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Bei der Bildung von Roboterschwärmen wurde ein neuer zahlenmäßiger Rekord aufgestellt. Ein Durchbruch für die Forschung ist das aber noch nicht

Von Hans-Arthur Marsiske *

Die Invasion vom Mars erfolgte als Wolke. Die Außerirdischen konnten sich je nach Situation in unterschiedlichen Größen und Formen zusammenballen und nach erledigter Aufgabe wieder auflösen. Der britische Autor Olaf Stapledon schilderte die ungewöhnliche interplanetare Begegnung 1930 in seinem einflussreichen Werk »Last and First Men« und dürfte damit der Erste gewesen sein, der das Konzept des Schwarms in die Science-Fiction einbrachte. Ernst Jünger holte die Idee dann aus dem All auf die Erde. In seinem 1957 erschienen Roman »Die gläsernen Bienen« beschreibt er Schwärme von Robotern, gestaltet nach dem Vorbild von Bienen, die aber viel effizienter arbeiten als diese.

Inspiriert waren beide Autoren von der zeitgenössischen Insektenkunde. So hatte etwa Karl von Frisch seit den 1920er Jahren immer wieder neue Erkenntnisse über das Schwarmverhalten und die kommunikativen Fähigkeiten von Bienen publiziert. Auch von Vögeln und Fischen ist seit Langem bekannt, dass sie durch Schwarmbildung Aufgaben bewältigen können, zu denen die einzelnen Tiere nicht in der Lage wären: Zugvögel formieren sich bei ihren weiten Wanderungen zu aerodynamisch günstigen Konstellationen, Heringe schützen sich vor Raubfischen, indem die einzelnen Tiere mit dem Schwarm verschmelzen und dadurch als Ziel schwerer zu verfolgen sind.

Die Realität hinkt der Vision, wie sie auch von Stanislaw Lem (»Der Unbesiegbare«) oder Michael Crichton (»Beute«) eindrucksvoll ausgemalt wurde, bislang jedoch hinterher. Insbesondere fehlt es an der geeigneten Hardware. Roboter, die sich wie Bienen oder Ameisen zu großen Schwärmen zusammenfinden und koordiniert verhalten können, müssen klein, billig und robust sein, zugleich aber auch über ein Minimum an Rechenkapazität verfügen sowie mit Sensorik ausgestattet sein.

Bislang bestehen Roboterschwärme in Forschungslabors daher zumeist aus vergleichsweise wenigen Robotern. Seit Februar 2007 hielt die Universität Stuttgart mit 300 den Weltrekord. Der wurde jetzt von einer Forschergruppe der Harvard University gebrochen: Im Wissenschaftsmagazin »Science« (Bd. 345, S. 795) berichten Michael Rubenstein, Alejandro Cornejo und Radhika Nagpal von Experimenten mit einem aus 1024 Robotern bestehenden Schwarm.

Ausgangspunkt war auch hier zunächst der einzelne Schwarmroboter. Die Harvard-Wissenschaftler entwickelten hierfür den 33 Millimeter durchmessenden, zylindrischen Kilobot, der sich auf drei Beinen langsam fortbewegt. Mithilfe von Infrarotsignalen, die vom Untergrund reflektiert werden, kann der einzelne Roboter mit benachbarten Robotern bis zu einer Entfernung von zehn Zentimetern Daten austauschen und anhand der Signalstärke ungefähr den Abstand zu ihnen abschätzen.

Eine zentrale Kontrolle des Schwarmverhaltens ist bei dieser Sensorausstattung nicht möglich und wird auch nicht angestrebt. Das Verhalten muss sich vielmehr wie in der Natur aus der Kommunikation zwischen den jeweils benachbarten Mitgliedern des Schwarms und deren Interaktion mit der Umwelt ergeben. So ergibt sich die Formation von Vogelschwärmen etwa aus den beiden einfachen Regeln, eine Position einzunehmen, bei der der Auftrieb des davor fliegenden Vogels genutzt werden kann und zugleich freie Sicht nach vorn besteht.

Schwarmalgorithmen gelten als vielversprechender Ansatz, um optimale Lösungen für komplizierte Probleme zu finden. Bienen, Ameisen oder Vögel werden dabei zu Vorbildern für Softwareagenten, die sich im Computer untereinander abstimmen und sich zu einem den jeweiligen Bedingungen am besten angepassten Schwarm formieren. Die Rechenverfahren werden ständig verfeinert. So stellte ein indisch-koreanisches Forschungsteam beim letzten »IEEE Symposium on Swarm Intelligence« verbesserte Futterquellen für künstliche Bienenkolonien vor. Die Wissenschaftler entdecken zudem immer wieder neue Quellen der Inspiration: Ein relativ neuer Ansatz ist Cuckoo Search, ein Algorithmus, der sich an der Suche eines Kuckucks nach den besten Nestern für seine Eier orientiert.

Was im Computer vergleichsweise schnell und reibungslos funktioniert, hat in der realen Welt jedoch mit Ungenauigkeiten und Hardwarefehlern zu kämpfen. So brachten Rubenstein und sein Team ihre 1024 Roboter zwar zweimal dazu, sich zu zweidimensionalen Formen, etwa einem Stern oder dem Buchstaben K, zu arrangieren. Die Maschinen brauchten dafür aber jeweils knapp zwölf Stunden und waren zum Schluss auch nicht mehr vollzählig. Die weiteren Experimente führten die Forscher dann mit kleineren Schwärmen durch. Die Zuverlässigkeit des Verfahrens testeten sie, indem sie 100 Roboter nacheinander zehn gleiche Muster formen ließen und die Abweichungen der Selbstlokalisierung von den tatsächlichen Positionen verglichen. Auch hierbei kam es regelmäßig zu Ausfällen einzelner Roboter.

Paul Levi, ehemaliger Leiter des Instituts für Parallele und Verteilte Systeme an der Universität Stuttgart, kann in der Überwindung der 1000er-Grenze durch die Harvard-Forscher daher keinen entscheidenden Durchbruch erkennen. »Wir hatten mit unseren 300 Jasmin-Mikro-Robotern vor fünf bis sechs Jahren ähnliche Experimente gemacht«, sagt der Koordinator der beiden großen europäischen Projekte zur Schwarmrobotik REPLICATOR und SYMBRION, die vor einem Jahr abgeschlossen wurden. Unbefriedigend findet er insbesondere, dass mit den Kilobots eine vorgegebene Aufstellung angestrebt wurde, eine »Rekrutierung«, ähnlich der Aufstellung einer Kompanie beim Militär. »Typisch für Schwärme ist jedoch nicht dieses vorbestimmte Verhalten, sondern die Fähigkeit zur Selbstorganisation bei unterschiedlichen externen Ereignissen wie Futtersuche, Partnersuche oder Abwehr von Angriffen.«

Die europäischen Forscher gingen bei ihren Experimenten denn auch weiter und untersuchten verschiedene Ansätze, wie sich ein Schwarm von Robotern vorübergehend zu einem Organismus vereinigen und danach wieder in einen Schwarm auflösen kann. In der Zeitschrift »Robotics and Autonomous Systems« (Bd. 62, S. 1371) zeigen sie in einer Fotosequenz, wie sich die Roboter zu einer vierbeinigen Laufmaschine vereinigen, um zu einer Ladestation zu gelangen. Levi räumt allerdings ein, dass auch die EU-Projekte noch keine den biologischen Schwärmen vergleichbaren Regeln zur Schwarmbildung gefunden haben. Auch mangelt es den Robotern weiterhin an Robustheit: Das vorgegebene Ziel eines Schwarmorganismus, der 100 Tage überleben sollte, wurde weit verfehlt. In der Regel hielten die Roboter nur ein oder zwei Tage durch. Gleichwohl zeigt sich Levi überzeugt, »dass ein regelbasierter selbstorganisierter Ansatz dem Prinzip der Schwärme viel näher kommt als die Rekrutierungsmethode« der Harvard-Forscher.

Das ganz große Ziel der Schwarmrobotik ist es, das Verständnis multizellulären Lebens zu vertiefen. Denn jeder Organismus lässt sich als Schwarm biologischer Zellen verstehen, die sich selbst organisieren und sinnvoll zusammenwirken. Dieses Ziel scheint auch nach dem Knacken der 1000er-Grenze noch weit entfernt.

Andere Anwendungen mögen sich schneller realisieren lassen. So hätte die Suche nach Spuren des vermissten Fluges MH 370 der Malaysia Airlines mit einem Roboterschwarm, der sich auf dem Meeresboden verteilt, gewiss mehr Aussicht auf Erfolg. Rettungshelfer wünschen sich kleine Roboter, die nach einem Erdbeben unter den Trümmern ausschwärmen, um Überlebende zu lokalisieren. Und die Züricher Architekten Fabio Gramazio und Matthias Kohler denken bereits über Schwarmroboter als Bauhelfer nach: Das »Vertical Village«, ein 600 Meter hoher Turm, der 30 000 Bewohnern Platz bieten soll, könnte demnach von autonomen Hubschraubern zusammengefügt werden, die die 15 Meter großen Bauelemente an die richtigen Stellen transportieren.

Natürlich denkt auch das Militär über das Schwarmkonzept nach: So entwickelt die US Air Force seit 1998 das Low Cost Autonomous Attack System (LOCAAS), das aus einem Schwarm kleiner, etwa 90 Zentimeter langer Drohnen mit 7,7-Kilo-Gefechtsköpfen besteht. Bis zu 192 dieser Drohnen sollen von einem Flugzeug abgeworfen werden können, um dann als Schwarm Flugabwehrstellungen und andere befestigte militärische Ziele zu bekämpfen.

Olaf Stapledon lag mit seiner Vision von den aggressiven Schwärmen also gar nicht so falsch. Nur kommen sie nicht aus dem All, sondern werden aller Wahrscheinlichkeit nach von den Menschen selbst freigesetzt.

* Aus: neues deutschland, Samstag 6. September 2014

Buchempfehlungen:

  • Hans-Arthur Marsiske (Hrsg.): Kriegsmaschinen. Roboter im Militäreinsatz. Heise Verlag: Hannover 2012, ISBN 9783936931730, Kartoniert, 245 Seiten, 18,90 EUR
  • Hans-Arthur Marsiske: Drohnen sind Roboter. In: Peter Strutynski (Hg.): TÖTEN PER FERNBEDIENUNG. Kampfdrohnen im weltweiten Schattenkrieg. Promedia Verlag: Wien 2013; br., 224 Seiten, 14,90 Euro; ISBN 978-3-85371-366-2, S. 143-150



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