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Deutschland stiehlt sich aus der internationalen Verantwortung

Welthungerhilfe und das Hilfswerk Terre des hommes kritisieren die Kürzungen des Entwicklungshaushalts

Von Martin Ling *

Der Bericht »Die Wirklichkeit der Entwicklungshilfe« ist inzwischen zu einer festen Institution geworden. Zum 20. Mal stellten Welthungerhilfe und Terre des hommes ihre Bestandsaufnahme vor - einen Tag nach der ersten Kürzung im Entwicklungshaushalt seit 2004.

Volkmar Klein hatte keinen leichten Stand: Der CDU-Abgeordnete ist Berichterstatter zum Einzelplan 23 (Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ) und bezog gestern im Namen seiner Fraktion beim parlamentarischen Pressefrühstück Stellung. Just nach dem am Vorabend zum ersten Mal seit 2004 der Entwicklungshaushalt wieder gekürzt wurde - um fast 87 Millionen Euro. Zu einem Zeitpunkt, da Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble Milliarden an Zinszahlungen spart, weil die durch die Eurokrise bedingte Kapitalflucht nach Deutschland Schäuble in die Karten spielt. Laut dem nicht anwesenden Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise spart Deutschland dadurch jährlich 10 Milliarden Euro und insgesamt gar 67 Milliarden Euro.

Mehr als haushalterische Begründungen - etwa dass der Etatposten Nothilfe in Höhe von 80 Millionen Euro nicht mehr beim BMZ sondern beim Auswärtigen Amt angesiedelt ist und die Nettoauszahlungen durch sinkende Kreditrückflüsse 2013 sogar steigen würden - konnte Klein nicht bieten. Das Verständnis für diese Ausführungen hielt sich bei Danuta Sacher in Grenzen. Die Vorstandsvorsitzende vom Hilfswerk Terre des hommes war zwar bereit, die haushalterischen Details nachzuvollziehen, mehr jedoch nicht. Das Signal der Haushaltskürzung sei im internationalen Kontext gesehen beschämend. Obwohl in Deutschland unerwartete Steuereinnahmen sprudelten, das Land bisher im Vergleich mit am besten durch die Finanz- und Wirtschaftskrise komme, beschließe die Regierung eine Streichung im Entwicklungshaushalt. Der selbe Tenor bei Wolfgang Jamann: »Wir halten eine Kürzung von Entwicklungsgeldern für eine Missachtung nicht nur von humanitären Verpflichtungen, sondern auch der großen Aufgaben, die jenseits unserer nationalen Aufgaben vor der Tür angekommen sind«, sagte der Generalsekretär der Welthungerhilfe.

Zu diesen großen Aufgaben rechnet Jamann die dramatischen Folgen des Klimawandels sowie die Verknappung von Ressourcen, neue Herausforderungen, für die eine angemessene finanzielle Ausstattung erforderlich sei.

Die grobe Richtung beim Entwicklungsetat stimmt nach der Kürzung weniger denn je: Damit ist der von Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) und auch von Kanzlerin Angela Merkel pro forma immer verteidigte Stufenplan, bis 2015 den Anteil öffentlicher Mittel für Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen, de facto tot. Die sogenannte ODA-Quote liegt in Deutschland aktuell bei 0,4 Prozent. Um das 0,7-Ziel in einigen Jahren zu erreichen, müsste der Etat pro Jahr um etwa eine Milliarde Euro aufgestockt werden.

Grob stimmt die Richtung nicht, im Detail sieht es aber nicht besser aus. Vor allem »dass gleichzeitig verstärkt Formen der Mischfinanzierung eingesetzt werden, die den Entwicklungsetat zwar optisch vergrößern, jedoch in der Regel die ärmsten Länder und Bevölkerungsgruppen nicht erreichen«, ist Danuta Sacher ein Dorn im Auge. Die Vorstellung des 20. Berichtes »Die Wirklichkeit der Entwicklungspolitik« geriet angesichts der aktuellen Etatentwicklung in den Hintergrund. Er ist als Schattenbericht zu den offiziellen Zahlen des Entwicklungsausschusses der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) konzipiert und überprüft die deutsche Entwicklungspolitik quantitativ und qualitativ. Viel mehr als ein Armutszeugnis hat sich die deutsche Entwicklungspolitik wieder nicht verdient.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 23. November 2012

Die Presseerklärung von terre des hommes und Welthungerhilfe:

Etat für Entwicklungshilfe 2013: Kürzungen müssen verhindert werden

20. Bericht zur Wirklichkeit der deutschen Entwicklungspolitik

Bonn / Osnabrück, 21.11.2012 - Die Hilfswerke terre des hommes und Welthungerhilfe fordern von den Abgeordneten des Bundestages, in der heutigen Debatte zum Bundeshaushalt 2013 die geplanten Kürzungen im Entwicklungshilfeetat in Höhe von 124 Millionen Euro zurückzunehmen und stattdessen eine Aufstockung des Entwicklungshilfeetats zu beschließen. Die dramatischen Folgen des Klimawandels sowie die Verknappung von Ressourcen stellen die Entwicklungspolitik vor neue Herausforderungen, für die eine angemessene finanzielle Ausstattung erforderlich ist.

»Vor dem Hintergrund dieser Kürzungsabsicht besorgt uns umso mehr, dass gleichzeitig verstärkt Formen der Mischfinanzierung eingesetzt werden, die den Entwicklungsetat zwar optisch vergrößern, jedoch in der Regel die ärmsten Länder und Bevölkerungsgruppen nicht erreichen«, sagte Danuta Sacher, Vorstandsvorsitzende von terre des hommes.

»In den letzten Jahren konnten wir immerhin einen geringen Anstieg des Etats für Entwicklungshilfe beobachten. Mit dem jetzt vorliegenden Haushaltsentwurf droht eine Trendwende. Dies wäre ein völlig falsches Signal angesichts der drängenden globalen Entwicklungen, die vielmehr eine politische und finanzielle Aufwertung der internationalen Zusammenarbeit verlangen«, appellierte Wolfgang Jamann, Generalsekretär der Welthungerhilfe an die Abgeordneten vor der heutigen Debatte.

Hier geht es zum Bericht 2012, der dieses Mal in zwei Teilen veröffentlicht wird:
  • 20. Bericht - Teil 1 »Die Wirklichkeit der Entwicklungspolitik - Eine kritische Bestandsaufnahme der deutschen Entwicklungszusammenarbeit«
    Wohin steuert die Entwicklungspolitik? Die Suche nach neuen Konzepten und Partnerschaften
    Download des Berichts Teil 1 [externer Link]
    Und hier geht es zu einer Kurzfassung:
    Download Kurzfassung von Teil 1 [externer Link]
  • 20. Bericht - Teil 2 »Die Wirklichkeit der Entwicklungspolitik - Eine kritische Bestandsaufnahme der deutschen Entwicklungszusammenarbeit«
    Wohin steuert die Entwicklungspolitik? Zahlen und Fakten
    Download des Berichts Teil 2 [externer Link]
    Und hier geht es zu einer Kurzfassung:
    Download Kurzfassung von Teil 2 [externer Link]



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