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Kriegsmaschinenmenschen

Hintergrund. Die Automatisierung des Militärgeräts wird mit Hochdruck vorangetrieben. Die Streitkräfte der USA sind dabei weltweit Vorreiter

Von Thomas Wagner *

Das Pentagon will in den kommenden Jahren drastische Einsparungen bei den Militärausgaben vornehmen. US-Verteidigungsminister Charles Timothy Hagel kündigte im Februar 2014 an, das Heer mit derzeit 520000 aktiven Soldaten solle um rund 15 Prozent verkleinert werden. Das meldete dpa am 24.2. Die Truppenstärke würde dadurch auf unter 450000 Soldaten gesenkt. Die Marineinfanterie soll von 190000 auf 182000 Mann reduziert werden. Die Luftwaffe verliert die gesamte Flotte der A-10-Kampfjets, die Marine soll auf die Hälfte ihrer 22 Kreuzer verzichten.

Handelt es sich bei all dem um eine der prekären Haushaltslage geschuldete Form der Abrüstung? Und büßen die US-Streitkräfte durch die Einsparungen an Schlagkraft ein? Letzteres bleibt abzuwarten. Schon jetzt ist aber klar, daß sich das Pentagon nach Kräften bemüht, aus der Not eine Tugend zu machen und immer mehr Soldaten durch Roboter ersetzt. Hierzu paßt Hagels Äußerung, zahlenmäßig reduzierte Streitkräfte erlaubten es, die Ausrüstung der Soldaten schneller zu modernisieren. 2013 gehörten schon über 8000 unbemannte Luftfahrzeuge und 12000 ebensolche Landsysteme zum Arsenal. »Eine stetig wachsende Zahl von ihnen sind groß und bewaffnet«, so Peter Singer, vom US-Thinktank Brooking Institute in einer von der Heinrich-Böll-Stiftung 2013 herausgegebenen Schrift.

Die Streitkräfte der USA verfügen heute über 100 Typen unbemannter Luftfahrzeuge. Von 2011 bis 2015 sind im Militärhaushalt jährlich im Mittel 6,2 Millarden US-Dollar für Forschung, Entwicklung und Beschaffung vorgesehen. Hinzu kommt eine Milliarde Euro für unbemannte Land- und Wasserfahrzeuge. Kleine ferngesteuerte Landroboter zur Entschärfung von Sprengvorrichtungen sind schon zu Tausenden im Mittleren Osten stationiert worden. In naher Zukunft sollen die U-2-Spionageflugzeuge vollständig durch unbemannte Drohnen ersetzt werden. Geplant ist zudem, die Mannschaftsstärke der Einsatzbrigaden binnen 15 Jahren von 4000 auf 3000 Soldaten zu verringern, verkündete der Leiter des für Planung und Organisation zuständigen U.S. Army Training and Doctrine Command (­TRADOC), US-General Robert Cone, bei einem Luftfahrtsymposium. Damit dies nicht zu einem Verlust der Kampfkraft führt, ist der verstärkte Einsatz von Drohnen, Lastenrobotern und bewaffneten Kettenfahrzeugen geplant, berichtete das Onlineportal deutsche-wirtschafts-nachrichten.de (26.1.2014).

Laufende Festungen

Als ein wichtiger Baustein für die Verbesserung der Kampfstärke wird die Verschmelzung von Mensch und Maschine mit Hilfe sogenannter Exoskelette angesehen. Dabei handelt es sich um ein computergesteuertes Gerüst, das am Körper getragen wird und die Menschen bei Bewegungen unterstützt. Exoskelette wie der Human Universal Load Carrier (HULC) der Rüstungsfirma Lockheed Martin oder der »XOS 2« von Raytheon sind entwickelt worden, um die Kraft von Soldaten zu vervielfachen und ihre Mobilität drastisch zu steigern. Mit dem HULC soll es ein Leichtes sein, Lasten von bis zu hundert Kilo zu tragen und Distanzen von bis zu 20 Kilometern im Sprint-Tempo zurückzulegen.[1]

Aus der Frühzeit der Entwicklung dieser Waffentechnologie gibt es einen Bericht des marxistischen Soziologen Hans G Helms. Demnach habe Jeffrey Moore, ein damals in den Waffenlaboren von Los Alamos arbeitender Ingenieur, dem Pentagon bereits 1988 ein Projekt vorgeschlagen, das aus den Soldaten der Spezialeinsatztruppen laufende Festungen machen sollte, um »für den Umgang mit der dritten Welt mehr militärische Optionen« zur Verfügung zu haben.[2] Damit das schon ohne Waffen an die hundert Kilo schwere Außenskelett sich im Einsatz praktisch gewichtslos anfühlt, sollten sich die künstlichen Extremitäten direkt durch Gehirnimpulse steuern und synchron zu den natürlichen Armen und Beinen des Soldaten bewegen lassen. An den Steuerungs­computer für die Gelenke des von seinem Erfinder PITMAN genannten Waffensystems sollten Sensoren angeschlossen werden, welche die Vorgänge in jenen Hirnregionen ablesen, die für den Muskelgebrauch zuständig sind. »Entscheidet sich also das Trägergehirn, den linken Fuß vorzusetzen, dann steuert der Panzercomputer die entsprechenden Gelenkmotoren analog und simultan, sodaß der linke Panzerfuß sich mit dem linken Trägerfuß synchron bewegt.«[3]

Heute ist der mit einem computergesteuerten Außenskelett verschmolzene »Robotersoldat« keine Zukunftsmusik mehr. Im September 2013 kündigte das United States Special Operations Command den Bau eines eigenen Kampfroboters namens TALOS (Tactical Assult Light Operator Suit) an. »Wir führen das Exoskelett zusammen mit einer innovativen Rüstung und integrierter Technik zur Gesundheitsüberwachung und Energieversorgung – und Waffen«, sagte US-Colonel Karl Borjes, der leitende wissenschaftliche Berater des Projekts, laut eines Anfang 2014 auf dem Onlineportal der Deutschen Welle veröffentlichten Berichts.

Zur Ausrüstung des High-Tech-Infanteristen dürfte auch das »Internet für das Schlachtfeld« gehören, das den durch populärwissenschaftliche Bücher und zahlreiche Fernsehsendungen bekannten Physiker Michio Kaku im Jahr 2010 bei einem Besuch in Fort Benning (Georgia, USA) beeindruckte. Er berichtet: »Ich setzte einen Spezialhelm auf, an dessen Seite ein Miniaturbildschirm angebracht war. Als ich den Bildschirm vor meine Augen schob, sah ich plötzlich ein verblüffendes Szenario: Vor mir lag das gesamte Schlachtfeld, die Stellungen von verbündeten und feindlichen Truppen säuberlich mit X markiert. Der Nebelschleier des Krieges wurde gelüftet, und GPS-Sensoren lokalisierten präzise die Position aller Truppen, Panzer und Gebäude. Drückte man auf einen Knopf, veränderte sich das Bild, und man erhielt auf dem Schlachtfeld einen Internetzugang und Informationen über Wetterbedingungen, Stellung verbündeter und feindlicher Truppen sowie Strategie und Taktik. Bei einer deutlich weiter fortgeschrittenen Version würde das Internet durch Einbetten eines Chips sowie eines LCD-Displays in den Kunststoff unserer Kontaktlinsen direkt auf die Netzhaut projiziert.«[4]

Die von Hans G Helms schon früh beschriebene Technik, ein Exoskelett mittels Gehirnimpuls zu steuern, scheint kurz vor der Realisierung zu stehen. Im Rahmen der Eröffnungszeremonie der Fußballweltmeisterschaft 2014 wurden Hunderte Millionen Menschen vor den Fernsehbildschirmen Zeuge, als ein querschnittsgelähmter Brasilianer im Stadion von São Paulo mit Hilfe eines Exoskeletts aus Stahl, Aluminium und Titan gegen das Leder trat. Die von dem Robotiker Gordon Cheng (TU München) und dem Neurowissenschaftler Miguel Nicolelis (Duke University, North Carolina, USA) entwickelte Apparatur soll durch die von Elektroden in einem Helm erfaßten und durch einen Computer in Befehle umgewandelten Hirnströme des Mannes in Bewegung gesetzt worden sein.

Tendenz zur Autonomisierung

Die Steuerung von Maschinen durch Impulse menschlicher Gedanken ist einer von zwei Wegen, auf denen heute versucht wird, die Reaktionsgeschwindigkeit von Waffensystemen zu erhöhen. Der Psychologe Jonathan D. Moreno schildert in seinem Buch »Mind Wars. Brain Science and the Military in the 21st Century« (New York 2012), wie das Pentagon mittels seiner Forschungsbehörde DARPA (Defence Advanced Projects Research Agency) zum einen Computer-Hirn-Schnittstellen entwickeln läßt, um auf diese Weise die Zeitspanne zwischen Gedanken und Aktion zu verringern. Zum anderen geht es um die Entwicklung intelligenter Maschinen, die in der Lage sind, ohne Eingriff des Menschen über den Einsatz tödlicher Waffen zu entscheiden. So zielt »nEUROn«, das Drohnenprojekt des französischen Rüstungskonzerns Dassault, nach dessen Angaben auf die Entwicklung eines Kampfroboters, der Luftangriffe autonom durchführen kann.

Aber was bedeutet der Begriff Autonomie, wenn er für einen Roboter verwendet wird? Geht es darum, Maschinen zu konstruieren, deren intellektuelle Fähigkeiten denen des Menschen gleichkommen? Die 2011 veröffentlichte »Joint Doctrin Note« des britischen Verteidigungsministeriums legt diese Auffassung nahe. Darin heißt es: »Wahre Künstliche Intelligenz, durch die eine Maschine eine ähnliche oder größere Fähigkeit besitzt, wie ein Mensch denken zu können, wird zweifellos die Spielregeln vollständig verändern, nicht nur im militärischen Bereich, sondern in allen Aspekten des modernen Lebens«. In »mehr als fünf und weniger als 15 Jahren« soll dieser Zeitpunkt erreicht werden. Noel Sharkey, Professor für Künstliche Intelligenz und Robotik an der Universität Sheffield in Großbritannien, zitiert aus dem Papier, um zu verdeutlichen, wie konfus die Vorstellungen sind, die die Militärpolitiker seines Landes über autonome Robotersysteme haben. Denn auf der einen Seite wird »Künstliche Intelligenz«, so stellt er richtig, auf vielfältige Weise »erreicht«, seitdem Forscher in den 1950er Jahren begannen, an entsprechenden Programmen zu arbeiten. Auf der anderen Seite ist eine Intelligenz, die der des Menschen auch nur in Ansätzen gleichkäme, längst nicht in Sichtweite der Wissenschaft. Wenn in dem bereits zitierten Regierungspapier daher von Robotern die Rede ist, die in der Lage seien, »Absicht und Anweisung eines gehobenen Niveaus zu verstehen«, dann ist das für Sharkey Ausdruck eines konfusen Begriffsgebrauchs, der auch in Kreisen derjenigen zu beobachten ist, die es besser wissen müßten. (vgl: Noel Sharkey: Die Automatisierung der Kriegsführung, in: Peter Strutynski (Hg.): Töten per Fernbedienung)

Ein Kampfroboter verfügt keineswegs über so etwas wie einen eigenen Willen. Wenn von der Autonomie einer solchen Maschine die Rede ist, dann ist damit etwas anderes gemeint. Wie andere Roboter führt er eine zuvor programmierte Folge von Operationen aus. Im Unterschied zu einer Maschine, die in einer vollautomatischen Werkhalle ein Auto zusammensetzt, tut er dies jedoch in einer offenen Umgebung, in der er auf diverse Zufallsereignisse flexibel reagieren muß. Weil ihn seine Sensoren dazu befähigen, kann er bei entsprechender Programmierung Hindernissen ausweichen. »Wenn z.B. der linke Sensor einen Gegenstand wahrnimmt, würde sich der Roboter nach rechts bewegen, und wenn der rechte Sensor einen Gegenstand wahrnimmt, würde der Roboter sich nach links bewegen«, schreibt Sharkey.

Technische Fortschritte

Die Fortschritte bei der Entwicklung autonomer Systeme überraschen selbst Fachleute. Lora G. Weiss, Leiterin einer Forschungsgruppe am ­Georgia Tech Research Institute in Atlanta, die zahlreiche Projekte im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums durchgeführt hat, ist »erstaunt über das Tempo, mit dem das gesamte Feld voranschreitet. Tausende Forscher beschäftigten sich damit, die Intelligenz und Autonomie unbemannter Systeme voranzubringen. Neue Durchbrüche werden praktisch jede Woche verkündet. Die Vielfalt und die schiere Menge unbemannter Systeme, die mittlerweile im Einsatz sind, ist atemberaubend.«

Anfang des Jahres berichtete das Onlinemagazin Telepolis (1.2.2014), wie das US-Militär die Fähigkeiten autonomer Roboterfahrzeuge demonstrierte. Ein Konvoi unbemannter Trucks bewegte sich durch das militärische Testareal im texanischen Fort Hood. Die Fahrt durch unwegsames Gelände und verlassene Dörfer war Teil eines Forschungsprogramms, das die Streitkräfte gemeinsam mit dem US-Rüstungskonzern Lockheed Martin durchführen. Es trägt den Namen Autonomous Mobility Appliqué System (AMAS). Die Steuerung der Trucks erfolgte mit einem angepaßten GPS-System mit sogenannten LIDAR-Sensoren (Light Detection And Ranging), die Geschwindigkeit und Abstand von Objekten zueinander mit Hilfe von Laserstrahlen ermitteln. Sie ermöglichen, daß die Lkw auch plötzlich auftauchende Hindernisse rechtzeitig erkennen und umfahren können.

Ferngesteuerte Flugsysteme mit Bewaffnung sind nach Auffassung von Marcel Dickow, wissenschaftlicher Mitarbeiter, und Hilmar Linnenkamp, Berater der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik, nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu mehr »Entscheidungsautonomie« von Waffensystemen. Voraussetzung dafür ist die rasante Verbesserung der Technik Die Autoren nennen in der bereits erwähnten Publikation der Heinrich-Böll-Stiftung »die steigende Rechenkapazität der Prozessoren (bei annähernd gleicher Leistungsaufnahme), die Miniaturisierung von Sensoren (für Lage, Beschleunigung, Optronik, GPS etc.) und moderne Algorithmen, z.B. zur Reduzierung von Komplexität der Sensordaten beim Abbildern der Umwelt.

Drohnen sind schon heute in der Lage, den idealen Orbit zur Beobachtung eines bestimmten Ziels selbst zu ermitteln und den Witterungsbedingungen anzupassen. Ebenso können sie bei Abbrechen der Funkvervindung selbständig zu einem vorher definierten Punkt zurückkehren und dort landen (Autopilot). Die nächste Generation von Aufklärungsdrohnen wird über Sensorik verfügen, mit der sich mehrere Ziele gleichzeitig beobachten lassen. Dies macht es erforderlich, daß in der Bodenstation der Kurs in Echtzeit an die optimalen Beobachtungsbedingungen angepaßt wird. Die Entwicklung schneller fliegender Drohnen führt aber dazu, daß diese Automatisierung künftig nicht mehr am Boden, sondern an Bord implementiert wird, damit die Plattform auf sich verändernde Bedingungen unmittelbar reagieren kann. Denn lange Signalwege über Satelliten erhöhen die Verarbeitungszeit. Spätestens wenn UAV Aufgaben von jetzt noch bemannten Kampfflugzeugen übernehmen sollen – etwa Schaffung von Luftüberlegenheit und Air Policing , ist eine flugtechnische Fernsteuerung nicht mehr möglich. Dieser Trend führt weg vom derzeitigen ›Joystick‹-Verfahren (der manuellen Fernsteuerung) hin zur autonomen Auftragsbewältigung, bei der von menschlicher Seite nur noch die Rahmenbedinungen definiert werden. Da die Komplexität der Operation für den Menschen in Echtzeit dann nicht mehr nachvollziehbar ist, bleibt ihm lediglich die Bestätigung oder Verweigerung einer von der Maschine vorgeschlagenen Lösung. Eine wirkliche Entscheidungsautonomie des Menschen – auch zur Zielauswahl – wäre unter diesen Umständen nicht mehr gegeben.«

Der Physiker und Friedensforscher Jürgen Altmann schreibt am selben Ort: »In den USA und anderen NATO-Ländern sowie in Rußland und China gibt es Entwicklungsprojekte und Demonstrationen für schnelle, düsengetriebene bewaffnete unbemannte Flugzeuge, die perspektivisch alle Aufgaben bisheriger bemannter Kampfflugzeuge übernehmen sollen, einschließlich Luftbetankung und Luftkampf. Prototypen existieren auch für bewaffnete unbemannte Kampfhubschrauber und Kampffahrzeuge für Land und Wasser. Forschung und Entwicklung zielen aber auch auf kleine und kleinste bewaffnete Fahrzeuge; erste Miniflugzeuge und -flugkörper mit kleiner Sprengladung werden schon eingesetzt.«

Militärische Logik

Bereits heute gibt es in klar definierten Bereichen Roboterwaffen, die ohne Eingreifen des Menschen funktionieren. »Bei Selbstschußanlagen und Minen ist die Entscheidung bereits auf die Technik übergegangen – mit den bekannten Folgen«, meint Hans-Dieter Burkhard, Professor für künstliche Intelligenz an der Berliner Humboldt-Universität in einem Aufsatz eines Sammelbandes mit dem Titel »Kriegsmaschinen. Roboter im Militäreinsat«. Eine solche Anlage, die nach Inbetriebnahme selbständig Ziele auswählt und den Einsatz der Waffen bestimmt, ist das NBS-Mantis-System der Bundeswehr, welches eingehende Geschosse erkennt und durch Maschinengewehrfeuer abwehrt. Es handelt sich dabei um Prozesse, die »unter direkter menschlicher Führung nicht mit hinreichender Geschwindigkeit und Präzision absolviert werden könnten«.

Nach Ansicht Jürgen Altmanns hat die Entwicklung hin zu mehr Maschinenautonomie vor allem Gründe, die innerhalb der militärischen Logik liegen. Er schreibt: »Der technische Fortschritt bei Hard- und Software erlaubt schnellere Verarbeitung komplexerer Informationen. Ein Soldat oder eine Soldatin soll mehrere Kampffahrzeuge überwachen, kann also nicht mehr jeden einzelnen Angriff bedenken und entscheiden; das gilt erst recht, wenn Schwärme bewaffneter unbemannter Fahrzeuge eingesetzt werden sollen. Die Fernsteuerverbindung kann versagen oder durch einen Gegner gestört werden. Wenn ein Gegner ebenfalls bewaffnete unbemannte Fahrzeuge einsetzt, die die eigenen auf kurze Entfernung bedrohen, kann die Verzögerung durch den langen Signalweg und die menschliche Reaktionszeit bedeuten, daß das eigene System schon abgeschossen ist, bevor der eigene Schießbefehl ankommt.« Frank Sauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft an der Bundeswehr-Universität in München, meint daher: »Der erste, der sich der Killerroboter bedient, gewinnt also einen gewaltigen militärischen Vorteil.«

Das US-Militär ist sich dessen bewußt und zieht entsprechende Konsequenzen. Im Dezember 2007 sagte der stellvertretende Direktor der Arbeitsgruppe für unbemannte Flugsysteme im US-Verteidigungsministerium, Dyke Weatheringston, auf einer Pressekonferenz: »Es ist unmöglich, daß ein ferngesteuertes System effektiv operieren kann im Kontext eines offensiven oder defensiven Luftkampfes. Das muß gelingen – die Voraussetzung dafür ist ein vollautonomes System.« Und in einem vom Hauptquartier der Luftstreitkräfte der USA in Washington, D.C., herausgegebenen Planungspapier für unbemannte Fluggeräte vom 18. Mai 2009 heißt es über die eingeleitete Entwicklung: »Menschen werden nicht länger ›in der Programmschleife‹ sein, sondern eher ›über der Programmschleife‹ – wobei sie die Ausführungen bestimmter Entscheidungen überwachen. Gleichzeitig werden Fortschritte KI-Systeme befähigen, Kampfentscheidungen zu treffen und innerhalb rechtlicher und politischer Vorgaben zu operieren, ohne notwendigerweise einen menschlichen Input zu erfordern.« Geht es nach Ronald C. Arkin, den Leiter des Mobile Robot Laboratory am Georgia Institute of Technology in Atlanta (USA), soll eine Software die Reaktionen der Roboter daraufhin überprüfen, ob sie gemäß den Regeln des Kriegsvölkerrechts agieren. Wie er in einem 2012 veröffentlichten Interview angab, glaubt er, daß das Schlachtfeld auf diese Weise »zu einem sichereren Ort für Unbeteiligte machen« zu können. (vgl. »Kriegsmaschinen«)

Ächtung von Kampfrobotern

Mehr als 75 Länder verfügen bereits über unbemannte Luftfahrzeuge. 50 von ihnen entwickeln sie oder stellen sie her. Einige Systeme sind bereits bewaffnet. Der ehemalige Vizechef der European Defence Agency, Hilmar Linnenkamp, gab 2013 an, er halte es für »sehr wahrscheinlich, daß in den nächsten fünf bis zehn Jahren mehr und mehr automatisierte Systeme entwickelt werden. Zudem treibt die Massenproduktion im zivilen Bereich Entwicklungen im militärischen Bereich an. Die USA – und sicher auch China – arbeiten ohne jeden Zweifel an der Automatisierung von Waffen.« Gemeinsam mit Marcel Dickow warnt er, die »Eigendynamik der technologischen Entwicklung birgt die Gefahr, daß der Mensch als moralischer Akteur abdankt, wenn über den Einsatz von Gewalt zu entscheiden ist«. Mit der Nutzung von Kampfrobotern »begäbe sich die Kriegsführung auf einen abschüssigen Weg, der – technisch bedingt – zwangsläufig im automatischen Einsatz tödlicher Mittel endet«.

Um einen Rüstungswettlauf zu verhindern, der, einmal in Gang gesetzt, zu immer autonomer agierenden Kampfrobotern führen würde, müssen diese international geächtet werden. Waffen, die ohne menschliche Entscheidung angreifen, sollten grundsätzlich verboten werden, meint Jürgen Altmann und verweist auf die internationale Campaign to Stop Killer Robots. »Gerade weil noch kein Staat über einsetzbare autonome Kampfroboter verfügt (auch wenn einige Prototypen schon existieren), wäre es jetzt der richtige Zeitpunkt, das deutsche diplomatische Gewicht einzusetzen und sich für eine internationale Ächtung autonomer Kampfsysteme stark zu machen«, fordert Niklas Schörnig, ein wissenschaftliche Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in der Schrift der Heinrich-Böll-Stiftung.

Anmerkungen:
  1. Vgl. Jonathan D. Moreno: Mind Wars. Brain Science and the Military in the 21st Century. New York 2012, S. 58
  2. Hans G Helms: Computer aus der Alchemistenküche. Forschungen im Auftrag des Pentagon zu Biochips, molekularelektronischen Geräten und zur Kontrolle und Steuerung von Menschen durch implantierte Wetware, in: Hermann Behrens/Gerd Neumann/Andreas Schikora: Wirtschaftsgeschichte und Umwelt:Hans Mottek zum Gedenken. Marburg, 1995, S. 145
  3. Hans G. Helms, a.a.O., S. 148
  4. Michio Kaku: Die Physik der Zukunft. Unser Leben in 100 Jahren. Reinbek bei Hamburg 2013, S. 45
Literatur
  • Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): High-Tech-Kriege. Frieden und Sicherheit in Zeiten von Drohnen, Kampfrobotern und digitaler Kriegsführung. Heinrich-Böll-Stiftung. Schriften zur Demokratie. Band 36, Berlin 2013
  • Marsiske, Hans-Arthur (Hg.): Kriegsmaschinen. Roboter im Militäreinsatz. Hannover 2012
  • Peter Strutynski (Hg.): Töten per Fernbedienung. Kampfdrohnen im weltweiten Schattenkrieg. Wien 2013

* Aus: junge Welt, Freitag 8. August 2014


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