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Deutsche Entwicklungshilfe: Warten aufs Kabinett

Wann endlich kommt der Stufenplan?

Von Rainer Falk*

Ein Bild besonderer Konfusion bietet derzeit die deutsche Bundesregierung in Sachen Entwicklungshilfe. Statt die Vorbereitung des Millennium+5-Gipfels für eine neue Nord-Süd-Politik zu nutzen und den lange geforderten Stufenplan zur Erhöhung der entwicklungspolitischen Finanzleistungen zu beschließen, präsentiert die Bundesregierung Fortschritte in diesem Politikbereich allenfalls scheibchenweise. Das Bild der inneren Zerissenheit könnte nur durch einen baldigen Kabinettsbeschluß korrigiert werden. Ein Kommentar von Rainer Falk.

Blamabler könnte das Auftreten auf internationaler Ebene kaum sein. Da verkündet der deutsche Botschafter bei der UNO, Gunther Pleuger, am 7. April anläßlich der ersten Beratung von Kofi Annans Report „In larger freedom“ in der UN-Vollversammlung, Deutschland habe einen Fahrplan zur rechtzeitigen Umsetzung der entwicklungspolitischen Millenniumsziele (MDGs). Dieser bestehe darin, die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) bis 2006 auf 0,35%, bis 2010 auf 0,5% und bis 2014 auf 0,7% des Bruttonationaleinkommens (BNE) zu erhöhen. „Deutschland wird das 0,7%-Ziel in drei Schritten bis 2014 erreichen“, so Pleuger. Diese „Road Map“ sei kürzlich sowohl vom Bundeskanzler als auch vom Außenminister angekündigt worden.

Nur – auch bei noch so gründlichem Suchen lassen sich diese Ankündigungen nicht finden. Schlimmer noch: Gut zehn Tage später – am Rande der Jahrestagung von IWF und Weltbank in Washington - läßt sich der Bundesfinanzminister, Hans Eichel, in der Presse mit der Bemerkung zitieren: „Diese Aussage hat Herr Pleuger auf eigene Rechnung gemacht, eine entsprechende Beschlußlage der Bundesregierung gibt es nicht.“

Im Nachgang zur Jahrestagung der Bretton-Woods-Institutionen verlautbart dann das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ): „Die Ministerin machte abermals deutlich, daß sie sich weiter dafür einsetzt, den Stufenplan zur Erhöhung der offiziellen Entwicklungsfinanzierung, den sie bereits vor langem vorgelegt hat, als Position der Bundesregierung zu verankern.“ In einer Rede bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington hatte Wieczorek-Zeul am 16. April beteuert: „Deutschland hat sich zur Erreichung des 0,7%-Ziels verpflichtet und wird einen entsprechenden Stufenplan vorlegen. Schon jetzt ist die Erreichung von mindestens 0,33% bis 2006 fest im Koalitionsvertrag verankert. Darüber hinaus sind wir entschlossen, 0,5% bis spätestens 2010 und schließlich bis 2014 0,7% zu erreichen.“

Das liest sich so, als sei doch nur alles guter Vorsatz und hehre Absicht. Die Irritationen jedenfalls, die die widersprüchlichen Aussagen der Berliner Politiker im UN-Hauptquartier in New York hinterlassen haben, lassen sich so nicht korrigieren. Es sollte nicht verwundern, daß sich inzwischen auch bei wohlmeinenden Beobachtern der Eindruck verfestigt, die Bundesregierung wolle mit leeren Versprechungen lediglich Stimmung für einen Ständigen Sitz Deutschlands in einem erweiterten Sicherheitsrat machen.

In Wirklichkeit geht es jedoch um mehr: Die Differenzen zwischen Eichel und Wieczoreck-Zeul, bei denen die NGO-Gemeinde stets die Partei der Ministerin ergriffen hat, sind zum Problem nicht nur für das internationale Ansehen Deutschlands, sondern darüber hinaus zu einem Problem für die deutsche, die europäische und sogar die globale Entwicklungspolitik geworden. Und die Zeit drängt, zumal tatsächlich nur dadurch Klarheit geschaffen werden kann, daß das Bundeskabinett schnell und eindeutig über den lange erwarteten Stufenplan beschließt.

Die Zeit drängt auch deshalb, weil die europäischen Entwicklungsminister schon am 23./24. Mai in Brüssel über den Beitrag der Europäischen Union zur Umsetzung der Millenniumsziele beschließen müssen. Auch hier geht es um Zeitpläne und die stufenweise Erhöhung der ODA, wobei ganz ähnliche Zahlen wie in Deutschland im Gespräch sind. Auf europäischer Ebene sind solcherlei Übungen jedoch wertlos, wenn sie nicht durch nationale Verpflichtungen der Mitgliedsländer unterfüttert werden. Und unter den großen Mitgliedsländern gehört Deutschland zu den wenigen „bad guys“, die noch in der Schuld stehen, sich verbindlich zu erklären.

Wie die Europäische Kommission in ihrem MDG-Paket vom 12. April zu Recht festgestellt hat, hegt „die internationale Gemeinschaft hohe Erwartungen an einen substantiellen europäischen Beitrag“ zum kommenden Millennium+5-Gipfel. Andere sagen ganz offen, ohne Europa sei das ganze Projekt der Millenniumsziele zum Scheitern verurteilt.

Ein wenig zertrümmertes Porzellan in Sachen internationaler Glaubwürdigkeit Deutschlands ließe sich vielleicht noch aufsammeln; der schlechte Ruf, hauptverantwortlich für das Scheitern der Millenniumsziele zu sein, könnte so schnell nicht mehr repariert werden.

* Dieser Beitrag erscheint - zusammen mit einer Analyse des sog. Millennium-Pakets der EU - in der Mai-Ausgabe des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung: W&E 05/2005.
Homepage: www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org





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