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Keiner wäscht weißer

Entwicklungsminister Dirk Niebel stellt Weißbuch vor

Von Martin Ling *

Alle vier bis fünf Jahre legt die Bundesregierung eine entwicklungspolitische Bilanz vor: das sogenannte Weißbuch zur Entwicklungspolitik. Selbstkritik ist beim Ressortchef Dirk Niebel Fehlanzeige. Dabei gäbe es viele Gründe dazu.

Eigentlich müsste es Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) wissen: Mit dem Finger auf andere zu zeigen ist ein Ausweis für schlechtes Benehmen, zumal wenn im eigenen Haus nicht alles zum Besten bestellt ist. Nichtsdestotrotz reichte der Liberale den Schwarzen Peter für entwicklungspolitischen Nachholbedarf an die Schwellenländer weiter: Er forderte sie zu mehr Anstrengungen im Kampf gegen extreme Armut auf. Die Zahl der Menschen, die mit weniger als einem Euro am Tag auskommen müssen (»absolut Arme«), sei gerade in den Schwellenländern mit ihrem starkem Bevölkerungswachstum hoch, sagte Niebel am Mittwoch in Berlin. Die nationalen Regierungen müssten hier mehr tun - etwa über die sozialen Sicherungssysteme sowie Strukturreformen. Sie seien in der Pflicht, um das anspruchsvolle Weltbank-Ziel einer kompletten Abschaffung der »absoluten Armut« bis 2030 zu erreichen.

Diese durchaus bedenkenswerten Aufforderungen wären viel überzeugender, wenn die Bundesregierung selbst eine Erfolgsbilanz vorzuweisen hätte. Doch trotz guter Finanzlage bleibt Deutschland weit vom erklärten Entwicklungshilfeziel entfernt. Laut Koalitionsvertrag sollte der Anteil bis 2015 auf 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung (ODA-Quote) gesteigert werden, dem am Mittwoch vorgelegten Entwicklungsbericht zufolge lag der Anteil 2012 aber wie schon vor vier Jahren bei 0,38 Prozent.

Niebel räumte zwar Nachholbedarf in Bezug auf die ODA-Quote ein, um sogleich zum Gegenangriff überzugehen: »Das Ausgeben von viel Geld ist noch lange keine gute Entwicklungspolitik.« Selbstbewusst verkündete er: »Wir sind Marktführer der Entwicklung in der Welt.« Die Effizienz der deutschen Hilfe sei erhöht worden. Zugleich habe man politische und institutionelle Reformen auf den Weg gebracht.

In der Tat hat Niebel eine große Reform angepackt, an die sich seine Vorgänger und Vorgängerinnen nicht trauten: Die Fusion dreier technischer Organisationen zur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Das wird in entwicklungspolitischen Kreisen allgemein als Schritt in die richtige Richtung anerkannt. Dass die GIZ bereits rund läuft, behauptet außerhalb Niebels Umfeld freilich keiner.

So erntete auch das Weißbuch vielfach Kritik: Das Kinderhilfswerk »Terre des Hommes« monierte die Orientierung an Wirtschaftsinteressen. Die bescheidenen Mittel sollten nicht der Außenwirtschaftsförderung dienen, sagte die Vorstandsvorsitzende der Organisation, Danuta Sacher, dem Online-Portal »tagesschau.de«. Dafür gebe es andere Instrumente in der Bundesregierung. Auch die Grünen und die LINKE übten scharfe Kritik. »Als Brückenbauer für mehr globale Gerechtigkeit ist Niebel krachend gescheitert«, teilten Grünen-Chefin Claudia Roth und die entwicklungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Ute Koczy, mit. Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, prangerte die »Instrumentalisierung staatlicher Entwicklungshilfe für deutsche Wirtschaftsinteressen und Forcierung von Freihandelsabkommen an«. Niebel dürfte das freilich kaum erschüttern.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 18. April 2013


Niebels desaströse Bilanz

Von Martin Ling **

Sein Ego ist groß: »Wir sind Marktführer der Entwicklung in der Welt.« Deutschlands Entwicklungsminister Dirk Niebel stellt seiner Politik ein Zeugnis aus, das mit der Realität nichts zu tun hat. Es sei denn, man versteht Entwicklungspolitik so wie Niebel: als Förderung deutscher Wirtschaftsinteressen. Das aber sollte Aufgabe des Wirtschaftsministeriums sein. Entwicklungsgelder sollten dorthin fließen, wo der Bedarf am größten ist - in die Bewältigung der globalen Herausforderungen rund um Armutsbekämpfung, Klimawandel, Migration oder Ernährungssicherheit.

Niebel kann sich zwar positiv anrechnen lassen, dass er aus drei nebeneinander werkelnden technischen Organisationen mit der neu geschaffenen Entwicklungsagentur GIZ eine geschaffen hat, was potenziell eine effizientere Ausgestaltung der Entwicklungspolitik durch Vermeidung von Mehrfachstrukturen ermöglicht. Doch was bei der GIZ fehlt, ist eine kohärente entwicklungsfördernde Neuausrichtung, die die Südinteressen gleichberechtigt konzeptionell verankert.

Niebels Politik orientiert auf kurzfristige Wirtschaftsinteressen deutscher Unternehmen, dafür werden Entwicklungsgelder in Form von Scouts ausgegeben, die für deutsche Unternehmen das Feld sondieren. Um Armutsminderung geht es dabei sicher nicht, denn mit Grundbildung, Basisgesundheitsversorgung oder dem Ausbau der Ernährungssicherheit lassen sich keine Profite machen. Niebels Ansatz ist desaströs.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 18. April 2013 (Kommentar)

Dokumentiert:


14. Entwicklungspolitischer Bericht

Bun­des­re­gie­rung stellt Ent­wick­lungs­politisches Weiß­buch vor

17.04.2013

Berlin – Alle vier Jahre veröffentlicht die Bun­des­re­gie­rung einen umfassenden ent­wick­lungs­po­litischen Bericht – das Weißbuch zur Ent­wick­lungs­po­li­tik – und legt ihn dem Bundestag vor. In seiner heutigen Sitzung hat das Kabinett den neuen Bericht beschlossen. Bun­des­ent­wick­lungs­mi­nister Dirk Niebel hat ihn in der Bundes­presse­kon­ferenz anschließend der Öf­fent­lich­keit vorgestellt.

In diesem mittlerweile 14. Bericht zieht die Bun­des­re­gie­rung eine positive Bilanz ihrer Ent­wick­lungs­po­li­tik: Durch einige entscheidende Reformen konnte die deutsche Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit in den ver­gan­gen­en Jahren neu auf­ge­stellt und deutlich wirksamer gestaltet werden. Zugleich wurde ihre politische Steu­e­rung verbessert.

Als Beispiel dafür nennt das Weißbuch die Fusion der drei zuvor parallel ar­bei­ten­den Ent­wick­lungs­or­ga­ni­sa­tionen DED, GTZ und InWEnt zur Deutschen Ge­sell­schaft für In­ter­na­ti­o­nale Zu­sam­men­ar­beit (GIZ), durch die die technische Zu­sam­men­ar­beit effektiver ge­wor­den ist.

Ausdruck des Richtungs­wechsels der vergangenen Jahre ist auch die Gründung des Evaluierungs­instituts DEval. Es wird die deutsche Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit zukünftig mit wissenschaftlicher Un­ab­hän­gig­keit auf den Prüf­stand stellen und dadurch wesentlich zur weiteren Ver­bes­se­rung ihrer Wirksamkeit beitragen.

Auch auf die in­ter­na­ti­o­nale Ebene hat sich das An­liegen der Bun­des­re­gie­rung, die Ent­wick­lungs­po­li­tik effektiver zu machen, bereits positiv ausgewirkt, heißt es im Bericht. So hat Deutsch­land etwa daran mitgewirkt, dass die EU und wichtige multilaterale Geber ihre Ent­wick­lungs­po­li­tik strategisch neu ausrichten.

Die Zu­sam­men­ar­beit mit Schwellen­ländern wurde in den vergangenen Jahren erheblich intensiviert und auch das En­gage­ment in fragilen Staaten hat die Bun­des­re­gie­rung ausgebaut. Als Meilen­stein nennt das Weißbuch die ressort­über­greifenden Leit­linien zum Umgang mit fragilen Staaten, die gemeinsame Ziele und Verfahrensregeln der Bundes­ministerien für Krisenfälle festlegen.

Trotz der erforderlichen Haushaltskonsolidierung wurden die deutschen Ent­wick­lungs­lei­stun­gen, die in­ter­na­tional als Official De­vel­op­ment Assistance (ODA) eines Landes zusammengefasst werden, in den letzten Jahre kon­ti­nuier­lich gesteigert: Von 8,7 Milliarden Euro im Jahr 2009 auf 10,2 Milliarden im Jahr 2012. Deutsch­land ist damit weltweit der zweit­größte Geber. Durch die gezielte Einbindung der Wirtschaft hat die Bun­des­re­gie­rung darüber hinaus neues Potenzial für ihre Ent­wick­lungs­po­li­tik nutzbar gemacht.

Quelle: Website des Entwicklungsministeriums; http://www.bmz.de

Eine Kurzfassung des Weißbuchs finden Sie hier (PDF 6,2 MB).



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