Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Argumente gegen Drohnenrüstung und -einsatz

Zwei Buchbesprechungen des "Drohnenbuchs" aus dem Promedia-Verlag


Im Folgenden dokumentieren wir zwei Rezensionen des "Drohnenbuchs", die kürzlich in verschiedenen Zeitschriften erschienen sind.


Peter Strutynski (Hrsg.) (2013): Töten per Fernbedienung. Kampfdrohnen im weltweiten Schattenkrieg. Wien: Promedia, ISBN 978-3-85371-366-2, 222 S., 14,90 Euro

Vor gut einem Jahr formierte sich bei uns der Protest gegen die Beschaffung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr, unter sehr aktiver Beteiligung zahlreicher Friedensorganisationen und -initiativen. Der Protest findet in dem jüngst erschienenen Sammelband »Töten per Fernbedienung. Kampfdrohnen im weltweiten Schattenkrieg«, herausgegeben durch den Politikwissenschaftler und Friedensforscher Peter Strutynski aus Kassel, eine wertvolle Unterstützung. Denn drei Dinge braucht Protest für den Erfolg: Neben Engagement und Organisation ist seriöse Sachkenntnis unverzichtbar. Diese liefert der gut 200 Seiten starke Band in zwölf Aufsätzen namhafter AutorInnen mit einer Fülle von Daten, Fakten und Hintergründen – ein sachliches und verständlich geschriebenes Kompendium. Aber auch ein Buch, das erschauern lässt.

Zahlreich sind die sehr ernsten Argumente gegen Drohnenrüstung und -einsatz, zusammenfasst vom Herausgeber in der Einführung. Das bedrohlichste: die Senkung der Hemmschwelle zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Zur Regel geworden sind die »targeted killings«, Operationen unterhalb der öffentlichen Aufmerksamkeitsschwelle und abseits der völkerrechtlichen Normen, der »heimliche Krieg«. Politiker in Europa wie in den USA bemühen regelmäßig die Formel „ethisch untadelig, legal und notwendig“. Dabei zeigt die Praxis des Einsatzes – durchgeführt unter höchster Geheimhaltung, ohne Mandat, auf den Territorien souveräner Staaten, abseits erklärter Kriege – ein mittlerweile selbstverständlich gewordenes Unterlaufen des Völkerrechts, so Norman Paech in seinem Beitrag. Angesichts des Potentials dieser Waffe würden internationale Verträge kaum Wirkung haben, nur eine Ächtung wird ihre Gefahren begrenzen können. Und es eilt: „Das internationale Recht basiert auf der Vorstellung, dass eine Aktion, die heute verboten ist, dennoch zulässig ist, wenn sie nur von genügend Ländern praktiziert wird“, zitiert Elsa Rassbach einen ranghohen israelischen Militär. Selbst sehr aktiv in der deutschen Anti-Drohnen-Kampagne, gibt sie mit ihrem Beitrag einen umfassenden Situationsbericht über Protestbewegungen, Protestaktionen und die politische Reaktion in Europa, auch über die vergeblichen Bemühungen um Aufhebung der Geheimhaltung.

Die strikte Geheimhaltung, argumentiert Chris Cole, der hier speziell die Rolle Großbritanniens beschreibt, macht eine Überprüfung der immer wieder behaupteten Schonung der Zivilbevölkerung unmöglich. Mit der gerne behaupteten »Sauberkeit« des Einsatzes, der Minimierung von Kollateralschäden, räumt auch Knut Mellenthin in seinem faktenreichen Bericht über den Einsatz bewaffneter Drohnen von Afghanistan bis Somalia auf. Er mahnt an, wenn schon die Praxis der »targeted killings« sich jeder rechtsstaatlichen Norm entzöge, seien erst recht die Möglichkeiten und der Wille zur eindeutigen Zielbestimmung – Kombattant oder Zivilperson? – in Frage zu stellen. Kaum öffentlich diskutiert rüstet auch die Bundeswehr auf. Kampfdrohnen sind zentraler Bestandteil der »Neuausrichtung der Bundeswehr«, schreibt Lühr Henken in seiner Analyse der Beschaffungspolitik der Bundeswehr. Eine qualitative Umrüstung soll die weltweite Angriffsfähigkeit (!) steigern. Zu sichern seien Handelswege und Ressourcenzugang. Kampfdrohnen erscheinen in diesem Licht als ideales Mittel, um in Auslandseinsätze einzusteigen. Den Einblick in die bundesdeutsche Verquickung politischer Ziele und wirtschaftlicher Interessen ergänzt Frank Sölkner mit seinem Situationsbericht aus Österreich. Die Beschaffung von Drohnen wird mit einem undifferenzierten Mix aus ihrer militärischen, polizeilichen und zivilen Nützlichkeit begründet.

Wie auf der einen Seite die Angriffsfähigkeit mit Wirtschaftsinteressen begründet wird, so ist die Industrie auf der anderen Seite treibende Kraft für die politische Durchsetzung von Rüstungsbeschaffungen. Das macht Tom Barry in seinem Beitrag zur politischen Ökonomie von Drohnen an den Geldflüssen deutlich, mit denen die US-amerikanische Rüstungsindustrie Politiker »kauft« und die Proliferation des Drohnenprogramms in den USA damit einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle entzieht. Die Forschungs- und Wirtschaftsförderung in diesem Bereich unterliegt ebenfalls kaum gesellschaftlicher Kontrolle. Hier wird mit dem vielfältigen zivilen und behördlichen Nutzen der Drohnen argumentiert. Tatsächlich sind Drohnen im Grenzschutz- und Polizeieinsatz, für zivile Überwachungs- und Aufklärungsaufgaben bereits etabliert. Über die zahlreichen gegenwärtigen Einsatzbereiche in Deutschland berichten Matthias Monroy und Andrej Hunko. Sie beschreiben auch, wie die Europäische Union Drohnentechnologie unter dem Label »Sicherheit« fördert.

Die Öffentlichkeit ist geblendet von den neuen technischen Errungenschaften, und die Militärs sind begeistert von der Option ferngesteuerter oder gar »automatisierter« Kriege. Nick Turse gibt das Szenario eines Gefechts zwischen autonomen unbemannten Luft- und Seefahrzeugen wieder, die vernetzt in Teams operieren, vorprogrammiert lediglich auf die Anforderungen und Eingrenzung ihrer Mission. Mit diesem kürzlich veröffentlichten Szenario treibt das US-Verteidigungsministerium die weitere Aufrüstung des Drohnenarsenals propagandistisch voran. Und diese findet statt, ungeachtet aller – wenig publizierten – Schwachstellen und Rückschläge. Die Faszination schlägt allerdings jäh zu einer Horrorvorstellung um, wenn unbemannte Kampffahrzeuge zu autonomen Tötungsmaschinen werden, zu Tod bringenden Robotern. Und als solche soll man sie auch benennen, so Hans-Arthur Mariske in seinem Essay, anstatt mit neutralen Begriffen wie »unmanned aerial vehicle« auf die technische Domäne abzulenken. Sie bleiben Roboter. Der Terminus, geprägt vor einem knappen Jahrhundert, steht für die Fiktion des künstlichen Menschen, und in dieser Fiktion schwingt auch die dystopische Vision einer Machtergreifung der Roboter mit. Naiv wäre es, so Mariske, diese Option völlig von der Hand zu weisen.

50 Staaten entwickeln oder beschaffen bereits Roboterplattformen als Waffenträger, recherchierte Noel Sharkey, seit vielen Jahren ein profilierter Warner vor einer fortschreitenden Automatisierung des Krieges. Zwischen menschgesteuert und vollautonom operierend spannt sich ein Kontinuum. Abzusehen ist, dass sich die Rolle des Menschen in der Entscheidungsschleife fortschreitend verringern wird. Vernebelt wird diese Entwicklung durch begriffliche Konfusion, die Verantwortlichkeit wird im Dunkeln gelassen. Sharkey ruft auf, aus der Drohnenproblematik zu lernen: dass bereits die Fernsteuerung einer Tötung die Moral ausschaltet, dass der schon dort erreichte Grad an Autonomie den Weg zu den »geheimen Kriegen« gebahnt hat, dass die neuen »Freiheiten« dieser Waffengattung den Kriegsschauplatz ausweiten und dass die Illusion ihrer Treffsicherheit nicht aufrecht zu erhalten ist.

Ein Einhalt dieser Entwicklung ist dringend geboten. Wie müsste eine Rüstungskontrolle für Drohnen, oder weiter gefasst für »unbemannte bewaffnete Fahrzeuge«, gestaltet sein, fragt Jürgen Altmann. In einem umfangreichen Katalog stellt Altmann Optionen zusammen, wie bestehende Verträge und Abkommen modifiziert und ergänzt werden müssten, auch, wie Verifikationsmechanismen entsprechend zu erweitern seien. Angesichts der fortschreitenden Entwicklung autonomer Systeme jedoch plädieren Altmann wie Sharkey dafür, eine Tötungsentscheidung nie einer Maschine zu überlassen. Über alle Erwägungen zu begrenzten und begrenzenden Verboten stellen sie deshalb eine generelle Ächtung autonomer bewaffneter Fahrzeuge, wie sie das International Committee for Robot Arms Control (ICRAC), gegründet von Altmann, Sharkey und anderen, bereits 2010 forderte.

Die ICRAC-Forderung ist auch ein Appell an die Wissenschaft. Denn Robotik, insbesondere die Methodik und Technologie für autonome Fahrzeuge, ist ein attraktives Forschungsfeld. Forschungsgelder fließen reichlich an Universitäten, und es werden Wettbewerbe ausgeschrieben. Die Materie bringt es mit sich, dass eine militärische Verwertbarkeit der Ergebnisse – »dual use« – oder sogar eine genuin militärische Zielsetzung leicht zu verdecken sind und auch bequem ignoriert werden können. In seinem Beitrag über diese Verflechtungen appelliert Ralf E. Streibl an die Verantwortung der Lehre und Forschung mit einem Leitzitat von Altmann, „dass Krieg und Frieden zwar im Kern politische Fragen seien, dass jedoch neue Waffentechnologien […] massiven Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse und Entwicklungen haben und den Frieden gefährden“. Drohnen gehören bestimmt dazu.

Dietrich Meyer-Ebrecht

Diese Rezension wurde in einer längeren Fassung bereits in »FIfF Kommunikation« 4/2013 abgedruckt.


Roboter im Schattenkrieg

Nein, hier geht es nicht um Science Fiction: Der Friedensforscher Peter Strutynski hat als Herausgeber des Bandes „Töten per Fernbedienung“ 13 Texte von Autoren zusammengestellt, die sich kritisch mit dem Drohnenkrieg und seinen Auswirkungen auseinandersetzen.

Spätestens seit ihrem massiven Einsatz in Afghanistan und dem Norden Pakistans sind unbemannte Kampfdrohnen als militärische Waffe einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Erste Einsätze sind aus dem Jahre 2001 nachgewiesen; wie viele es derzeit sind, ist unbekannt – die beteiligten Staaten verweigern bei Anfragen die Auskunft.

Peter Strutynski charakterisiert in seinem Vorwort zum Buch den von US-Präsident Obama angestrebten Sieg im Antiterrorkrieg mittels dieser neuen Waffe als nicht realisierbar. Tatsächlich habe man mit dieser Waffe nur eine neue Runde im weltweiten Wettrüsten angeschoben – Drohnensysteme gehören mittlerweile bereits zum militärischen Areal von etwa 80 Staaten. Ihre Verbreitung unterliegt keiner wirksamen Kontrolle.

Ein Argument der Autoren des Bandes gegen den Einsatz von Drohnen ist der moralische Aspekt: Die Entscheidung über die Tötung oder Nicht-Tötung eines Menschen dürfe nicht in die Hände von Maschinen gelegt werden. Der britische Wissenschaftler Noel Sharkey bringt in seinem lesenswerten Beitrag diese Haltung auf den Punkt. Automatische Roboter oder Künstliche-Intelligenz-Systeme seien nicht in der Lage, „zwischen Kombattanten und Unschuldigen zu unterscheiden“. Es gebe „einfach keine visuellen oder sensorischen Systeme, die diese Leistung erbringen könnten“. Sharkey sieht in dem Einsatz bewaffneter Kampfdrohnen daher einen Verstoß gegen die „fundamentalen ethischen Prinzipien des allgemeinen Kriegsrechts“. Ähnlich argumentiert der Völkerrechtler Norman Paech: Kampfdrohnen würden für gezielte Tötungen programmiert; sie können keine Gefangenen machen. Paech sieht darin einen Verstoß gegen das auch im Völkerrecht geltende Prinzip der Verhältnismäßigkeit.

Einige Autoren konzentrieren sich darauf, die Argumente der Gegenseite zu widerlegen. Der Journalist Knut Mellenthin charakterisiert beispielsweise den Drohnenkrieg der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan und Pakistan als „wahllosen Massenmord“; allein in Pakistan seien durch Kampfdrohnen bisher 168 bis 197 Kinder getötet worden.

Andere Artikel liefern weitere interessante Details: Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Tom Barry schildert beispielsweise das Aufrüstungsprogramm der US-Streitkräfte mit Drohnen als Ergebnis einer langfristig angelegten Kampagne der Rüstungsindustrie, von Militärs und Geheimdienstlern. Der deutsche Friedensaktivist Lühr Henken thematisiert die geplante Aufrüstung der Bundeswehr mit Drohnen als Bestandteil ihrer Umstrukturierung für weltweite Kriegseinsätze.

Ein weiterführender Beitrag stammt von dem Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko (Die Linke) und seinem Mitarbeiter Matthias Monroy: Die Aufrüstung mit Drohnen bleibe keineswegs auf das Militär beschränkt; die Polizei ziehe nach. Aufklärungsdrohnen filmen Demonstranten, werden an bei Grenzüberwachung und Flüchtlingsabwehr eingesetzt. Nachgewiesen ist in Deutschland ein Forschungsprogramm, künftig verdächtige Fahrzeuge mittels Drohnen zu stoppen. Eine Exekution flüchtender Verdächtiger durch Polizei-Drohnen ist derzeit noch nicht geplant. Aber wie bei allen technisch möglichen Szenarien, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, wann auch dies zur Durchführung kommt. Wer dieses Buch gelesen hat, kann hinterher nie mehr behaupten, er hätte davon im Vorfeld nichts gewußt.

Gerd Bedszent

Erschienen in Ossietzky Nr. 6/2014, S. Seite217f


Zurück zur Drohnen-Seite

Zur Drohnen-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Wissenschafts- und Hochschul-Seite

Zur Wissenschafts- und Hochschul-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage