Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Illegal, unnötig und außer Kontrolle"

Auch in den USA wird die Kritik an Obamas Drohnenpolitik in Pakistan und anderswo lauter

Von Max Böhnel, New York *

Seit Jahren setzen die USA in Pakistan Drohnen ein, um tatsächliche oder vermeintliche Extremisten aus der Luft zu töten – trotz Protesten aus Islamabad. Jetzt wies ein pakistanisches Gericht die Regierung an, die unbemannten Flugzeuge notfalls abschießen zu lassen. Auch in den USA wird das »targeted killing« immer stärker kritisiert.

Rechtsstaatliche Fragwürdigkeit und Geheimnistuerei – so lautet der Befund, den Politiker der Obama- Regierung vorhalten. Kritik äußerte am Dienstag beispielsweise Harold Koh, bis 2010 Chefjurist des Außenministeriums. Die Drohnenpolitik müsse sich endlich »in Disziplin« üben. Das Drohnenprogramm werde als »illegal, unnötig und außer Kontrolle « wahrgenommen. Es sei in der Öffentlichkeit nicht mehr zu verteidigen.

Seit einigen Wochen mehren sich auch im Kongress die Stimmen von Abgeordneten und Senatoren, denen der Antiterrorkrieg à la Obama nicht mehr einleuchtet. Im öffentlichen National Public Radio NPR nannte Obamas ehemaliger Antiterror-Berater Michael Boyle das Kind beim Namen: »Die Regierung betreibt im Prinzip eine Politik des Killensund- nicht-Festnehmens.« Problematisch sei auch, »dass du von denen, die du umbringst, keine Informationen mehr erhältst«.

Dass das Morden mit Tötungsrobotern unerwünschte Resultate bringt, erfuhren Mitte der Woche hochrangige Politiker aus erster Quelle bei Anhörungen im Kongress. Zunächst kam die Juraprofessorin Rosa Brooks zu Wort, die während der ersten Obama-Regierung an hoher Stelle im Verteidigungsministerium gearbeitet hatte. Die Exekutive maße sich das Recht an, »jedermann irgendwo auf der Welt jederzeit zu töten, aus Geheimgründen, die auf Geheimbeweisen beruhen, die in einem Geheimprozess von unbekannten Beamten gewonnen wurden«, geißelte sie die Regierung.

Der jemenitische Journalist Fadea Al-Muslimi berichtete von einem USA-Drohnenangriff auf sein Heimatdorf und die Reaktionen der bäuerlichen Bevölkerung. Der tödliche Terror aus der Luft auf sein Dorf sei »keine Ausnahme « gewesen und stelle »für viele Jemeniten inzwischen das Gesicht Amerikas« dar, warnte er. Wegen der Drohnenangriffe schlössen sich junge Männer Al-Qaida an. Bis vor ein paar Monaten noch waren es die linken Feministinnen von »Code Pink« oder die Rechtsanwaltsvereinigung »Center for Constitutional Rights«, die das Drohnenprogramm als Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA kritisierten.

Hunderte von Aktivisten sind in den vergangenen Jahren wegen zivilen Ungehorsams vor Militäreinrichtungen festgenommen worden. Ende April wurden 31 Menschen an der »Hancock Air Force Base« im Bundesstaat New York in Handschellen abgeführt. Dort starten Drohnen. 300 Demonstranten hatten einen symbolischen Beerdigungszug abgehalten, um gegen Drohneneinsätze in Pakistan, Jemen, Somalia und Afghanistan zu protestieren. Dabei verlasen sie eine Anklage gegen Präsident Obama, das Militär und Angestellte der Luftwaffenbasis wegen »Verbrechen gegen die Menschheit«.

Zum ersten Mal sprach ein Soldat, der eine Killerdrohne vom Computer aus bediente, öffentlich über seine Tätigkeit als »Drohnenpilot«. Der 27-jährige Brandon Bryant erzählte im öffentlichen Radiosender NPR, wie er von einem PC-Terminal in Las Vegas aus aufs Knöpfchen drückte und mit einer Hellfire-Rakete auf einer Predator- Drohne Tausende Kilometer entfernt Menschenleben auslöschte. »Die Rakete trifft, und wenn der Rauch weg ist, dann siehst du die Körperteile.« Als er in einem anderen Fall eine Rakete abfeuerte, sah er in letzter Sekunde ein Kind ins Blickfeld am Monitor laufen. Doch es war zu spät. Er habe das »dann nicht mehr tun können«, erklärte Bryant. Er quittierte seine Job und ist heute in psychologischer Behandlung.

Unterdessen mehren sich die Berichte, dass die Obama-Regierung auf die Kritik reagieren will. Die Verantwortung für das Drohnenprogramm soll teilweise der CIA entzogen und dem Pentagon übertragen werden. Möglicherweise legt die Regierung außerdem die sogenannten »signature strikes« auf Eis: das Umbringen von »Verdächtigen«, deren Namen nicht bekannt sind.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 11. Mai 2013


Zurück zur Drohnen-Seite

Zur USA-Seite

Zur Pakistan-Seite

Zurück zur Homepage