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EU-Krise: Demokratie außer Kraft

DGB und Erziehungsgewerkschaft GEW luden Kollegen aus Südeuropa ein

Von Hans-Gerd Öfinger *

Widerstand gegen EU-Kahlschlagspolitik: Gegen die Zerstörung von Arbeitnehmerrechten, Bildungsabbau und wirtschaftlichen Niedergang hat die Lehrergewerkschaft GEW mit DGB-Unterstützung Vertreter ihrer Partnerorganisationen aus Griechenland, Spanien und Portugal eingeladen.

Über unerträgliche Zustände in ihrem Land berichtete Manuela Mendonça von der portugiesischen Lehrergewerkschaft FENPROF bei einer Pressekonferenz zum Auftakt der Rundreise am Dienstag in Frankfurt am Main. Die Lage in dem südwesteuropäischen Land sei von 14 Prozent Arbeitslosigkeit und einer massenhaften Ausbreitung von Hungerlöhnen gekennzeichnet. Der offizielle Mindestlohn liege mit 475 Euro im Monat unterhalb der Armutsschwelle. Bei den Bildungsausgaben sei Portugal Europas Schlusslicht. Während viele Kinder hungrig in die Schule kämen, kürze die Regierung die Ausgaben für die Schulspeisung, so Mendonça. Die Schließung von Schulen fördere in abgelegenen Regionen Landflucht und Entvölkerung. In weiterführenden Schulen liege die Schulabbrecherquote bei über 23 Prozent.

Ähnliche Zustände im benachbarten Spanien schilderte Pedro González von der Bildungsgewerkschaft FE.CC.OO. Jeder zweite junge Mensch sei im iberischen Staat ohne Arbeit. Somit wüchsen Generationen in Armut und ohne Rentenanspruch heran. Staatliche Kürzungen und die Vernachlässigung der beruflichen Bildung durch die Politik verschärften das Problem. Aus Geldmangel könnten sich junge Erwachsene nicht vom Elternhaus lösen. Zwar brächten viele Junge auch linken Parteien und Gewerkschaften Misstrauen entgegen, die starke Beteiligung am eintägigen Generalstreik Ende März mache jedoch Hoffnung, sagte González.

In Griechenland seien die Zerstörung von sozialen und demokratischen Errungenschaften, das Ende der Tarifautonomie und ein Zusammenbruch des sozialen Gefüges in vollem Gange, berichtete der Athener Themistoklis Kotsifakis von der Lehrergewerkschaft OLME. Armut und Verzweiflung und eine steigende Selbstmordrate gehörten zum Alltag.

Als Folge des von der Troika verordneten Spardiktats seien seit 2010 über 1000 Schulen geschlossen und die Lehrergehälter um 40 Prozent gekürzt worden, so der Gewerkschafter. Der Kahlschlag habe jedoch nicht einmal die vorgegebene Lösung gebracht, sondern die Rezession verschärft und damit die Staatsverschuldung erhöht.

Gleichzeitig verliere die Troika kein Wort über die anhaltende Aufrüstung des griechischen Militärs und die üppigen Schmiergelder der Rüstungskonzerne für Politiker, bemängelte Kotsifakis. Die griechische Demokratiekrise mache sich nicht nur am brutalen Vorgehen von Polizisten bei Demonstrationen auch gegen Ältere, Frauen, Kinder und Reporter fest. »Gesetze werden ohne öffentlichen Dialog oder Anhörung in wenigen Stunden durchgepeitscht«, so der Gewerkschafter. »Der Staat missachtet seine eigenen Gesetze.« Ob die anstehenden Parlamentswahlen eine Wende zum Besseren bringen könnten, sei zweifelhaft: »Neue Köpfe allein ändern noch nichts.«

»Wir stehen an der Seite der betroffenen Kollegen«, betonte Stefan Körzell, DGB-Chef für Hessen und Thüringen. Die Zustände in Südeuropa seien eine Warnung auch für abhängig Beschäftigte in Deutschland, denn die Bundesregierung sei maßgeblich am Krisendiktat beteiligt und exportiere gerade auch Dinge wie eine »Schuldenbremse« oder »Rente mit 67« nach Südeuropa. »Europa weckte jahrzehntelang bei den Älteren die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ohne Krieg«, erklärte der GEW-Vorsitzende Ulrich Thöne. »Für die Jugend bedeutet Europa nur, dass die Demokratie außer Kraft gesetzt wird.«

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 18. April 2012


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