Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ein Vademecum für jeden Friedensaktivisten

Hermann Kopp rezensiert das Buch "Töten per Fernbedienung" *

Bewaffnete Drohnen (UAV – Unmanned Air Vehicles, unbemannte Luftfahrzeuge) haben Konjunktur. Zunächst wohl von Israel im Gazastreifen bei seinen „gezielten Tötungen“ von „Terroristen“ eingesetzt (nach von Israel dementierten Augenzeugenberichten – S. 160; diese Praxis haben damals sogar die USA als illegal verurteilt – S. 200), wurde die Strategie seit 9/11 und Bushs Ausrufung des „Kriegs gegen den Terror“ von den USA übernommen und das dazu notwendige Gerät weiterentwickelt. Verglichen mit dem jetzigen Präsidenten war Bush in Sachen Kampfdrohneneinsatz gegen vermeintliche Terroristen allerdings ein Waisenknabe; unter Obamas Regierung wurde die Zahl der Drohnenangriffe vervielfacht. Mehr als 90 Prozent der Angriffe fallen in seine Amtszeit (S. 33).

Dazu beigetragen hat nicht zuletzt eine Umdefinition der Angriffsziele: waren dies zunächst einzelne Personen auf einer Todesliste, die vom Präsidenten persönlich zur Exekution ausgewählt wurden – sog. personality strikes –, gerieten jetzt Personen und Gruppen ins Visier, deren Verhaltensmuster den „Verdacht“ des Terrorismus erregen – signature strikes (S. 21). Das erforderte auch eine erhöhte Zahl von Drohnen; deren Zahl stieg allein bei den US-Streitkräften (die CIA verfügt über eine unbekannte Zahl eigener Drohnen) zwischen 2002 und 2010 von 167 auf über 7.000 (S. 33), bis Anfang 2012 auf über 9.500 (S. 171) – zur Freude nicht zuletzt der Hersteller; sie sorgten mit großzügigen Spenden an Kongressabgeordnete dafür, dass z.B. im Zeitraum von 10 Jahren allein für die „Predator“, eins der Drohnenmodelle, eine halbe Milliarde Dollar mehr ausgegeben wurde, als selbst die anfordernde Luftwaffe für nötig hielt (S. 72).

Neben Israel und den USA ist Großbritannien der bisher einzige Staat, der Kampfdrohnen einsetzt. Doch dabei wird es nicht bleiben. Mindestens ein habes Dutzend weiterer Staaten arbeitet an der Entwicklung eigener bewaffneter Drohnen (S. 11). Und unbewaffnete Drohnen werden seit langem schon auch von den Streitkräften zahlreicher anderer Länder – zur „Aufklärung“ – verwendet; was Deutschland angeht, erstmals 1999 in einem veritablen Krieg, gegen Jugoslawien, derzeit in Afghanistan. Die Anschaffung von „bewaffnungsfähigen“ Drohnen ist seit 2012 erklärtes Ziel der deutschen Bundesregierung; Objekt ihrer Begierde sind vor allem die US-amerikanische Reaper und die israelische Heron TP, bis dann, „ab Mitte des nächsten Jahrzehnts“ ein neues, „möglichst europäisches System“ zur Verfügung steht. Gedacht ist dabei an Kampfdrohnen, die in den allgemeinen Luftverkehr integrierbar sind (Stichwort: EuroHawk-Pleite – sh. S. 11) und vor allem „über eine erhöhte Durchsetzungs- und Überlebensfähigkeit“ verfügen (S. 54).

Dies erfordert die weitere Automatisierung, „Roboterisierung“ der Drohnen. Sie – und die Raketen, mit denen sie bestückt sind – werden heute bekanntlich von Menschen ferngesteuert; das ist dort, wo die Angegriffenen über entwickelte Abwehrmöglichkeiten verfügen, u.U. eine Reaktion in Sekundenbruchteilen über das „Überleben“ entscheidet, von Nachteil (S. 149). Deshalb finanziert das US-Militär – und vermutlich nicht nur dieses – bereits Forschung über die Möglichkeiten eines autonomen Maschinenangriffs (S. 84).

Soweit nur einige ganz wenige aus der Fülle an konkreten Informationen, die sich den 14 Beiträgen von Autoren aus Deutschland, den USA, Großbritannien und Österreich in dem hier vorgestellten Buch entnehmen lassen. Sie untermauern die Argumente der Drohnengegner, die Peter Strutynski, Herausgeber dieses verdienstvollen Bandes, in seiner instruktiven Einleitung in sechs Punkten zusammenfasst (S. 12 ff):
  1. Der Einsatz von Kampfdrohnen dient ausschließlich der „gezielten Tötung“ von Menschen innerhalb und außerhalb von Kriegen. Dabei kommen weit mehr Unbeteiligte bzw. Zivilpersonen ums Leben als bei Angriffen mit konventionellen Waffen.
  2. Die ferngesteuerte Tötung „Verdächtiger“ ist nichts anderes als eine Aushebelung der Gewaltenteilung und eine Aufweichung rechtsstaatlicher Grundsätze und Verfahren: Politiker, die solche Einsätze anordnen, sind Ankläger, Ermittler, Richter und Henker in einer Person.
  3. Der Einsatz von Kampfdrohnen senkt die Schwelle für künftige Kriege. Der Kampfeinsatz erfolgt aus einer sicheren Distanz, etwa von einem US-Hauptquartier in der Wüste Nevada aus. Die Angreifer tun dies ohne jedes persönliche Risiko.
  4. Die permanente Bedrohung durch Kampfdrohnen verängstigt und terrorisiert die Bevölkerung in Regionen, in denen die Anti-Terror-Krieger „Terroristen“ vermuten.
  5. Kampfdrohnen entziehen sich (bislang) bestehenden Rüstungskontroll- oder Abrüstungsvereinbarungen. Die Ausrüstung der Streitkräfte mit Kampfdrohnen heizt den Rüstungswettlauf weiter an.
  6. Es droht die Gefahr der weiteren Automatisierung des Krieges. Anders als Menschen sind Killer-Roboter nicht leidensfähig und schrecken somit vor nichts zurück. Eine derart entfesselte Kriegsmaschinerie führt zu noch schrecklicheren Kriegen; denn die Opfer bleiben Menschen.
Die Bundesregierung hat in ihrer Koalitionsvereinbarung die Beschaffung von Kampfdrohnen noch nicht endgültig entschieden. Es ist aber ein offenes Geheimnis, dass Verteidigungsministerin von der Leyen mit deren Beschaffung liebäugelt, sind sie doch geeignet, Schaden von den eigenen Soldaten abzuhalten – dafür aber umso größeren Schaden in fremden Ländern anzurichten. Noch ist es nicht so weit. Noch besteht die Chance, eine drohende neue Rüstungsspirale zu stoppen. Das vorliegende Buch leistet einen guten Beitrag, die militärischen, sicherheitspolitischen, völkerrechtlichen, ethischen und weltpolitischen Konsequenzen der Drohnenrüstung auszuleuchten. Eine Fundgrube für den/die interessierte/n Leser/in, ein Vademecum für jeden Friedensaktivisten.

Peter Strutynski (Hg.): Töten per Fernbedienung. Kampfdrohnen im weltweiten Schattenkrieg. Promedia Verlag, Wien 2013. 222 S., € 14,90.

Anmerkung:
Ein Vedemecum (lat. vade mecum – „geh mit mir“) ist eine Bezeichnung für ein Buch, das als unentbehrlicher Begleiter in allen Lebenslagen mitgeführt werden sollte.



* Dieser Beitrag erschien in: Marxistische Blätter, Heft 3, 2014, S. 142-144

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