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Unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Solana folgt militärischen Gesetzen

Langsam dämmert es auch den Abgeordneten im Europäischen Parlament: Die Militarisierung der EU kann nicht mit zivilen Mitteln vonstatten gehen. Die Europäische Union war von ihrer Konstruktion eine durch und durch zivile Angelegenheit. Militärische Strukturen waren nicht vorgesehen. Entsprechend herrschte das Prinzip weitestgehender Offenheit und Transparenz bei politischen Entscheidungen. Die zur Zeit sich vollziehende Umwandlung der EU in ein "Verteidigungsbündnis" mit eigenen Truppen (z.B. Kriseneinsatztruppen) und militärischen Befehlsstrukturen bleibt nicht ohne Auswirkung auf die Entscheidungsstrukturen der ganzen EU. Und Solana, der lange genug bei der NATO diente und sogar deren Generalsekretär war, weiß, welche Maßnahmen bei der Militarisierung einer Institution ergriffen werden müssen. Ob er hierbei auf Druck der NATO oder der USA handelt, wie im folgenden Artikel vermutet wird, wollen wir dahin gestellt sein lassen. Auch ohne diesen Druck, so scheint uns, würde Mr. Gasp handeln, wie er gehandelt hat.

Solanas brisante Dokumente

Restriktive Informationspolitik erzürnt das Europäische Parlament

Javier Solana ist als Lächler und Schulterklopfer bekannt; damit hat sich der Hohe Beauftragte für die EU-Außen- und Sicherheitspolitik in Brüssel viel Sympathie erworben. Nun ist der Austausch von Freundlichkeiten zumindest aus Sicht des Europäischen Parlaments erstmal beendet. Die Abgeordneten sind erbost darüber, dass der ehemalige Nato-Generalsekretär künftig zunehmend Dokumente der Öffentlichkeit vorenthalten will, indem sie sehr großzügig als geheim und vertraulich eingestuft werden. "Die Aktion gleicht einem militärischen Überraschungs-Coup. Grundlegende demokratische Rechte werden eingeschränkt", kritisiert die finnische Europa-Abgeordnete Heidi Hautala (Grüne) im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Am heutigen Mittwoch kommt der Rechtsausschuss des Parlaments zusammen, um über eine Klage gegen Solanas Arbeitgeber, den EU-Ministerrat zu beraten. Dann müsste sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg mit dem Fall befassen.

Der Vorstoß Solanas war offenbar generalstabsmäßig vorbereitet. So stimmten bereits Ende Juli die Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel über einen Beschluss zum Umgang mit Dokumenten des Ministerrats ab. Durch die Veröffentlichung im EU-Amtsblatt Mitte August wurde die Entscheidung rechtskräftig. "Der Ministerrat wollte dies alles in der Sommerpause über die Bühne bringen, um eine Debatte mit den Europa-Abgeordneten zu vermeiden", sagt Hautala.

Nach dem Willen des Rats sollen Dokumente, die sich mit der Sicherheitspolitik befassen, schneller als geheim oder vertraulich eingestuft und somit nicht mehr in einer öffentlich zugänglichen Registratur des Rats aufgenommen werden. Diese Beschränkungen beziehen sich nicht nur auf rein militärische Inhalte, sondern auch auf Bereiche des "nicht-militärischen Krisenmanagements" im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Europa-Abgeordneten befürchten, dass durch die weitgehende Auslegung der Geheimhaltungsstufe das im Amsterdamer EU-Vertrag verankerte Informationsrecht verletzt wird. So könne sich die Öffentlichkeit beispielsweise nicht mehr ausreichend über die Kosovo-Politik der Gemeinschaft informieren, heißt es.

Nach Artikel 255 des EU-Vertrags hat jeder Unions-Bürger das Recht auf Zugang zu Dokumenten des Europa-Parlaments, des Ministerrats und der Kommission. Nach Meinung Hautalas gebe es zwar durchaus Vorgänge, in denen Geheimhaltung notwendig sei. Dies müsse jedoch von Fall zu Fall entschieden werden. Hautala: "Solana will einen ganzen Politikbereich von der Öffentlichkeit fern halten."

Was hat den Spanier zu diesen Restriktionen verleitet? In Brüssel wird vermutet, dass Solana vor allem auf Druck der Nato und insbesondere der USA gehandelt habe. Dahinter könnte auch ein aus Washingtoner Regierungskreisen geäußertes Misstrauen gegenüber einer zu eigenständigen europäischen Verteidigungspolitik stehen. Als überzeugter Atlantiker versucht Solana offenbar nun, den Amerikanern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Im Parlament ist der Unmut allerdings groß: Wenn der Rechtsausschuss für die Einleitung gerichtlicher Schritte plädiert, hängt es nur noch von Parlamentspräsidentin Nicole Fontaine ab, ob eine Klage eingereicht wird.
Andreas Oldag
Aus: Süddeutsche Zeitung, 13.09.2000

Ein weiterer Artikel zu demselben Thema:
Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ESVP
"Militärischer Rückzug ins Verborgene"

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