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"Die Grenze zwischen militärischen und entwicklungspolitischen Aufgaben muss klar sein"

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul kritisiert die Europäische Kommission

Am 12. November 2003 veröffentlichte die Frankfurter Rundschau einen Artikel von Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, worin die Ministerin in ungewöhnlicher Form die Europäische Kommission kritisiert. Mit dem Argument, man wolle den afrikanischen Staaten bei der Konfliktbewältigung helfen, will die EU-Kommission 250 Millionen Euro für die Afrikanische Friedensfazilität (AFF) bereit stellen. Die AFF ist nichts anderes als eine Truppe der Afrikanischen Union zur militärischen Krisenbewältigung auf dem afrikanischen Kontinent. Die einzige Einschränkung, welche die Kommission macht: Die Mittel dürfen nicht für Waffen und Truppenbesoldung verwendet werden. Der Widerspruch der Ministerin richtet sich nicht gegen die Alimentierung der afrikanischen Streitkraft, sondern allein gegen die Art der Finanzierung: Das Geld soll nämlich aus dem Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) kommen. Das Thema steht auf der Tagesordnung der EU-Außenminister beim Brüsseler Treffen am 17. November 2003.

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hatte sich schon in ihrer Rede anlässlich des Entwicklungspolitischen Forums zu Globalen Öffentlichen Gütern am 04. November 2003 zu dem Streit geäußert: Die "friedensunterstützende Fazilität für Afrika" ("African Peace Facility") von Seiten der EU zu finanzieren, sei durchaus eine "relevante Aufgabe". "Denn: Frieden und Stabilität sind Voraussetzung für Entwicklung. Und umgekehrt fördert die wirtschaftliche und soziale Entwicklung den Frieden." Und weiter sagt sie: "Zweifellos handelt es sich bei der 'African Peace Facility' um eine durchaus wichtige militärische Initiative." Ihr "Aber" bezieht sich indessen nur auf den "Topf", aus dem das Ganze finanziert werden soll. "Die Grenze zwischen militärischen und entwicklungspolitischen Aufgaben und Aktivitäten muss klar sein..." (vgl. Rede von Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul anlässlich des Entwicklungspolitischen Forums zu Globalen Öffentlichen Gütern am 04. November 2003, http://www.bmz.de/presse/reden/rede20031104.html). Friedenspolitisch macht das natürlich keinen großen Unbterschied. Auch die EU kann einen Euro nur einmal ausgeben. Unter welchem EU-Haushaltstitel die Gelder verbucht sind, die für den Aufbau einer afrikanischen Truppe (der Begriff "Friedensfazilität" ist eine mehr als verschleiernde Umschreibung eines harten militärischer Tatbestandes) zugeschossen werden, ändert nichts daran, dass die EU in militärische Aufrüstung investiert. Dafür muss - bei knapper Kasse - an anderer Stelle gespart werden. Die Initiative von Wieczorek-Zeul ist dennoch verdienstvoll, weil sie auf eine offenbar weit fort geschrittene politische Verwahrlosung der EU-Kommission aufmerksam macht, die keinen Unterschied zwischen Aufrüstung und Entwicklungspolitik macht.

Im Folgenden dokumentieren wir den Artikel aus der FR.

Europas Verantwortung

Der Aufbau einer afrikanischen Friedenstruppe darf nicht zu Lasten der Armutsbekämpfung gehen

Von Heidemarie Wieczorek-Zeul


Zwischen der Europäischen Kommission und den EU-Mitgliedstaaten wird zur Zeit eine Diskussion geführt, die den Zielen der Entwicklungspolitik Schaden zufügen könnte. Worum geht es? Die Kommission hat vorgeschlagen, den Aufbau einer afrikanischen Friedenstruppe aus dem Europäischen Entwicklungsfonds zu finanzieren. Diese afrikanische Friedenstruppe soll in Zukunft bei gewaltsamen Konflikten in Afrika intervenieren, das Blutvergießen beenden helfen und die Voraussetzungen für Friedensverhandlungen schaffen.

Hinter diesem Modell der afrikanischen Friedenstruppe stehen zwei gute und richtige Überlegungen: Erstens bringen gewaltsame Konflikte und Bürgerkriege Leid für die Zivilbevölkerung, und sie behindern die Entwicklung von Staat und Gesellschaft. Deshalb ist es eine vordringliche Aufgabe, diese Konflikte so schnell wie möglich zu beenden oder sie präventiv zu verhindern. Zweitens - und mindestens genauso wichtig - bedeuten afrikanische Friedenstruppen, dass die Länder Afrikas ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen wollen.

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Diese Gedanken haben unter anderem zur Gründung der Neuen Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas (NEPAD) geführt, die auch die Bundesregierung nachdrücklich unterstützt. Kurz gesagt lautet das Ziel: Für afrikanische Probleme erarbeiten Afrikanerinnen und Afrikaner eigene Lösungen und setzen sie um. Dass sie der Unterstützung der Industrieländer bedürfen, steht außer Frage.

Europa muss dabei seine Verantwortung stärker wahrnehmen, gerade um seiner Glaubwürdigkeit gegenüber dem Nachbarkontinent Afrika willen. Glaubwürdigkeit und Verantwortung bedeuten auch und vor allem, dass die EU zusätzliche Mittel für die Unterstützung und Finanzierung dieser Friedenstruppen zur Verfügung stellt. Mehr Verantwortung in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, wie wir sie alle wünschen und fordern, darf sich nicht auf wortreiche Erklärungen beschränken. Mehr Verantwortung bedeutet auch eine ausreichende finanzielle Grundlage für die GASP.

Fehlt diese Grundlage, darf auf keinen Fall, wie die Kommission im Fall der afrikanischen Friedenstruppen vorgeschlagen hat, der Europäische Entwicklungsfonds zum "Ausfallbürgen" werden. Denn sonst sehe ich die Gefahr, dass der Europäische Entwicklungsfonds immer mehr zur Melkkuh für Aufgaben wird, die die Europäische Union zwar erfüllen, wofür sie aber keine weiteren Mittel bereitstellen will. Hier sind die Verantwortlichen in der Kommission gefragt, neue Wege zu finden. Neue Herausforderungen erfordern neue Mittel!

Armut schafft globale Probleme

Der zweite Grund, warum ich diesen Vorschlag der Europäischen Kommission zurückweise, hängt mit den Zielen der Entwicklungspolitik zusammen. Wir sind vielfältig mit den Menschen in Entwicklungsländern verbunden: durch Handel und Finanzen, Migration, Umwelt und Klima, Krankheiten und die Drogenproblematik, Konflikte und Terrorismus. Für viele dieser globalen Probleme lassen sich die Ursachen auf Armut und Perspektivlosigkeit zurückführen. So belegen zahlreiche Studien von UN-Organisationen und der Weltbank, dass gewaltsame Konflikte gerade dort ihren Ausgang nehmen, wo die Armut besonders groß ist. Der Zusammenhang zwischen Armut und Frustration auf der einen und der Anfälligkeit für radikale Ideen und der Unterstützung des Terrorismus auf der anderen Seite ist spätestens seit dem 11. September 2001 in unser aller Bewusstsein.

Deshalb hat sich die internationale Gemeinschaft verpflichtet, bis zum Jahr 2015 weltweit den Anteil der Menschen, die von weniger als einem US-Dollar am Tag leben, zu halbieren. Dieses Ziel ist ehrgeizig. Um es zu erreichen, haben sich die Industrieländer auf der Konferenz zur Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit in Monterrey im März 2002 unter anderem selbst auferlegt, ihre Entwicklungshilfe aufzustocken. Auch die Europäische Union hat diesem Abkommen zugestimmt. Das ist beschwerlich genug, auch wenn es einen ersten Erfolg zu vermelden gibt: Nach der Konferenz stiegen zum ersten Mal seit drei Jahren die öffentlichen Ausgaben für Entwicklungshilfe. Einen Rückfall in Kürzungen an den Entwicklungsgeldern darf es nicht geben, denn sonst bricht die Europäische Union internationale Abkommen und macht sich selbst unglaubwürdig.

Was wir jetzt an langfristigen Investitionen in der Entwicklungszusammenarbeit versäumen, wird sich in Zukunft mannigfach negativ auswirken: Im Jahr 2015 werden drei Milliarden Menschen jünger als 25 Jahre alt sein, und über 90 Prozent von ihnen leben in Entwicklungsländern. Wenn wir diesen Menschen keine Perspektive bieten jenseits von Hunger und Armut, dann wird die Welt nicht friedlicher, sondern gewaltbereiter. Deshalb dürfen die Mittel für die globale Armutsbekämpfung nicht zweckentfremdet werden, und zusätzliche Mittel müssen für neue Aufgaben bereitgestellt werden - denn: Tragfähige Fundamente für die Zukunft dieser jungen Menschen und für unsere eigene, dauerhafte Sicherheit werden heute gelegt.

Aus: FR, 12.11.2003


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