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UN fordern Transaktionssteuer

Entwicklungsbericht der Vereinten Nationen nimmt Ungleichheit in Blick

Von Velten Schäfer *

Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen fordert eine Finanztransaktionssteuer von 0,005 Prozent. Selbst mit dieser minimalen Abgabe könne man der weltweiten Entwicklung einen »kräftigen Schub« versetzen.

»Es ist eine Idee, deren Zeit einfach gekommen ist« – so begründet Eva Jespersen vom UNDP, warum das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen die Präsentation seines jährlichen UN-Berichts über die menschliche Entwicklung (Human Development Report, HDR) mit der Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer verknüpft.

Selbst bei einer minimalen Besteuerung von 0,005 Prozent ließen sich so jährlich 40 Milliarden Euro generieren, die der Entwicklung besonders im globalen Süden einen »kräftigen Schub« geben könnten – wenn das Geld in die Entwicklungsarbeit flösse. Bisher wenden die Regierungen 120 Milliarden Euro für Entwicklungspolitik auf. Mit dieser Forderung, so Jespersen, befinde man sich in bester Gesellschaft: Vom »Vatikan über Bill Gates bis zu den Wall-Street-Besetzern« stoße man auf Unterstützer.

Der HDR ist eine Staatenrangliste, die anhand von Durchschnittseinkommen, Bildungsstand und Lebenserwartung aufgestellt wird. Nach diesem im so genannten Human Development Index (HDI) festgehaltenen Kriterien lebt es sich in Norwegen, Australien und den Niederlanden am besten, die Schlusslichter sind die krisengeschüttelte afrikanischen Länder DR Kongo, Niger und Burundi. Deutschland liegt demnach auf dem neunten Platz.

Nach einer Diskussion der dem Bericht zugrunde liegenden Kriterien wurde 2010 die Dimension sozialer Ungleichheit eingeführt. Insofern wirft der Bericht für 2011 erstmals auch ein Schlaglicht auf Staaten mit besonders krassen Differenzen zwischen Arm und Reich. Werden diese berücksichtigt, fallen die USA vom 4. auf den 23. Platz, Südkorea vom 15. auf den 32. und Israel vom 17. auf den 25. Rang unter den entwickelten Staaten zurück.

Unter dem Titel »Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit: Eine bessere Zukunft für alle« stellt der Bericht weiterhin fest, »dass sich die ungleiche Verteilung des Einkommens fast überall auf der Welt verschärft« hat. Obwohl es etwa Brasilien und Chile gelungen sei, die Verteilung deutlich zu verbessern, sei die Einkommensungleichheit nach wie vor in Lateinamerika am stärksten ausgeprägt. Berücksichtigt man jedoch auch Bildung und Lebenserwartung, sind Afrika südlich der Sahara und Südasien die Regionen mit der größten Ungleichheit.

Der frühere Entwicklungsminister Erhard Eppler (SPD) kritisierte bei der Präsentation des Berichts in Berlin, dass die reichen Industriestaaten ihre finanziellen Zusagen für die Entwicklungszusammenarbeit einmal mehr nicht erfüllt hätten. Nicht zuletzt deshalb sei die »Zahl der Hungrigen auf über eine Milliarde gestiegen«. Dabei hat sich die Internationale Gemeinschaft eigentlich dem Ziel verschrieben, diese Zahl zu halbieren. Doch davon sei die Realität weit entfernt.

* Aus: neues deutschland, 4. November 2011

Die Finanzierungslücke schließen: Die Devisentransaktionssteuer – von einer großartigen Idee zu einem praktischen politischen Handlungskonzept

Die Finanzierungslücke bei den verfügbaren Mitteln, mit denen die in diesem Bericht dokumentierten Deprivationen und Herausforderungen angegangen werden können, ließe sich deutlich verkleinern, indem man neue Möglichkeiten nutzt. Der Hauptkandidat ist die Devisentransaktionssteuer. Sie wurde ursprünglich im Bericht über die menschliche Entwicklung 1994 vorgeschlagen und wird nun zunehmend als praktikable politische Option akzeptiert. Die jüngste Finanzkrise hat das Interesse an dem Vorschlag wiederbelebt und unterstrichen, wie relevant und zeitgemäß er ist.

Die heutige Infrastruktur für Devisengeschäfte ist organisierter, zentralisierter und standardisierter, sodass es neu ist, zu betonen, dass ihre Umsetzung jetzt machbar ist. Die Steuer wird auf hoher Ebene unterstützt, unter anderem von der Pilotgruppe über innovative Finanzierung für Entwicklung, in der etwa 63 Länder, darunter China, Frankreich, Deutschland, Japan und das Vereinigte Königreich, vertreten sind. Und die Hochrangige Beratergruppe der Vereinten Nationen zur Frage der Finanzierung des Klimawandels schlug kürzlich vor, 25 bis 50 Prozent der Einnahmen aus einer solchen Steuer in den Klimaschutz und in die Anpassung an den Klimawandel in Entwicklungsländern zu lenken.

Unsere auf den neuesten Stand gebrachte Analyse zeigt, dass die Devisentransaktionssteuer mit einem sehr minimalen Satz (0,005 Prozent) und ohne irgendwelche zusätzlichen Verwaltungskosten zusätzliche Einnahmen von etwa 40 Milliarden US-Dollar pro Jahr generieren könnte. Es gibt nicht viele andere Optionen, die den neuen zusätzlichen Finanzierungsbedarf, auf den in internationalen Debatten hingewiesen wird, im erforderlichen Umgang decken könnten.

Eine breiter angelegte Finanztransaktionssteuer verspricht ebenfalls ein großes Einnahmepotenzial. Die meisten G-20-Länder haben bereits irgendeine Form von Finanztransaktionssteuer eingeführt und der Internationale Währungsfonds (IWF) hat bestätigt, dass auch eine breiter angelegte Abgabe realisierbar wäre. Eine Version der Steuer, eine Abgabe von 0,05 Prozent auf nationale und internationale Finanztransaktionen, könnte geschätzte 600 bis 700 Milliarden US-Dollar generieren.

Auch die Monetarisierung von Teilen der überschüssigen Sonderziehungsrechte des IWF stößt auf Interesse. Dadurch ließen sich bis zu 75 Milliarden US-Dollar aufbringen, ohne die Haushalte der beteiligten Regierungen wesentlich zu belasten. Die Sonderziehungsrechte haben den zusätzlichen Reiz, dass sie als monetäres Ausgleichsinstrument dienen. Es wird erwartet, dass die Nachfrage danach aus Schwellenländern kommt, die die von ihnen gehaltenen Währungsreserven diversifizieren möchten.

Aus: UNDP: Bericht zur menschlichen Entwicklung 2011 - Zusammenfassung, S. 26

Hier geht es zur Zusammenfassung [pdf-Datei, externer Link] (mit vielen Tabellen und Grafiken).




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