Mütze auf und durch
Seit FDP-Mann Dirk Niebel das zuständige Ministerium führt, wird Entwicklungshilfe völlig ungeniert als Dienstleistung für das Kapital verstanden
Von Benjamin Beutler *
Die jüngste Lateinamerika-Rundreise von Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel hat erneut die Frage aufgeworfen, was deutsche »Entwicklungszusammenarbeit« (EZ) eigentlich will. Das Bild, das die breite Öffentlichkeit von der Arbeit der Entwicklungshelfer hat, ist das vom brunnenbohrenden, besorgten Experten im Dienste der Menschheit. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) nährt diese Einschätzung. Hehre Ziele hat sich die Behörde auf die schwarzrotgoldenen Fahnen geschrieben. »Menschen die Freiheit geben«, damit diese »ohne materielle Not selbstbestimmt und eigenverantwortlich ihr Leben« gestalten können. »Globalisierung zu einer Chance für alle Menschen« machen und »Schutz der Menschenrechte«. So will die Bundesregierung in den »Sektoren Bildung, Gesundheit, ländliche Entwicklung, gute Regierungsführung und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung« die Welt beglücken.
Doch es ist Eigennutz des Exportgiganten, der ganz oben auf der BMZ-Agenda steht. Unter Minister Dirk Niebel, der auf Auslandsreisen gern mit Soldatenmütze durch die Gegend stolziert, ist die EZ endgültig auf dem Weg, zum verlängerten Arm der Wirtschaft zu mutieren. Die seit 1995 betriebene Armutsbekämpfung ist durch den »frischen Wind«, den die FDP im BMZ entfachte, und durch deren »liberale Maßstäbe« (»Stärkung der Eigenverantwortung«) Vergangenheit. »In der Verfolgung der Ziele unserer Entwicklungspolitik kommen unsere Werte und Interessen gleichermaßen zum Ausdruck«, heißt es im aktuellen Koalitionsvertrag – neue Märkte und ungehinderter Zugang zu Rohstoffen wären noch verständlicher gewesen.
Zur Marktdurchdringung setzt die Niebel-Truppe auf das »innovative Instrument« der öffentlich-privaten Partnerschaften (Public Private Partnerships, PPP). Staat und deutsche Wirtschaft arbeiten dabei im Ausland gemeinsam am »Aufbau von Infrastruktur« wie Wasserversorgung und Abfallwirtschaft. Das BMZ schickt Geld, zumeist in Form einer Anschubfinanzierung, Kontakte, Expertise und Know-how nach Übersee. Was Niebel eine »Win-Win-Situation« nennt, das ist nichts als eine Privatisierungsstrategie mit Spätzündung: Nach Abschluß der geteilten Anschubfinanzierung gehen alle Betreiberrechte an das Unternehmen aus Deutschland. In Brasilien hat die hessische »Enviro Chemie« in Rio de Janeiro eine Kläranlage zu 50 Prozent vom BMZ bezahlt bekommen, der Umsatz der Firma hat sich seitdem von 20 auf 70 Millionen Euro erhöht.
Applaus bekommt Niebel vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Seit Februar 2010 wird laut BMZ-Staatssekretärin Gudrun Kopp ein »fortlaufender Dialog mit der Wirtschaft« geführt, »Entwicklungsscouts« sollen in allen großen Wirtschaftsverbänden sitzen. »Den Menschen ist geholfen, sobald vor Ort Arbeitsplätze und Infrastruktur entstehen«, freut sich BDI-Abteilungsleiter Außenwirtschaft, Oliver Wieck, über die Aufstockung der PPP-Mittel um 25 Prozent von 48 auf 60 Millionen Euro. Das Versprechen der Politik einer »Verzahnung von Außenwirtschaft und EZ« aus dem Vorgängerkoalitionsvertrag von SPD und CDU/CSU ist eingehalten worden.
An einem der größten Industriestandorte Mexikos haben der Chemiegigant BASF und die vor Ort operierenden Energiemultis Shell, Total und Mitsui unter Leitung der BMZ-Organisation »Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit« (GTZ) im Rahmen eines PPP eine Müllkompostierungsanlage bezahlt. Seit 2006 soll die Bevölkerung dort in Sachen »Umweltbewußtsein« erzogen werden, so die GTZ. BMZ und Unternehmen feiern ihren Einsatz als »Erfolgsgeschichte«, gute Presse und direkter Kontakt zur Lokalpolitik sind sicher. Altamira allerdings versinkt weiter im Dreck. Die Anlage arbeitet noch immer nicht, es gibt zu wenig Müllautos. Korruptionsvorwürfe gegen den Bürgermeister reißen nicht ab, Pipelines explodieren, Strände werden durch Öllecks verseucht, rund 20 derartiger »Pannen« verursachen die Multis pro Jahr in der Region.
BASF aber freut sich über eine gelungene Imagekampagne. Der Produzent von Millionen Tonnen Plastikmüll mit einem Jahresumsatz von 50 Milliarden Euro (2009) präsentiert sich als »integraler Bestandteil der Gesellschaft«, der zur »wirtschaftlichen, sozialen Entwicklung, aber auch zum Schutz der Umwelt« beitragen will.
In den 1970igern hatte der damalige BASF-Chef nach »unerhörten Vorwürfen gegen die Industrie« als erster zu »publizistischen Gegenmaßnahmen« geblasen. Regierungsstellen hatten in Fischen des Rhein-Main-Gebietes »Farbstoffe der BASF« entdeckt. Angesichts dieser »unerfreulichen Situation« wurde eine Umweltstrategie ersonnen. Es sei »unternehmenspolitisch wichtig«, durch »aktives Vorgehen die Behörden zu einer kooperativen Einstellung zu veranlassen«. Die Volksvertreter gelte es »davon abzuhalten, unter dem Eindruck der öffentlichen Diskussion zu stark belastende Auflagen zu machen«, forderte der Chef jener Firma, die weder im Ersten Weltkrieg als Hersteller von Sprengstoff und Giftgas noch zu Nazizeiten Schwierigkeiten mit Behörden hatte. (So durfte beispielsweise ein Chemiewerk zur Nutzung von »Rüstungsjuden« direkt neben Auschwitz gebaut werden.)
Apropos publizistische Gegenmaßnahmen: Kürzlich machte das Climate Action Network Europe (CAN) eine Wahlkampfspende des deutschen Dreigestirns BASF, Bayer und E.ON in Höhe von 175000 US-Dollar für die US-Kongreßwahlen im Oktober 2010 an Politiker bekannt, die den Klimawandel leugnen oder Umweltschutzgesetze blockieren.
* Aus: junge Welt, 17. November 2010
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