Entwicklungspolitik: Poppiger Elendsgipfel
Das Jahr 2005 im Rückblick - Afrika zwischen Gleneagles und Melilla
Von Gerd Schumann*
Zur Jahresmitte ließ das Mittelalter schön grüßen. Feudalherrschaften
gleich hielten deren globalkapitalistischen Nachfolger vom 6. zum 8.
Juli im zur Festung ausgebauten Golfhotel zu Gleneagles Hof für
afrikanische Hungerleider und europäische Bettelleute. Auch sondierten
die politischen Sachwalter der sieben Hauptmächte des Bösen ihre Pläne
in Sachen Afrika, attackiert von einer zehntausendköpfigem Schar
militanter Kritiker, die wußte, daß nichts Gutes herauskommen würde. Für
die Protestierenden blieb der G-7-Gipfel auf dem südschottischen Land
ebenso unerreichbar, wie der gelobte Kontinent Europa für die Tausenden,
die sich zwei Monate später im meterhohen rasiermesserscharfen
Stacheldraht von Ceuta und Melilla verfingen. Und wer doch durchkam,
wurde ins Lager gesteckt zwecks schnellstmöglicher Rückführung in die
heimatlichen Elendsquartiere, unten, am Golf von Guinea und in der
Großen-Seen-Region, den Schatzkammern Schwarzafrikas, wo Söldnerheere im
Westauftrag rauben und brandschatzen und die Geißeln der Menschheit,
Seuchen, Krieg und Hunger, schwingen.
Auf Linie gebracht
In den Mauern der Ritterstadt Edinburgh, weit vom umzäunten und hoch zu
Roß bewachten Gipfelgelände entfernt, kündete derweil die Elite der
internationalen Popszene singend und tanzend von der Armut Afrikas. Wie
Tage zuvor bereits an acht anderen Orten weltweit rief die versammelte
Gutmenschenschar »Make Poverty History«, und die elendsbewegten Appelle
drangen aus hohen Lautsprechertürmen bis an die Ohren der Weltführer:
Die Proklamation der Armut zu einem Fehltritt der Geschichte sollte
deren kalte Herzen erweichen. Und also pilgerten noch am selben Abend
zwei Frontbarden zur Festung der Schluchtenadler, und wurden sogar,
abgelichtet von Hoffotografen, vorgelassen: Der eine ein zum »Sir«
geadeltes One-Hit-Wonder, das 20 Jahre zuvor mit einem Konzert Geld für
Afrika gesammelt hatte, der andere ein singender Christen-Derwisch,
dauerplaziert auf der Kanidatenliste für den Friedensnobelpreis. Sie
unterhielten sich freundlich mit dem deutschen Kanzler und ihrem Tony
und plauderten angeregt mit dem größten Massenmörder unserer Zeit aus
dem fernen Washington. Doch über dessen Verbrechen mochten beide nicht
reden: »Wenn ich ... in punkto Irak-Krieg meinen Mund halte, dann ist
das der Preis, den ich zahle, und ich bin bereit dazu«, so U2’s Bono,
der edle Bittsteller am Tisch der Reichen (Rolling Stone, 12/2005).
Die Hofnarren des Feudalglobalismus erzählten später von den guten
Manieren ihrer Gastgeber, die auch nur Menschen seien. Und was tat das
verbrecherische System der grenzenlosen Kapitalströme und des
martialischen Interventionismus, der rigorosen High-Tech-Abschottung
ihrer Staaten ebenso wie der Ruhigstellung ihrer Bevölkerungen? Es hielt
strikt seinen bewährten Kurs. Mit dabei der Sir. Bob Geldof, der mondays
nicht mag und schon mal in perfekter Haltung seine geballte Faust
minutenlang in Kameralinsen streckt – für Afrika, versteht sich –,
gehört schon seit bald zwei Jahren zur 17köpfigen Kommission, die sich
dem »Kampf gegen die Armut« widmet und unter Vorsitz von Anthony Blair,
dem Kriegsherrn von Basra und Bush-Avantgardisten in Europa, mit dem
Papier »Our Common Interest« – unser gemeinsames Interesse – die
inhaltlichen Grundlagen für Gleneagles vorlegte. Auf daß Geldof seine
Mission, das afrikanische Elend für alle Ewigkeit zu verbannen, erfüllen
möge.
Das klappt schon allein deswegen nicht, weil die Armutsursachen
ausgespart bleiben. Der Sir, Blair und die übrigen 15 Afrika-Fachleute
erklären stattdessen die geographischen Bedingungen sowie bad governance
bös-korrupter Elite-Neger in den Regierungsetagen Schwarzafrikas zu den
Hauptschuldigen. Oder anders: In Gleneagles analysierten die
imperialistischen Unschuldslämmer wieder einmal den ursächlichen
Zusammenhang ihrer Gier nach Öl, Diamanten, Gold, Coltan und sonstiger
bedeutender Güter und der Verelendung des afrikanischen Kontinents weg
und schrieben die bewährte Politik einer Strukturanpassung Afrikas an
westliche Interessen, verordnet von Weltbank und Internationalem
Währungsfonds, fest.
Good Governance soll mit strikten Auflagen unter Kontrolle der
»Geldgeber«, der Investoren und deren Institutionen inklusive mancher
Nichtregierungsorganisation, durchgesetzt werden; Frieden und Sicherheit
durch Soldaten mit blauen Helmen und der Lizenz zum Schußwaffengebrauch,
deren Heere in neun Staaten des Kontinents derzeit kulturprägend wirken.
Proklamiert wird eine Verdoppelung der Entwicklungshilfe auf 25
Milliarden Dollar jährlich bis 2010. Der Großteil dieser Gelder –
Experten gehen von 90 Prozent aus – fließt über Warenlieferungen und
Kredittilgung in die Ursprungsländer zurück. Und ebenso wie beim medial
geschickt in Szene gesetzten »Schuldenerlaß für die Ärmsten« verlangen
die großzügigen Zahler die Erfüllung von zwei Bedingungen als
Voraussetzung: eine zügige Liberalisierung und Privatisierung, die
ihrerseits noch vorhandene Sozialsysteme und Arbeitsplätze vernichtet.
Das Ausmaß der Zerstörungen läßt sich zwar nur schwer errechnen, doch
gehen Hilfsorganisationen von einem dreistelligen Milliardenbetrag
allein im vergangenen Jahrzehnt aus.
Nun sollen – so die Bekundungen der großen Sieben – in einem Zeitraum
von sage und schreibe 40 Jahren 18 der insgesamt 62 superarmen Länder
der Welt die Bankschulden erlassen werden – allesamt Staaten, die
bereits von den Kreditgebern bis auf die Haut ausgeplündert wurden. Und
in Zukunft erhalten sie pro »erlassenem« Dollar einen Dollar an
Entwicklungshilfe weniger. Über die Festschreibung der Agrarsubventionen
bis 2012, kurz vor Weihnachten beschlossen auf dem WTO-Gipfel in
Hongkong, bleiben zudem wichtige landwirtschaftliche Produkte nicht nur
vom Export weitgehend ausgeschlossen. Auch vernichtet der Import
billigerer, weil gestützter Waren die Existenzgrundlage von
afrikanischen Bauern.
Strategie der Ablenkung
Die ILO (Internationale Arbeitsorganisation) rechnet zudem damit, daß in
den kommenden zehn Jahren 300 Millionen junge Arbeitskräfte auf dem
afrikanischen Kontinent Arbeit suchen werden – ein verschwindend
geringer Teil wird etwas finden. Die Migrationsbewegungen werden ebenso
rasant anwachsen wie die Kriminalität, das Söldnerwesen und eine
allgemeine Brutalisierung der Verhältnisse. Derweil prophylaktisch die
ersten Auffang- und Abschiebelager auf afrikanischem Boden selbst im
Maghreb durch Spanien und die EU errichtet werden, drängt westliches
Militär in die profitträchtigen, weil ölreichen Regionen von der
zentralen Westküste bis hin in den Sudan.
Seit Ende der globalen Bipolarität vor 15 Jahren, deren einer Pol
tatsächlich Armut zur Geschichte machen wollte, versuchen sich die
übriggebliebenen Dominatoren in einer Strategie des Ablenkens von ihrer
Schuld; oder besser: des Ablenkens von ihrem System. Dieses erweist sich
nicht nur als dauerunfähig, das Elend zu beseitigen, sondern
reproduziert zudem – korrupte schwarze Eliten hin oder her – das Elend
permanent. Das ist bekannt und benötigt angesichts der
Kolonialgeschichte und der nachfolgenden »zwielichtigen Diktatoren, die
man während des Kalten Krieges gegen die Kommunisten installiert hatte«
(Bono), keiner weiteren Erläuterung.
Die Ergebnisse der maßlosen Güte der Herren der Welt stellen sich
nüchtern betrachtet als die Fortsetzung der Ausplünderungspolitik mit
bewährten Methoden dar, die allerdings von neuen Propagandisten wie Bono
und Geldof und deren deutsches Sprachrohre, des rosagrünen
Postpunk-Panthers Campino nebst der blonden Frau Schiffer, an die
durchaus elendssensiblen und sicherlich auch
gesellschaftsveränderungsfähigen Untertanen von einem unverzichtbaren
Schritt abgehalten werden: Systemkritik an globalfeudalistischen
Verhältnissen könnte systemsprengend wirken. Afrika emanzipiert sich
nicht per se vom Diktat des Imperiums. Es bleibt arm wie es ist.
Tendenz: Titanic.
* Aus: junge Welt, 22. Dezember 2005
Zurück zur Seite "Entwicklungspolitik"
Zur Afrika-Seite
Zurück zur Homepage