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UN machen Trinkwasser zum Menschenrecht

Von Andreas Zumach *

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat das Recht auf sauberes Wasser als Menschenrecht anerkannt. Die Resolution wurde mit großer Mehrheit angenommen. Gegenstimmen gab es keine.

Der Anspruch jedes Erdenbürgers auf sauberes, trinkbares Wasser ist jetzt ein offiziell anerkanntes Menschenrecht. So wie das Recht auf Nahrung oder das Recht, frei von Folter und von rassischer Diskriminierung zu leben. Den Anspruch auf sauberes, trinkbares Wasser hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen am Mittwoch (28.07.2010) in einer Resolution festgeschrieben.

Entscheidung mit Symbolcharakter

Dieser Beschluss macht das Recht auf sauberes Wasser zwar nicht juristisch einklagbar. Die Entscheidung der Generalversammlung ist aber von hohem symbolischem Wert. Denn sie signalisiert die Dringlichkeit, die die Knappheit an sauberem Wasser für einen ständig steigenden Anteil der Weltbevölkerung inzwischen hat.

884 Millionen Menschen haben nach Erhebungen des UN-Umweltprogramms überhaupt keinen oder nur einen völlig unzureichenden Zugang zu sauberem, trinkbarem Wasser. Darüber hinaus haben fast 2,5 Milliarden Menschen keinen Zugang zu Toiletten oder zu anderen einfachen sanitären Anlagen. Jedes Jahr sterben mehr als zwei Millionen Menschen aus Mangel an sauberem Wasser oder weil sie verseuchtes Wasser getrunken haben.

Opfer vor allem Kinder unter fünf Jahren

"Durch schmutziges Wasser sterben mehr Menschen als an Aids, Malaria und Masern zusammen", rechnete Boliviens Botschafter Pablo Solon der UN-Generalversammlung am Mittwoch vor. Die meisten der Opfer sind Kinder unter fünf Jahren. Bei ihnen sind Durchfallerkrankungen weltweit die zweihäufigste Todesursache.

Der Wassermangel und die Versteppung und Verwüstung ehemals landwirtschaftlich nutzbarer Flächen - Probleme, die ehemals nur in Afrika und Asien existierten - haben inzwischen längst Europa erreicht. Im Süden Spaniens dehnt sich die Wüste jährlich um einen Kilometer Richtung Norden aus. Und in immer mehr Regionen dieser Welt verursacht oder eskaliert die Verknappung der Ressource Wasser zwischen- und innerstaatliche Gewaltkonflikte. So im Nahen Osten zwischen Israel und den Palästinensern, in Indien oder unter den sieben Anrainerstaaten des Nils.

Noch verschärft wird das Problem zudem durch die von großen Nahrungsmittelkonzernen betriebene Privatisierung der Wasserversorgung. Sie führt bislang in den meisten Fällen zu einer Verteuerung der kostbaren Ressource Wasser für die Verbraucher.

"Größte Menschenrechtsverletzung der Welt"

Von all diesen heutigen Problemen hatte die Menschheit bei der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Jahre 1948 noch keine Ahnung, argumentiert Maude Barlow, Gründerin des in Kanada beheimateten "Blue Planet Project". Im Jahr 2010 stelle der fehlende Zugang zu sauberem Wasser aber "die größte Menschenrechtsverletzung der Welt dar". Das "Projekt für einen blauen Planeten" engagiert sich für den Schutz und für eine gerechtere Verteilung der weltweiten Wasserressourcen und hatte vor zwei Jahren die internationale Kampagne initiiert, das Recht auf sauberes Wasser durch eine UN-Resolution anzuerkennen.

Bolivien legte - unterstützt von 33 weiteren Ländern - der UN-Generalversammlung schließlich eine entsprechende Resolution vor. Bei der Abstimmung am Mittwoch votierten 122 der 163 anwesenden UN-Mitgliedsstaaten für die Resolution, die übrigen 41 - fast ausschließlich Länder aus dem industrialisierten Norden - enthielten sich der Stimme. Insbesondere die USA, Kanada und Großbritannien hatten vergeblich versucht, eine Abstimmung über die Resolution zu verhindern. Doch so geschlossen, wie bei anderen Abstimmungen zu vergleichbaren Themen, war das Lager der reichen Staaten des Nordens diesmal nicht. Deutschland etwa, nach den Worten seines UN-Botschafters Peter Wittig, einer der "entschiedensten Verfechter des Rechts auf Wasser", stimmte für die Resolution.

* Aus: Deutsche Welle, 28. Juli 2010 (Redaktion: Frank Wörner); www.dw-world.de

Hier geht es zur Resolution A/64/L.63/REV.1

"Human Right to Water" (englisch, pdf-Datei)

Information zum Abstimmungsergebnis:

Vote on Human Right to Water

The draft resolution on the human right to water and sanitation (document A/64/L.63/REV.1) was adopted by a recorded vote of 122 in favour to none against, with 41 abstentions, as follows:

In favour: Afghanistan, Algeria, Andorra, Angola, Antigua and Barbuda, Argentina, Azerbaijan, Bahamas, Bahrain, Bangladesh, Barbados, Belarus, Belgium, Benin, Bhutan, Bolivia, Brazil, Brunei Darussalam, Burkina Faso, Burundi, Cambodia, Cape Verde, Central African Republic, Chile, China, Colombia, Comoros, Congo, Costa Rica, Côte d'Ivoire, Cuba, Democratic People's Republic of Korea, Democratic Republic of the Congo, Djibouti, Dominica, Dominican Republic, Ecuador, Egypt, El Salvador, Equatorial Guinea, Eritrea, Finland, France, Gabon, Georgia, Germany, Ghana, Grenada, Guatemala, Haiti, Honduras, Hungary, India, Indonesia, Iran, Iraq, Italy, Jamaica, Jordan, Kuwait, Kyrgyzstan, Lao People's Democratic Republic, Lebanon, Liberia, Libya, Liechtenstein, Madagascar, Malaysia, Maldives, Mali, Mauritius, Mexico, Monaco, Mongolia, Montenegro, Morocco, Myanmar, Nepal, Nicaragua, Niger, Nigeria, Norway, Oman, Pakistan, Panama, Paraguay, Peru, Portugal, Qatar, Russian Federation, Saint Lucia, Saint Vincent and the Grenadines, Samoa, San Marino, Saudi Arabia, Senegal, Serbia, Seychelles, Singapore, Slovenia, Solomon Islands, Somalia, South Africa, Spain, Sri Lanka, Sudan, Switzerland, Syria, Tajikistan, Thailand, The former Yugoslav Republic of Macedonia, Timor-Leste, Togo, Tunisia, Tuvalu, United Arab Emirates, Uruguay, Vanuatu, Venezuela, Viet Nam, Yemen, Zimbabwe.

Against: None.

Abstain: Armenia, Australia, Austria, Bosnia and Herzegovina, Botswana, Bulgaria, Canada, Croatia, Cyprus, Czech Republic, Denmark, Estonia, Ethiopia, Greece, Guyana, Iceland, Ireland, Israel, Japan, Kazakhstan, Kenya, Latvia, Lesotho, Lithuania, Luxembourg, Malta, Netherlands, New Zealand, Poland, Republic of Korea, Republic of Moldova, Romania, Slovakia, Sweden, Trinidad and Tobago, Turkey, Ukraine, United Kingdom, United Republic of Tanzania, United States, Zambia.

Absent: Albania, Belize, Cameroon, Chad, Fiji, Gambia, Guinea, Guinea-Bissau, Kiribati, Malawi, Marshall Islands, Mauritania, Micronesia (Federated States of), Mozambique, Namibia, Nauru, Palau, Papua New Guinea, Philippines, Rwanda, Saint Kitts and Nevis, Sao Tome and Principe, Sierra Leone, Suriname, Swaziland, Tonga, Turkmenistan, Uganda, Uzbekistan.

Source: UN General Assembly, Department of Public Information, 28 July 2010; www.un.org



Wasser wird Menschenrecht

UNO-Generalversammlung stimmt von Bolivien eingebrachter Resolution zu **

Ohne Wasser können Menschen nicht leben, durch unsauberes Wasser sterben jedes Jahr Millionen. Jetzt haben die Vereinten Nationen ein Menschenrecht auf Wasser festgeschrieben. Einklagbar ist es jedoch nicht.

Sauberes Wasser ist jetzt ein Menschenrecht. Die Vereinten Nationen haben am Mittwoch den Anspruch auf reines Wasser und Sanitärversorgung als allgemeines Menschenrecht festgeschrieben. Die von Bolivien vorgelegte und von 33 anderen Staaten unterstützte Resolution wurde in der Vollversammlung der 192 Mitgliedsstaaten, von denen 163 anwesend waren, mit großer Mehrheit von 122 Stimmen angenommen. »Diese Resolution bringt kein Recht auf Wasser im Sinne des internationalen Rechts«, sagte der Vertreter Washingtons. »Sie ist uneindeutig, und deshalb müssen wir uns enthalten.« Nach UN-Angaben gab es keine Gegenstimmen, aber 41 Staaten enthielten sich. Das waren vor allem entwickelte Länder, während die Staaten der Dritten Welt praktisch durchgängig für den Entwurf stimmten.

Deutschland gehört nach den Worten seines UN-Botschafters Peter Wittig zu den entschiedensten Verfechtern des Rechts auf sauberes Wasser. »Weltweit haben 884 Millionen Menschen keinen genügenden Zugang zu sauberem Wasser und mehr als 2,6 Milliarden keinen zu einfachen sanitären Anlagen. Jedes Jahr sterben etwa zwei Millionen Menschen an den Folgen unsauberen Wassers, die meisten von ihnen sind Kinder.« Deutschland habe sich noch eine klarere Verantwortung in der Resolution gewünscht, stimme diesem Kompromiss aber zu.

»Wir bestehen zu zwei Dritteln aus Wasser, unser Gehirn sogar zu drei Vierteln«, sagte Boliviens UN-Botschafter Pablo Solón. »Wasser ist das Transport- und Kühlmittel unseres Körpers, und wir können eine ganze Weile ohne Essen auskommen, aber nur wenige Tage ohne Wasser.« Dennoch müssten Millionen Menschen jeden Tag ohne reines Wasser leben. »Durchfall ist die zweithäufigste Todesursache bei Kindern. Durch schmutziges Wasser sterben mehr Menschen als an Aids, Malaria und Masern zusammen.« Solón hielt vor der Vollversammlung kurz inne: »Das waren gerade dreieinhalb Sekunden. Alle dreieinhalb Sekunden stirbt ein Kind, nur weil es kein sauberes Wasser hat.«

Der Anspruch auf sauberes Wasser ist völkerrechtlich nicht verbindlich. Einklagbar ist es selbst in den Unterzeichnerstaaten der Erklärung der Menschenrechte nicht, zu denen alle 192 UN-Mitglieder automatisch mit ihrem Beitritt zählen. Die Verankerung hat aber einen hohen symbolischen Wert und durchaus Einfluss auf die Politik von Staaten und der Vereinten Nationen.

Die Entschließung der UN-Vollversammlung ist in Deutschland begrüßt worden. Der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Tom Koenigs (Grüne), sprach von einem historischen Fortschritt. Da die Resolution aber noch nicht zu einem einklagbaren Recht führe, fange die Arbeit erst an. In dieselbe Kerbe hieb Niema Movassat von der LINKEN. »Ich freue mich, dass Deutschland zugestimmt hat. Doch das reicht nicht. Nun muss das Recht auch völkerrechtlich verbindlich und damit einklagbar werden. Dazu muss Deutschland endlich das Zusatzprotokoll der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte ratifizieren. Ansonsten bleibt die Regierung bei Lippenbekenntnissen.«

** Aus: Neues Deutschland, 30. Juli 2010


Das umkämpfte blaue Gold

Von Martin Ling ***

Der Fortschritt ist kein Wasserfall. Dennoch ist die Annahme der Resolution zum Recht auf Wasser und sanitäre Grundversorgung mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Es war alles andere als selbstverständlich, dass sich die UNO-Generalversammlung der von Bolivien vorgelegten Beschlussvorlage anschließen würde. Geraume Zeit stellten sich reiche Staaten wie vor allem Kanada, aber auch Australien, die USA und Großbritannien quer.

Nun ist das Recht auf Wasser endlich verbrieft, wenngleich nicht einklagbar. So steht der Fortschritt fürs Erste nur auf dem Papier. Und das ist Grund zur Skepsis. Das Recht auf Nahrung ist schon seit 1976 im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESR) verankert, ohne dass deswegen eine Politik der Ernährungssouveränität eingeschlagen worden wäre, mit der den Hungernden erfolgreich geholfen werden könnte.

Eine unverbindliche Resolution vermag dazu beizutragen, den Druck auf die Politik zu erhöhen, sich um sauberes Wasser und Sanitärversorgung zu kümmern. Ob dieser Druck stärker ist als der in der Resolution ausgeklammerte Privatisierungsdruck, ist bis zum Beweis des Gegenteils fraglich. Die Beispiele Boliviens, Argentiniens und Uruguays zeigen freilich auch, dass Rückabwicklung möglich ist. Denn Wasserprivatisierung ist mit dem Menschenrecht auf Wasser bei den Bedürftigen nicht vereinbar.

*** Aus: Neues Deutschland, 30. Juli 2010


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