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EU-Osterweiterung: Expansion zwecks Armenhilfe

Von Hannes Hofbauer

Der Widerspruch in der Argumentation könnte klassischer nicht sein. Die von Politik und Medien auffallend häufig als "unumkehrbarer Prozess" dargestellte Erweiterung der Europäischen Union um bis zu zwölf neue Staaten wird möglichen Kritikern als Hilfsprojekt verkauft. Den europäischen "Heimkehrern", die zwischen dem Ende des Faschismus und dem Zusammenbruch des Sowjetsystems als verloren galten, soll per EU-Anschluss geholfen werden. Gegenteilig dann die Stoßrichtung des Hauptarguments, warum sich kein aufrechter Österreicher oder Europäer gegen die Expansion stellen dürfe: sie würde "uns" - also EU-Europa, Österreich und seinen Wirtschaftsbetrieben - am meisten nützen, weshalb es unsinnig wäre, sich dagegen zu stellen. Wer die Welt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges (und freilich auch davor) beobachtet hat, wird um die Feststellung nicht umhin können, dass ökonomischer und/oder geopolitischer Nutzen der einen Region oder Klasse notwendigerweise auf Kosten einer anderen geht. Das haben sämtliche internationalen Wirtschafts- und Militärinstrumente - von Weltbank und Internationalem Währungsfonds, dem GATT-Abkommen, der WTO usw. bis zur NATO - eindrücklich unter Beweis gestellt. Zu behaupten, der Profit, den EU-Europa aus der Erweiterung zieht, würde sich als Hilfe in Osteuropa niederschlagen, verschließt die Augen vor jahrzehntelanger weltwirtschaftlicher Wirklichkeit. Dennoch ist auch mancher Friedensaktivist oder Gesellschaftskritiker hierzulande in der argumentativen Doppelmühle gefangen, die von allen österreichischen Parlamentsparteien gemeinsam aufgestellt worden ist.

Die Frechheit, Expansion als Hilfsleistung zu verkaufen, ist indes nicht neu. Der ganze weströmisch-christliche Missionsgedanke ist von diesem Glauben - laizistisch: von dieser Ideologie - durchdrungen. Und auch der Vormarsch in den frühen 1940er Jahren war von der Idee besessen, am deutschen Wesen die Welt genesen zu lassen. Nun hat sich dieses expansionssüchtige Wesen europäisiert. Seine Gefährlichkeit für die übrige Welt ist deshalb um nichts geringer geworden. Im Gegenteil: vor der Hilfe des Nordens muss die Mehrheit der Menschen im Süden und Osten erzittern. Doch selbst dort, wo derlei Hilfe von den örtlichen Eliten nicht erwünscht ist, wie beispielsweise im Jugoslawien von Slobodan Milosevic, bleibt im Zentrum die Überzeugung aufrecht, Interventionen von außen seien für wirtschaftliche Randgebiete friedens- und entwicklungsfördernd und müssen auch gegen etwaige lokale Interessen durchgesetzt werden. Notfalls eben auch mit Bomben.

Der Vormarsch deutscher, französischer, britischer, italienischer etc. Truppen in Makedonien ist verglichen mit dem Eingriff in Jugoslawien bereits reibungsloser verlaufen. Nach monatelangem politischen Druck von außen und mutmaßlich damit koordinierten Terrorattacken von innen ist die Regierung in Skopje soweit gebracht worden, den Einmarsch der NATO zu erflehen. So soll es sein. Und dergestalt sieht auch die Erweiterung der Europäischen Union Richtung Osten aus.

Erweiterung braucht militärische Absicherung für die von den stärksten multinational agierenden Konzernen geplante ökonomische Durchdringung Osteuropas. Seit den Amsterdamer Beschlüssen der EU, im Zuge derer die sogenannten Petersberger Aufgaben einer ständig interventionsbereiten Armee von 60.000 EU-Soldaten definiert worden sind, kann zwischen zivilem und militärischem Vormarsch nicht mehr unterschieden werden. Wer den EU-Interessen der Bildung eines möglichst großen Marktes zum Vorteil der kapitalstärksten Investoren national, regional oder sozial motivierte Projekte entgegenhält, muss mit der militärischen Keule rechnen - mit dem Argument, ansonsten wären Menschenrechte (in erster Linie jene der Investoren) gefährdet. Schon die im EU-Streitkräfteplan projektierten 350 Kampfflugzeuge machen klar, dass dem Erweiterungsprojekt, wie bereits im 78-Tage-Bombardement gegen Jugoslawien unter Beweis gestellt, der heiße Krieg innewohnt. Das weiß sogar FPÖ-Verteidigungsminister Herbert Scheibner, dem jüngst zur dringenden Beschaffung neuer Abfangjäger einfiel, diese dann sogleich der Euroarmee zur Verfügung zu stellen. Dies böte, so Scheibner weiter, die Möglichkeit, im Gegenzug weniger als die vorgesehenen 2000 österreichischen Soldaten abzustellen: "Mir geht es darum, so wenige Soldaten wie möglich in den Krieg zu schicken", sagte Scheibner, Verteidigungsminister eines immer noch neutralen Landes, am 29. August 2001 dem "Kurier".

Wo diese Kriege, in denen möglichst wenige österreichische Soldaten fallen sollen, demnächst stattfinden werden, ist leicht zu erraten: überall dort, wo die fortgesetzte Peripherisierung osteuropäischer Regionen Menschen in die soziale Verzweiflung treibt, muss früher oder später ordnungspolitisch eingegriffen werden. Militärisch wird ein solcher Eingriff dann erfolgen, wenn sich regionale oder nationale Führer den existentiellen Sorgen der örtlichen Bevölkerung mehr verpflichtet fühlen als ihrer Statthalterfunktion. In Bosnien-Herzegowina z.B. sind 10.000ende NATO-Soldaten notwendig, um die serbischen, kroatischen und demnächst wohl auch bosnisch-muslimischen Mehrheiten unter Kontrolle zu halten. Warum sollte es nicht demnächst "Hohe Repräsentanten" für Transsilvanien/Siebenbürgen, das oberschlesische Kohlenrevier, die Vojvodina oder Teile der Ukraine geben. Finanz- und währungspolitisch sind bereits jetzt eine ganze Menge von osteuropäischen Ländern nicht mehr Herr ihrer Notenbanken und Ministerien: Bulgarien, Rumänien, Albanien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina.

Der gesellschaftliche Konsens im europäischen Zentrum, der die Expansion in die Peripherie als notwendig und gleichzeitig für die ökonomischen Randgebiete als hilfreich erachtet, bildet das eigentliche "demokratische" Rückgrat des Erweiterungsprojektes. Solange es Brüssel gelingt, den wirtschaftlichen und militärischen Vormarsch als Hilfe für die Ärmsten der Armen darzustellen und gleichzeitig jede kritische Stimme als unsolidarisch zu diffamieren, bleibt die Erweiterung eine Erfolgsgeschichte. Ob sie tatsächlich in der geplanten Integration der Beitrittskandidaten stattfinden wird, ist dabei von untergeordnetem Interesse.

Dr. Hannes Hofbauer, Österreich, ist Historiker und Journalist

Der Beitrag ist entnommen aus:
Friedenswerkstatt Linz (Österreich), Gruppe Schweiz ohne Armee (Schweiz), Informationsstelle Militarisierung (BRD)(Hg.): Denn der Menschheit drohen Kriege ... Euro-Militarismus auf dem Weg zur Neuen Weltordnung. Antimilitaristische Analysen und Strategien. Linz: Roithner 2001,


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