle:

O-Ton Wingert
„Es gibt Kaufsysteme, die gehen los bei 300 Euro für ganz einfache Systeme mit WLAN-Steuerung. Da haben Sie allerdings eine sehr beschränkte Reichweite. Die hochfrequenten Übertragungen werden sehr schnell abgeschattet, da reicht schon eine ganz normale Wand aus, um das meiste weg zu nehmen. Und da sehen Sie ganz schnell, dass das völlig unrealistisch ist, damit gezielt irgendwo hin zu fliegen. Wenn sie jetzt im freien Gelände sind, ja ok. Aber auf der anderen Seite können Sie sich im Zweifel dann sich auch eine große Steinschleuder bauen, und das einfach dahin werfen. Das ist viel effizienter und viel billiger.“

Und das gilt auch für die Fernsteuerung. Die Funk-Signale der Fernsteuerung breiten sich linear aus. Das heißt, hinter einer Wand oder einem Haus empfängt die Drohne keine Signale mehr und stürzt ab. Natürlich gibt es auch - wie bei Aladin, der Aufklärungsdrohne der Bundeswehr - die Möglichkeit, eine Drohne nach GPS-Daten fliegen zu lassen. Aber das GPS-Signal ist so ungenau, dass Ziele, die kleiner als 10 Meter sind, nicht mit Sicherheit getroffen werden können. Die Vorstellung, dass man eine mit Sprengstoff bepackte Drohne am anderen Ende der Stadt in ein bestimmtes Fenster eines Gebäudes steuern kann, ist also unrealistisch. Nach Ansicht von Julian Wingert gilt das auch für die Idee, ein Passagierflugzeug zum Absturz zu bringen, indem man eine Drohne in eines der Triebwerke fliegen lässt:

O-Ton Wingert
„Wenn Sie sich jetzt vorstellen, dass so ein Quadrokopter eine Höchstgeschwindigkeit von 30 bis 40 Stundenkilometer hat. Und Sie sich noch dazu vorstellen, dass so ein startendes Flugzeug 300 Stundenkilometer fliegt, dann müssen Sie sich ausrechnen, das sind etwa 70 Meter pro Sekunde, dann müssen Sie ein Ziel treffen, das zwei Meter groß ist. Und nicht nur eines, sondern mindestens zwei, bei einer zweistrahligen, denn sonst kann die Maschine problemlos landen. Also, durch Werfen ein Garn durch ein Nadelöhr zu kriegen, ist einfacher als so etwas hin zu bekommen. Das ist nahezu unmöglich.“

Auch André Schulz, der Vorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter, hält es für unwahrscheinlich, dass Terroristen Drohnen oder Modelflugzeuge als eine Art „Fliegende Bomben“ nutzen könnten. Drohnen sind nicht dafür konzipiert, schwere Lasten zu tragen. Abhängig davon, wie schwer die Video-Kamera und der Sender sind, bleiben nur einige Hundert Gramm für die Zuladung. Selbst wenn es einem Terroristen gelingen sollte, das Triebwerk eines startenden Passagier-Jets zu treffen, würde der Sprengstoff nicht ausreichen um einen schweren Schaden anzurichten. Das gilt auch für den Angriff auf ein Gebäude. Schulz spricht deshalb von einer theoretischen Gefahr:

O-Ton Schulz
„Also mit einer theoretischen Gefährdung werden wir sicherlich leben müssen. Wenn man sich Kosten oder Nutzen und Aufwand mal genau betrachtet, ist es eher unwahrscheinlich. Weil die gleichen Möglichkeiten, die man damit erzielen könnte, könnte man mit der Technik heute auch schon erzielen. Und gerade für Terroristen gibt es doch wesentlich bessere Möglichkeiten, Anschläge vorzunehmen.“

Auch die Gefährdungsbewertung des Bundeskriminalamtes kommt zu dem Schluss, dass es bislang keine Erkenntnisse gibt, die auf eine konkrete Gefährdung durch den terroristischen Einsatz von Drohnen beziehungsweise Modellflugzeugen hinweisen.

Die Betonung liegt allerdings auf „bislang“. Denn wenn sich der Modellbau weiter so rasant entwickelt wie in den vergangenen Jahren, dann wird die Gefährdungsbewertung des Bundeskriminalamtes möglicherweise bald zu einem anderen Ergebnis kommen.

* Aus: NDR-Forum "Streitkräfte und Strategien", 9. Februar 2013; www.ndr.de/info


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