Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.


Die Europäische Union militarisiert sich - Ein Beitrag zur Zivilisierung?

Alternativen aus der Konfliktforschung

Von Johannes M. Becker*

Ein seltsames Gespenst geistert durch Talk-Shows, ja auch durch die Überlegungen vieler nüchterner Zeitgenossinnen und Zeitgenossen: Eine stark gerüstete Europäische Union könne der unverhohlenen Kriegstreiberei der dominierenden Kraft der „neuen Weltordnung“, den USA, bei ihrer Politik der „permanenten Intervention“ gegen den „internationalen Terrorismus“ Einhalt gebieten. Unter Verweis auf die Situation der Zeit vor der Auflösung der Warschauer-Vertrags-Organisation (WVO) wird das Manko eines starken sicherheitspolitischen Faktors Europäische Union in der krisenreichen Lage zu Beginn des neuen Jahrtausends beklagt.

1. Die Fakten

1.1 Ökonomischer Riese – mit sicherheitspolitisch unterschiedlichen Interessen

In der Tat ist die Europäische Union (EU) in einer seltsamen Lage. Einerseits ist sie gerade dabei, durch ihre Erweiterung auf 25, ja später gar 27 Staaten zu einem der größten politischen und Wirtschafts-Bündnisse der Erde zu werden – weitaus größer als ihre unmittelbaren Konkurrenten USA und Japan. An die 500 Millionen Produzentinnen und Produzenten, Konsumentinnen und Konsumenten leben in einem gemeinsamen Markt, werden eine wachsende Reihe von Politikbereichen aufeinander abstimmen, werden sich weitgehend der Politik der Europäischen Zentralbank verpflichtet fühlen, werden die bereits heute erhebliche Einflusszone des EURO fortwährend ausweiten.

Im Geflecht der drei großen kapitalistischen Konkurrenten sieht die Lage so aus: 16 Prozent der Erdbevölkerung verfügen über ca. 75 Prozent des ökonomischen Reichtums. Diese 16 Prozent leben in den drei kapitalistischen Kräftezentren
  • EU (455 Mio., demnächst 500 Mio. Menschen),
  • USA (290 Mio.) und
  • Japan zuzüglich einiger „Tigerstaaten“ (125 + 125 Mio.).
Die USA mit ihrem Bevölkerungsanteil von knapp 5 Prozent wenden (mit 450 Mrd. US-$) etwa 50 Prozent der erdweiten Rüstungsausgaben auf. Die EU der 25 mit einem Anteil von 7,5 Prozent an der Erdbevölkerung „lediglich“ ca. 20 Prozent.

Andererseits tut sich diese EU häufig schwer, eine gemeinsame Sprache in der Außen- und Sicherheitspolitik zu finden. Dies wird nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes um so deutlicher:
  • Der zu Beginn der 90er Jahre entfachte jugoslawische Bürgerkrieg machte zum ersten Mal diese Lage deutlich. Wurde seinerzeit jedoch in erster Linie von einem Manko an militärischen und sicherheitspolitischen Mitteln auf Seiten der EU, gemeint war eine gemeinsame Truppe, gesprochen, waren in Wirklichkeit die unterschiedlichen Interessen der EU-Kernländer verantwortlich für die Nicht-Präsenz Brüssels auf dem Balkan: Frankreich und Großbritannien (wie im übrigen die USA und auch die UNO) widersetzten sich anfänglich vehement der Anerkennungs- und damit: Separationspolitik der Kohl-Genscher-Regierung in Jugoslawien.
  • Beim NATO-Bombardement auf Jugoslawien 1999 [1] war die EU dann in einer anderen Lage: Die EU-Staaten waren mehr oder weniger euphorisch auf der Seite der USA, die ihrerseits die neue Unilateralität in der Sicherheitspolitik erstmals in größerem Rahmen ausspielte. Im Verlaufe dieses völkerrechtswidrigen Krieges mussten die europäischen Staaten jedoch spezifische Abhängigkeiten von den USA schmerzlich zur Kenntnis nehmen, die über die oben angesprochenen differierenden politischen Interessen hinausgingen. Diese Abhängigkeit betraf vor allem Truppentransport- und Informationskapazitäten. Der französische Verteidigungsminister Védrine bezichtigte die USA nach dem Ende des Krieges gegen Jugoslawien in selten gehörter Schärfe vor der französischen Nationalversammlung, einen Krieg „über weite Strecken an den Interessen ihrer Verbündeten vorbei“ geführt zu haben.
  • Im Irak-Krieg des Frühjahres 2003 schließlich gelang es den USA gar, einen Keil zwischen die EU-Staaten zu treiben, die Beitrittsländer eingeschlossen. Während sich das „alte“ Europa (Rumsfeld/Bush), vor allem Frankreich, Deutschland, Belgien und Luxemburg, dies zudem in einer Koalition mit Russland, einer direkten Kriegsbeteiligung enthielt, traten Großbritannien, Spanien und Polen mit Truppen in den Krieg ein, weitere Nationen wie Italien unterstützten die Politik der Bush-Regierung politisch offensiv.
1.2 Ein Blick auf die europäische sicherheitspolitische Geschichte nach 1945

Die westeuropäischen Kernstaaten, nun allesamt Kleinstaaten mit Kriegsfolgen, mir sich auflösenden Kolonialreichen, mit massenpsychologischen Verwerfungen nach Faschismus und Weltkrieg u.v.m., taten sich nach 1945 schwer, sich auf eine abgestimmte Sicherheitspolitik zu einigen. Zunächst musste Frankreich 1954/55 die bittere Pille der deutschen Wiederbewaffnung [2] schlucken, nachdem seine politische Klasse bis 1952 versucht hatte, das Unabwendbare, weil von den USA Vorangetriebene, abzumindern durch die Gründung einer Europäischen Verteidigungs-Gemeinschaft (EVG), in der die Truppen Westdeutschlands alle einer europäischen Integration unterliegen sollten.

Danach begann ein Ringen um die Ausrichtung der europäischen Sicherheitspolitik auf einer neuen Ebene.
  • Paris versuchte fortwährend, die 1948 gegründete WEU (Westeuropäische Union, seinerzeit gegen einen potentiell wiedererstarkten deutschen Militarismus gegründet!) als Instrumentarium einer von Frankreich mit seinen Atomwaffen und Überseebesitzungen dominierten europäischen sicherheitspolitischen Identität aufzubauen. Die WEU hatte und hat den Vorteil, dass sie ohne US-Einfluss agieren kann.
  • Bonn, und an seiner Seite London, favorisierte eindeutig eine US-Orientierung und legte den deutlichen Schwerpunkt der Sicherheitspolitik auf die US-geführte NATO. Deutlichster Ausdruck der bundesdeutschen Haltung waren die Verhandlungen um den „Deutsch-französischen Vertrag über Zusammenarbeit“ (Elysée-Vertrag) von 1963. Das Frankreich de Gaulles hatte vergeblich versucht, die EWG, die Vorläuferin der heutigen EU, zu einer politischen Union, freilich unter französischer Führung, zu entwickeln (u.a. Fouchet-Pläne). Die Bundesrepublik versuchte unbedingt, die USA- und NATO-Orientierung betonen, andere Staaten wollten nur wenig Souveränität aufgeben; andere wiederum planten, Großbritannien in die EWG zu integrieren, um einer möglichen französisch-deutschen Hegemonie zu begegnen. Der im Jahr 2003 so hochgelobte Elysée-Vertrag dokumentiert die Niederlage de Gaulles und der „Europäer“ auf der ganzen Linie: Es wurde nämlich dem Vertrag vor der Ratifizierung durch den Deutschen Bundestag am 16. Mai 1963 eine Präambel hinzugefügt, in der die Priorität der US- wie der NATO-Orientierung der BRD sowie die Einbeziehung Großbritanniens in den weiteren europäischen Einigungsweg bekräftigt wurden; auch die USA hatten auf diese Präambel gedrängt.
Diese Interessendifferenz sollte bis zum Ende des Ost-West-Konfliktes zu Beginn der 90er Jahre andauern. Selbst Versuchsballons wie die Gründung der deutsch-französischen Brigade oder des Euro-Korps, beide nicht von großer militärischer, sehr wohl politisch-symbolischer Relevanz, unterstanden der Frage:

a) Wie weit ist Frankreich bereit, sich (nach seinem NATO-Austritt, genauer: dem Austritt aus der militärischen Integration, 1966) wieder dem US-dominierten Bündnis anzunähern? versus:

b) Wie weit ist die Bundesrepublik bereit, von den USA und von der NATO unabhängige europäische Wege zu gehen?

1.3. Neue Konstellationen nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes

Der Zusammenbruch von UdSSR und WVO sowie der deutsche Einigungsprozess brachten Bewegung in das westeuropäische sicherheitspolitische Kräftespiel. In den politischen Klassen Frankreichs, Großbritanniens und der USA herrschte eine Zeitlang Ungewissheit über den weiteren, vor allem europapolitischen Kurs der nun – mit 82 Millionen Menschen - größten und wirtschaftlich leistungsfähigsten Nation der EU. „Großdeutschland“ wurde für eine kurze Zeit zum geflügelten Wort in Pariser und Londoner Medien.

Wesentlich Frankreichs Staatspräsident Mitterrand ergriff die Initiative und band die Bundesrepublik über den
  • Vertrag von Maastricht im Jahre 1992 („Maastricht II“) mit vor allem der Fixierung einer „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ (GASP) als eigenständiger Säule beim Bau des europäischen Hauses sowie
  • über die Pläne zur Einführung einer gemeinsamen Wirtschafts- und Währungspolitik („EURO“) in der Folgezeit von Maastricht stärker und endgültig an die EU. Vorausgegangen waren Fehlschläge Frankreichs und der übrigen Staaten der EU, via Treuhand stärker vom Integrationsprozess der DDR in die BRD zu profitieren.
1.4 Der Jugoslawienkrieg als sicherheitspolitischer Einschnitt

Der Jugoslawienkrieg des Jahres 1999 leitete eine qualitative Wende ein bei der sicherheitspolitischen Einigung und bei der Bewaffnung der Europäischen Union [3]:
  • Einzelne Länder (oder auch nur politische Fraktionen innerhalb einzelner Länder), so Italien und Griechenland, fühlten sich von den USA gegen ihren Willen in diesen Krieg hineingezogen.
  • Einzelne Länder (so u.a. Deutschland, Frankreich) beklagten die äußerst zurückhaltende Informationspolitik der NATO-Führungsmacht USA während des Bombardements.
  • Einzelne Länder bezichtigten die USA gar (s.o.) eines „über weite Strecken an den Interessen ihrer Verbündeten vorbei“ geführten Krieges, so Frankreich.
  • Schließlich wurde in Jugoslawien wie im 1991 vorangegangenen Golfkrieg gegen den Irak wieder die objektive Abhängigkeit der Europäischen Staaten von den USA deutlich – in der Informationsbeschaffung (betr. Satelliten) und im Transportwesen.
Als längerfristiges Konfliktpotential zwischen USA und EU blieb bestehen die US-Planung einer National Missile Defense (NMD).

Die EU zog auf ihrem Gipfel von Helsinki 1999 vielfältige Konsequenzen, u.a.:
  1. Es wurde der Aufbau einer europäischen Eingreiftruppe beschlossen. Diese soll (ab Mitte dieses Jahrzehnts) 60.000 Soldaten umfassen und innerhalb weniger Wochen einsatzbereit sein. Deutschland mit 18.000 (!), Großbritannien mit 12.500 und Frankreich mit 12.000 Soldaten werden das Gros des Personals stellen. (Für den Fall längerfristiger Konflikte muss man vom Dreifachen an erforderlichen Soldaten ausgehen.) Der Aktionsradius der europäischen Truppe soll 4.000 km um Brüssel herum betragen (man mache sich die Mühe, in einem Atlas diesen Radius abzugreifen...)!
  2. Die Forcierung des Baus des weltraumgestützten „GALILEO“-Systems soll die EU-Defizite in der Informationsbeschaffung beseitigen.[4]
  3. Das westeuropäische Konsortium AIRBUS wird nun einen militärischen Transporter, den A 400M, herstellen.
  4. Die EU sollte, so die Idee von Helsinki, ursprünglich weitgehend eigenständige Führungs-Strukturen neben denen der NATO aufbauen: einen Militärstab, einen Militärausschuss mit den Generalstabschefs der EU-Länder und einen politischen Ausschuss.
Schon im französisch-britischen Gipfel von St. Malo 1998 hatte sich eine Vertiefung der militärischen Zusammenarbeit angekündigt, als es in der Abschlusserklärung geheißen hatte, die EU müsse in der Lage sein, „ihre Rolle in der internationalen Arena voll und ganz wahrzunehmen“. Dazu benötige sie „eine autonome Handlungskapazität, unterstützt von glaubwürdigen Streitkräften mit den Mitteln und der Bereitschaft, die zu nutzen“ (zit. nach Fuchs 2004, S. 2). Auf der EU-Ratstagung in Köln im Juni 1999, nur kurz nach dem Beginn des Jugoslawienkrieges, wurden dann entscheidende Strukturen geschaffen: ein politisches und militärische Komitee, ein Militärausschuss und ein Militärstab, schließlich wurde der frühere NATO-Generalsekretär Javier Solana zum „Hohen Vertreter für die GSAP“ ernannt – Solana u.a. deshalb, um einen Bruch mit der NATO nicht sichtbar werden zu lassen. Im Dezember 1999 wurden dann die o.a. konkreten Rüstungsbeschlüsse gefasst.

Im September 2004 (FAZ v. 18.9.04) schuf die EU mit der Erklärung von Nordwijk eine „paramilitärische Polizeitruppe“, die bis zum Jahre 2007 immerhin 3.000 Personen umfassen soll: „Diese Truppe soll in einem Bereich zwischen Militäreinsatz und Zivilschutz zum Einsatz kommen“, so Frankreichs Verteidigungsministerin Alliot-Marie.

Im November 2004 (NZZ v. 23.11.2004) vereinbarten die Verteidigungsminister der EU die Gründung insgesamt 13 schnell verlegbarer Kampfgruppen. Diese werden 1.500 bis 2.000 Soldaten umfassen und binnen fünf bis zehn Tagen einsetzbar sein „Diese mobilen Verbände sind als militärischer Muskel der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) vorgesehen.“ Bis 2007 soll die Aufstellung dieser „battle groups“ abgeschlossen sein – ein weiterer Beweis des EU-Willens zum Aufbau von starken, hochmoblien Interventionskapazitäten. Die Kampfgruppen (so die FAZ im Vorfeld der Aufstellung, am 12.2.2004) sollen „30 bis 120 Tage lang auf sich allein gestellt und in größerer Entfernung vom Territorium der EU Kampfaufträge erfüllen können“. Die Verbände sind u.a. zur Unterstützung der UNO vorgesehen, auch die neutralen Länder Schweden, Finnland und Österreich wollen sich – neben Deutschland, Frankreich Spanien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg, beteiligen. Deutschland plant überdies gemischte „battle groups“ mit Polen, Tschechien, der Slowakei und Lettland. Die Neue Zürcher Zeitung zeigt den Zusammenhang mit den oben aufgezeigten Maßnahmen der EU auf: „Falls die EU ihren sicherheitspolitischen Ambitionen tatsächlich nachkommt, werden diese „Battle groups“ zu supermobilen Komponenten der bereits verfügbaren EU-Eingreiftruppe, die binnen 60 Tagen insgesamt 60.000 Soldaten, 400 Flugzeuge und 100 Schiffe zu mobilisieren vermag.“

1.5 Die USA drängen die NATO ins EU-Konstrukt

Die USA der Bush-Administration blieben nicht untätig und überraschten die EU-Staaten in der zweiten Hälfte des Jahres 2002 überraschten die USA mit ihrer Forderung nach dem Aufbau einer „Schnellen Eingreiftruppe“ innerhalb der NATO. Auf „Abwehr des internationalen Terrors“ lautete die Begründung.

Die europäischen NATO-Partner stimmten zu. Das Problem für das Gros der beteiligten Staaten war und ist nun, dass ihre Truppen nicht ausreichen, um sich zum einen an den diversen bereits bestehenden „Friedensmissionen“, zum anderen an der „Schnellen Eingreiftruppe“ der EU (GASP) und nun der „Task force“ der NATO gleichzeitig zu beteiligen.

Zusätzlich waren zu berücksichtigen die Probleme im Verhältnis der NATO-, aber nicht gleichzeitig EU-Partner Griechenland und Türkei. Die Türkei hatte verlangt, dass Zypern, demnächst EU-Mitglied, von der Kooperation in der EU-Truppe ausgeschlossen werden sollte. Derzeitiger Stand ist, dass die Eingreiftruppe der NATO rascher gebildet wurde als die der EU und bereits am 15.10.2003 (taz v. 16.10.2003) ihre Einsatzbereitschaft meldete. Fraglich ist, ob gleichzeitig die EU-Truppe, dies nicht ohne Druck von Seiten der USA, auf dem Aufbau eigener Führungsstrukturen besteht – die Londoner Blair-Regierung erweist sich hier als der größte Zauderer.

Noch in einem weiteren Punkt mischten sich die USA in EU-Geschicke ein: Sie animierten im Januar 2003 im Zusammenhang mit dem US-Kriegs-Aufmarsch gegen den Irak acht Länder zu einer interventionsfreudigen Erklärung, die den beiden US-kritischen Kernstaaten der EU, Frankreich und Deutschland, hinzu kamen Belgien und Luxemburg, politisch in den Rücken fiel. Paris und Berlin fanden ihrerseits mit der russischen und chinesischen Regierung zwei US-kritische Partner. Michel Barnier kritisierte die Kriegsbefürworter unter den EU-Beitrittsländern mit einem Hinweis, diese könnte nicht Milliardenhilfen aus Brüssel beanspruchen, wenn sie gleichzeitig Rüstungsgüter in den USA kauften (FAZ v. 26.2.2003) und bestärkte somit die heftigen Kritik von Seiten des französischen Staatspräsidenten Chirac. Die US-Regierung Bush ihrerseits unternahm – wenngleich vergeblich - große Anstrengungen, die nicht-ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates mit finanziellen Versprechungen für eine Kriegsresolution zu gewinnen. Die SZ titelte am 26.2.03 „Diplomatie, die zum Krieg führen soll“.

1.6 Militarisierung durch die EU-Verfassung [5]

Die europäische Verfassung, im Oktober 2004 von den Staats- und Regierungschefs in Rom unterzeichnet und nun zur Ratifizierung in 25 Staaten anstehend,
  • verlangt von den EU-Staaten höhere Rüstungsaufwendungen, sie verpflichtet sie zur Aufrüstung,
  • strebt den Aufbau einer “europäischen Verteidigungsagentur“ mit u.a. dem Ziel der Koordinierung der Rüstungsindustrie an,
  • schließt das EU-Parlament weitestgehend von Entscheidungen über Krieg oder Frieden aus,
  • erlaubt nicht einmal die Kontrolle der Außenpolitik des Ministerrats durch den Europäischen Gerichtshof.
Mit der Verfassung und den oben geschilderten Aufrüstungsmaßnahmen („Schnelle Eingreiftruppe“, „Galileo“ und AIRBUS 400 M) will die EU den USA „auf Augenhöhe“ begegnen. Bei der Verteidigungsagentur wird erneut eine Konkurrenzstellung der führenden EU-Länder gegenüber den USA sichtbar: Die EU-Staaten können mit einem Synergieeffekt in Höhe von (FAZ v. 13.2.2003) jährlich 100 Mrd. Euro bei einer koordinierten Rüstung rechnen – das Vierfache des jährlichen Rüstungshaushaltes der Bundesrepublik Deutschland... Derzeit kaufen viele EU-Staaten noch große Mengen Rüstung in den USA. Und auf dem Rüstungsexportmarkt treten sie untereinander als Konkurrenten auf.

1.7 Die Bundeswehr auf dem Weg zu einer interventionsfähigen Armee

Der Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe der EU macht die nationalen Armeen nicht obsolet. Daher ist ein Blick auf die Bundeswehr unabdingbar.

Auch wenn sich insbesondere die französische Seite fortwährend beklagt über Verzögerungen bei deutschen und bei deutsch-französischen Rüstungsvorhaben[6], auch wenn der Rüstungshaushalt der Bundesrepublik nicht den Ansprüchen der Bundeswehrführung entspricht, so darf doch nicht übersehen werden, dass die für die Militarisierung der EU notwendige Umrüstung des deutschen Militärs in vollem Gange ist. Verteidigungsminister Struck bestätigte Mitte Februar (FAZ v. 24.2.2003) zum wiederholten Male, dass „die Wahrnehmung deutscher Interessen am Hindukusch“ beginne.[7] Und die Bundeswehr wird zielstrebig umgebaut.

Neben der Schaffung einer Drei-Klassen-Armee („Kommando Spezialkräfte“, „Krisenreaktionskräfte KRK“ und „Hauptverteidigungskräfte HVK“) gilt: Eine hochmobile, interventionsfähige Armee benötigt keine Truppen- und Panzermassen mehr. Hunderte von „Leopard“-Kampfpanzern werden zur Zeit „verscherbelt“, u.a. an die Türkei und in Entwicklungsländer. Sie benötigt ein kleines, dafür hochprofessionelles und high-tech-bewehrtes Personal. Nicht mehr die Erwartung eines Massenangriffs aus dem Osten bestimmt das Selbstverständnis der quantitativ verkleinerten Bundeswehr (und der im Entstehen begriffenen Schnellen Eingreiftruppe der EU). Rasche Einsätze mit wenigen tausend Soldaten zur Sicherung bspw. “unserer” Öl- oder Erdgasquellen, sh. Strucks Hinweis auf den Hindukusch, werden die Militärpolitik der Zukunft ausmachen. Die „Verteidigung“ wurde bei der Legitimierung des deutschen Militärs durch die „Wahrnehmung von Interessen“ abgelöst.[8]

Unter der SPD-Grünen Regierung Schröder/Struck hat die BW um die Jahreswende 2003/04 im Zusammenhang mit den neuen „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ eine völlige Umstrukturierung der Bundeswehr. Die Verteidigung deutscher Interessen beginnt 2003 „am Hindukusch“ (Struck). In anderen Stellungnahmen sprach Struck gar von weltweiten Einsätzen der deutschen Armee. Ab dem Jahr 2004 wird die Bundeswehr ihre Interventionsfähigkeit weiter steigern. Neben den KRK wird die BW umgebaut in eine Drei-Klassen-Armee
  • „Eingreifkräfte“ sollen (mit 35.000 Soldaten) besonders im Rahmen der NATO-Response-Force und in der EU-Eingreiftruppe zeitlich begrenzte „friedenerzwingende“ Einsätze bestreiten, bspw. Kampfeinsätze wie in Afghanistan.
  • „Stabilisierungskräfte“ sollen längerfristige „friedenerhaltende“ Einsätze bestreiten – bspw. Konfliktparteien trennen, Waffenstillstandsvereinbarungen überwachen etc. 70.000 Soldaten sind eingeplant, von denen bis zu 14.000 gleichzeitig in bis zu fünf Konflikten eingesetzt werden können.
  • „Unterstützungskräfte“ werden sowohl von Deutschland als auch von vorgeschobenen Stützpunkten aus die Einsätze der Eingreif- wie der Stabilisierungskräfte unterstützen. 137.500 Soldaten sind eingeplant, davon 40.000 für die Ausbildung. Wichtig zudem: Wesentliches Strukturmerkmal der „neuen“ BW ist nicht mehr ihre Einteilung in die drei Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine, obwohl diese formell bestehen bleiben. Die BW wird sich zukünftig in ihrer Struktur verstärkt auf streitkräftegemeinsame, streitkräfteübergreifende Operationen vorbereiten, der Einsicht folgend, dass bei den Einsätzen nach der „Wende“ mindestens immer zwei Teilstreitkräfte beteiligt waren. Der Aufbau des „Einsatzführungskommandos“ in Potsdam, eine Art Generalstab für die BW, ist hierfür der wichtigste Transmissionsriemen.
Um den Rüstungsstandard (bei vermutlich stagnierendem Budget) verbessern zu können, wird der Gesamtumfang der deutschen Armee von 1992 500.000 auf weniger als 250.000 SoldatInnen im Jahre 2010 vermindert.

Das offiziöse „Parlament“ überschreibt seine Berichterstattung bezeichnenderweise folgendermaßen: „Die Landesverteidigung bleibt zwar eine Aufgabe – aber zum möglichen Einsatzgebiet wird die ganze Welt“. (Das Parlament 5/6 2004 v. 2./9.2.2004)

Die Ausrüstung der Bundeswehr befindet sich in einem Prozess der Umstrukturierung: Die schwere Panzerwaffe verliert ebenso wie große Truppenkonzentration zugunsten von hochmobilen und mit high-tech ausgerüsteten kleinen Einsatzzellen an Bedeutung. Kampfhubschrauber gewinnen an Wichtigkeit, ebenso Transportflugzeuge für große Truppenkontingente (Airbus A 400 M).

Man muss kein Prophet sein, um das Ende bzw. die Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland (s.u.) für die nächsten Jahre zu erwarten. Eine Wehrpflichtarmee kann keine Interventionsarmee sein.[9]

Die Reduktion der deutschen Truppenstärke wird noch weitergehen (Stuttgarter Zeitung v. 8.10.2003), in wenigen Jahren wird die Bundeswehr eine professionelle Armee sein. Dies zu sehen, muss man kein Prophet sein. Die Wehrpflicht wird derzeit einzig aufrecht erhalten, um für die dringend benötigten Zeit- und Berufssoldaten ein besseres Rekrutierungsfeld zu haben. Eine Interventionsarmee kann nur schwer eine Wehrpflichtarmee sein.

Vielleicht die wichtigste Aufgabe ist der politischen, gleichwohl ob konservativ oder sozialdemokratisch dominiert, wie der militärischen Führung der Bundesrepublik in den vergangenen 15 Jahren nahezu lautlos gelungen: Die Herstellung einer neuen Legitimationsbasis für die Bundeswehr nach dem Fortfall des Feindbildes „Sowjetunion/Sozialismus/Kommunismus“. Der Übergang von der weitgehend einer Zivillogik verpflichteten Sicherheitspolitik zur Interventionsfähigkeit, also zur Militärlogik, ist im Massenbewusstsein, unabhängig von der Opposition gegen den US-Krieg gegen den Irak, verankert. Der Gedanke der Verteidigung ist passé, die Wahrnehmung von Deutschlands Interessen, so scheint es, beginnt am Hindukusch und im Maghreb.

2. Sieht so eine kluge EU-Politik aus?

Und: Löst die Militarisierung der EU die fatalen Konsequenzen der Unilateralität? Schützt sie vor Krieg und Terrorismus?

Eine gängige These der herrschenden Politik lautet, wenn die EU den USA militärisch „etwas entgegenzusetzen“ hätte, werde die Erde wieder zur Lage vor 1991 zurückkehren. Ein Vergleich mit der Zeit des Kalten Kriegs und des atomaren Patts der 70er und 80er Jahre hinkt jedoch an einer entscheidenden Stelle: Die USA und EU sitzen politisch und ökonomisch in einem, dem kapitalistischen Boot. Sie müssen keine Rücksichten mehr nehmen auf die Wirkung ihrer Politik in anderen Teilen der Erde – außer beim Kontrahenten. Beide Mächte verfolgen Hegemonieabsichten und unterstehen dem starken Druck gigantischer, heute supranational organisierter, privater Konzerne, die bspw. ein Interesse an der Erschließung von Öl- oder Gas-Feldern haben, ein Interesse an Rüstungsexport, ein Interesse an der Abschottung ihrer Märkte gegen die Importe der Entwicklungsländer u.v.m. In Paris bspw. heißt es in der politischen Klasse unverhohlen: Mit welcher Legitimation agieren die USA im Irak? Wenn der Irak schon nicht russisches Einflussgebiet ist, dann französisches!

Es besteht also bei einer weiteren Militarisierung der EU die Gefahr einer ökonomischen und politischen Neuaufteilung der Erde unter den Führungsmächten der Welt des "freien" Handels. Wobei sehr in Frage zu stellen ist, ob eine derartige Neuaufteilung die Erde friedlicher machen wird. Die EU muss ihre Stärke anders nutzen.

3. Die Lage der EU, Deutschlands und der Erde, auch politische Klugheit verlangen eine andere Politik. Armut, Hunger, ökologische und Bildungs-Miseren in den Entwicklungsländern verstärken sich. Auch in den sogenannten „entwickelten“, d.h. den Industrie-Ländern greift ein rascher Segregations-Prozess um sich.

Eine militärische „Gleichberechtigung“ der EU mit den USA kann nicht das Ziel einer auf allseitigen Interessenausgleich angelegten europäischen Sicherheitspolitik sein. Die immer mächtiger werdende EU sollte sich zügig von der Politikanlage der USA mit der „permanenten Intervention“ und mit ihrem (oben nur an einem Beispiel aufgezeigten) Prinzip des „divide et impera“ abgrenzen und durch eine neue Entwicklungs- und Handelspolitik (Entwicklungshilfe, fairer Handel, Entschuldung etc.) eine andere Logik in den internationalen Beziehungen vorgeben. Dies entspricht den Erfordernissen einer Erde, auf der täglich mehr als 60.000 Menschen verhungern und weitere 25.000 Menschen allein infolge verunreinigten Wassers ihr Augenlicht verlieren, eher als Hochrüstung und Hegemonialpolitik. Und die EU-Staaten sind mit ihren traditionellen Verbindungen zu einer Vielzahl von Entwicklungsländern hierzu geradezu prädestiniert. 80 bis 90 Prozent aller Konflikte entstehen aus der ungleichen Verteilung des Reichtums auf der Erde.




Folgende Prämissen liegen meinen Ausführungen zu Grunde:
  1. Mit Militär können keine politischen oder sozialen Probleme gelöst werden; Militär schafft nur neue.
  2. Es ist eine Illusion, gerade mit waffenstarrem Militär Frieden „stiften“ zu wollen oder Frieden zu „erhalten“. Der gegenteilige Effekt wird erreicht. Militärische Ausbildung hat andere Ziele.
  3. Deutschland, die EU wie auch alle hoch industrialisierten Staaten sind militärisch nicht zu verteidigen, nicht gegen „Terror“ (sh. 9/11), nicht gegen militärische Angriffe (diese Staaten sind wegen ihrer AKW, wegen der gesamten Computer- und Transistoren-Infrastruktur u.v.m hoch verwundbar). In den USA ist SDI gescheitert und scheitert derzeit NMD. Vor ihrem Scheitern ruinieren sie indes noch die Volkswirtschaften.
  4. Die hochindustrialisierten Staaten sind nur gewaltfrei und sozial (im weitesten Sinne des Wortes: Die EU-Länder müssen auch innerhalb ihrer eigenen Grenzen sozialen Ausgleich schaffen – derzeit läuft der Trend in die entgegen gesetzte Richtung) zu verteidigen.
  5. Auch Angriffskriege scheinen heute mehr gewinnbar - die letzten drei sind kläglich gescheitert: Jugoslawien 1999, Afghanistan 2001, Irak 2003ff.
  6. Das Gewaltmonopol muss auf die UNO konzentriert werden, d.h. nationalen oder Bündnis-Interessen entzogen werden. Freilich muss die UNO demokratisiert werden: Anstatt der Bundesrepublik Deutschland und Japan einen Ständigen Sitz im Sicherheitsrat zu geben, sind unbedingt die Länder Afrikas, Lateinamerikas, Asiens, ja auch Vertreter der islamischen Staaten zu vertreten.[10]
  7. Zum Argument der angeblich erhaltenswerten Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie: ein Arbeitsplatz in der Rüstungsindustrie kostet den Steuerzahler ca. 130.000 € im Jahr, von denen etwa ein Drittel als Bruttolohnsumme in den Konsum geht; ein Arbeitsplatz einer Lehrerin hingegen kostet 57.000 €, von denen ca. 90 % in den Konsum gehen.
  8. Aus dem hier Genannten ergeben sich für die EU besondere Chancen, auch besondere Verantwortungen.



4. Die möglichen Alternativen

Meine Gegenthese zur angeblichen Notwendigkeit der Aufrüstung lautet, eingedenk der eingangs dargelegten Prämissen, für die EU:
  • Die EU sollte ein Leuchtturm in der Entwicklungspolitik werden, nicht in der weiteren Aufrüstung.
  • Derzeit werden erdweit ca. 60 Mrd. $ aufgebracht an öffentlicher Entwicklungshilfe (vergleichen mit knapp 1.000 Mrd. $ für Rüstung, ist dies beschämend). Die EU steht hier mit einem ca. 50prozentigen Anteil nicht schlecht da. Aber es geschieht dennoch zu wenig. Dabei ist Entwicklungshilfe langfristig „profitabel“.
  • Die EU gibt derzeit ca. 50 Prozent ihres Haushaltes für den Agrarsektor aus, von diesen 50 Mrd. € wiederum ca. 25 Mrd. € für Subventions- und andere Abschottungsmaßnahmen. Die besten Beispiele liefert die Zucker- und die Baumwollproduktion.
  • Alle OECD-Länder (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) gaben 2004 für Subventionen allein ihren Landwirten (FAZ vom 3.1.2005) 230 Milliarden Euro, ein Großteil hiervon entfällt auf die EU-Länder.
Würde die EU ein wachsendes Maß dieses Geldes neben umgeleiteten Rüstungsgeldern in neue „terms of trade“, einen gerechteren Handel, leiten, würde sich das Gros der Rüstungsausgaben erübrigen. Anstatt aufzurüsten sollten die EU-Staaten alle Unternehmen strengstens verfolgen, die fortwährend Rüstungs- oder rüstungsrelevante Güter in Krisengebiete exportieren. Die Beendigung des Rüstungsexports und der Proliferation sind Schlüsselforderungen für eine neue, nicht-interventionistische Weltordnung!

Folgende geopolitischen Fakten bewegen mich zu meinen Überlegungen:
  • Die sozialen Probleme der Erde sind derart groß, dass weitere Aufrüstung jeglicher Moral entgegenliefe (Kindersterben, Erwachsenensterben, Hunger, schlechte Wasserversorgung, unzureichende Bildungsmöglichkeiten u.v.m);
  • Der „Terrorismus“, insbesondere der islamische Terrorismus, der derzeit zum Feindbild Nr. 1 aufgebaut wird, ist mit militärischen Mitteln nicht zu bekämpfen, geschweige denn: zu besiegen. Ja, die militärische Hochrüstung ist contraproduktiv! Was haben die vergangenen drei Kriege „gebracht“ (Jugoslawien, Afghanistan, Irak)? Nur mit sozialem Ausgleich kann etwas gegen ihn unternommen werden, kann sein soziales Umfeld gleichsam ausgetrocknet werden.
  • Der Arbeitskreis Kriegs-Ursachenforschung (AKUF) der Universität Hamburg hat erforscht, dass ca. 90 Prozent aller Kriege aus der ungleichen Verteilung des Reichtums der Erde resultieren.
  • Wenn wir von unserer gewaltigen Produktivkräften und unserer gewaltigen Produktivität etwas abgäben, unsere großen Mittel (s.o.) sinnvoll umleiteten, würden wir EuropäerInnen das Modell der Zukunft auf der Erde der 200 Nationen darstellen. Dabei müssen wir uns von herkömmlichen Wachstumsvorstellungen trennen: Das qualitative Wachstum ist unbedingt dem blinden quantitativen Wachstum vorzuziehen (Bau von Infrastruktur, umfassende Gesundheitsreform zugunsten eine breiten Versorgung, Wiederentdeckung des ÖPNV, lebenslanges Lernen u.v.m.).
5. Fazit

Die Europäische Union, und in ihrem Kern Frankreich und Deutschland, sollten das ihnen in einem langen Prozess entstandene und fortwährend weiter wachsende politische und wirtschaftliche Gewicht nutzen, Konflikte mit nicht-militärischen Mitteln zu lösen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass mehr als vier Fünftel der Konflikte aus der unterschiedlichen Verteilung des Reichtums auf der Erde entstehen.

Die nun in allen EU-Ländern beginnende Debatte um die Ratifizierung der EU-Verfassung, teilweise wird es um das Abhalten von Referenden gehen, sollte von den rüstungskritischen Kräften genutzt werden zu einer Alarmierung der Öffentlichkeit.

Die gerade erst gewonnene (und bislang tragende) deutsch-französische Einigkeit in der Frage des Irak-Krieges sollte über das Jahr 2003 hinaus genutzt werden zu einer grundsätzlichen Wende in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik.[11]

An der müssen jedoch Zweifel angemeldet werden. Zu den aufgezeigten ökonomischen Strukturen der kapitalistischen Konkurrenzmacht EU kommen zwei Faktoren hinzu: Zum einen ist die französische Außen- und Sicherheitspolitik prinzipiell interventionistisch angelegt, und ob die Verteidigung deutscher Interessen am Hindukusch sich gewaltfreier Mittel bedienen wird, ist zumindest offen...

Fußnoten:
  1. Sh. hierzu: Becker, J.M./Brücher, G. (Hrsg.): Der Jugoslawienkrieg. Eine Zwischenbilanz. Münster (LIT-Verlag, 2. Aufl.) 2001.
  2. Sh. hierzu: Becker, J.M.: Die Remilitarisierung der Bundesrepublik Deutschland und das deutsch-französische Verhältnis. Marburg (Hitzeroth, Restex. beim Verf.) 1987.
  3. Ich empfehle auch die IMI-Analyse 2003/006 „Europäische Kriegs-Union“ von Dirk Eckert. www.imi-online.de
  4. Hierzu „denkpause“ 21 v. 8.7.03, Hrsg. GUE/NLG im Europäischen Parlament. Mit den über 30 Satelliten von Galileo wird es, dem US-System GPS vergleichbar, möglich sein, Waffen mit einer Treffgenauigkeit von 4 (!) Metern einzusetzen (GPS: 10 Meter).
  5. Eine ausgezeichnete Analyse der EU-Verfassung von Albert Fuchs findet sich in der Beilage zur Zeitschrift „Wissenschaft & Frieden“ 4,2004: „Wer wollte sagen, er habe es nicht wissen können?“w-u-f@t-online.de
  6. Ich empfehle hierzu den Informationsbrief und home-page der Französischen Botschaft: www.Frankreich-Botschaft.de. Sh. auch das Interview mit Verteidigungsministerin Alliot-Marie in FAZ v. 8.2.2003. de Villepin bekräftigte die deutsch-französische Sonderrolle noch einmal in einem Koordinationstreffen mit der französischen Diplomatie Ende August 2003 in Paris.
  7. Bei einem militärischen Besuch nordafrikanischer Staaten äußerte Struck, ein weiteres Beispiel für die geopolitischen Vorstellungen der hellrot-grünen Berliner Regierung, der Maghreb sei Teil Europas (FAZ v. 3.11.2003).
  8. Sh. hierzu von meiner Seite: Militär und Legitimation. Eine vergleichende Studie zur Sicherheitspolitik Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland. Marburg (IAFA) 1997.
  9. Die Allgemeine Wehrpflicht wird in Deutschland, darüber gibt es in ExpertInnenkreisen keinen Zweifel, nur noch aufrecht erhalten, um der Bundeswehr für die Laufbahnen der Zeit- und BerufssoldatInnen ein akzeptables Rekrutierungsfeld zu bieten. Das Werben um Längerdienende ist – trotz der grassierenden Massen- und Langzeitarbeitslosigkeit - nicht sonderlich erfolgreich. Andererseits ist die Armeeführung mitnichten an einer rechtsradikalen Durchdringung der Bundeswehr interessiert. Außerdem kann man zehn Monate Dienende nicht an high-tech-Waffen, und überhaupt nur schwer in Krisen (mit u.U. drohender Lebensgefahr) einsetzen. Das Argument von den “billigen Zivildienstleistenden” hingegen ist nach den jüngsten Verkürzungen von Wehr- und Zivildienst nicht mehr zutreffend: Zwar kosten betriebswirtschaftlich gedacht “Zivis” nur knapp 20.000 € im Jahr. Volkswirtschaftlich kommen aber noch Faktoren wie fehlende Zahlungen in die Sozialkassen, fehlende Kaufkraft betreffend die “Zivis” selbst, und kommen die Kosten für die Arbeitslosigkeit der durch den Zivildienst von normaler Beschäftigung Abgehaltenen hinzu. (Überdies klagen die Zivildienst-Träger zunehmend über die Verkürzung auch des Zivildienstes.) Dies all bedeutet nicht, dass es in Deutschland keine Überlegungen betr. eine (u.U. auch zwangsweisen) soziale Dienstpflicht gibt. Unterschiedliche Argumente werden vor allem von konservativer Seite hierfür vorgebracht (Dienst am/Bewußtseinserweiterung für das “Gemeinwohl”, erzieherischer Ersatz für die “Schule der Nation”, die BW, etc.).
  10. Eigenartig in diesem Zusammenhang: Die OSZE scheint nach ihrer wichtigen Rolle (damals als KSZE) im Kalten Krieg an Bedeutung verloren zu haben. Sie passt offenbar nicht in das interventionsbereite Denken der neuen westeuropäischen sicherheitspolitischen Identität hinein. Dabei wäre ihr Vorteil: Alle europäischen Staaten gehören ihr an, auch Russland. Auch die USA. Die OSZE hat allerdings keine militärische Komponente.
  11. Sh. hierzu aktuell: Becker, J.M./Dubellé, P. u.a. (Hrsg.): Jugend, Streitkräfte und europäische Sicherheit. Arbeitstexte des Office Franco-Allemand pour la Jeunesse, Paris 2003. www.ofaj.org
* Johannes M. Becker, PD Dr., lehrt Politikwissenschaften mit Schwerpunkt Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg. Koordinator am ZfK. Mitglied im Direktorium der Zeitschrift W&F ("Wissenschaft & Frieden")


Weitere Beiträge zu Europa

Zurück zur Homepage