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Ganze Geschwader von EuroHawks

Von-der-Leyen-TÜV – die wichtigsten Bundeswehr-Großprojekte fallen durch

Von René Heilig *

Neue Besen kehren gut. Nun ist Ursula von der Leyen wahrlich kein Besen, doch kaum 100 Tage im Amt, hat sie nun mit einer Grundreinigung in ihrem Verteidigungsministerium begonnen.

Seit ihrem Amtsantritt entschuldigt sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mehrfach am Tag bei Soldaten, Fachpolitikern und auf dem Militärgebiet beschlagenen Journalisten, dass ihr die Begriffe und Abkürzungen für Strukturen und Waffensysteme noch nicht so flüssig über die Lippen kommen. Und vermutlich hat manch Langzeit-Büromieter aus dem Berliner Bendler-Block gedacht, weil sie ewig nur die »Bundeswehr-Familien-Uschi« bliebe.

Spätestens am Mittwochabend kam das jähe Erwachen. Da hatte die Ministerin das von ihrem Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) erdachte und im Koalitionsvertrag festgeschriebene Rüstungsboard zum ersten Mal zusammengerufen. Dabei sitzen neben ihr die (normalerweise) vier Staatssekretäre des Ministeriums und alle Abteilungsleiter, die irgendwie mit der Bewaffnung und Ausrüstung der Streitkräfte zu tun haben, an einem Tisch. Sie müssen sich in die Augen schauen, können nicht mehr so einfach auf andere zeigen und »Haltet den Dieb!« rufen.

Nach dem Skandal mit dem strategischen Aufklärungssystem EuroHawk, der im vergangenen Jahr sogar einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss beschäftigt hatte, will man mit Hilfe dieser halbjährlichen »Controlling-Treffs« Risiken und Probleme im Bereich Rüstung und Ausstattung frühzeitig erkennen und Transparenz gegenüber dem Parlament, also gewissermaßen auch gegenüber den Steuerbürgern schaffen. Beim ersten Rüstungsboard aufgerufen waren Erfolge und Probleme. Natürlich standen nicht alle Rüstungsvorhaben zur Debatte, das wären über 1200. Nicht einmal die zehn Prozent, die über 25 Millionen Euro kosten, behandelte man. Nur die 15 wichtigsten standen auf dem Zettel. Oder besser auf den Zetteln, denn es stellte sich heraus, dass verschiedene Abteilungen und verschiedene Leistungsebenen unterschiedliche Einschätzungen treffen. Unterm Strich hinterließen die Antworten, die man der zunehmend nicht mehr charmant fragenden Ministerin gab, einen verheerenden Eindruck. Denn: Nicht ein einziger der 15 Rüstungsboard-Berichte fand ihre Gnade.

Und deshalb wollte von der Leyen auch nicht länger billigen, dass die dafür wesentlich verantwortlichen Leute ihre Sessel behalten. Staatssekretär Stephane Beemelmans und sein Abteilungsleiter Detlef Selhausen müssen sich mit sofortiger Wirkung einen neuen Job suchen. Ihre Stellen bleiben vorerst unbesetzt. Von der Leyen beschloss statt dessen eine Interim-Arbeitsstruktur für das Ministerium. Sie verteilte Verantwortliche neu und zog mehr Kontrollpflichten auf ihren Tisch. Das ist nicht ganz ungefährlich, zumal sie weiß, dass niemand in ihrem Hause einen objektiven Gesamtblick auf die Fülle der Probleme hat. Das seien »unhaltbare Zustände«, lautet ihr Fazit.

Um den »Ist-Stand« zu ermitteln, wird von der Leyen externe Spezialisten einer Unternehmensberatung ins Haus holen, die sich mit Risikoanalyse und Großprojektmanagement auskennen. Spötter haben »Superman Mehdorn« vorgeschlagen. Doch der ist ja – Gott sei Dank – auf unabsehbare Zeit an Berlins Flughafen BER gebunden.

Die meisten irgendwie »verkorksten« Rüstungsprojekte sind bereits seit Jahren als Sorgenkinder bekannt. Es ist wie seit Gründung der Bundeswehr schon immer: Die Geräte und Waffen kommen später als vereinbart in die Truppe, sie können weniger als gefordert.

Soweit könnten Friedensbewegte das ja noch positiv vermerken. Doch spätestens beim dritten Minuspunkt, den ausufernden Kosten, stellt sich auch bei denen ein Kamm auf.

Es geht um den Transportflieger A400M, den Truppentransporter »Boxer«, den Schützenpanzer »Puma«, die neuen 125er Fregatten, die 130er Korvetten. Immer wieder unrühmlich machen die »Tiger«-Kampfhubschrauber sowie die NH90-Transport-Helis auf sich aufmerksam. Von dessen Marinevariante ganz zu schweigen.

Auf der Liste der Großprojekte steht auch der Begriff ISIS. Isis war in der ägyptischen Mythologie die Göttin der Geburt und der Magie. Und sie war für die Toten zuständig. Aktuell besteht ISIS – konstruiert, gebaut und erprobt von Europas Rüstungsgiganten EADS, jetzt Airbus – aus zwei Geräten zum Abhören funkgebundener Kommunikation sowie von elektromagnetischer Strahlung.

Das Gerät sollte in die Spionagedrohne EuroHawk eingebaut werden. Doch wegen extremer Kosten und der offenbar nicht erreichbaren Zulassung für eine Teilnahme am allgemeinen Luftverkehr wurde die Aufklärungsdrohne politisch »abgeschossen«.

Man erinnert sich daran, dass der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière die Reißleine zog. Jedenfalls hat er das im parlamentarischen Untersuchungsausschuss immer wieder betont. Bei seiner Amtsrettung geholfen hat ihm ein Abteilungsleiter seines Hauses: De Maizière hatte ihn zum »Chefaufklärer«gemacht. Der Mann heißt Detlef Selhausen und wurde – wie beschrieben – jetzt von von der Leyen gefeuert.

Der unbemannte Flieger EuroHawk ist derzeit an den Boden gefesselt. Doch ISIS wolle und könne man nutzen, hieß es im vergangenen Sommer. Man wisse nur noch nicht, welches bemannte oder unbemannte Trägersystem dafür das beste ist. Hat sich was! So unfertig wie die Drohne, so unfertig ist offenbar auch ISIS. Generalinspekteur Volker Wieker wollte eigentlich bis Ende März mitteilen, für welche Plattform sich die Bundeswehr entscheidet. Der Vier-Sterne-General selbst will das Aufklärungssystem so rasch wie möglich nutzen, denn für die kommenden militärpolitischen Abenteuer in Afrika wären die von ISIS zu sammelnden Informationen dringlich, sagen Fachleute in den Militärstäben

Doch – so hieß es bereits in der vergangenen Woche – Wieker habe die Ministerin in Sachen ISIS um Aufschub gebeten. Überdies lägen die Kosten deutlich über den vorgesehenen rund 600 Millionen Euro. Um das Kuriosum perfekt zu machen: Es gibt bereits Experten, die keine andere Möglichkeit sehen, als ISIS doch in die EuroHawk-Drohne einzubauen.

Ministerin von der Leyen braucht einen großen Besen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 21. Februar 2014


Weniger kostet eben mehr

50 Millionen Euro wurden am Parlament vorbei gezahlt

Von René Heilig **


Dezember 2013. Sie war nur einen Tag im Amt, da hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen den ersten der beiden beamteten Staatssekretäre entlassen. Rüdiger Wolf war seit 2009 im Amt, galt als bestinformierter Spitzenbeamter im Verteidigungsministerium.

Damals wunderte man sich, dass es nicht zuerst Stephane Beemelmans getroffen hat. Der war 2011 als Vertrauter von Amtsvorgänger Thomas de Maizière ins Verteidigungsministerium gewechselt. Als de Maizière wieder ins Innenministerium ging, hatten viele erwartet, er würde Beemelmans mitnehmen. Auch um den Mann weiter zu schützen. Schließlich hatte Beemelmans in Hochzeiten der sogenannten EuroHawk-Affäre die Verantwortung für die falsche Informationspolitik des Verteidigungsministeriums übernommen. Seither saß er auf einem Schleudersitz.

Der nun gezündet worden ist. Am Mittwoch berichteten Medien, das Verteidigungsministeriums habe im Dezember für das Kampfflugzeug »Eurofighter« eine 55 Millionen Euro schwere Ausgleichszahlung an das Rüstungsunternehmen MTU geleistet. Mal ebenso und vorbei am Bundestag. Der Bundestag muss gemäß Haushaltsregeln über jede Einzelausgabe informiert werden, die 25 Millionen Euro übersteigt. Doch weder die Mitglieder des Haushalts- noch des Verteidigungsausschusses waren unterrichtet. Wie auch, es war die Zeit der quälend langen Regierungsbildung. Das Parlament scheute sich mit Mehrheit, reguläre Ausschüsse zu bilden. Ein Hauptausschusses sollte alles regeln. Tat es aber nicht. So entschieden die Staatssekretäre Beemelmans und Wolf allein.

Die Zahlung war im Zuge der verringerten Bestellung der deutschen »Eurofighter«-Tranche fällig geworden. Doch nicht einmal die Reduzierung von 180 auf 140 Stück war den meisten verantwortlichen Parlamentspolitikern bekannt. Inzwischen wurden Fragen laut, die unter der Sammelüberschrift »Bestechung« laufen. Sie zielen – in diesem Fall – vermutlich ins Leere. Doch es gibt ja noch so viele andere Rüstungsprojekte.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 21. Februar 2014


Parlamentarier aller Fraktionen, wacht auf

René Heilig fragt nach Rüstung und abgeordnetem Tiefschlaf ***

Die Verteidigungsministerin hat Spitzenleute gefeuert. Kein Protest – wer nicht eines der 15 wichtigsten Rüstungsprojekte aufs richtige Gleis setzen kann, hat diese Behandlung verdient. Doch ist die Erkenntnis, dass man zu viel Geld für zu spät und nicht nach den Anforderungen geliefertes Material bezahlen muss, wirklich plötzlich vom Baum der Erkenntnis gefallen? Wahrlich nicht!

Wozu eigentlich leisten wir uns ein Parlament, wenn die meisten der zuständigen Mitglieder des Verteidigungs- und des Haushaltsausschusses sich im Tiefschlaf wohlfühlen? Man rede sich nicht mit Geheimhaltung oder industriepolitischer Verantwortung heraus. Auch geht es nicht – wie immer wieder von den Gewerkschaften behauptet – um die Sicherung von Arbeitsplätzen.

Alle Projekte, die jetzt von Ministerin von der Leyen keinen TÜV-Stempel bekamen, waren in den vergangenen Jahren schon auffällig geworden. Entweder weil die Industrie zu dreist die Hand aufgehalten hat. Oder weil die Politik Zeug bestellte, das die Bundeswehr entweder nicht so, nicht in der Stückzahl oder gar nicht braucht. So etwas nennt man schlicht und ergreifend Veruntreuung von Steuergeld. Das in vielen anderen Bereichen wahrlich besser verwendet werden könnte. Zuallererst in der Sozial- und Entwicklungshilfe. Es ist bekannt, dass noch so ehrlich engagierte Militärs in diesen Bereichen nichts bewirken können, was auch nur einen Euro wert ist.

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 21. Februar 2014 (Kommentar)


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