Blatter geht doch
FIFA-Chef kündigt Rücktritt an. Russischer Sportminister würdigt Versuch, den Fußballverband zu retten. Kritik an Korruption aus Südamerika *
Nur vier Tage nach seiner Wiederwahl für eine fünfte Amtszeit ist FIFA-Präsident Joseph Blatter am Dienstag doch zurückgetreten. Nach 17 Jahren an der Spitze des Weltfußballverbandes erklärte er, er habe noch einmal das Mandat der FIFA-Mitglieder bekommen, »aber ich habe das Gefühl, dass ich nicht das Mandat der gesamten Fußballwelt habe.«
Blatters Nachfolger soll bei einem Sonderkongress gewählt werden, der voraussichtlich zwischen Dezember 2015 und März 2016 stattfinden soll. Diesen Zeitraum nannte Domenico Scala, Chef der FIFA-Compliance-Kommission, nach Blatters Rücktrittsankündigung. Gemäß Statuten des Weltverbands seien mindestens vier Monate zur Vorbereitung eines Wahlkongresses notwendig. Bis zum nächsten regulären FIFA-Kongress am 12. und 13. Mai 2016 in Mexiko-Stadt wolle man aber nicht warten: »Dies würde eine unnötige Verzögerung bedeuten.« Bis zu der außerordentlichen Zusammenkunft der FIFA wird Blatter sein Amt weiter ausüben.
Blatters Entscheidung kam ungeachtet neuer Korruptionsvorwürfe am Dienstag überraschend.
[Siehe dazu: "Um Moral geht es zuletzt..."] Nur wenige Medienvertreter waren überhaupt zu der Pressekonferenz in Zürich gekommen, die erst etwas mehr als eine Stunde vor dem geplanten Beginn angekündigt worden war. Nach einer dreiviertelstündigen Verspätung hatte Kommunikationschef Walter De Gregorio das Wort an Blatter übergeben.
Viel hatten vermutet, dass es um die Zukunft von FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke gehen sollte. Die New York Times hatte am Dienstag berichtet, dass die US-Ermittler der Ansicht seien, Valcke sei »der hochrangige FIFA-Offizielle«, der 2008 zehn Millionen Dollar von einem FIFA-Konto in der Schweiz auf ein US-Konto überwiesen habe. Die FIFA hatte dies umgehend zurückgewiesen.
Der russische Sportminister Witali Mutko zeigte sich überrascht von der Entscheidung Blatters. Sie sei vollkommen unerwartet gekommen und zeige, dass er »die FIFA retten und die Reformen fortsetzen« wolle. Moskau hatte sich in den Tagen zuvor sehr kritisch zum Vorgehen der Schweizer und US-amerikanischen Behörden geäußert. So erklärte der russische Präsident Wladimir Putin in einem Interview, die Verfahren gegen die FIFA-Funktionäre seien ein erneuter Versuch der USA, ihre Rechtsprechung auf andere Staaten auszudehnen. »Ich habe keinen Zweifel, dass dies offensichtlich ein Versuch ist, die Wiederwahl von Herrn Blatter in das Amt des FIFA-Präsidenten zu verhindern, was eine schwere Verletzung der Prinzipien darstellt, auf deren Grundlage internationale Organisationen funktionieren«, so der russische Staatschef.
Brasiliens früherer Stürmerstar Romário, der heute für die Brasilianische Sozialistische Partei im Parlament sitzt, hat den angekündigten Rücktritt von FIFA-Präsident Joseph Blatter als »beste Nachricht« der vergangenen Zeit begrüßt. Dies sei der Anfang einer neuen Ära im Weltfußball, schrieb der Weltmeister von 1994 via Facebook. Alle korrupten Funktionäre der Verbände, würden ihren Sturz wie einen »Tsunami« erleben. »Ich hoffe jetzt, das Wasser dieser großen Welle reicht aus, um all die Korruption wegzufegen, die von der größten Einheit des Fußballs (FIFA) angeführt wurde«, betonte Romário, der in den letzten Jahren zu den größten Kritikern der FIFA gehört hatte.
Der Fußballweltverband habe sich in den vergangenen Jahrzehnten in eine Maschine verwandelt, der es nur noch ums Geld verdienen gegangen sei. »Dieses Interesse ging über die Mission des Fußballs, die Völker zu vereinen, soziale Barrieren einzureißen und Leidenschaften zu wecken. Jetzt ist es Zeit, dass wir diese soziale Mission wieder aufnehmen«, schrieb Romário weiter.
Schon in der vergangenen Woche hatte auch der frühere argentinische Fußballstar Diego Armando Maradona harte Worte für die FIFA und Joseph Blatter gefunden. Der Weltverband sei eine »Spielwiese der Korruption«. Unter Blatter sei die FIFA für die, die sich ernsthaft um den Fußball sorgen würden, »eine Schande und eine schmerzhafte Peinlichkeit« geworden, schrieb er in einem Beitrag für die britische Zeitung The Telegraph. »Wir brauchen eine junge und eine kreative Führung bei der FIFA«, forderte Maradona. »Wir brauchen eine Fußball-Kultur, keine Mafia-Kultur.«
Die Fédération Internationale de Football Association (FIFA) wurde 1904 in Paris gegründet. Mittlerweile ist die FIFA auf 209 Mitglieder aus sechs Kontinentalkonföderationen angewachsen. Größte Einnahmequelle ist die alle vier Jahre ausgerichtete Fußball-Weltmeisterschaft mit einem Umsatz von rund fünf Milliarden Dollar.
Höchstes Gremium ist der jährliche Kongress, die Vollversammlung aller Mitgliedsverbände. Der Kongress wählt alle vier Jahre den Präsidenten. Dabei hat jedes Land eine Stimme. Die Stimmenverteilung ist dabei folgende: Afrika 54, Asien 46, Europa 53, Nord- und Mittelamerika 35, Ozeanien 11, Südamerika 10.
Künftig soll der Kongress auch den Gastgeber der Weltmeisterschaften bestimmen - eine Folge der Korruptionsvorwürfe rund um die WM-Vergabe an Russland 2018 und Katar 2022. Bislang war das Exekutivkomitee dafür verantwortlich. Es ist die sogenannte Regierung der FIFA. Ihr gehören neben dem Präsidenten 24 Mitglieder an, die von den Konföderationen gewählt werden und die administrativen Fragen des Weltverbandes klären. Die Alltagsgeschäfte werden vom Generalsekretär geführt.
* Aus: junge Welt (online), Dienstag, 02. Juni 2015
Erklärung von Joseph Blatter
»Ich habe intensiv über meine Präsidentschaft und über die vierzig Jahre, in denen mein Leben untrennbar mit der FIFA und dem großartigen Sport Fußball verbunden gewesen ist, nachgedacht. Ich schätze und liebe die FIFA mehr als alles andere und will nur das tun, was am besten für die FIFA und den Fußball ist. Ich sah mich veranlasst, zur Wiederwahl anzutreten, da ich glaubte, dies sei das Beste für die Organisation. Diese Wahl ist vorüber, aber die Herausforderungen für die FIFA sind es nicht. FIFA braucht eine tiefgreifende Revision.
Obwohl ich ein Mandat von den FIFA-Mitgliedern habe, glaube ich nicht, dass ich ein Mandat von der gesamten Fußballwelt habe - den Fans, den Spielern, den Vereinen, den Menschen, die den Fußball genauso leben, lieben und atmen, wie wir alle bei der FIFA es tun.
Daher habe ich entschieden, mein Mandat bei einem außerordentlichen Wahl-Kongress niederzulegen. Ich werde meine Funktionen als FIFA-Präsident bis zu dieser Wahl weiter ausüben.
Der nächste reguläre FIFA-Kongress wird am 13. Mai 2016 in Mexiko-Stadt stattfinden. Dies würde unnötige Verzögerungen bedeuten und daher werde ich das Exekutivkomitee dringend bitten, einen außerordentlichen Kongress zur Wahl meines Nachfolgers zum frühstmöglichen Zeitpunkt zu organisieren. Dies muss in Übereinstimmung mit den Statuten der FIFA geschehen und wir müssen den besten Kandidaten genug Zeit geben, sich zu präsentieren und für ihre Wahl zu werben.
Da ich kein Kandidat sein werde und daher nun frei von den Einschränkungen bin, die Wahlen unweigerlich mit sich bringen, wird es mir möglich sein, mich darauf zu konzentrieren, weitreichende, grundlegende Reformen voranzutreiben, die unsere bisherigen Bemühungen übersteigen. Seit Jahren haben wir hart daran gearbeitet, administrative Reformen zu schaffen, und obwohl diese fortgesetzt werden müssen, ist mir klar, dass dies nicht genug ist.
Im Exekutivkomitee sind Vertreter von Verbänden, über die wir keine Kontrolle ausüben, aber für deren Handlungen die FIFA verantwortlich gemacht wird. Wir brauchen tief verwurzelte strukturelle Veränderung.
Die Größe des Exekutivkomitees muss verkleinert werden und seine Mitglieder sollten durch den FIFA-Kongress gewählt werden. Die Überprüfung der Integrität aller Mitglieder des Exekutivkomitees muss zentral durch die FIFA organisiert werden und nicht durch die Verbände. Wir brauchen eine Beschränkung der Amtszeit nicht nur beim Präsidenten, sondern für alle Mitglieder des Exekutivkomitees.
Ich habe schon früher für diese Veränderungen gekämpft, und, wie jedermann weiß, wurden meine Bemühungen blockiert. Dieses Mal jedoch werde ich Erfolg haben.
Ich kann dies nicht alleine tun. Ich habe Domenico Scala gebeten die Einführung und Umsetzung von diesen und anderen Maßnahmen zu überwachen. Herr Scala ist der unabhängige Vorsitzende unserer vom FIFA-Kongress gewählten Audit-und Compliance-Kommission. Er ist auch der Vorsitzende der ad-hoc Wahlkommission und wird als solcher die Wahl meines Nachfolgers leiten. Herr Scala besitzt das Vertrauen eines breiten Spektrums von Parteien in- und außerhalb der FIFA und hat all das notwendige Wissen und die Erfahrung, um zu helfen, diese notwendigen Reformen anzupacken.
Meine tiefe Fürsorge für die FIFA und ihre Interessen, die mir sehr am Herzen liegen, haben mich zu dieser Entscheidung bewegt. Ich möchte jenen danken, dich mich immer auf konstruktive und loyale Weise als FIFA-Präsident unterstützt haben und die so viel für das Spiel getan haben, das wir alle lieben. Wichtiger ist als alles andere ist mir, dass, wenn all dies vorüber ist, der Fußball als der Sieger hervorgeht.«
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