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Finanzkrise verschärft Lage in Ländern des Südens

Rohstoffpreise fallen / Entwicklungshilfe mit Abwärtstrend / Kapitalflucht kostet 500 Milliarden Dollar pro Jahr

Von Martin Ling *

Der Trend bei der öffentlichen Entwicklungshilfe der Industriestaaten zeigt nach unten. Die Finanzkrise wird ihn verstärken, befürchten die Nichtregierungsorganisationen Terre des hommes und Welthungerhilfe, die in dieser Woche den 16. Bericht zur Wirklichkeit der Entwicklungshilfe präsentierten.

In einem sind sich alle einig: Die Entwicklungs- und Schwellenländer tragen keinerlei Verantwortung für die Finanzkrise, die sich zu einer globalen Rezession auszuweiten beginnt. Doch wie dem Klimawandel, den der Norden mit seinen historischen CO2-Emissionen verursacht hat und der die durch den steigenden Meeresspiegel bedrohten pazifischen Inseln am schnellsten und stärksten trifft, ist der Süden auch der Finanzkrise ausgeliefert, ohne Verursacher zu sein. »Wir erleben in diesen Tagen, wie die Finanzkrise auch auf die Realwirtschaft übergreift. Entwicklungsländer sind besonders verwundbar und werden besonders hart betroffen sein und zwar langfristig«, sagte Hans-Joachim Preuß bei der Vorstellung des 16. Berichts zur Wirklichkeit der Entwicklungshilfe. Mit diesem Bericht untersuchen die Nichtregierungsorganisationen Terre des hommes und Welthungerhilfe seit 1993 Jahr für Jahr Quantität und Qualität der deutschen und internationalen Entwicklungshilfe.

Preuß, Generalsekretär der Welthungerhilfe, führte aus, dass beispielsweise der mittelfristige Dollarverfall aufgrund der Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite der USA die Wettbewerbsfähigkeit der US-Baumwollbauern zu Lasten afrikanischer Produzenten verbessern würde. Die sich abzeichnende globale Rezession wiederum würde generell die Nachfrage nach Rohstoffen schwächen, deren Erlöse für viele Rohstoff exportierende Länder des Südens von fundamentaler Bedeutung seien. 30 Entwicklungsländer hätten eine bedrohlich sinkende Importkapazität zu verzeichnen. Was sich technisch anhört, illustrierte er mit einem Zitat von Dirk Messner vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik: »Mehr Menschen müssen künftig hungern, weil Banker sich verspekuliert haben.«

Die Finanzkrise fällt in eine Zeit, in der die öffentliche Entwicklungshilfe der Industriestaaten ohnehin schon auf dem absteigenden Ast ist. Waren es 2006 noch 104,4 Milliarden Dollar, die die Industriestaaten bereitstellten, sank die Summe 2007 auf 103,7 Milliarden Dollar – weit unter die im Rahmen der EU und G8-Gipfeltreffen getroffenen Selbstverpflichtungen.

Deutschland kommt bei der Entwicklung der letzten Jahre noch relativ gut weg. Gegen den Trend stieg hierzulande die öffentliche Entwicklungshilfe 2007 um 600 Millionen Euro auf 8,9 Milliarden Euro. Aufgrund des starken Rückgangs der britischen und japanischen Entwicklungshilfeleistungen ist Deutschland damit in absoluten Zahlen zum zweitgrößten Geber hinter den USA aufgestiegen, sagte Peter Mucke, Geschäftsführender Vorstand von Terre des hommes. Doch gemessen an der Wirtschaftskraft liegt Deutschland damit nur an zwölfter Stelle, die USA liegen unter den 22 Industrieländern gar mit Griechenland an letzter Stelle.

So forderte Mucke erneut, dass die Bundesregierung endlich einen konkreten Stufenplan vorlegen müsste, um zu gewährleisten, dass die Zusage, bis 2015 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe auszugeben, realisiert werden könne. Derzeit liegt Deutschland bei 0,37 Prozent und auch das Zwischenziel 0,51 bis zum Jahr 2010 ist alles andere als in Sichtweite.

Heftige Kritik übte Mucke an der Glaubwürdigkeit der Bundesregierung: Einerseits würde das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Rahmen der technischen Zusammenarbeit die Umsetzung der UN-Konventionen gegen Korruption unterstützen, andererseits hätte der Bundestag auch fünf Jahre nach der Unterzeichnung der Konvention durch die Bundesregierung das Dokument noch immer nicht ratifiziert. Das sei schlicht »skandalös.« Nach groben Schätzungen verlieren die Entwicklungsländer pro Jahr mindestens 500 Milliarden Dollar durch Kapitalflucht und Steuerhinterziehung. Nötig ist deshalb nach Ansicht der beiden Hilfsorganisationen ein zwischenstaatliches Gremium zur Überwachung der Kapitalströme sowie Unterstützung beim Aufbau eines Steuer- und Einnahmensystems in den Entwicklungsländern. Das hört sich utopisch an, doch Hans-Joachim Preuß verwies auf die Finanzkrise: »Dass schnell gehandelt und Geld mobilisiert werden kann, wenn der politische Wille da ist, haben wir bei uns ja gerade erlebt.« Der politische Wille ist indes nicht in Sicht.

* Aus: Neues Deutschland, 1. November 2008

Armselige Politik

Von Martin Ling **

Mehr Menschen müssen künftig hungern, weil sich die Banker verspekuliert haben.« Das Zitat von Dirk Messner, Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, bringt die Folgen der Finanzkrise für die Ärmsten der Armen auf den Punkt. Dabei zeigt gerade die Finanzkrise, dass der politische Wille Geldberge versetzen kann. Auch wenn es sich bei den zig Milliarden schweren Rettungspaketen nur zum geringeren Teil um real fließendes Geld handelt, zeigen die Dimensionen doch, wie unverhältnismäßig politisch gehandelt wird. Für die Wiederbelebung der Finanzmärkte wird kein Risiko und kein Geldbetrag gescheut, während in der öffentlichen Entwicklungshilfe um jeden Cent gerungen wird und sie trotz entgegengesetzter Zusagen sinkt.

Dabei sterben weltweit Tag für Tag 4000 Kinder an vermeidbaren Durchfallerkrankungen und 1400 Frauen während der Schwangerschaft oder der Geburt. 923 Millionen Menschen hungern. Zahlen, die ein globales Rettungspaket zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele zwingend notwendig machten. Doch auch beim jüngsten UNO-Notstandsgipfel gingen die Zusagen nicht über Peanuts hinaus.

Laut der Welternährungsorganisation FAO käme eine Beseitigung des Welthungers um das 20-Fache billiger als das 700-Milliarden-Dollar-Paket in den USA: Die dafür benötigten 35 Milliarden Dollar sind weniger als die 40 Milliarden Dollar, die in den reichen Ländern für Haustiernahrung ausgegeben werden. Und es sind Peanuts im Vergleich zu den Rüstungsausgaben von über einer Billiarde Dollar. Allein der politische Wille fehlt, die Prioritäten für die Menschen zu setzen. Das ist armselig.

** Aus: Neues Deutschland, 1. November 2008 (Kommentar)




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